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03.05.15 - Peneda-Geres Trail Adventure

Das Monster

Autor: Joe Kelbel

5. Etappe 17 km 1000 Hm
Nicht lachen, diese Etappe hat mich gebrochen

 

Die Larve hat abgekackt. Hätte das Vieh überlebt, wäre es ein Laufkäfer geworden. Jetzt ist das unbeholfene Tier in den ewigen Laufgründen. 

Mit dem Bus geht es nach Geres. Nein, stopp, wir haben den Staudamm von innen besucht. Mit dem Bus 2 Kilometer unter die Erde. War geil, hat aber zu lange gedauert, die Beine zucken und jucken. Ungelogen! Sie flattern wie Schlüpfer auf der Wäscheleine. Erst drüben auf spanischer Seite lockern sich die Beine im Termalbad. Meine Mitläufer sind  unterernährt und haben Hühnerbrust. Hier muss Merkel Aufbauarbeit leisten!

 
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In Geres beginnt der grosse Lauf.  400 Läufer, die die letzten 130 km machen wollen, stossen nun zu uns. Geres ist Charmonix: 70er Jahre Häuser, ein Basislager mit unbegrenztem Essen und Trinken im Festzelt, ja, auch Bier, ein Start/Zielbogen und vier Tage Trail vom Feinsten, Musik und absolut verrückte Einwohner!

Für nichtläuferische Begleitpersonen gibt es ab jetzt auch Programm: Für Kinder kostenlose Ganztagsbereuung, für Erwachsene geführte Wanderungen, Forellenfischen, Schwimmen, Surfen, Canoeing, Museumsbesuche, Bergtouren, Bootstouren, Termalbaden,  dreitägige Modeschau, Live Konzerte, Führungen durch die jeweiligen mittelalterlichen Dörfer, sowie in spektakuläre Burgruinen, Show-Kochen, Räucherstuben (super Würstchen) und natürlich der stundenlange Zieleinlauf der Athleten. Im Auditorium erhalte ich ein Bändchen, das es mir erlaubt, fast alles zu nutzen, was ich brauche. An erster Stelle natürlich Essen und Trinken. Ich kann abchillen und Videos von unserem Lauf in den ersten Tagen schauen, mit Iker Karrera über alles, nur nicht über das Laufen quasseln. Der Typ ist halt ein Phänomen.

Der Start ist heute um 21 Uhr. Stockdunkel.Kontrolle der Pflichtausrüstung. Mich kontrolliert niemand mehr. Ich bin bekannt, wie Silvester Stallone. Quatsch, ich bin es! Wir 280 km-Kämpfer starten vorneweg, dann kommen die Schnellen. Pepe brennt mir einen herzhaften Schlag auf die nasse Jacke. Pepe ist ein Superläufer und fetzt mit seinem Kumpel den Berg hoch, dass mir der Mund offen bleibt. Andere Sportart halt.

 
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Es ist sehr schwierig, wenn dich gefühlte 400 Läufer im kalten Regen überholen. Ich komme aus der Wüste, habe keine passende Laufkleidung, meine Brille beschlägt vom warmen Dunst der Vorläufer, die eine stinkende Wirbelschleife hinter sich herziehen. Ich soll einen Bericht schreiben und Fotos schiessen, aber ich bin am Arsch und die Linse ist beschlagen. Warum da eine Verpflgungsstation am Seeufer ist, weiss ich nicht. Ich tappe vom schrägen Ufer ins Wasser und kippe vor Erschöpfung zeitlupenartig  ins Wasser.

Bei der Flussdurchquerung kommen noch mal meine Lebensgeister hoch, weil sich die Läuferhorde am Seil gegenseitig in die nasse Tiefe schickt, das alles total witzig ist,  ich unbedingt diese Bilder brauche, Carlos seine Hand verbunden hat und weil es regnet und weil mir kalt ist und weil mir alles egal ist, ich nur ins Bett möchte. 

Dann kommt ein gewaltiges Wasserrohr, Kraftwerk oder so. Nun geht es 1000 Meter entlang dieses brutalen Rohres nach oben.  Es ist dunkel, Regen, viel. viel Regen, scheiß Regen. Bestimmt vierzig Minuten hänge ich in dem bekloppten Hang. In der Mitte eine Trommlerband, aber mir ist verdammt schlecht. Nicht die Anstrengung, das Hirn macht mir Probleme. Habe keinen Spass mehr. Dieser blöde Plastiküberhang erstickt mich, ist doch eh alles nass. Waterboarding in Portugal! Ich beende meinen Tagesbericht.

 

6. Etappe 35 km 3000 Hm

 

Der Zimmerwirt hat für uns Eisbeutel auf den Frühstückstisch gelegt. Mir geht’s nicht gut, habe das Zimmer vollgekotzt. Das lag aber daran, dass mir Pedro seine Regenjacke geliehen hat. Pedro ist ein lieber Kerl, verkauft Videos von seinen Läufen. Beim Start fetzt er nach vorne, um die Spitzenläufer mit seiner GoPro zu filmen. Seine Videos findet man auf meiner Facebookseite. Nein, deswegen habe ich nicht gekotzt, es war die Regenjacke, die hat einen Monstergestank, der dir den Magen umdreht. 

Wenn ich abends ins Zimmer komme, frage ich mich, wie es dem Zimmermädchen gelungen ist, meine nassen und dreckigen Laufklamotten aufzuhängen. Vor allem die Schuhe müssen doch Überwindung kosten!

Heute fahren  wir mit dem Bus nach Xertelo. Als wir aussteigen, laufen wir natürlich falsch. Regen, Regen, Regen. Zurück ins Dorf und unter die Überdachung der Kapelle. Niemand von uns hat irgendeine Peilung. Ich weiss nicht mal, welche Distanzen heute anstehen.  Carlos hat immer noch seine Hand verbunden, als er das Briefing macht. Ich versteh nix, gar nix! Rui übersetzt zwar in Englisch, aber die vielen Kurzstreckler babbeln aufgeregt durcheinander, sodass ich nix höre. Dazu die ekelhaften Regentropfen! Ich weiss nichtmal welche Etappe heute ansteht, wo wir sind, wo es Verpflegung gibt, wie ich heisse. Ich weiß nur, ich bin bester Deutscher!

 
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Ich verstehe: „Gefährlich! Dort oben du kalt! Sehr, sehr kalt und du  habe  nur Schrottklamotten“. Nebel, schwieriger Laufuntergrund und einfach nur kraftlos, so soll ich diesen Tag überleben. Abends kann ich nichts essen, weil ich überdreht bin, dann mein komatöser Schlaf und zum Frühstück muss ich kotzen,  das Zähneputzen endet im Würgreiz. Meine Füsse sind eingepackt in fettes Tape, von vorne bis hinten. Klamotten riechen nach Yak, Schuhe nach verschimmeltem Popcorn.Trotz ewig nasser Füsse keine Blasen, keine Verletzungen, alles im Lot, nur unendlich müde, Ich grüße meine Heimat und die Klasse 7 B der Mädchenschule!

Ich mag diese Starts mit frischen Läufern nicht, sehe unter mir schon die Abbändler. Aber die Fotos kurz nach dem Start sind wichtig, einsame Landschaftsfotos in einem Laufbericht gefallen mir nicht. 

 
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Der Weg führt durch Almwiesen, die einen grandiosen Blumenteppich bilden. Auch uralte Steineichen, deren Stämme mehr als zwei Meter dick sind, sind zu sehen. Es gibt fette mineralische Adern von Zinn, Wolfram, Molybdän und Gold. Oft laufen wir an locker verschlossenen Grubeneingängen vorbei.

Üppige Vegetation, uralte Bäume, Stechpalmen und Maulbeerbäume, Edelkastatien und so. Und Erdbeerbäume - das sind große, heideartige Bäume mit  uriger, gescheckter Rinde. Die erbeerartigen Früchte sind warzig und mehlig. Getrocktet jedoch und über das Müsli gestreut, bieten sie einen honigsüssen Geschmack und einiges an Balaststoffen, die ich nicht brauche, weil hier alles anders ist.

Es gibt urwüchsige Lilien, prächtig, gross und beeindruckend, und Farne, deren Terntakel sich gerade ausrollen. An Tieren gibt es alles, auch die üblen Dingerchen! Etwa 500 Meter von hier muss die spanische Grenze sein. Hier ist der Wasserfall Portela do Homen, der Brunnen spendet Heilwasser. Ich weiss, warum ich kein Wasser mag, es gibt zuviel davon!  Die Kurzstreckler zieren sich noch ein wenig, aber du kannst die Schuhe nicht trocken halten.

Ja, es macht Spass, großen Spass, doch bei mir geht es nicht mehr ums finishen, ich will nur nachhause. 

Als mich Mauro, der Abbändler überholt, erzählt er mir von einem 100 Meilenlauf im Februar. 40 Stunden Zeitlimit und gegrillte Spanferkel und natürlich alle Getränke. Er zieht vorbei, murmelt etwas von Security. Von oben sehe ich das Desaster: Als Carlos heute Nacht die Strecke markierte, war der Bach klein und niedlich, jetzt ist daraus ein reissendes Monster geworden. Mauro wird von den Wassermassen an einen Stein geklebt, da steht er fest und kann die Läufer greifen. Oben steht ein Helfer mit riesen Sicherheitsschuhen, zieht an Stöcken die Läufer auf einen in der Brandung schwebenden Stein.  Er erklärt, wo unterhalb der weissen Urgewalt feste Steine zu finden sind. Direkt an der Felswand kann man sich abstützen und den Beinen Arbeit abnehmen. Daran, dass ich Handy und GPS im Rucksack habe, denke ich in diesem Moment nicht. Seit Sri Lanka aber gehören Zip-Beutel zu meiner Grundausstattung. So ist es mir egal, als mich die Strömung sehr tief drückt, eigentlich zu tief.

 
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Im Kampf um das pure Überleben versagt die modernste Ausrüstung. Mp3-Player, Mützchen, Halstücher und sonstiges unwichtiges Zeug gehen einfach den Bach runter. Ärmlinge werden von laschen Armen gerissen, in  Kompressionsschlüpfer quetschen sich Sandkörner, die dir deine Haut zerreiben. GoPro, Puls-und Kalorienmesser, Messgeräte am Schuh oder unter den Brustwarzen, dicke reflektierende Watch am Handgelenk, antirutsch-Neopren- iPhone-Hülle für Oberarm und Sonnenbrille von Gucci, Funktionsunterhose und Trinkgürtel mit hyperhaftbeschichtete Xenonoberschicht, Running-micro-belt mit wasserabweisender Mircofaser, superior water resistent Runningbelt mit reflektierender Outdooroberfläche, Trinkrucksack mit integriertem Sabberschutz, all das kannst du voll vergessen. Ötzi mit seiner Grundausrüstung aus Pilzen und Zunderschwamm hätte hier mehr Überlebenschancen als die Läufer, die ihrem wegschwimmenden Powershot hinterherträumen.

Es gehört schon ein wenig Vorerfahrung dazu, diese Flussdurchquerung ohne Hirnkollaps zu meistern. Aber Susete und Bia machen ihren ersten wirklichen Trail und kommen auch hier durch. Wir stehen doch zusammen, jeder hilft jedem, vor allem, wenn es Mädels sind! Armir, der Hund läuft mit zwei Mädels davon.

 
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„Da waren Wege, die waren freigefräst, wir sind einfach gelaufen, haben uns nicht um die Markierungen gekümmert. Da waren doch Wege!“  Es ist wie in einem Film, als er mir schildert, wie sie sich hoch oben in den Bergen gestritten haben, wie man zurückfindet. Sie sind zurückgelaufen, haben sich jedoch nicht erinnern können. In einem dunklen Tal gab es keinen Handyempfang und eigentlich wollte jeder nur ausharren und warten, kein Risiko mehr eingehen, nur auf Hilfe warten. Armin lebt in Luxemburg, nimmt Arabischunterricht.

Er schildert, wie sie diskutiert haben, wie er Hilfe holen wollten, wie sie dann aber doch zusammen blieben und höher steigen, um Handyempfang zu bekommen. Die Suchtrupps haben sie gefunden. GPS Daten ablesen und per Handy übermitteln. Aber wehe, wehe, der Akku ist leer!

Es gibt diese Ersatzakkus, die liefern Energie für 4 Handy-Tage. Packt sie in Zip-Tüten und ab auf die Piste!

Die Orga ist nun sehr nervös. Das war Scheiße, passiert halt, ist ja nochmal gutgegangen. Aber sie sind jetzt strenger. Irgendwann, es wird schon dunkel: Anlaufziel Basislager in klatschnassen Klamotten. Druckbetankung, dann Tiefschlaf. 

 

Informationen: Peneda-Geres Trail Adventure
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