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14.09.13 - Sardona Ultra Trail

Wer lesen kann ist klar im Vorteil


Links oder rechts?

 
Hier trennen sich auch die Marathonis von den Ultras. Ich bin froh, dann hören diese hysterischen Überholmanöver auf der Jagd nach Sekunden endlich auf. Die Marathonis laufen rechts hinab ins Tal, ich muss nach links hoch. Ich habe allerdings jetzt die Wahl: Ich könnte die Marathonstrecke zurücklaufen, das wäre Schadensbegrenzung. Dadurch würde ich es auch dem Veranstalter leicht machen. Oder ich gebe mir den Ultra, mit der Konsequenz, dass ich die drohenden Zeitlimits nicht einhalten kann. Sieht schlecht aus und dennoch wähle ich die lange Distanz, die Herausforderung und die Entscheidung entgegen der Vernunft reizen mich. Die Entscheidung fällt binnen Sekunden und schon bin ich wieder unterwegs. Wenn ich was im Laufe meiner ganzen Läufe gelernt habe, dann das: Schnell entscheiden und mit den Konsequenzen klar kommen.

 
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Die Konsequenz offenbart sich unmittelbar danach: Vor mir liegen circa 900 Höhenmeter auf ein paar Kilometer. Ich ziehe hoch, ich leide, ich wollte es so. Der Weg ist schwer und steil. Mir kommt jetzt ein Läufer entgegen und sein Anblick lässt mich meine Entscheidung nochmal überdenken. Kurz zweifle ich. Er gibt auf und berichtet, dass es oben leichter wird. Logisch, oben hört irgendwann jeder Berg auf. 50 Meter über mir geht Gerhard. Er berichtet später, dass er mit sich den gleichen Kampf ausgefochten hat und sich auch entschieden hat, unvernünftig zu sein.

Ich gehe mein Tempo und weiß, dass ich zu langsam bin. Meine Gedanken kreisen dauernd um die CutOff-Zeit. So lange, bis ich mich dazu entschließe, einfach weiter zu laufen und das zu machen, wozu ich eigentlich hier bin: Die Landschaft zu genießen, Fotos zu machen und Eindrücke zu sammeln. In ein paar Jahren werde ich diesen Bericht wieder lesen, mir die Fotos ansehen und mich daran erinnern. Ich bezweifele,  dass ich es dann bereuen werde, statt der Fotos nicht schneller gelaufen zu sein.

Traillaufen ist etwas Ganzheitliches und besteht zum großen Teil aus einer großen sportlichen Komponente, keine Frage. Aber darüber hinaus ist es für mich etwas für den Kopf. Der Trend in der Trailszene geht mir zurzeit ohnehin zu sehr in Richtung Leistungssport. So, genug philosophiert.

Von hinten überholt mich jetzt Steve im Laufschritt - und das bergauf. Na, der hat noch Kraft. Ich nenne ihn Steve, er spricht englisch und Steve passt zu ihm, er heißt sicher anders. Wir sollten uns noch öfter begegnen. Eine Begegnung der ganz anderen Art habe ich, als ich im Tal zurückblickend einen Herrn in Rot sehe. Der sammelt bereits die Markierungsfähnchen ein. Wenn der mich jetzt einholt, wäre das meine sportliche Bankrotterklärung. Aber ich sehe ihn bald nicht mehr, ich bin doch nicht so langsam wie ich annehme.

 
Oben angekommen

 
Am höchsten Punkt des ganzen Aufstiegs angekommen, verläuft der Weg weiter zum Muetatalsattel, zunächst hinunter am Plattenseeli vorbei. Traumhaft ist es hier oben und ruhig. Außer mir und Steve ist niemand mehr hier. Entspannt und mit dem Rennen und der Zielzeit irgendwie schon abgeschlossen, bin ich im Flow und fotografiere, schau mir Blumen an, verweile ein wenig am Plattenseeli und genieße den Wind und die Sonne auf der Haut. Dann folgt der Aufstieg zum Muetatalsattel. Der Weg zeigt sich nochmal richtig von seiner bissigen Seite, stark ansteigend und in kleinen Serpentinen und ausgewaschenen Rinnen geht's nochmal 100 Höhenmeter nach oben. Da warten schon zwei Bergretter. Ich vernehme von weitem eine Bohrmaschine, womöglich war ihnen langweilig und sie haben sich ein wenig Arbeit als Zeitvertreib mit hoch genommen. Sachen gibt's.

Wieder überholt mich Steve. Der versucht es allerdings im Direktweg, in dem er sich auf allen Vieren wie ein Schaufelbagger durch ein ausgetrocknetes Bachbett hocharbeitet. Er macht mir Angst. Rechts daneben wäre der markierte Weg, den müsste er nur gehen, dann würde er sich Zeit und Kraft sparen. Ich deute ihm das an und das macht er dann auch artig, aber das hält ganze 5 Meter. Dann fräst er sich erneut planlos durchs Grün. Das bemerken auch die zwei von ganz oben und pfeifen ihn lauthals zurück, er solle auf dem Weg bleiben.

Oben auf dem Sattel (2406 m) angekommen, nehmen sie ihn genauer unter die Lupe und er wirkt etwas apathisch. Einer vom Bergrettungsteam geht mit ihm ein Stück runter und ich hinterher. Wir kommen überein, dass ich auf Steve ein Auge habe, das Erreichen der Spitzmeilenhütte ist für mich ohnehin schon gelaufen, die sehe ich heute nicht mehr. Dann hat meine Trödelei jetzt wenigstens den Sinn, Steve heil vom Berg zu holen.

 
Der lange Abstieg

 
Und das ist eine Nummer für sich. Der schert ab und zu aus wie ein Auto, bei dem die Servolenkung nicht mehr tut. Er kommt vom Weg ab und steuert geradezu auf den Abgrund zu. Ich kann ihn immer wieder zurücklotsen. Manchmal bleibt er vor einem Stein stehen und ist von dessen Überwindung schier überfordert. Ich weiß nicht, wen und was er alles sieht, was letztendlich davon existiert. Aber mir ist in dem Moment klarer denn je, dass der sich nicht alleine überlassen bleiben darf. So machen wir uns auf dem Weg nach unten und das in Zeitlupe. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob er mich überhaupt wahrnimmt, er führt Selbstgespräche. Nach unzähligen Stolpereien und Beinahe (Ab-) Stürzen kommen wir wieder unterhalb der Baumgrenze in moderatere Gefilde bis zur Alp Foo. Jetzt beginnt Steve wieder zu laufen und ich muss aufpassen, dass er mir nicht entwischt, in die falsche Richtung läuft oder sich im hohen Gras verirrt.

Der Weg führt am Bach entlang in Richtung Untersäss, hier ist der nächste VP. Der Weg dorthin ist allerdings von der heutigen Alpabfahrt der Kühe absolut aufgeweicht. Ich springe am Rand von Grasbüschel zu Grasbüschel. Was Steve macht, brauche ich euch nicht groß zu erzählen. Er nimmt den Direktweg. Der Weg ist absoluter Morast, vermischt mit Rinder-Exkrementen. Ich kann es nicht leugnen, Spaß macht‘s ja schon irgendwie.

 
Nächster offizieller VP

 
Dann wird der Weg breiter und der nächste VP in Untersäss ist in greifbarer Nähe. Steve geht's wieder besser, er macht einen klareren Eindruck (vielleicht war's die Höhe, wer weiß) und die letzen Meter bis dorthin schafft er auch alleine. Ich laufe los und versorge mich am VP. Lauter nette Leute von der Bergrettung stehen hier, das Versorgungsangebot ist diesmal besser, aber immer noch spartanisch. Sie berichten von einer Menge Rennaufgaben, alle am Zeitlimit gescheitert. Sie bekommen viel über Funk mit. Sieht ganz danach aus, als ob der Veranstalter einen Großteil der Finishershirts behalten darf.

Mir wird mitgeteilt, dass es in Schwendi einen Shuttleservice gibt, der uns zur Pizolbahn nach Wangs zurückbringt, von dort aus gelangen wir dann wieder hoch zum Ausgangspunkt nach Furt. Bis Schwendi sind's noch 9 Kilometer auf der Straße. Ein Bergretter meint, ich solle einfach der Kuhsch.. von der heutigen Alpabfahrt folgen, dann finde ich schon hin. So beginne ich wieder zu laufen und das tut gut. Ich wäre fit genug, um jetzt linkerhand den Aufstieg zur Spitzmeilenhütte anzugehen, aber vorbei ist vorbei.

Von hinten kommt ein Auto und ein Einheimischer bietet mir an, mitzufahren. Ein kurzer Blick auf das Interieur seiner Karosse offenbart einen sehr gepflegten Eindruck. Ich frage ihn, ob er sich meinen Gestank und den Dreck, den ich an mir habe, wirklich antun möchte. Ich halte ihm zur Untermauerung meiner Frage nur kurz einen Fuß ans heruntergelassene Fenster. Das überzeugt ihn und er lässt von seinem Angebot lachend ab. Ich bedanke mich für seine angebotene Hilfe und er zieht ohne mich weiter, weise Entscheidung.

 
"Finish" VP Schwendi

 
Danach hält nochmal ein netter Schweizer, gleiche Situation, gleicher Text, allerdings kommt der gerade von der Alm und wir schenken uns in Sachen Dreck beide nichts. Ihm machts nichts aus. Ich kann bis Schwendi mitfahren, dort wartet schon der nächste VP. Ich steige gerade aus und da rauscht Dippi herein. Er ist schon auf der letzten Etappe und greift seinen letzten Berg an. Beeindruckend, mein höchster Respekt.

 
© trailrunning.de 3 Bilder

Ich gebe in Schwendi meinen Chip ab, ziehe ein frisches Shirt an und rechne mit einer längeren Wartezeit, bis ich hier wegkomme. Hier gibt's endlich was zu essen. Bevor ich mich allerdings über etwas Essbares hermachen kann, hält ein Auto und ich kann gleich mitfahren. Wieder nix, das gibt heute eindeutig eine negative Kalorienbilanz. Nach einer kurzweiligen und abenteuerlichen Fahrt zurück nach Wangs, sitze ich irgendwann in der Gondel und fahre hoch zum Ausgangspunkt nach Furt. In der Gondel umreiße ich den heutigen Tag noch nicht so richtig. Ich war nicht richtig im Rennen, der Kopf ist voll mit Bildern und Eindrücken. Ich bin irgendwie unzufrieden. Wie geht‘s wohl Steve? Ich ärgere mich nachträglich über mich selbst, dass ich das mit den Cutoff-Zeiten schon im Vorfeld so verbummelt habe.

Oben angekommen, treffe ich Gerhards Frau Margot. Sie berichtet, dass Gerhard auf dem Weg zur Spitzmeilenhütte abgefangen wurde. Scheint irgendwie nicht unser Tag gewesen zu sein.

 
Danke

 
an die Jungs von der Bergrettung und allen Helfern und Helfershelfern, die, egal ob im Tal oder am Berg, Ihren Job klasse gemacht haben. Alle supernett und freundlich. Danke auch an die netten Menschen, die mich wie selbstverständlich in Ihren Privatautos mitgenommen haben.

 
Persönliches Fazit

 
Ein wirklich schöner Trail-Lauf! Wer gut trainiert ist, sollte ihn machen. Mit dem scharfen Zeitlimit von 20 Stunden hat man sich allerdings keinen Gefallen getan. Mir ist klar, dass es ein unglaublich hoher logistischer und personeller Aufwand ist, über eine so lange Strecke und Dauer eine funktionierende Infrastruktur für alle Läufer aufrecht zu erhalten. Aber eine Finisherquote von einem Drittel lässt den Schluss zu, dass dieser Lauf nur noch für Läufer geeignet ist, die gemäß Ihrer Leistungsklasse immer im vorderen Drittel mitlaufen. Der Durchschnittstrailer und damit eine nicht zu unterschätzende Läufer- und Käuferschicht bleibt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke.

Das ist sicher legitim und liegt alleine beim Veranstalter, ist aber für mich nicht mehr akzeptabel. Das widerspricht meiner Vorstellung von ganzheitlichem Trailrunning. Ich will ankommen.

Also: Zielzeit wieder auf 26 Stunden hoch und der Laden brummt. Ansonsten gilt: Andere Töchter haben auch schöne Mütter, oder so ähnlich.

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Informationen: Sardona Ultra Trail
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