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04.10.12 - Ultra Trail Atlas Toubkal (UTAT)

Sturm über Afrika

Autor: Joe Kelbel
 

Lauf durch eine vergessene Welt

 

Km 19,5 Timichi (1930m), ab hier führt der Weg weiter nach Osten, anfangs relativ hoch über dem Tal. Je weiter wir kommen, desto grüner wird das Tal. Walnussbäume und Getreidefelder säumen den Weg, der nun am Bach entlangführt, dessen Wasser durch spezielle Konstruktionen auf die Felder geleitet wird.

Erster Verpflegungspunkt im Gite des Etappes. Nun trennt sich die Ultra- von der Marathonstrecke. Die Marathonstrecke ist die eindeutig bessere Wahl. Ich beneide Stefan Schlett, den Bekloppten, der aber nicht so bekloppt wie ich ist. Er wird für die Marathonstrecke 8 Stunden brauchen.

 
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Die Reise geht durch Ansammlungen kleiner Hüttendörfe, Tiourdipu, Tiwediwe, Anfli und am Ende kommt das Dorf Tadrart (km 26, 1830 m). das Flussbett wird immer schmaler, hoch ragen die Berghänge mit ihren Terrassendörfern hinauf. Es ist ein unvergleichbares Erlebnis, ein Spießrutenlauf durch müllverseuchte Traumarchitektur. Man spricht hier kein Wort französisch, sondern Tamazight, ein  Berberdialekt, welcher seit letztem Jahr offizielle Sprache neben dem Arabisch ist.

„Banjoaaahr“ ( bon jour) „telefoni“ rufen die kleinen Kinder, bei denen ich hoffe, dass die schwarzen Hände von den Walnüssen kommen, denn sie wollen abgeklatscht werden. Tatsächlich wird gerade eine Telefonleitung in dieses Dorf gelegt. „Banjoaaahr telefoni!“ Im nächsten Ort: „Banjoaahr Bonbon! Banjoaahr Dirham!“

Frauen tragen Kopftuch, (wollte jetzt schreiben: sonst Nichts), aber sie haben lange, bunte, teils glitzernde Gewänder, die fotografiere ich nicht. Auch die Jugend ist fotoscheu, aber ich bin zu schnell, niemand kann seine Proteste durchsetzen. Doch als ich einmal in eine „Wohnung“ hinein fotografiere gibt es richtig Ärger. So schnell laufe ich selten.

So romantisch uns Europäern diese Dörfer auch erscheinen, wir befinden wir uns in Wirklichkeit am vermüllten Arsch der Welt. Und was da stinkend auf dem Trail liegt, sind nicht die Reste irgendwelcher Wiederkäuer.

Trotzdem, dieser Teil des Laufes ist das schönste Laufrevier, das ich je erlebt habe, unvergesslich, unglaublich, bewegend, wunderbar und einmalig in meinem 207maligen Läuferleben.

Am Ende des Tales, wo der Fluss zwischen schmalen Felsen verschwindet, steht die stinkend-warme Luft. Nun geht es unspassig steil hinauf. Meine Wasserreserven sind aufgebraucht, keine Markierungen sichtbar, doch es gibt nur diesen Weg. Ein Vermessungsteam spricht kein französisch. Gebärdensprache hilft, einer hat sein GPS-Gerät verloren, ich den Weg. Mein gestresstes Wahrnehmungsvermögen findet das Gerät, die Zivilisation nimmt ihren Lauf, ich auch.

Am Wegesrand entdecke ich ideale „Klofelsen“, doch Maultierkarawanen zwingen mich zum Weiterlaufen, bis ich unter mir, bei Km 30,5 Setti Fatma (1758) entdecke. Der kleine Ort hat ein Restaurant und ein wenig einladendes Hotel, liegt aber zu tief. Gegenüber der unglaubliche Anstieg, an dem sich die bunte Läuferschar sammelt. Zwei Stunden sind das für mich bis dorthin.

Brice, der Chef,  hat hier sein 4x4 geparkt, versorgt uns mit Wasser. Alex ermahnt mich: „Nimm mit, was du tragen kannst! Der nächste Wasserpunkt ist 38 km entfernt!“

38 km? 4 Stunden? Nein! 8 Stunden!

 

Aufstieg zm Tizi n`Ouchimichka,  Aufstieg ins Desaster!

 

Zunächst geht es steil hinunter zum Fluss Gue Ourika ( 1495 m). Bautrupps versuchen hier ihr Glück, eine Brücke zu errichten. Meine Flussüberquerung ist eine Katastrophe, verliere viel Zeit, Haut und eine Wasserflasche, die nun in der reißenden Strömung ihren Weg durch das Gebirge sucht.

 
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Der Aufstieg zum  Tizi (Pass) Tamatert (36,5 km 2450 Hm) ist mir nicht mehr in Erinnerung. Mein Wasserverbauch ist enorm, ich trinke aus jeder Quelle, fülle die verbliebene Wasserflasche jedes Mal auf, die Chlortabletten müssen 30 Minuten einwirken.

Dort oben sitzen dann zwei geschäftstüchtige Berber, die Cola, Fanta und diese unglaubliche Apfelplörre für 10 DH verkaufen. Einer will das Foto zugeschickt bekommen, notiert mir seine Adresse. „ eMail?“ „Oui!“. Woher sollte er wissen, was eine eMail ist! Wie könnte ich es ihm erklären?

Azib (Tierunterkunft) Assaka km 38 ( 2005 m ),  Amenzel (2350) einsamstes Dorf des Atlas. Atlashörnchen flitzen herum, sie ähneln den nordamerikanischen Streifenhörnchen. Tymian, Pfefferminz und Rosmarin bilden duftende Teppiche. Fußballspiel, die Kids sind gut drauf, hätte nie geglaubt, dass mich jemand zu so  sinnlosen Bewegungen animieren könnte. Hat mir verdammt Spaß gemacht. Hab sogar für Deutschland ein „Tor“ geschossen. Liebe Kinder dort.

Lieb waren auch die zwei Frauen: „Banjoooahr, Banjooahr Mässiööööö!“ Irgendwann musste ich dann stehen bleiben, die Anmache war zu deutlich. Ich weiß nicht, warum diese jungen Dinger Richtung Nichts gehen. Wir haben uns dann hingesetzt und gequatscht, wie man halt so quatscht, wenn man keine gemeinsame Sprache hat. Schönes Tal hier. Ein algenbedeckter Kanal direkt neben der Laufstrecke, die nicht mehr laufbar ist.

Ab jetzt beginnt der Angriff auf den schwierigsten Abschnitt: 40 km durch das Nichts. Kein Weg, keine Spur. Es geht hoch zum Tizi Amanzel ( 3050 m), mehrfach durch den traumhaften Fluss, mit seinen moosbedeckten Felsen. Ein kleines Kitz schreit oben in den Wänden nach seiner Mutter, ich kann dem kleinen Ding nicht helfen.

16:30 Uhr, km 49,5 am Fuße des Tizi Oumchichka, ich bin nun 10.5 Stunden unterwegs, 2 Stunden unterhalb der Cut-Off Zeit, dennoch frustriert, weil nicht nach Plan. Die Spanierin aus Murcia verhandelt, doch vom Ende der Welt gibt es kein  Zurück. Über mir, in der Geröllwand, hängt Stephane, der Belgier mit seiner Fahne am Rucksack. Auch Alex hängt dort oben in der Steilwand, ich werde ihn sobald nicht wiedersehen.

Der Aufstieg ist definitiv im Dunkeln nicht machbar, kein Weg durch die Geröllhalden erkennbar, die Markierungen, die in einem Abstand von 2- 5 Metern angebracht sind, kann man im Dunklen zwischen den hohen Felsen garantiert nicht finden.

Auf den Oumchichka-Pass km 52,5 steht eine Relaistation für die Funkkorrespondenz zwischen den PC´s ( Point Controllé). Hinter mir sind noch 5 Läufer. Ich bin der Letzte, der diesen PC fotografiert, über mir kreist ein Geier, die weiße Brust und der dicke gefiederte Hals weisen ihn als Bartgeier aus. Ein wenig fliegt er wie ein Falke, dann reißen starke Winde das Zelt des Point Controllé weg, unglaubliche Minuten über meinem Kopf fliegen die leichten Schilfteppiche hinweg, der Ausgang dieses Laufes ist nun nicht mehr vom Basiscamp kontrollierbar.

 

Informationen: Ultra Trail Atlas Toubkal (UTAT)
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