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18.11.17 - Tafraout Atlas Trail

Farbtupfer in der Wüste

Autor: Joe Kelbel

Von Zagora fahre ich mit dem Land Rover entlang der algerischen Grenze, quer durch die Sahara, immer Richtung Westen zur Atlantikküste, um am Samstag in den rosa Granitfelsen des Antiatlas zu laufen. Angst um meine Sicherheit habe ich nicht, militärische Hochleistungskameras verfolgen von den Bergen aus meine Reise durch Dünen, ausgetrocknete Seen und riesige Steinwüsten. Tafraout begrüßt mich mit dem Chapeau Napoleon, dem Felsenturm, der wie die Mütze vom Napoleon aussehen soll.

Lahcen Ahansal und sein Orgateam sind nonstop von Zagora nach Tafraout gefahren. So ist bei meiner Ankunft alles vorbereitet, ich kann mich gleich im Zelt am zentralen Platz anmelden. 25 Euro kostet der Ultratrail.

 

 
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Der Tourismus in Marokko ist eingebrochen, seitdem  Zeitungen über Marokkaner in Europa berichten müssen. Der König, Mohamed VI., entschuldigt sich in seiner jüngsten Rede für den ungewollten Export von Kriminalität. Sponsoren wie Royal Air Maroc und der Sportminister, der in Tafraout wohnt, sind abgesprungen. Der Agrarminister ist mit 1,7 Milliarden der drittreichste Bewohner von Tafraout, auch er hat aufgegeben. Der Trail wird dieses Jahr von 73 auf 47 Kilometer verkürzt.

Wir sind dieses Jahr nur klägliche 12 Ultraläufer.  Etwa 50 Läufer wollen die 29 Kilometer laufen. Der 10-Kilometer-Spaziergang, bei dem es letztes Jahr noch 300 Teilnehmer gab, fällt aus. Auch die großartigen Abendessen vor und nach dem Lauf, bei denen einst 500 Gäste anwesend waren, fallen aus. Umso dankbarer bin ich Lahcen, dass er sich kurzfristig doch noch entschlossen hat, den traditionellen Tafraout Trail überhaupt zu organisieren.  

Traditionell findet der Tafraout Atlas Trail am marokkanischen Unabhängigkeitstag statt. Es ist Samstag, ich bin mir 100%ig sicher, dass ich heute bester Deutscher auf der Ultrastrecke sein werde. Die meisten Läufer, auch die der 29 Kilometer-Strecke, sind mir bekannt. Wie in Deutschland gibt es  immer dieselben Verdächtigen. Das obligatorische Vor-dem-Lauf-Posing ist aber extremer. Lahcen, der Champion, hat dabei mehr Geduld, als ich. Der 10fache Seriengewinner des Marathon des Sables muss viel für Selfies herhalten.  Stolz trägt er die trailrunning.de Jacke, aus der ich seltsamerweise rausgewachsen bin.

Gerhard Rohlfs war 1860 der erste Europäer, der nach Tafraout kam.  Er beschrieb den Sklavenhandel, dessen erklärter Gegner er war. Ein Sklavenhändler schenkte paradoxerweise  gerade ihm einen 7jährigen, schwarzafrikanischen Jungen. Was sollte er mit dem armen Wicht machen? Rohlfs nannte ihn Henry Noel, nahm ihn mit nach Bad Ems, wo Kaiser Wilhelm I weilte.  Der adoptierte ihn. Danach  Friedrich III, dann Wilhelm II.  Als auch der starb, adoptierte die  Weimarer Republik Henry Noel. Ein Sklave war  „ein Stück  zwischen 30 und 35 Jahre alt, 5 Fuß 11 Zoll hoch und ohne körperlichen Defekt“.  Die Spanier handelten in Tonnen. Eine Tonne Sklaven entsprach drei Personen. 10.000 Tonnen, also 30.000 Menschen, war eine Lieferung, die von Agadir nach Westen geschickt wurde.

Rohlfs beschreibt in seinem Buch die blühenden Mandelgärten, die Terrassen, auf denen Gerste wächst (aus der man Bier macht), die großen runden Granitkugeln, die die Landschaft zieren, als hätten Götter mit Murmeln gespielt und das reiche kulturelle Leben. Die Kugeln gibt’s noch, die Mandelbäume auch.

 

 
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Tatsächlich geht es pünktlich um 9 Uhr los, schließlich brauchen wir dieses Jahr nicht auf den  Gouverneur von Tisnit zu warten. Da Schusswaffen in Marokko verboten sind, schickt uns Lahcen mit einer Gas-Tröte auf die 47 Kilometer Strecke.

Zügig geht es von Tafraout (1000m ü.M) durch die Kugeln des rosa Granits hinab ins Ammelntal, das wegen seines kulturellen  Erbes unter UNSECO Schutz steht. Die Ammeln erfanden die Ölmandelpaste Amlo (daher der Name), die mit Arganöl gemischt wird. „Marrokanisches Nutella“ nennt man diese köstliche Kalorienbombe, die es selten offiziell zu kaufen gibt.

Als der rosa Granit abrupt aufhört, stehen wir genau auf der Kontinentalgrenze zwischen der afrikanischen und der eurasichen Platte. Die Trennlinie ist stark zerrissen, unsere Laufstrecke entlang des Trockenflusses folgt ihr aber relativ gut. Vor uns wurde das Tiefengestein zu einer 2400 Meter hohen Wand  geformt, dem Jebel Lekst, der mit dem „Löwenkopf“ grüßt. Hinter uns  die wundersamen, grobkörnigen, rosa Granitgesteine, die einst in den  Vulkanen endstanden, die jetzt die Kanaren formen.

 

 
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In Oumesnat ist die erste Wasserstation, bei Ighaln überqueren wir den Trockenfluss und biegen ab zurück nach Tafraout, um wieder auf die Afrikanische Platte zu steigen. Wie immer verlaufe ich mich hier. Ist ja nicht schlimm, brauche nur zu beobachten, wo die nachfolgenden Läufer langlaufen, dann habe ich wieder den Weg, über den wir 500 Meter Höhenunterschied bewältigen müssen.

Oben werden wir mit einem wunderschönen Blick zurück ins Ammelntal belohnt, vor uns das wunderschöne Hochtal mit haushohen Granitkugeln. Hier leben recht viele Nomaden in schäbigen Plastikkonstruktionen: „Labas?“ ruft mir einer zu. „Abas, o.k.! “ winke ich zurück. Die Regierung stellt ihnen Wasser und Getreide zur Verfügung, Geld fließt nicht. Sie dürften eigentlich in einer der zahllosen neugebauten Wohnungen der Stadt ziehen, wollen sie aber nicht.  Sie ziehen die Freiheit vor. Die Einnahmen aus Schaf- und Ziegenhaltung sind ziemlich gut. Letztes Jahr hatte ich die vergorene Ziegenmilch probiert. „Grausam“ ist keine ausreichende Beschreibung.

Grausam sind auch die winzigen Zellen, die einst die Römer in die Felsen frästen, um Aufständische in Einzelhaft zu halten. Letztes Jahr bin ich noch in eines der winzigen Löcher reingekrochen, heute will ich unter die ersten 10 Läufer kommen. Sollte mir gelingen, oder?

 

 
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Der Zweite VP ist ausgerechnet da, wo gerade eine Bohrung nach Bodenschätzen durchgeführt wird. Früher sind wir über den Platz der modernen Nomaden gelaufen, dem Campingplatz, einem der schönsten der Welt. Dieses Jahr geht es oben entlang, wo die seltenen Regenfälle eine Achterbahn in die Felsenlandschaft gefräst haben. Das ständige Auf und Ab macht Spaß. Der Untergrund besteht aus zerbröseltem Granit. Wenn allerdings Brösel in meinem Schuh landen, dann geben Brösel keine Gnade.  Jeder Brösel bröselt vor sich hin und dröselt sich ein.   

Letztes Jahr haben mir die Hartfüßler aus dem Saarland den Einstieg zum nun folgenden Aufstieg gezeigt, dieses  Jahr irre ich wieder rum. Dann sehe ich die wachsbleiche Kanadierin, die zielstrebig  den Einstieg findet und laufe direkt über die Felsen nach oben, um sie abzupassen.  

Wir kommen nun in das Gebiet, das Gerhard Rohlfs 1860 beschrieben hat: Die Terrassen, auf denen Gerste für Bier und Zuckerrohr angebaut wurden. Das Klima ist jetzt nicht unbedingt trockener als damals, der Arbeitsaufwand für die Instandhaltung der Terrassen und der Bewässerungsanlagen ist aber zu aufwändig geworden.

An einem bis auf die Grundmauern zusammengefallenen Farmgebäude klappert einen Brunnengestell, als wäre ich in einem Italowestern. Ein paar stolze Palmen strotzen der Trockenheit, dann kämpfe ich mich durch Feigenkakteen. Kakteen sind keine Afrikaner, sondern Amerikaner. Die Feigenkakteen wurden hier vor 200 Jahren angebaut, nicht um die Früchte zu essen. Es gibt dann noch Anis- Absinth- und Dattelschnaps. Das Selbstbrennen ist natürlich verboten.   

 

 
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Brennen tut nur die Sonne, die Temperatur ist mit 20 Grad aber o.k. Als ich nun jedoch die folgenden 10 Kilometer durch die Steinwüste laufen soll, habe ich Probleme. Die letzte Woche im Land Rover war für die Laufgesundheit nicht gut.

Im Hochtal sind schöne Wochenendhäuser gebaut worden, sie werden im Hochsommer genutzt, wenn es in den Städten zu heiß wird. Mein Lauf wird nun einsam, die 29 Kilometerläufer haben schon bei km 22 die Abkürzung genommen. Der Laden, wo ich sonst eiskalte Cola kaufte, ist verfallen.

Bei Kilometer 32, versteckt in einem Gebäudeeingang, ist der nächste VP.  Die zwei freundlichen Helfer am Verpflegungspunkt sprechen nur Tachelit, den hiesigen Berberdialekt.  Deswegen braucht es lange, bis ich die Information habe, wie weit es noch bis zum Ziel ist. Erst seit Kurzem dürfen die Berber ihre Sprache in der Schule lernen. Erste Fremdsprache bleibt Arabisch, Französisch gibt es erst in der fortführenden Schule. Neuerdings darf auch die Berberschrift Tifinagh verwendet werden, man findet sie daher auf vielen Ortsschildern. Man kann in Tifinagh, das stark germanischen Runen ähnelt, keine Texte schreiben. Eine einheitliche Schriftweise für Orte, oder gar für die Sprache (Tachelit/Tashelhiyt) setzt sich erst allmählich durch. Bei Ortsnamen setzt sich die Schreibweise durch, die die Buslinien verwenden.  

Tachelit wird gerne mit rudimentärem Spanisch aufgehübscht.  So erfahre ich, dass ich nur noch 15 Kilometer zu laufen habe. Die neue Laufstrecke führt nun entlang eines Steilufers, das irgendwann mal Wasser gesehen hat.

Dann jedoch folgt ein umgedrehter Teller aus Steinwüste, mit einem Durchmesser von 10 Kilometern. Die Markierung ist hervorragend, wäre auch für Harald Lange sichtbar. Auf den erhobenen Felsen sitzen die witzigen Fahlbürzel, wie die Finken auf Deutsch genannt werden. Sehr viel interessanter sind die Wüstenläuferlerchen, die kleinen Rennkuckucken gleichen und vor mir wegflitzen. Wüstentrappen habe ich letzte Woche gesehen, die werden von Touristen von der arabischen Halbinsel mit Falken gejagt. Marokko ist auf diese Leute angewiesen, die auch die zierlichen Cuvier-Gazellen erlegen. Rund um Tafraout gibt es geschätzt 500 Cuvier-Gazellen.

Wenn von Läuferinnen die Rede ist, dann redet man auch von den „Gazelles“, die werden aber nicht erlegt. Ansonsten sieht man oft die Atlashörnchen, die den amerikanischen Streifenhörnchen ähneln. Es gibt dann noch die Verwandten der Elefanten, die witzigen Klippschliefer, die wie Nagetiere aussehen. Sie nutzen jahrelang  auf exponierten Steinen denselben Platz als Klo.

Mobarak, der jüngere Bruder von Rachid Elmorabity und Mustafa haben auch markiert, aber mit roter Farbe und viel Spaß, quasi flächendeckend. In zwei Monaten wird von der Farbe nichts mehr zu sehen sein.

Die Farbe, mit denen ein Künstler in den 70ern die Felsen hellblau und rosa angemalt hat, wurde jetzt neu aufgetragen. Ist nicht unbedingt unser Geschmack, aber die marokkanischen Touristen lieben diese Farbspielereien. Heute am Nationalfeiertag sitzen viele im Schatten der Akazien, machen Picknick, hinterlassen keine Fußspuren aber leere Sardinendosen und hellblaue Plastikflaschen, die sich wunderbar zwischen die hellblauen Granitsteine einfügen.

Wir kommen nach Agrd Odad, einem kleinen, sauberen Dorf, über dem der berühmte Felsen, der Chapeau de Napoleon, thront. Eine moderne Legende sagt, Napoleon hätte seinen Hut dort oben auf dem Felsen hinterlassen, dabei war der Korse nie hier gewesen.

Ein schöner Lauf geht zu Ende. Rechts, vor dem Kreisel winkt eine bayerische Fahne. Harry ist der einzige Deutsche, der in Tafraout lebt: „ Wozu soll ich französisch lernen? Spricht doch eh keiner hier“. Er verleiht gepflegte MTB´s (hier VTT genannt) und bietet preiswerte Übernachtungen.

Bevor wir den belebten Kreisel erreichen, winkt mich ein Helfer nach links in die Souks. Die spanische Touristengruppe ist ehrlich begeistert von meinem Zieleinlauf, die örtliche Jugend auch, denn die haben alle schon mal versucht, einen Teil dieses Trails zu laufen. Er ist nicht einfach, aber mein absoluter Geheimtipp.
Gratulation an Karl Heinz, der sich zu seinem 60ten Geburtstag mit dem zweiten Platz der Deutschlandwertung bei den 29 Kilometern beschenkt hat.

 

Im nächsten Jahr werde ich dieses Saharatour wiederholen: 4. November 2018  Zagora Sahara Trail, 21. November 2018 Tafraout Atlas Trail. Das Programm zu dieser Wüstentour wird von interair.de angeboten.

 

Informationen: Tafraout Atlas Trail
interAir GmbH Sport- und Incentive-Reisen
D-35415 Pohlheim
http://www.interair.de
Veranstalter-WebsiteE-MailOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
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