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15.11.14 - Special Event

Oman Desert Marathon 165 km

Autor: Joe Kelbel

5. Tag, 4. Etappe, 24 km

 

Heute ist Schluss mit lustig. Die frühe Startzeit bekommen wir nicht ganz geregelt. Nicht nur Hanni hat verpennt. Zwar wird nachmittags 2, 3 Stunden geschlafen und nachts 8-10, aber es reicht nicht, vielleicht liegt es am Sandmännchen.

Widerwillig schleppen wir uns über die Ebene zum Starttor, welches direkt unterhalb der großen Dünenkette steht.

Startschuß. Faszinierend, wie die Spitzenläufer dort hinaufwetzen. Evgenii kann auf der steilen Dünen enorm lange Schritte machen, ich glaube, länger als seine Körpergröße. Er ist auf dem Kamm nicht mehr sichtbar, während Rachid noch 10 Meter braucht.

 
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Sami, das 45kg-Männchen, läuft mit abgespreitzten Armen. Sein viel zu großer Ruckack schwingt bedrohlich über seinen Schultern im Lauftackt hin und her.

Diesen Spurt, den steilen Sand hinauf, dieses Bild werde ich nie mehr in meinem Leben vergessen. Das ist Sport von der edelsten Art! Ich glaube, ich bin glücklich.

Oben im Sand sortiert sich das Feld in der gewohnten Art. So anstrengend das Auf und Nieder, der Wechsel zwischen Fliegen und Versinken auch ist, wir sind alle Kinder, die im Sand spielen, beleuchtet von der steigende Morgensonne, die alles vergoldet und die Falten in den gegerbten Gesichtern verschwinden lässt.

Ich bin heute gut, aber nur weil die anderen schlecht sind. Die mangelnde Kalorienzufuhr macht sich bemerkbar. Ein paar Salztabletten helfen.

Übrigens, wir stinken nicht, auch wenn wir täglich dieselben Klamotten tragen. Der Schweiß verdunstet sofort. Die Laufsachen kann man unter der Dixidusche oder in einer Kameltränke waschen, sofern Wasser vorhanden .

Eine geologische Sensation sind die versteinerten Sanddünen, die oft bizarr aus dem Wüstensand hervorragen. Wer sie findet, hat einen Strassenlauf. Finden? Ja! Du darfst doch laufen wo und wie du willst!

In der Ebene liegen winzige, sonnengeschwärzte Steinchen auf dem salzigen Boden. Wer weiss, vielleicht sind darunter Meterioriten. Jedenfalls hat wohl noch nie ein Mensch diese Steinchen berührt. Ich hole Salom, den Omani mit der weißen Kleidung, kurz vor dem cp ein, dann auch noch Imad, den Syrier. Er ist sichtlich angeschlagen.
Oben in den Dünen finde ich Chrystel. Sie hat sich verlaufen. Wohl ziemlich krass, denn ihre Laufpartnerin Laetitia ist da schon längst im Ziel.

 
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Ich überhole den beleibten Chef der Versicherungsfirma Rahal, Sponsor der Marokkaner. Er läuft nur zwei Etappen, ohne Wertung.

Im Ziel bin ich nicht zufrieden. Ich habe zwar wieder gut gekämpft, aber keinen Sprit mehr, nur Müdigkeit. 

Die meisten Läufer laufen mit ihrer Landesfahne ein. Der „Schärmän“ ist hochangesehen. Imad, der Syrier, macht einen riesen Pogo mit seiner Fahne, küsst den Boden und lässt sich von der Presse feiern. Scheint so, dass dieses Rennen was Besonderes ist.

Gegenüber, oben am Gipfel der Düne, steht seit Stunden ein Mann. Ich denke er betet, aber er sucht mit erhobenem Arm Handyempfang. Einige der arabischen Läufer beten morgens und abends. Haben dafür seidene, leichte Gebetsteppiche in ihrem Rucksack, andere nutzen Hüfttücher, auf die sie sich knien. 
Fast an jeden arabischen Satz hängt man ein „Hamdallah“,  ein „Gottseidank“.  Ich bin neidisch, dass sich die Araber aus allen Ländern in einer Sprache verständigen können.

Jeden Abend werden die Ergebnisse ausgehängt. Ich höre vom Kampf im Spitzenfeld, wo es um Minuten geht und man dennoch lachen kann.

Der Blick in die winzigen Kochtöpfe der Konkurrenz ist interessant. Spanischsprachige separieren sich, es fehlt die Fremdsprachenkenntnis. Beide Italiener sind fit in allen drei Sprachen. Ich kann Omanis nicht von Marokkanern unterscheiden, spreche oft in der falschen Sprache.

Die Kinder von Benoit haben sichtbare Freude im Sand. Oft sehe ich sie weit entfernt vom Camp, manchmal umringt  von Läufern, die begeistert sind, dass Kinder eines Nationalkaders nicht nach der Wii  rufen.

Yu Hsin Hu hat sich den europäischen Namen „Martin“ gegeben, nach Martin Luther. Er ist Anästesiearzt in Taiwan. Unglaubliche Geschichten erzählt er über den chinesichen Druck auf  Taiwan. Vielleicht ist Demokratie doch nicht so schlimm, aber mich stört das sinnlose Gefasel ungebildeter, von der Presse hofierte Dummschwätzer. In Taiwan ist Ende November Wahl. Man muss in seinem Heimatort wählen. Doch die 2 Stunden-Schnellzüge verkehren an diesem Wochenende nicht, damit „ Ruhe im Land ist“. Wer gute Arbeit hat, wie Yu Hsin Hu, kann nicht mal zur Wahl nachhause fahren. So wird wieder die chinafreudige Partei gewinnen, die sämtliche Wahlwerbung anderer Parteien verbietet. „Martin“ ist stolz darauf, dass sie  das Justizministerium besetzt haben und für freie Wahlen kämpfen. Martin futtert ständig, kleine leckere Mahlzeiten, die gut duften.

Abends Tanz bei traditioneller Musik am Lagerfeuer. Hammoud übersetzt mir den Wechselgesang zwischen Männern und Frauen.

Zunächst der geschichtliche Hintergrund: Pakistan liegt gegenüber, auf der anderen Seite des Golfes, war einst Teil des Omans. Sehr viele Omanis haben pakistanische Wurzeln, was man anhand des
„Gruppennamens“ erkennt. Gruppe, nicht Stamm. Eine angeheiratete Frau bleibt in ihrer Gruppe, die bis zu 10.000 Mitglieder haben kann.
Die Frauen dürfen hierzulande Auto fahren, ohne Prüfung. In der Praxis ist es aber so, dass die Frauen von ihrer männlichen Verwandschaft im Auto mitgenommen werden. So auch diese Frauen, die jetzt hier singen.

In Pakistan bringt die Frau die Mitgift, hier im Oman der Mann, so haben die Lieder etwa folgenden Inhalt: 

Männer: „Komm zu mir nachhause, in meine Gruppe, ich werde für dich sorgen!
Frauen: „Nein, lass mir Zeit, die Enthaltsamkeit steigert das Verlangen.“

Der monotone Text wird ewig wiederholt. Die Trommeln und der Dudelsack wiegen mich in den Schlaf. Ich habe das Verlangen, morgen richtig gut zu laufen! Ich glaub, ich bin happy.

 

6. Tag, 5. Etappe, 40  km

 

Das Gewicht meines Rucksackes hat sich bestimmt verringert. Heute ist mein Tag!

Es ist nicht mein Tag. Der Rucksack wiegt jeden Tag schwerer. Das Trockenmüsli um 5 Uhr  bringt mir nur Kraft für die ersten 10 Kilometer. Ich bin sehr schwach, die anderen noch schwächer. In meine Kamera wird auch nur noch schwach gelächelt. Es tut gut, zu sehen, dass jeder angeschlagen ist. Doch wenn man bis zum Hals im Sand steckt, darf man den Kopf nicht hängen lassen.

Ich weiss nicht genau, was mich an Wüstenläufen so begeistert. Ich glaube aber, es ist der Erkenntnis, die weite, grenzenlose Ferne beherrschen zu können. Ich glaube ich bin glücklich.

 
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Meistens geht es querfeldein. Eidechsen flitzen unter niedrige Büsche, die man links, rechts im Wechselschritt umlaufen muss. Durchgehend laufen geht nicht. Mal tritt man in eine Sandgrube, mal wird ein kleiner Hügel zur Totalbremse. Irgendwann möchte man wieder eine Fahrspur haben, doch es bleibt ein unerfüllter Wunsch, einen besseren Laufuntergrund zu finden. So wechselt man hin und her, in die Fahrspur, an den Rand, in die Mitte und immer wieder tiefer Sand.

Viel hört man über die Gastfreundschaft der Araber. Hier ist sie absolut ehrlich. Es gibt im Oman keine Kriminalität. Vielleicht liegt es an der „Gruppenzugehörigkeit“. Vielleicht eine Gesellschaftsform, die besser ist. Das geht mir so durch den Kopf, während ich die ewig lange Strecke durch den tiefen Sand robbe.

Sansibar gehörte auch zum Oman. Hamburgische Kaufleute hatten erstklassige Verbindungen zum Sultanat, auch die Engländer waren scharf drauf. Aussenminister Caprivi tauschte das Handelsmonopol Sansibar mit den Engländern gegen Helgoland und den Caprivizipfel in Namibia. Caprivi dachte, man kann von Deutsch-Südwest über den Sambesi nach Deutsch-Ost reisen. Doch dazwischen sind die Victoriafälle. Das wusste er nicht. Die Omanis Sami und Mohamed kennen die Geschichte. Es ist schön, sich mit ihnen zu unterhalten. Ich glaube, sie mögen Joe, den „Schärmen“.

Seit einem Jahr gibt es eine deutsche Universität in Maskat. Der Sultan von Oman, Qabus ibn Said, ist seit Monaten in München in der Klinik und kann nicht zu seinem 44. Jubiläum am 18. November im Land sein. Die tägliche Zeitung, die wir erhalten, ist voll mit Grußbotschaften an sein Land und an uns Läufer. Man liebt den Sultan, der seine Wehrdienstzeit in Minden verbrachte.

Der Zieleinlauf geht durch das Camp. Der Beifall von Rachid, Salemeh, Glyva, Aziz, Sami, Mohamed, Jimenez und Weki ist Balsam. Es gibt einen Apfel, eine Banane und einen Orangensaft. Köstlichkeiten, nach Tagen nur mit Trockenfutter.

Nach dem Mittagsschlaf beginnt wieder ein herrlicher Abend. Die Araber essen meistens Datteln. Rachid isst während einer Etappe etwa 4 Datteln und 2 Gels, nach dem Lauf Nudelsuppe.

Hanna, die Universitätsangestellte aus Danzig, breitet immer den Inhalt ihres gesamten Rucksackes aus. Salom hat sich eine eiskalte Gurke vom Begleittross ergattert, mir läuft der Sabber.

Charlotte, die Zeitplazierte Britin aus dem Oman, Meeresbiologin, zieht täglich konzentrierte Bahnen durchs Camp. Irgendwie spricht sie mit sich selbst. Weki gesellt sich überall dazu, er kann verdammt viele Sprachen. Rachid wieselt pausenlos von Gruppe zu Gruppe, motiviert, klatscht jeden ab, ist eine sagenhafte Stimmungskanone. Vor allem an der Trommel.

Evgenii, wohl mit Vornamen Glyva, wird vom lustigen Algerier Tony quer durchs Camp mit „Putin“ gerufen, was dieser gar nicht lustig findet. Glyva ist einer, der überall hilft. Ich habe den dürren Urkainer selten was essen gesehen. Sein Englisch wird immer besser. Es stimmt anscheinend, was die westliche Presse berichtet. Er will unbedingt zu Europa gehören. Ich mag ihn.

Der kleine Sami ernährt sich nur von Datteln und Nüssen. Nur einmal sitzt er an einem winzigen Feuerchen inmitten der tanzenden Truppe und kocht sich Reis. Er kann nicht kochen.

Franzosen und Araber babbeln pausenlos. Ich bin einer, der, wie die meisten, gerne abchillt. Schlafen kann ich nicht bei dem Gewusel, Essenkochen ist mir zu anstrengend. Oft ziehe ich auch meine einsamen  Bahnen in Sichtweite des Camps. Ich lege sehr viel Wert auf Entschleunigung, liebe die Gedankenlosigkeit. Vielleicht ist Deutschland gar nicht so schlecht.

Silvia aus Uruguay grillt ihre Socken über dem Feuer, ein  Beduine zieht seine Kamelherde mit dem Auto. Sehr früh tritt Ruhe im Camp ein. War wohl doch anstrengend, diese Etappe. Ich stehe noch lange in den Dünen und beobachte den glasklaren Sternenhimmel, durch den unglaublich viele Sternschnuppen flitzen. Unter mir schlafen die besten Läufer der Welt, friedlich und politikfrei. Es ist eine heile Welt.

 

 
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