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31.12.15 - Special Event

Trail des Oasis: Durch den Jbel Bani

Autor: Joe Kelbel

 

3. Tag.

 

„Ca Vaaaa?“ Gott, wie liebe und hasse ich das am frühem Morgen! Lahcen hat im Sand gepennt, ruft die Mannschaft zur Ordnung. Wir müssen weiter. Es wird ein wunderschöner Tag werden. Er beginnt mit Spurenlesen im Sand. Maus, Hase, Fennek.

Der Fennek hat Satellittenschüsseln auf dem Kopf, hinterlässt eine saubere einspurige Trittspur. Champignon im Sand entdeckt. Unglaublich! Angeknabbert von Kleinstsäugern. Es hat hier seit Wochen nicht geregnet, und jetzt steht hier ein Pilz (leider mit „z“!). Unglaublich, aber wahr, er ist ein angeknabberter Single!

Wir laufen nicht, wir wandern, denn es gibt viel zu lesen: Da sind die Kringelkreise der fetten Kamelzecken, die zarten Abdrücke der Laufvögel, die gekratzten Fährten der Leguane, die gefegten Rillen der Eidechsen. Unter den dicken Grasbüschen lebt eine Art Erdhörnchen und zieht Autobahnen durch den Sand. Man kann lesen, wo gefressen wurde, gewandert, gekämpft, geliebt.

Ein alter Türrahmen dient zum Fotoshooting. Es ist die Ebene „des Vogel Strauss“,  vor Millionen Jahre ein flacher See . Der Sand hat sich zu Dünen geformt, dazwischen liegen versteinerte Strausseneier und die Häuser von Süsswasserschnecken, Träger eines parasitären  Plattwurms, Überträger der Bilharziose. In Afrika sind immer noch mehr als 200 Millionen Menschen infiziert. Uralte versteinere Salzplatten, einst Transportgut, künden vom Zusammenbruch der Transporttiere.

Lahcen zeigt mir einen uralten Brennofen, erkennbar an der weissen, festen Erde. Daneben ein Haufen Pfeilspitzen aus Feuerstein. Sie stammen aus dem Neolithikum, der Feuerstein aus dem heutigen Tunesien, 1000 Kilometer entfernt von hier. Ich nehm einen mit und werde ihn zu den weiter südlich gefundenen Haifischzähnen legen.

Die giftigen Wüstenkürbisse hatte ich in meinem Zagorabericht erwähnt. Die kleine Blume hier zerfetzt dir nicht die Magenschleimhaut, sondern führt zum Herzstillstand. Der Ruccola ist wild, duftet wie Sau. Ich reibe meine Hände damit ein und bin erstaunt, wie wenig bitter er schmeckt.

Der Auftsieg zum Oum Lachar fällt mir schwer, ich lasse mich zurückfallen. Es ist die Karavanenstrasse nach Timbuktu, geformt von Millionen Sklavenfüssen. Oben angekommen machen wir Pause, essen Mandarinen, werfen die Schalen 1000 Meter in die Tiefe. Dort oben ist Lahcen geboren, in einer miesen, provisorischen Steinhütte, so wie sie überall noch zu finden sind. Der Vater meldete die 6 Kinder irgendwann in Zagora an, damit sie zur Schule gehen können. Für Lahcen wählte man das Geburtsdatum 01.01.1971, er änderte es dann in September, weil seine erste Freundin da Geburtstag hatte. Den ersten Kontakt macht man in der Natur, im Dunkeln, irgendwo unter einer Palme. Klar ist es verboten. Wenn es nicht die Hormone gäbe, dann wären Afrika jetzt entvölkert.

Hier oben ist es entvölkert. Ich kenne die Strecke, verabschiede mich von Lahcen und den zwei Mädchen, laufe weg, einfach weg. Die Laufhormone gehen mit mir durch. Es fällt mir leicht, doch dann bremst das Gewissen und ich warte. Ich mache Foto von Lahcen, der Freude hat, wie ein Kind. Ich auch. Dann fetzte ich final los. Ihr seht mich nie wieder!

Nach vielen Stunden entdeckt mich ein Eselshirte und ruft mir hinterher. Ich brauche aber keine Hilfe und setze meinen wunderschönen Ultralauf fort. An der Oase Djabi sitzen Mustafa und Ildrim. Ich spreche nicht, wechsle wortlos meine Klamotten. Ich setze mich auf einen Stein und starre in die gleiche Richtung, wie die zwei Wüstensöhne. 

Irgendwann kommt Lahcen. Er ist ein herzensguter Mensch, holt uns Datteln.  Ich freue mich über die  Kaulquappen, die sich hier in den Wasserresten tummeln. Das ist ein Wunder, das ist grandios.

Ich flitze von einem Glitzerwasser zum nächsten, ich kenne diese Oase seit langem. Dies ist der Ort meiner Träume. Ich bin frei, hänge nicht im nebelverseuchten Deutschland, sondern eine Stunde auf diesem herrlichen Plateau und mache die Augen zu.

Die Wanderung durch den goldenen Canyon ist traumhaft. Es gibt so viel zu entdecken. Die Schichten aus Eisen und Phosphat, die Pflanze, die am Finger hängen bleibt, das schwarze Mangan am Rand, das Salz, die Blumen, die Knödel der Tiere, der Skorpion, der mich bedroht, die glatte Granitfläche, die der Fluss geschaffen hat, die winzigen Vögel, die mich von ihrem Gelege weglocken wollen, das Licht, die Farben, die Mächtigkeit der Natur. Ich bin daheim.

Lahcen macht Feuer, Ildrim kocht. Es gibt Harira, eine Suppe aus Kichererbsen, Linsen, Kurkuma, Zimt, Ingwer, Pfeffer, Butterschmalz, Paprika, Safran, Reis, Hefe, Petersilie, Koriander, Tomaten, Zitrone und Gerste, Geflügelinnereien, Lammfleisch und  Karkasse (Geflügelrippen). Lange starre ich ins Feuer. Es gibt Vervaintee, der ist ungesüßt. Eisenkraut sagt man bei uns. Es macht kräftig!

 
© trailrunning.de 33 Bilder

 

4. Tag.

 

Frühstück gibt es auf dem Teppich in praller Sonne, La vache qui rit und Zwiebelmettwurst aus eigenen Vorräten. Der Tee ist übersüß, der Kaffee ein Traum. Harira macht grün, die Aussicht über das morgentliche Tal ist super. Das Klopapier verstecke ich unter einem großen Stein. Nochmal glücklicher macht mich der sofortige Start. Das ist meine Welt. Ich kann bis zum Horizont gucken.

Auf der weiten, steinigen Hochebene übertreffen wir uns gegenseitig mit wunderbarem Laufstil, ich heule vor Glück. Die Tafelberge, die Sonne, die steinige Wüste, alles ist ideal. Irgendwann muss ich Skorpione suchen. Man muss nur Steine drehen. Nicht unter jedem liegt so ein Biest, man muss schon 20, 30 Steine drehen. Nun ist so ein Tier nicht erfreut über die Störung, es krabbelt unglaublich schnell in Richtung meiner Laufschuhe. Ich muss viel hüpfen. Die schwarzen Ritter sind teilweise handtellergross, werden von den Einheimischen gerne nach Europa zu verkauft. Es gibt auch noch die weissen Ritter, die sind flach wie  Susi, also kaum zu erkennen.

Der Hirte, auch mit Nachnahmen Ahansal,  bekommt von Lahcen eine Redbull-Dose in die Hand. Schliesslich ist Redbull Hauptsponsor des Zagora Marathons.  „Lahcen“ heisst „der Beste“. Vier Dromedare hat sein Cousin, man wartet auf Touries.

Den VP bei km 80 des UTMES erkenne ich wieder. Hier lag Hendrik unterm 4x4 und erzählte, dass der Simmering mit einer Plastitüte ersetzt wurde.

Unter einem Steinhaufen vertrocknete ein Dromedar, es hat es nicht mehr bis zur Müllhalde geschafft. Zwei Kamelmütter betreuen ihren süssen Nachwuchs, hauen ab, als ich mich nähere.

Der Jbel Bani fällt nun steil in die Melonenebene ab. Das ist Jurassic Park vom Feinsten. Die tiefen Canyons schicken meine schmutzigen, deutschen Wörter glasklar zurück. Das freut auch Lahcen, der solche Wörter ebenso glasklar auf Tamazight brüllen kann. So muss das sein, so liebe ich das. Es entwickelt sich ein Konzert aus verbotenen Wörtern, das Echo überschlägt sich. Die ewigen Steine vertragen das, sie haben keine Moral, und ich wunde Füsse.

Auf einem Felsvorsprung steht Mustafa mit seinem Wagen. Ich muss dringend nach Zagora, Getränke für Silvester besorgen. Das ist nicht so einfach, Zagora ist weit weg. Zunächst versuchen wir Ismail zu erreichen. Der hängt aber irgendwo in der Wüste ab, betreut seine eigenen Kunden und geht nicht ans Handy. Ich hatte Lahcen klargemacht, dass ich Massenveranstaltungen nicht mag, deswegen bleibt die Laufgruppe heute unter sich. Es fehlen aber Getränke.

Ildrim hat marrokkansichen Salat gemacht: Thomaten, Zwiebel, Oliven, Mais und viel Korrinader, dazu drei Dosen Ölsardinen, einfach großartig!

Stunden später bin ich mit Mustafa in Zagora. Die Polizeikontrollen sind heftig, Einheimische dürfen an Silvester keinen Alkohol kaufen. Zunächst geht es zum Metzger. Heute Abend wird groß gefuttert, wir haben schiesslich einen langen Lauf hinter uns. Das Rindfleisch ist fett und rosig, wie meine Nachbarin, wenn sie halbnackt am Herd steht und nicht ahnt, dass sie durchs Dachfenster beobachtet wird. Die Zwiebeln sind auch dick, lassen sich aber leichter schälen.

Kippen für Ildrim, die billigen Marquises, und ab zum Dealer. Der arbeitet in einem eiskalten, ungemütlichen, fensterlosen  Keller, in dem ich niemals ein Getränk konsumieren würde.

Rabenschwarze Tüten werden auf der Rückbank gelagert. Yussup ist 19, fährt mit zum Camp. Er hat den vierten Platz beim Trans Atlas über 285 gemacht. Er reicht uns von der Rückback die Dosen. Wir rauschen weit abseits der Strasse durch die Wüste und umgehen so die strengen Polizeikontrollen.

Irgendwann ist Deutsch-Neujahr, ich lege mich ab, 160 Wochenkilometer sind genug.

 

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