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10.09.16 - Dolomiti di Brenta Trail

Gelungene Premiere

Es wirkt schon irgendwie komisch wenn man bei der offiziellen Premiere eines neuen Trailevents in Südtirol dabei ist und dann gefragt wird: „Warst du letztes Jahr schon dabei“. Der Hintergrund ist so simpel wie genial. In überschaubarem Rahmen wurde 2015 eine 0-Auflage durchgeführt. Aus den gesammelten Erfahrungen wurde die Grundlage für eine perfekte „offizielle“ Premiere geschaffen, und nebenbei noch genügend Videomaterial für einen Video-Trailer gesammelt.

Das Dorf Molveno, am gleichnamigen See gelegen, zeichnet sich durch einen spektakulären Blick in das Brenta Massiv aus, den wir am Freitagabend auf dem Weg zur Sporthalle genießen können. In der Sporthalle spielt sich das übliche Vorabend-Prozedere ab: Startnummernausgabe und ausführliches Racebriefing. Es wird gesagt, dass es keine Erleichterungen beim Pflichtgepäck gibt. Alles muss mit: Rucksack, wasserdichte Jacke, Langarmshirt, ¾ Hose, Handschuhe, Mütze, Rettungsdecke, Trillerpfeife, Stirnlampe mit Ersatzbatterien, Tapeband, Handy, Trinkbecher, 1 Liter Getränk und ein Minimum an festen Nahrungsmitteln. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Mitnahme des Pflichtgepäcks beim Start und unterwegs kontrolliert wird. Außerdem bekommen wir die Order, wegen der Dunkelheit mit Stirnlampe am Kopf zu starten. Erfreulicherweise erfahren wir auch noch, dass auf der Strecke kein Schnee liegt und es folglich auch keine technisch schwierigen oder gefährlichen Stellen geben wird.

Unser Start am nächsten Morgen ist um 6 Uhr. 64 Km mit +/-4.200 Höhenmetern stehen auf dem Programm. Wer es ein bisschen gemäßigter mag, kann auch um 8:30 Uhr zur 45 Km Schleife aufbrechen. Mit 2.850 Höhenmetern aber auch keine leichte Aufgabe.

Etwa 95% der Starter sind Italiener, folglich beschränkt man sich vor dem Start auf ein rein italienisches Kurz-Briefing (das ausführliche Briefing am Vorabend wurde erfreulicherweise noch um eine englische Kurzfassung ergänzt). Dann werden wir gebeten, unsere Startnummer scannen zu lassen und uns zum Start zu begeben. Die Sache mit der Pflichtgepäckkontrolle haben die Veranstalter wohl vergessen...

 

 
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Ich stehe im Mittelfeld und plötzlich rennen die Jungs und Mädels vorne los. Man will sich wohl keinen Ärger mit den Anwohnern einhandeln und verzichtet deshalb auf Megafon und Startpistole. Wir laufen die Straße runter, dann nach links und stehen schon vor der ersten Rampe, die einige Teilnehmer zur Gehpause zwingt. Oben angekommen traben wir weiter durch's nächtliche Dorf Richtung Wald. Am Ortsende wartet bereits die zweite Rampe, dieses Mal noch etwas steiler und vor allem länger, aus Läufern werden stockschwingende Marschierer. Aber noch ist alles harmlos. Die ersten 5 Kilometer bis nach Andalo verlaufen sanft ansteigend durch den Wald, gespickt mit ein paar kurzen gemeinen Rampen. Sozusagen zum Einrollen. Von der langsam anbrechenden Dämmerung erreicht zwar nur wenig Licht den Wald, trotzdem verzichten die meisten auf ihre Stirnlampen. Die Augen gewöhnen sich an das spärliche Licht.

In Andalo angekommen kräht gerade der Hahn. Nach dem dunklen Wald wirkt es hier im Dorf richtig hell, obwohl die Sonne erst in ein paar Minuten aufgehen wird. Die Streckenposten führen uns einmal quer durch das Dorf, und dann geht es endlich los. Eine satte Rampe führt uns hinauf zu einer Häuseransammlung, dann ein paar flache Meter, ehe wir in den steilen Waldweg einbiegen, der uns hinauf in den Brenta Nationalpark bringen wird. Spätestens jetzt sind die Trekkingstöcke gefragt.  

3 Kilometer weiter erreichen wir den ersten Verpflegungsposten. Eigentlich etwas früh, trotzdem lohnt es sich hier zuzugreifen, denn bis zum Nächsten sind es 12 Km und etwa +1.000Hm/-700Hm. Wenige Meter weiter weiß ich auch warum der VP genau hier platziert wurde. Ein Schild weist uns auf den „Tratto pericoloso“ (gefährlichen Abschnitt) hin. Der Pfad ist keine 50cm breit, mit einem Drahtseil zur Linken und einer Kante zur Rechten. Wie weit es rechts runter geht, ist nicht zu sehen. Mehrere Hundert Meter sind es sicherlich. Abrutschen sollte zweifellos vermieden werden. Ein paar Meter verläuft unser Pfad so, dann fehlt plötzlich das Seil zur Linken, obwohl der Weg nichts an Charme verloren hat. Später lerne ich beim Blick in eine topografische Karte, dass dieser Pfad als „gesicherter Steig“ markiert ist. Soviel zum Thema, es gibt keine technisch schwierigen oder gefährlichen Stellen.

Kaum wird aus der Kante ein steiler Abhang und unser Weg etwas flacher, fangen die Jungs vor mir und das Mädel hinter mir wieder an locker zu joggen. Da der Steig zu schmal ist, um sich überholen zu lassen, bleibt mir keine Wahl. Ich bin froh, als wir die Kante endlich hinter uns lassen und uns ein steil ansteigender Waldpfad empfängt.

Dann plötzlich lichtet sich der Wald. Wir haben die Baumgrenze erreicht. Auf den letzten 5 Km von Andalo bis hierher haben wir 800 Höhenmeter überwunden. Hier teilen sich die Wege der 45 Km- und der 64 Km-Strecke. Die 45er dürfen geradeaus direkt Richtung Rifugio Graffer. Wir biegen nach rechts in ein traumhaftes Hochtal. Felsriesen zur Linken und zur Rechten. Man spürt die Einsamkeit und die Ursprünglichkeit dieses Ortes förmlich. Kein Wunder, dass berichtet wird, dass sich hier auch Braunbären wohlfühlen sollen.  Das Tal ist zwar traumhaft schön, aber dennoch steil ansteigend. Weitere 500 Hm sind bis zum Sella del Montoz (2.327m) zu überwinden. Endlich oben, geht es gleich wieder genau so steil bergab, ehe wir uns auf wilden Pfaden in ständigem Auf und Ab zum nächsten Verpflegungspunkt kämpfen. Teilweise verläuft der Pfad wieder entlang eines steil abfallenden Hanges, dieses Mal aber durch Latschenkiefern „gesichert“.

 

 
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Der zweite VP befindet sich an einer kleinen Schutzhütte. Das Angebot ist reichhaltig: Verschiedenes Dörrobst, Brot, Käse, Schokolade, Säfte, Tee, Wasser. Auch hier lohnt es sich ordentlich zuzugreifen, denn bis zum nächsten VP sind es wiederum 12 Km mit viel bergauf und etwas bergab.

Wir durchqueren ein weiteres, traumhaft schönes Bergtal, ehe wir bei Km 25 wieder auf die 45 Km Strecke treffen. Statt unserem ständigen Auf-und-Ab sind die 45er bis hierher konstant bergauf gelaufen und haben rund 15 Km weniger auf dem Tacho. Wir reihen uns in das Feld der „Kurzstreckler“ ein. Obwohl sie 2,5 Stunden nach uns gestartet sind, passt unser Tempo ziemlich gut zusammen. Da haben die Veranstalter sauber geplant.

Es geht wellig mit ansteigender Tendenz auf steinigen Bergpfaden weiter. Hinter einer Kuppe treffen wir auf eine Seilbahn. Nach der Bergidylle passt das Ding hier überhaupt nicht her. Dazu kommt noch, dass wir auf eine breite, grobschottrige Forststraße einbiegen, die uns unangenehm steil hinab zum Rufugio Graffer führt. Nach all den wunderschönen Trails ist das nun der eher unattraktive Teil der Strecke. Zum Glück nur einen halben Kilometer, dann ist das Rifugio und somit der 3. VP erreicht. Der Blick auf die Uhr ist ernüchternd. Es ist 11:37 Uhr, d.h. ich habe für 32 Km über 5,5 Stunden gebraucht. Trotz des verhaltenen Beginns ist das langsamer als erwartet.

 

 
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Hinter dem Rifugio dann das Schild, das ich eigentlich gar nicht sehen möchte. Die 45er dürfen links auf den welligen Höhenweg einbiegen, wir werden einige Kilometer ins Tal geschickt, von wo wir uns anschließend  hinauf kämpfen dürfen, um dann am Rifugio Tuckett wieder auf die 45er zu treffen. Der kurzzeitige Frust verfliegt schnell, denn der Abstieg entpuppt sich als „rasender“ Downhill-Trail. Es geht schmal über Stock und Stein. Da die Steilheit sich in Grenzen hält, kann man mit der richtigen Technik regelrecht hinab fliegen. Ich liebe diese Pfade. Außerdem ist das Feld nun soweit auseinandergezogen, dass es kaum zu Überholungen kommt. Unten angekommen, ist es kurz wellig laufen, dann geht es hinauf. Schade, bergab fliegen war gerade so schön. Es ist nicht brutal steil, aber wandern ist meist effizienter als vor sich hin tippeln. Der Anstieg zieht sich, dann kommt endlich das Rifugio Tuckett in Sicht, VP Nummer 4. Gut 40 Km sind hier geschafft.

 

 
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Wir biegen in das Val Brenta Alta ein, eine spektakuläre Stein- und Felswüste. Ein schmaler steiniger Pfad, gelegentlich mit Drahtseil gesichert, führt uns an der linken Talseite am Fels entlang. Das Thema es gibt „keine technisch schwierigen oder gefährlichen Stellen“ lassen wir lieber.

Auffällig ist, dass wir jetzt im Reich der Hüttenwanderer gelandet sind. Außerdem teilen wir uns nun wieder die Strecke mit den 45 Km Läufern. Es ist deutlich mehr Verkehr,  überholen ist nur an sehr wenigen Stellen möglich. Der Gegenverkehr macht meist bereitwillig an der Seite Platz, sodass wir passieren können. Ich halte mich deshalb an das Tempo meiner Vorderleute, auch wenn es mir eigentlich einen Tick zu langsam ist. Ein paar Kilometer weiter bin ich froh über das entspannte Tempo. Wir klettern über ein paar Felsbrocken, dann stehen vor einer fast senkrechten Geröllhalde. Müssen wir da rauf? Ja, müssen wir!

Ich habe vor meiner Haustüre eine schwarze Piste. Jedes Mal wenn ich auf der unterwegs bin, bereue ich es ziemlich schnell. Heute bin froh zu wissen, dass ich so etwas Steiles schon im Training geschafft habe, denn die Kieshalde ist nicht weniger steil. Aber im Gegensatz zu meiner grasigen schwarzen Piste darf man sich hier kaum vom Boden abdrücken, sonst rutscht das Bein auf gleich wieder dorthin zurück wo es gerade hergekommen ist. Für jeden Schritt wird das Bein eher sanft nach vorn gehoben. Obwohl ich mich mittlerweile ins erste  Viertel des Felds vorgekämpft habe, ähnelt unser Tempo dem einer Weinbergschnecke. Ich frage mich ernsthaft, ob diese Rampe alle Teilnehmer aus eigener Kraft schaffen.

Endlich sind wir oben. Oder auch nicht! Es folgt ein kurzes Plateau, dann steht schon die nächste Kiesrampe vor uns. Sie ist nicht minder steil, enthält als kleines Schmankerl aber noch Altschneereste. Wir haben die Wahl, einfach drüber, oder links über die Felsabbrüche klettern. Das orange Flatterband, welches uns den Weg weist, ist an den Felsbrocken angebracht, die meisten gehen aber lieber direkt über die gefrorenen Schneereste.

Rund 300 Höhenmeter überwinden wir dank der beiden Rampen, dann sind wir am höchsten Punkt der Strecke, dem „Bocca di Brenta“ auf 2.552m. 49 Kilometer sind geschafft.  Aber jetzt kommt der Teil, vor dem ich am meisten Respekt habe: Mit +4.200 Höhenmetern in den Knochen einen endlosen Abstieg ins 1.700m tiefer liegende Ziel. Erst einmal durchatmen und dann den kurzen „Tratto pericoloso“ zum vorletzten VP, dem Rifugio Pedrotti, in Angriff nehmen. Dort angekommen, fülle ich meine Softplastikflasche mit Cola und trete den Abstieg an.

 

 
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Im oberen Teil ist es noch recht steil und steinig, was den Abstieg mit den geschundenen Beinen technisch anspruchsvoll macht, aber je weiter wir runter kommen, desto flacher und leichter wird der Pfad. Die Idee mit der Cola war doof. Die Kohlensäure bläst mir die Softplastik-Flasche derart auf, dass sie zu Platzen droht. Bestimmt 10x beiße ich in das Mundstück, um den Druck wieder auf Normalmaß zu bringen. Als ich endlich einen technisch leichteren Streckenabschnitt erreiche und zum Trinken komme, ist die Kohlensäure komplett raus. Geschmacklich naja, allerdings ist der Magen über das fehlende H2CO3 sehr dankbar.

 

 
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Wir erreichen den letzten VP, das Rifugio Croz dell'Altissimo direkt unterhalb einer senkrechten Wand, die zum gleichnamigen Gipfel gehört. Es folgt ein Höhenweg. Eigentlich habe ich gedacht, es ginge nun nur noch bergab, aber der Höhenweg zieht sich flach dahin, gespickt mit einigen fiesen Gegenanstiegen, die zu einer Gehpause verleiten.

Am Ende des Höhenwegs liegt Pradel. Hier gibt es eine Gondel direkt nach Molveno. Jetzt geht es wirklich nur noch bergab. Zunächst über einen steilen Forstweg, dann biegen wir nach rechts in einen wunderschönen Waldpfad, der uns direkt nach Molveno bringt. Im Dorf angekommen, hüpfen wir zunächst eine Treppe hinab und dann über Kopfsteinpflaster mitten durch's Dorf, bis wir unten am See ankommen. Jetzt noch einen Kilometer flach am See entlang, gesäumt von Touristen und Badegästen, dann sind wir im Ziel. Geschafft. Super war's.

 

Fazit

 

Mit dem Brenta Trail gibt es ein neues Juwel im Trailrunning-Kalender, das aber nur sehr ambitionierten Trailrunnern empfohlen werden kann. Die Strecke verläuft fast ausschließlich auf wurzeligen und steinigen Bergpfaden. Wer Spaß daran hat, den ganzen Tag über unwegsame Wege zu hüpfen, der ist hier richtig. Wer hingegen die wenigen technischen Abschnitte beim Swiss Alpine oder Karwendelmarsch als schwer empfindet, wird am Brenta Trail keine Freude haben. Außerdem sind Schwindelfreiheit und Trittsicherheit notwendig.

Zum Abschluss noch ein Wort zur Organisation. Abgesehen davon, dass einige Ankündigungen im Briefing nicht ganz der Realität entsprochen haben, war die Veranstaltung perfekt organisiert. Massenhaft Flatterbänder und Wegweiser haben ein Verlaufen unmöglich gemacht. Die VPs waren exzellent bestückt und die Helfer haben eine sehr angenehme und freundliche Atmosphäre ausgestrahlt. Kilometerschilder gab es zwar keine, aber auf der Startnummer war ein Streckenprofil mit VPs und Kilometerangaben abgedruckt.

 

Informationen: Dolomiti di Brenta Trail
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