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19.08.18 - Hunsbuckel Trail

Ich bin dann mal vernünftig

Autor: Joe Kelbel

Kaum steige ich aus dem Auto, hör ich das Raunen um mich rum: „Was will denn der hier? Der läuft doch sonst nur Ultras!“ Aber ich bin richtig, habe das richtige Laubach ins Navi eingegeben, wie mir eine Läuferin am Telefon bestätigt, die verzweifelt aus der Nähe von Gießen anruft und nach dem Startort fragt.

Die 39 km-Strecke scheint der Hauptlauf zu sein. Unglaublich viele junge Läufer stehen am Start. Dies ist erst die zweite Austragung des HuBuT und schon kommen 550 Läufer auf den drei Strecken zusammen. Das ist hitverdächtig. Schon gestern Nachmittag erhielten Nachmelder eine grausame Info:  „Wir sind ausgebucht, nix geht mehr!“

 

 
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Was bei mir lauftechnisch geht, das will ich nach langer Pause auf der 39 Kilometerstrecke ausprobieren, ich muss wieder auf Geschwindigkeit kommen.
Die ersten fünf Kilometer sind wunderbar. Zwar bekomme ich kaum Luft und meine Beine schwächeln schon, aber ich bleibe gut in der Läuferlinie, die sich über diesen schönen Waldtrail mit unerwarteten Wurzeln schlängelt. Ab und zu hört man Flüche von Läufern, die an Wurzeln hängen bleiben, aber dieses Fäkalvokabeln werden von dem lautstarken Gebrüll der weiblichen Berliner Truppe übertönt, die mit italienischem Temperament durch den stillen Wald stürmen. „Der Soundso wird eh letzter werden, der hat die ganze Woche nix gemacht!“ „ Moni heb die Füße, wozu hamm wir denn trainiert?“ Und dann dieses „Wuff Wuff, Who Let the Dogs Out!“ „Applaus, Applaus!“

Als wir dann auf dem schmalen Trail eine große Truppe Rentner mit Stöckchen beiseite drängen, flippt die Mädchengruppe lautstärkenmäßig aus. Ich bin hier definitiv nicht richtig, aber ich muss vernünftig bleiben.  

 

 
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An der alten Römerstraße Boppard-Belgien ist eine Wasserstation. Kurzes Gespräch mit Thorsten, dem Chef, dann versuche ich die lautstarke Weibertruppe abzuhängen. Wir laufen an einem militärischen Zaun entlang, er grenzt die Raketenbasis Pydna ein. 1978/79 sollten hier 96 Cruise Missiles stationiert werden. Dafür grub man die Erde um und vernichtete zahllose Hügelgräber, die an der wichtigen Hunsrücker Handelsstraße errichtet wurden. Ein Fund, der nach der überstürzten  Erweiterungen der militärischen Basis erhalten geblieben ist, das ist das weltberühmte Wagengrab (500 v Chr.) Das Fürstengrab von Bell ist so bedeutend, dass die amerikanischen Soldaten sogar ein Weihnachtlied darüber sangen: „ Jingle Bell, jingle Bell!“

Die Stadt Bell (Kilometer 9) ist nach dem höchsten, keltischen Gott Belenus benannt, wie Belgien, Bilstein, Biel etc. Wir laufen über die Pfingstwiese leicht abwärts. Hier wird seit der Keltenzeit der Beller Markt abgehalten. Links ist der Galgenberg zu sehen, daneben sind die Reste eines Thingplatzes.

Immer noch kommen  jährlich 400 Schausteller für den Beller Markt zusammen. Früher hatten die Schüler während der Markttage frei. Der Lehrer gab den Schülern am Vortag das Geld für das Grabsingen aus. Die Kinder sagen gar schauerlich, jedenfalls ist nicht bekannt, dass je ein Toter zurückgekommen ist. Dennoch mussten die Jungs vorsichtshalber Maulwürfe fangen, dafür gab es  „Dat Muldegeld“. Viehhändler kamen sogar aus Ostpreußen hierher. Bis zu 2000 Tiere wurden hierher getrieben. Nach jedem getätigten Viehhandel tranken Käufer und Verkäufer den „Wink-uff“. Oft handelte man ohne Gewinn, nur um den „Wink-uff“ zu tätigen. Sehr vernünftige Leute hier!

Wir laufen über den kleinem Beller Marktplatz. Kaum zu glauben, dass hier 1986 200.000 Menschen gegen die Stationierung der Atomraketen demonstrierten.  Wenige Meter weiter führt uns der Hallgartenweg zum Wohnrother Bach, dann hinunter zum Diellaysteig. Zwar sind wir alle schon weitaus schwierigere Stücke gelaufen, aber irgendwie eiern wir heute nur rum.

Am Wohnrother Bach stand einst die Knochenmühle, in der Knochen zur Verwendung als Dünger oder Seife gemahlen wurde. Es muss in diesem Tal mächtig gestunken haben. Verlassen wurde die Mühle, als Kunstdünger und Pflanzenöle die Knochenmehle verdrängten.

 

 
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Der Trail entlang des Mastershausener Baches ist urig wie kaum ein anderer. Man kann sich kaum vorstellen, dass er einst Mühlen betrieb. Moos wächst über die Schichten aus Schieferplatten, die das Ufer bilden. Die Schiefergrube Balduin ist mit einem Gitter zugesperrt, das von unzähligen Spinnnetzen verstärkt wird. Ich flitsche eine Kreuzspinne weg und schaue auf den wunderschönen, glasklaren See inmitten der Höhle.

Die Bucher Mühle war 250 Jahre in Betrieb. Ein Foto von 1946 zeigt, dass damals kein Wald hier wuchs. Das Widerlager, in dem das Mühlrad lief, bildet nun imposante Ruinen. Etwas tiefer erreichen wir die Mohre Mühle, die 1901 abbrannte. Daneben das Fundament einer Kapelle und der Bernardmühle (1755). Wir überqueren den intakten Tunnel, der zusätzlich von der Seite Wasser zuführte.  Nach der Schweitzermühle und der Weienmühle erreichen wir den VP Kilometer 15, der direkt unter dem markanten, viergeschossigen Wohnturm der Burg Balduinseck positioniert ist. Jens, der letztes Jahr verpennt hatte und mich auf den letzten Kilometern trotzdem noch überholte, lacht mich so freudig an, dass ich Angst habe, seine Piercings würden mir entgegen flutschen.

Wäre schön, wenn der VP nächstes Jahr im kühlen Inneren des Wohnturms aufgebaut würde, es ist nämlich ein toller Anblick durch den „hohlen Zahn“ nach oben in den blauen Himmel zu schauen.

Balduin aus Luxemburg hatte das Pech als jüngster Sohn einer herrschenden Familie geboren zu werden, und für den war immer eine Laufbahn als Geistlicher vorgesehen. Da kann ich nur froh sein, dass meine Familie nicht herrschend war. Jedenfalls wurde Balduin Erzbischof und Kurfürst von Trier.

Die Unterquerung der Landstraße ist deshalb urig, weil wir nur einen schmalen Absatz im Tunnel haben, ich gehe da lieber langsam. Auf einer Schieferwand die nachgemalte Inschrift von 1919. Man ist stolz auf die damalige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die uns unseren jetzigen Weg zum Burgberg beschert. Erst geht es durch einen Graben, dann hinauf auf den spitzen Sporn, wo einst eine römische Burg stand. 50 Meter tiefer ist ein Brunnen mit einem Gitter abgedeckt. Der Brunnen stammt aus keltischer Zeit. Die gefundenen Münzen stammen aus dem 3. Jahrhundert v.Chr.

Steil geht es hinab, die 66 Kilometerstrecke folgt weiter dem Saar Hunsrücksteig, wir 39er biegen rechts ab. Der Kick der Querung der Hängebrücke bleibt den 66 Kilometerläufern vorbehalten.

„Ich würde da nie drüber gehen!“ „ Mir wird schon beim Anblick schlecht!“ So unterhalten sich zwei Läufer vor mir. Jeder hat also seinen Grund, warum er nur 39 Kilometer läuft. Auf der 66 Kilometerstrecke gibt es an den VP´s jetzt Bier, weil ich mir das letztes Jahr gewünscht hatte. Wir 39er nehmen aber erst ab VP 4 die gemeinsame Strecke mit den 66ern wieder auf, und da gibt es kein Bier mehr. Sichtlich kaputt sind die Langstreckler, die jetzt am VP 4  schon 47 Kilometer drauf haben. Ich fühle mich mit meinen 20 Kilometern noch ganz gut. Noch, denn die Hochebene Richtung Mörs liegt in der prallen Sonne und über den trockenen Feldern drehen sich gelangweilte Windräder, die keine Laufromantik fördern. Ich hätte mir eine Wasserflasche mitnehmen sollen, aber wer macht das schon für eine 39 Kilometer-Strecke?

Von den Zwetschenbäumen pflücke ich die dunkelsten Früchte, doch die stillen keinen Durst. In den Balkonkästen der Sulzmühle blühen wunderschöne, bunte Geranien. In Bayern ein Zeichen von Gastfreundschaft, doch hier bleibt selbst der Außenwasserhahn trocken.

In Uhler laufen wir an vier Häusern vorbei. Verzweifelt suche ich die Hauswände nach Wasserhähnen ab. Nichts. Doch dann ein scharfer Geruch nach Wasser, wir laufen an der Kläranlage vorbei. Oh wie plätschert das so schön! Als ich den Trimmbach überquere, stehen zwei Läufer auf, die in dem Rinnsal gelegen haben. Ich mag da nicht rein, meine untrainierten Füße haben Blasen. Die Berliner Görengang hat mich überholt, die Ruhe ist vorbei: „Komm her, hier gibt´s Kartoffeln!“  Was soll ich mit Kartoffeln? Die sind für die Langstreckler! Es ist der letzte VP, diesmal nehme ich mir eine Flasche Wasser mit.  Nach der Unterquerung der Trimmbachtalbrücke kommen wir zum Kastellauner See. Was mich mehr interessiert: Im Mühlenweg ist ein Hotel. Ich leere das Glas in einem Zug.

 

 
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Hinter Kastellaun ist der Kletterpark, Kyrillpfad und sonstiger Touri-Kram. Absolut interessant ist aber der Landreitgraben, dessen Entstehung ich ins späte Mittelalter setzen würde. Doch Ortsansässige bestehen auf keltischen Ursprung. Für diese Jahreszeit ist stellenweise im Nadelwald ein Duft zwischen Holunderblüten und Himbeeren typisch, den ich gerne aufsauge. Der Duft kommt aus dem Pilzgeflecht im Boden des Nadelwaldes, die Dingerchen mit dem Schirm machen sich bereit für den Herbst.

Ich bin bereit für den Zieleinlauf. Unter dem Startbogen wollen Fans Fotos von mir schießen. Ist ja schon nett. Julia aus Kambodscha, die ich zuletzt in Patagonien getroffen habe, steht dort in ihrem Fjord Ultra Shirt. Unglaublich, wie klein die Welt ist. Sogar Ottmar reißt sich um ein Foto zusammen mit mir. Dabei ist er doch der Organisator des wunderbaren Hunsrück Marathons, der dieses Jahr ausnahmsweise mal Pause macht.  

So stehe ich umworben im Zielbereich rum, ohne an ein alkoholfreies Bier zu kommen und muss mich auch noch rechtfertigen, warum ich nur die 39 Kilometer gelaufen bin. Witzig, die Berliner Gören schwatzen immer noch viel zu laut: „ Sach ma, wer issen der Typ da? Muss man den kennen?“

 

Informationen: Hunsbuckel Trail
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