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15.07.17 - Maintal-Ultratrail

Veitshöchheimer Sonnenschein

Autor: Joe Kelbel

Nördlich von Würzburg hat sich der Main durch die Muschelkalkfelsen des Trias gefräst. Wie Perlen an einer Schnur sind hier die Kanten und Hänge entlang des Flusses gereiht. Durch steile, sonnenexponierten Weinhänge und Obstwiesen führen uralte Pfade, die nur von Verrückten genutzt werden.

64,5 Kilometer, 1700 Höhenmeter, das ist für einen Ultralauf normal. Die Strecke aber  besteht zu 80 % aus Trails und einem nervigen Auf und Ab. Dieses Jahr hätte es einen Teilnehmerrekord geben können, da dieser Lauf in die DUV-Cup-Wertung aufgenommen wurde.  Doch schon um 5 Uhr morgens ist Vollsperrung auf der A3. Für Läufer, die von Westen kommen, gibt es keine Chance rechtszeitig um 7 Uhr zum Sportgelände der SV Veitshöchheim zu kommen. Um 6:30 bereits ist Briefing und Kontrolle der Pflichtausrüstung, bevor man in den Startblock darf.  Wer nicht auf der Autobahn wendet, der kann sich auf die 30 Kilometer ummelden, die um 9 Uhr gestartet werden.

 

 
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7 Uhr Start des Ultras. Schon auf der Halbrunde entlang des Sportplatzes, auf ungeliebtem Schotter, trennen sich Spitzenläufer von Morgenmuffeln. Nach wenigen Metern erreichen wir das Naturfreundehaus, wo man hätte übernachten können, dahinter ist der Kalter Berg mit der Brunnenanlage für das Trinkwasser der Stadt und die Bewässerung der Weinberge. Das ist erlaubt, der wenige Regen in dieser klimatisch begünstigten Lage verschwindet zu schnell in den Kalkfelsen.

Im Gadweiler Wald fand man Werkzeuge aus der Altsteinzeit. Vielleicht sind die 100.000 Jahre alten Artefakte vom Neandertaler. Das Klima am sonnenverwöhnten Südhang der Steillage lockte also schon lange den Menschen. Wir haben Glück, es wird heute angenehme Temperaturen geben. Es ist das erste Mal, dass der Trail im Juli stattfindet.  Das muss sein, weil viele Helfer im September in Berlin laufen wollen.

Wir laufen oberhalb des Birkentals mit der Weinlage „Veitshöchheimer Sonnenschein“. "Kein anderer Wein will mir schmecken, und ich bin verdrießlich, wenn mir mein gewohnter Lieblingstrank abgeht.“ So schreib Goethe über seine Lieblingsweinlage.  Für uns geht es auch ab, und zwar am Steilhang oberhalb des Naturschutzgebietes Edelsmannwald.

Die Edelleute von Würzburg bauten hier im 12. Jahrhundert die Ravensburg und Falkenberg, doch die beiden Burgbesitzer ermordeten den Würzburger Bischof. Des halb wurden beide Burgen 1203 zerstört. Wegen des Bannfluchs des  Papstes gegen die Burgherren  wurden die Ruinen nie angerührt. Heute wachsen Weinreben im Burggraben und im Burgverlies, die einen sündigen Wein ergeben.

Außerhalb der Weinberge wächst das geschützte Blaugrass, wobei nur der Blütenstand ein wenig bläulich erschein. Ich finde Weinreben sind schützenswerter.

Es geht um die Etzburg herum.  Erkennen kann man nichts, sie wurde geschliffen, wie das immer so genannt wird. Dabei ging der Sieger nicht mit dem Bosch Schwingschleifer ans Mauerwerk. Vielmehr wurde der Verlierer gezwungen, seine Burg selbst abzutragen. Wer Gewinner und Verlierer waren? Dazu fehlen Schriftstücke, die Burgruine könnte sehr viel älter sein, als angenommen.

Runde Steinkessel erinnern mich an Pferche für das Vieh, wie sie noch in Afrika genutzt werden. Die Buchen- und Eichenwälder hier oben an der Abbruchkante wurden schon in der frühen Neuzeit nach dem Mast-Ertrag (Dehme) bewertet, dazu musste man die Eicheln und die Bucheckern schätzen. Dieses Gebiet war Allgemeingut (Allmende). Die Schweine, die tagsüber im Wald die Bucheckern und Eicheln fraßen, kamen nachts in das Gehege, um sich  genetisch nicht mit den Wildschweinen zu vermischen. Diese Pferche stehen unter strengstem Schutz, sind aber schon so zerfallen, dass die Wildschweine in die steilen Streuobstwiesen eindringen können, um die Aprikosen zu futtern.

 

 
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Immer wieder führen Abstecher durch die Kiefern und Eichen nach links an die Felsabbrüche, doch ich habe keine Zeit für ein Touriprogramm, ich muss mich sputen.

Wir laufen aus dem lichten Wald hinaus, erreichen das obere Ende eines sehr steilen Kreuzweges. Unten ist die Wallfahrtskirche Maria im Grünen Tal, von der Burgherrin der Ravensburg gestiftet, um den Mord am Würzburger Bischof zu sühnen. Mittelpunkt der Kirche ist ein Schmerzbild Marias, die Angesicht ihres gekreuzigten Sohnes leidet. Im Inneren des Bildes sind Reliquien und Erde aus dem Heiligen Land aufbewahrt. Man pilgert hierher, um von Schmerz und Qualen erlöst zu werden, die durch den Verlust eines geliebten Menschen entstehen.  Komischerweise findet sich ein Teil der Schmerzen in meinem Knie wieder, zu steil war der Abstieg.

Ein schattiger, grüner Weg führt entlang des Retzbaches, den wir zwischen Fischteichen überqueren: „Angelbetrieb, bitte nicht stören“ steht auf einem Schild, als würde hier auch Sport betrieben.

Unterhalb des Klößberges fängt der karge Trockenrasen an. Fast alle deutschen Orchideenarten gedeihen hier auf der Höhfeldplatte.  Ein Helfer passt auf, dass kein Läufer über die abgesperrte Wiese läuft.

 

 
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Es folgt ein  guter Blick  auf die andere Mainseite nach Himmelstadt und der Staustufe, wo der Würzburger Gedächtnislauf über 44 km langführt. Die Reben sind frisch geschwefelt.  Auch Kupfer wird gespritzt, das hilft gegen den Mehltau, einer Pilzkrankheit. Die Behandlung ist ökologisch, hinterlässt aber ein durstiges Gefühl auf der Zunge.

Wir sind nun auf dem Fränkischen Marienweg, ein 930 Kilometer langer Pilgerweg, der zu 50 Wallfahrsorten führt. Zahlreiche einfache Hütten stehen entlang des Weges.  Einst Herbergen der Marienpilger, werden sie nun von Weinpilgern genutzt. Der Bildstock der heiligen Maria Magdalena ist überdacht, um den alten Stein zu schützen. Maria Magdalena wird hier als Büßerin darstellt. In ihrer Hand hält sie ein Alabastergefäß mit Salböl. Alabaster ist eine durchsichtige Gipsart, Salböl besteht aus Myrrhe, Zimt, Kalmus, Cassia und Oliveröl.  Ich muss jetzt aber echt schnell weiter, keine Zeit mehr für weitere Erklärungen!

Doch noch was: Es gibt hier etwa 3000 mittelalterliche Bildstöcke mit dem Leiden Christi als Motiv. Ein Motiv ist aber einzigartig, und zwar: "Christus in der Kelter".  Es mag sein, dass Jesus die Trauben mit den Füßen stampft, weil der Wein das Blut Christi symbolisiert. Es mag aber auch sein, dass die Weinbauern die Fronherrschaft mit dem Kreuzgang von Jesus verglichen. Schade, ich habe einfach keine Zeit, einen Abstecher zu machen, um alle Bildstöcke zu fotografieren.

Über dem steil abfallenden Benediktenberg ist der Tiertalberg (340m), von dem Paraglider starten. Da diese Steilhänge dem europäischen Naturschutz unterliegen, gibt es strenge Auflagen bei der Sanierung der bröckelnden Hänge. Jede unsichere Stelle eines Felsvorsprunges muss per Hand abgetragen und mit Spritzbeton unterlegt werden. Mangels Wegen werden die Arbeiter vom Hubschrauben abgeseilt. Nur 32 Brutpaare der äußerst seltenen Zippammer gibt es. Dennoch hüpfen zwei Tierchen um mich rum. Sie sind sehr anhänglich, beobachten, wie ich mit meinem Riesen-Hokas Insekten aufscheuche: „Zieh! Zieh!“ rufen die Winzlinge vor Freude.

Die Kürbishöhe ist dreifach schön. Erstens der Name, zweitens die Form, drittens die Aussicht, die über das Werntal, die Vorderrhön, den Spessart und das Maintal  geht.

Wir kommen in die Weinlage „Stettener Stein”. Im Wald vor Karlstadt, dessen Hafen schon im 6. Jahrhundert gebaut wurde, ist der Wendepunkt unserer Laufstrecke. In Karlstadt endet das Muschelkalkgebiet, der ältere Bundsandstein tritt zutage und färbt den Main bis zur Mündung graudunkelrot. Die Karlburg ist nicht nach Karl dem Großen, sondern nach dem Verwalter Karlmann benannt, der 250 Jahre früher lebte und theoretisch ein Vorfahre von Karl dem Großen ist. Aus diesen 250 Jahren jedoch gibt es kaum schriftliche Quellen, weswegen die Theorie des Erfundenen Mittelalters entstand, die auf die Kalenderreform von Papst Gregor XIII zurückgeführt wird. Ich bin demnach 200 Jahre jünger.

Wir haben den Wendepunkt der Strecke erreicht. Der Rückweg führt uns im Prinzip parallel zum Hinweg, aber doch über das Höhenplateau, das vom Flugsand des Maines zu einer kargen Landschaft gemacht wurde. Kornfelder reichen bis zum Horizont, haben aber nur winzige Halme. Ein Feld mit schwarzen Weizen fällt auf.  Es ist schwarzer Emmer, eine Urform des Getreides. Schwarzen Emmer gibt es kaum im Ökoladen, er wird zu selten angebaut.  Faszinierend ist eine Trockenwiese, die von der Dorfparty nebenan überschallt wird, was die unglaublich vielen Schmetterlinge nicht stört: Auffallend der zutrauliche, orangene Perlmuttfalter.  Das weiße Landkärtchen ist scheu, die Wiesenvögelchen sehr lebhaft. Hier bin ich zuhause. Eine zwanghafte Beendigung dieses Ultralaufes kommt mir jetzt sinnlos vor.

Der „Blaue Turm“ ist ein Nachrichtenturm aus dem Mittelalter. Von hier meldete man herauffahrende Schiffe nach Würzburg. Wie genau die Nachrichtenübermittlung funktionierte, kann man nicht sagen. Bekannt sind aber die Lärmfeuer (Lärm= Alarm), die auf Berghöhen entfacht wurden.

Ein guter Wirtschaftsweg führt durch Weinberge hinab, entlang kleiner Steinbrüche zum  Bendelsgraben. Dort wächst Diptam, oder Brennender Busch, eine rosa blühende Pflanze, die so selten ist, dass sie schon 1936 von den Braunhemden unter Schutz gestellt wurde. Die Pflanze Alant nutze man als Droge und Gewürz, es half auch gegen Würmer und war dementsprechend teuer. Wenn man das Zeug raucht, kann man besser atmen.  Mit Schweineschmalz vermischt, hilft es gegen Krätze, Warzen, wundgescheuerte Läuferstellen, Geschwüre und Pest. Das Bundesgesundheitsamt mag die gelb blühenden Stauden nicht.

Nun wendet sich die Laufstrecke weit nach Norden, Richtung Retzstadt (auf dem Hinweg liefen wir an Retzbach vorbei).

Auffallend der Steinbruch der Firma Schraud. Da hier verschiedene Mineralien, Felsarten und Kalk durch eine einzige Sprengung aufgeschlossen werden können, liefert die Firma innerhalb weniger Stunden spezielle Gemische, die exakt auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sind. Mein exaktes Bedürfniss ist, zu finishen.  15 Kilometer noch.

Der Aufstieg zum  Geiersberg erinnert daran, dass hier einst die Aasfresser anzutreffen waren.  Sie nutzen die aufsteigende warme Luft an den Steilhängen, um nach Nahrung zu suchen. Sie starben  aus, weil sie zu viele vergiftete Wolfskadaver vorfanden. In den 90er Jahren starben die Geier in Spanien, weil Rinder und Schweine mit Diclofenac behandelt wurden. Für Geier ist das Zeug tödlich. Also, liebe Schmerzmittelläufer, rettet die Geier, vermeidet Sichtum an dieser  krassen Stelle!

Der Heulenberg oberhalb von Güntersleben erinnert an die Wölfe, die hier einst hausten, oder an den stetigen Wind, der die Distelblüten fast waagerecht wachsen lässt. Es ist eine Qual, über die Wiesenwege zu schlurfen, aber irgendwie bin ich doch recht schnell vor dem Sportgelände und finishe einen Tag, für dessen wunderschöne Wiesen ich gerne mehr Muße gehabt hätte.

In den nächsten Wochen nehme ich mir die Muße, werde Trainingsläufchen machen, und am Steilhang für die kleinen Zippammern die Insekten aufschrecken. Der nächste Termin des MTUT ist am 14.07.2018.

 

 
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