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27.09.15 - Special Event

Grande Trail Serra d'Arga: Wahnsinn über dem Atlantik

Autor: Joe Kelbel

Die Serra d`Arga ist ein Granitmassiv nördlich von Porto, an der Grenze zu Spanien. Zu dieser Jahreszeit schickt der kalte Atlantik fiesen Nebel die Flüsse hinauf, die das Massiv umgeben. Über dem Nebel, in einer Höhe von über 800 Metern, brennt die Sonne mit 35 Grad. Ich habe mir für dieses Wochende drei Läufe vorgenommen:

Samstag 10:30 Uhr den Vertical: 4,5 km mit 800 hm (Startort Ponte de Lima)
Samstag 19:00 Uhr den Sunset: 17 km + 1000 hm (Startort Caminha)
Sonntag 8 Uhr den Ultra Trail: 53 km + 3300 hm (Startort Dem)

Die Trailrunningvereinigung von Portugal bewertet alle Trails mit „extrem schwierig“, wir ignorieren das mal!  Der Ultra Trail ist der weltweit kürzeste, der 2 UTMB Quali-Punkte einbringt. Grande Trail Serra d'Arga ist die größte Laufveranstaltung Portugals. 2000 Startplätze, nur für die  langen Läufe, waren innerhalb von 2 Stunden ausgebucht. Ich werde jedenfalls bester Deutscher in allen Rennen sein.

Wochenlang wurde über dieses Event, das zum fünften Mal ausgetragen wird, im Fernsehen berichtet. Jetzt tritt viel portugiesische Prominenz an. vor allem auf dem 10 km Trail. Diverse Schauspieler und Politiker treten aber auch schnell wieder ab. Ich mache mir keine Illusionen, seit April weiss ich, was mich erwartet.

Die Trails werden von Carlos Sá organisiert, bester portugiesischer Trailläufer, Gewinner des Badwaters, vierter des MdS, nur meine Marokkaner waren schneller. Seine Lebensweise ist nicht gerade asketisch, ich könnte ihn also noch überholen. Im April lief ich den Peneda-Geres Adventure Trail von Carlos, nun bin ich hellauf begeistert von seiner Trailführung, weltweit die spassigste, und allerbeste! Bei diesem Trail bin ich unter den 33 Teilnehmern dermaßen aufgefallen, dass ich viele Einladungen für dieses Wochenende bekommen habe.

 
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Habe mich für Mauro entschieden, er war im April Schlussläufer, wir kennen uns also  „zwangsläufig“. Er holt mich an der Metrostation in Póvoa de Varzim ab, zeigt mir blonde Mädchen mit blauen Augen. Zwar ist die Stadt eher für seine Runen (Siglas Poveiras) bekannt, doch wir interessieren uns halt auch für die Spuren, die die Wickinger hinterliessen.

Die Costa Verde hinauf, gelangen wir nach Viana do Castelo, einer Stadt an der Mündung des Flusses Lima. Dort  treffen wir Ricardo und Vitor auf dem malerischsten Platz Portugals, den Praca da República mit Rathaus und Rennaissancebrunnen (16.Jahrh). Hier weiss man, wie Bananen genießbar sind: Zusammen mit einem Gläschen Moscatel. Und hier gibt es die Startnummern.

Das Mündungsgebiet des Rio Lima ist ein mangrovenartiges Sumpfgebiet, wo wir im dichten Nebel mit Kanus rumstochern. Von der Wallfahrtskirche auf dem Monte Santa Luzia gibt es einen wunderbaren Blick auf unser Kanu- und unser morgiges Kampfgebiet, der Serra d´Arga. Die Brauerei hat Jubiläum, das Bier gibt es diese Woche 50% billiger.

In der Kathedrale haben die portugiesischen Seefahrer als Dank Modelle ihrer Schiffe hinterlassen: Alfonso de Albuquerque, Bartolomeu Dias, Vasco da Gama, Diago Cao, Petro da Cintra, Ferdinand Maggelan. Barlolomeu Perestelo heiratet die Tochter von Kolumbus. Die britischen: Cook, Flinders, Tasman, Torres und viele mehr, ich habe alle Logbücher gelesen! Ich bin Pionier. Riesige Bronzeplastiken weisen heroisch den Weg nach Westen, ich laufe morgen nach Osten, den Berg hinaf, auf die Serra d ´Arga!

„Teilnehmehmer müssen sich für den Abgangsort und im voraus.“  übersetzt Google.
Genauso unübersichtlich, wie diese Übersetzung sind die zahllosen Trailrennen und deren Startorte. Sich da durchzuarbeiten lohnt sich aber, denn jedes Rennen, ob 400 Meter, 4,2 km, 10, oder 23 und mehr, führt durch einen einzigartigen Augenschmaus. Die Logistik mit Shuttlebussen und Startunterlagen (für alle Läufe, an allen Standorten) ist Wahnsinn. Es gibt in sämtlichen Start- und Zielorten Übernachtungsmöglichkeiten und Duschen. Keine Angst, Leute, ich habe es geschafft! Der erste Deutsche, der je die größte portugiesische Trailveranstaltung überlebte, das bin ich!

Chegada heisst Ziel, Apito Pfeife, Frontal Stirnlampe, Manta termica is klar, Impermeável ist was gegen Regen, Telemóvel ist keine Fernsehsendung, Reservatório de água wird mit Stausee übersetzt. Die Pflichtausrüstung wird kontrolliert!

 

Der Vertical

 

Eine Katze stösst das Fenster auf, sucht meine Nähe. So ein kleines Vieh kann aber nicht annähernd den kalten Nebel ausgleichen, der jetzt durchs Fenster stürzt. Konnte ich mich  nicht bei den Trails entscheiden, so greife ich jetzt durch: Katze raus, Fenster zu und auf nach Ponte de Lima, dem Startort des Vertical.

Veranstaltungszentrum ist - keine Ahnung. GPS Daten auf der Website (nur portugiesisch), Startnummernausgabe, Kantine im Infozentrum des Parkes, Sanitäranlagen. Shuttlebus lässt uns raus in: Ja! Keine Ahnung. Wir sind exakt 100 Läufer, die die 4,5 Km mit 800 Höhenmetern angehen, nicht gerade meine Paradedisziplin.

 
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Carlos Sá fetzt mit unglaublichen Speed den Berg hinauf. Auf dem Asphalt kann ich noch mithalten, doch nach 200 Metern, zwischen den Steinen geht nix mehr. Carlos Sá läuft keine Wege, Carlos macht Wege! Wenn Carlos will, dass dort gelaufen wird, dann wird dort gelaufen. Ich gehe. 

Ich gehe durch verbrannten Wald, die Sonne glüht, die schwarze Erde heizt. Es geht direkt nach oben. Irgendwann stossen wir auf alte römische Steinwege. Das macht es nicht einfacher, es ist eine gnadenlose Quälerei, die verdammt viel Spass macht. Nach 1:22 Stunden bin ich oben, nicht als Letzter!

Der Empfang am Zieltor ist überwältigend, ich komme kaum über die Zeitmess-Matte, zu viele Menschen, die mich anfassen wollen. Erst signiert Carlos die Finishershirts, dann ich. Das ist Wahnsinn!  Später sagt mir Pedro, ich sei in der Vorberichterstattung dieses Trails im Fernsehen angekündigt worden. So sei das in einem Land der Weintrinker, in dem Nordmänner Bleibendes mit ihrer Vorliebe für Blondes hinterlassen.

 
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Hoch über dem Rio Minho essen Mauro und ich den Bacalhau, den Stockfisch aus Neufundland, die Nationalspeise. Nebenan ist Hochzeit. Wir müssen tanzen, den Fandango, nicht gerade angehm, wenn man die falsche Partnerin erwischt, denn der Tanz stellt die Annäherungs-Tradition dar.

 

Sunset Race

 

Der Sunset Race mit 17 km und 1000 hm beginnt um 19 Uhr in Caminha. Startnummern gibt es im Camara municipal, dem Rathaus. Caminha heisst Wanderung. Hier ist die Brücke über den Grenzfluss Minho und der Pilgerweg nach Santiago. Tatsächlich halten sich viele Pilger hier auf. Gamal kommt zu Fuß aus Sokodé, er ist Christ, weil sein Urgroßvater deutscher Beamter in der ehemaligen deutschen Kolonie Togo war.

 
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Etwa 200 Läufer stehen vor dem Torre do Relogio, dem Uhrturm, dem Stadttor, das sich Richtung Santiago öffnet. Carlos macht das Briefing, ich glaube wir sollen laufen. Das machen wir.  Einmal durch die historische Altstadt, am Minho entlang, nach oben, nach unten, Schleife über den Marktplatz und ab in den Nebel. Nach einer Stunde sind wir oberhalb der Nebelschicht. Mich trifft der Schlag!

Dies ist der romantischste Traillauf, den ich je gemacht habe. Und ich habe viele gemacht. Unter uns der dichte Nebel über dem Atlantik, der von der untergehenden Sonne flammendrot erleuchtet wird, auf der anderen Seite der Vollmond, der in der feuchten Luft verschwimmt, und mittendrin die Reihe der Läufer.

 
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Danach wird es dunkel und die Strecke extrem. Irgendwann kommt mir Carlos entgegen. Ich frage mich, wie er das schafft: Am Start, im Ziel und immer mal zwischendurch, er motiviert nicht nur die Kleinsten, er motiviert auch mich.

Der Nebel ist nun so dicht, dass man die reflektierenden Markierungen nicht mehr sieht. Ich laufe auf Hörweite, von unten, vom Zielbereich wummern die Bässe. Ich bin so frei und sammel mal ein paar verirrte Läufer ein.

Nach  2:53 Std. bin ich im Ziel, glücklich, diesen ungewöhnlichen Trail gewählt zu haben. Diesen Lauf würde ich allen anderen Trails dieser Welt vorziehen, aber leider bin ich Ultraläufer.

Ich hätte noch was essen sollen.

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