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24.10.08 - Grand Raid Reunion

Grand Raid Reunion: Der härteste Berglauf der Welt

Warum in die Ferne schweifen wenn es doch so viele schöne Bergläufe in Europa gibt? Gehen dir die Ziele aus? Oder, wo um alles in der Welt ist denn Reunion? Diese oder ähnliche Fragen wurden mir in den Tagen vor dem Lauf häufig gestellt. Jetzt in der Rückschau fällt es mir leicht, solche oder ähnliche Fragen schlüssig zu beantworten. Vor dem Lauf wusste ich nur, dass ich dort um jeden Preis laufen will. Egal wie weit entfernt und wie schwer dieser Lauf auch sein möge, ich wollte die “Diagonale  der Verrückten“, einen Abenteuerlauf quer über die Tropeninsel machen. Basta!

Der “Grand Raid“, auch offiziell die “Diagonale der Verrückten“, genannt findet auf der Insel La Reunion im indischen Ozean statt. Die Insel gehört zu Frankreich und liegt 800 km östlich von Madagaskar und gehört mit Mauritius das 200 km entfernt liegt, zu dem Maskaren. 

 
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La Reunion hat 770.000 Tausend Einwohner, die etwa zu 25 % indischer, 30 % europäischer und 3 % chinesischer  und 42 % aus Europäern vermischten afrikanischer Sklaven besteht.

Das Klima auf Vulkaninsel Rèunion ist tropisch-sommerfeucht. Es reicht von Dschungel bis zum Steppenklima und hat weltweit die größten Niederschlagsmengen. 2007 zum Beispiel wurden in drei Tagen 390 Zentimeter Regen gemessen, ein Weltrekord für diese Zeitspanne. Deutschland hat einen durchschnittlichen  Jahresniederschlag von ca. 700 mm. Die Insel ist etwa 2 Millionen Jahre alt und entstanden, als der Vulkan Piton des Neiges aus dem Indischen Ozean aufstieg.

Noch heute ist der “Piton de la Fournaise“ einer der aktivsten Vulkane weltweit. Viele Teile der Insel, die in Talkesseln liegen, sind sehr abgelegen und nur zu Fuß oder per Hubschrauber zu erreichen.

Der Lauf

Der Gand Raid hat eine Streckenlänge von 150 km mit 9200 positiven Höhenmetern, die innerhalb von 64 Stunden absolviert werden müssen. Die Strecke führt einmal quer über die Insel von Süden nach Norden.

Es ist Freitag, 24. Oktober 2008 gegen 17:00 Uhr. Wir fahren von unserem Hotel in Saint-Denis zum Startort Saint Philippe. Es ist eng in unserem kleinen Renault, es ist so eine Art Clio mit Kofferraum, den wir gemietet haben. Zum Glück darf ich vorne sitzen. Hinten haben sich Norman Bücher mit seiner Freundin Sabine und Jack Liver, der über einsneunzig ist und damit einige Zentimeter größer ist als ich, „bequem“ gemacht.

Die Fahrt gestaltet sich recht anstrengend. Meine Frau Sabine fährt und ist bemüht, möglichst keine der vielen herumirrenden Hunde oder gar einen der vielen Fußgänger, die zahlreich am Rande der unbeleuchteten Straßen herumlaufen, anzufahren.  Nach etwas Suchen erreichen wir dann nach zwei Stunden den Stade Basse Vallèe wo um 0:00 Uhr der Start stattfindet.

Gegen 21:00 Uhr, eine lange Schlange hat sich bereits vor dem Eingang bebildet, dürfen wir endlich in das Innere des Stadions. Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Die Ausrüstung wird auf Vollständigkeit geprüft. Kein Problem, die Pflichtausrüstung haben wir im Vorfeld mehrfach gecheckt und so können wir die Prozedur mit gutem Gefühl über uns ergehen lassen.

Dann sind wir im Inneren des Stadions, wo es Verpflegung gibt. Wir schlagen ein letztes Mal zu und gehen gestärkt Richtung Startlinie. Dort setzen wir uns und beobachten aufmerksam das Treiben und die Läufer. Es ist dasselbe Aufgeregtheit, wie man sie von den gewöhnlichen  Marathonläufen auch kennt. Die 2300 Athleten sehen nur anders aus mit ihren Rucksäcken, Gamaschen, Kompressionssocken und den Legionärskappen. Irgendwie sieht das wichtig aus.

 
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Jetzt eine halbe Stunde vor dem Start herrscht ein für Norman und mich nicht nachvollziehbares Gedränge. Jeder will scheinbar aus der ersten Reihe starten. Wir sind gezwungen aufzustehen, da wir Angst haben, unter die Räder bzw. Füße zu kommen. Kaum nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass wir vielleicht 50 oder 60 Stunden härtesten Wettkampf vor uns haben.

Die halbe Stunde bis zum Start vergeht nur langsam, die Sprecher kennen nur eine Sprache, sodass wir nicht das Geringste verstehen.  Jack, der uns übersetzen könnte, haben wir aus den Augen verloren. Also hören wir weiter dem französischen Sprecher zu und beobachten die Feuerschlucker vor der Startlinie. die eine tolle Show abliefern.

Dann endlich ist es soweit, der Start. Die Athleten, darunter elf Deutsche, werden auf den Weg quer über die Insel geschickt. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass etwa die Hälfte durchkommt. Mit entsprechendem Respekt laufe ich los.

Ich traue meinen Augen kaum, hier wird losgelaufen wie bei einem fünf Kilometerwettkampf. Ich werde regelrecht bedrängt und in dem Sog mitgezogen. Es ist ein fünfer Schnitt, der hier gelaufen wird. Ich lasse mich etwa einen Kilometer mitreißen und gehe dann rechts raus und lasse die wild gewordene Windhundbande an mir vorbeiziehen. Die meisten von euch werde ich sowieso wieder einholen, das ist sicher, denn auf so einer Strecke so ein Tempo, dazu noch mit einen schweren Rucksack, das kann nicht gut gehen, niemals. 

Nach einigen Minuten reihe ich mich wieder ein und laufe jetzt wohl einen angenehmen sechser Schnitt. Norman habe ich jetzt auch noch aus den Augen verloren.

Ich laufe auf einer Teestraße. Es ist wohl das einzige Stück das flach ist, entsprechend genieße ich es. Einige Zuschauer haben sich am Straßenrand versammelt, sie feuern uns euphorisch an. Klasse Stimmung, der Blick nach vorne auf die vielen Läufer mit ihren Stirnlampen ist phantastisch. Wie ein Lindwurm zieht sich das Feld auseinander.

Wir biegen in einen Feldweg und hier kommen die ersten Höhenmeter. Noch sind es sanfte, moderate Steigungen, die angenehm zu laufen sind. Hier sammele ich schon die Ersten Windhunde wieder ein. Nach 15 Kilometern kommt die erste Verpflegungsstelle.  

Ich brauche nichts. Ist auch besser so, denn hier sind die Tische so gut wie leer, weil die Helfer dem Ansturm nicht gewachsen sind. Die Startnummer wir gelocht und jetzt geht der Raid richtig los. Wir haben knapp 800 Höhenmeter überwunden. Mir geht es super, ich bin frisch und freue mich, jetzt endlich in den Dschungel abzutauchen.

Jetzt kommen 1800 Höhenmeter auf etwa 9 Kilometer.

Der Weg ist steil, sehr steil, leider ist es noch dunkel und man erkennt nur den von den Stirnlampen ausgeleuchtet kleinen Bereich. Auf jeden Fall ist es ein steiler Dschungelpfad, der von Wurzeln und Steinen übersäht und teilweise wirklich richtig rutschig ist. Ab und zu kommt es zu kleineren Staus. Das ist meistens dann der Fall, wenn man die Hände zu Hilfe nehmen muss. Die Drängler aus den Berichten von Bernhard und Eberhard halten sich in Grenzen. Mir macht der Aufstieg Spaß, das ist die Herausforderung die ich gesucht habe. Die Ersten kommen mir schon entgegen. Sie haben schon am ersten Berg aufgegeben. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen!

 
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Langsam aber stetig änderte sich der Bewuchs, die Pflanzen werden kleiner, bis es nur noch Krüppelgewächse und Sträucher gibt. Es wird langsam hell und gegen 7:00 Uhr erreichen wir den Foc Foc am Vulkanrand des „Piton De La Fournaise“. 

Die Landschaft sieht hier völlig anders aus. Karg, fast keine Vegetation und die Erde ist rot und reflektiert im Sonnenlicht. Norman ist mittlerweile wieder zu mir aufgeschlossen. Wir füllen hier unsere Getränkeblase und verköstigen uns. Dann laufen wir fasziniert am Krater des Vulkanes entlang. Der „Piton De La Fournaise“ ist im April 2007 zum letzten Mal ausgebrochen. Der Lavastrom hatte die Küstenstraße überrollt. Die Aufräumarbeiten dauerten  Monate und die Küstenstraße wurde wieder mal über die erstarrten Lavamassen hinweggebaut.

Wir sind zügig unterwegs und können uns kaum satt sehen an der Landschaft. Der schroffe Vulkankegel eines der aktivsten Vulkane der Welt. Dann diese braune Lavawüste mit ihren vielen Farbschattierungen, unglaublich!

Die Zeit vergeht im Nu und wir erreichen die Cut off Station “Route du Vulkan“ nach 7 Stunden 45 Minuten. Wir haben jetzt 31 Kilometer und 2590 Höhenmeter zurückgelegt und einen Vorsprung auf die Cut off Zeit von knapp zwei Stunden herausgelaufen. Nach sieben Minuten sind wir schon wieder auf der Strecke. Ich gönne mir eine Minisalami aus meinem Rucksack, die ich mir als Aufmunterung und Belohnung mitgenommen habe. Der Geschmack ist hier oben auf über 2300 Meter noch besser als sonst.(Sicher Einbildung, aber nach 8 Stunden kommt es mir so vor).

Es ist heiß geworden und der Weg führt durch den „Plaine des Sables“ auf eine Felswand zu.

Ein Hubschrauber kreist über uns und fliegt langsam über die Felswand. In der Felswand erkenne ich, wie sich die Läuferschlange noch oben windet. Wir sind am Fuße der Wand angekommen und kämpfen uns unter sengender Hitze nach oben. Die Strecke ist kurz, laut meiner Uhr sind wir 900 Meter Wegstecke mit knapp 300 Höhenmetern hinaufgeklettert. Recht beschwerlich bei der Hitze, aber dafür hat man einen schönen Blick über den zurückgelegten Weg.

Danach ändert die Landschaft wieder völlig ihr Aussehen. Wir marschieren auf Steinpfaden, umgeben von wilden Sträuchern und kleinen Bäumen. Das Gelände ist leicht hügelig und bereitet nur wenige Schwierigkeiten.

Nach dem wir Kilometer 40 passiert haben, verändert sich die Landschaft erneut. Erst sieht  es aus wie in der Steppe Afrikas, dann sehen wir saftig grüne Weiden, mit hinter Stacheldraht weidenden Kühen. Leitern aus Holz oder Metall müssen wir nun öfters als Überstiegsmöglichkeit für den Stacheldraht nutzen.  Ich finde das amüsant und witzig zu gleich. Norman geht es wohl ähnlich. Wir machen hier das ein oder andere Foto und sind froh, dass wir mit Zeitlimit nichts am Hut haben.  Wir wollen dieses Abenteuer gesund und unbeschadet überstehen, da spielt die Zeit nicht die geringste Rolle. Es macht auch keinen Sinn, wenn man dieses Naturspektakel im Vorbeirennen nicht wahrnimmt.  

Dann gegen 11:30 Uhr erreichen wir Mare à Boue eine weitere Cut Off und Verpflegungsstelle.  Wir sind gut in der Zeit und verpflegen uns hier erstmal ordentlich. Dann geht es weiter. Wir haben jetzt 50 Kilometer geschafft und ich will unbedingt den Abstieg nach Cilaos bei Kilometer 69 im Hellen schaffen. Bernhard Sesterheim und Eberhard Ostertag haben mir vorab eindringlich dazu geraten, wenn möglich diesen Abstieg bei Tageslicht zu absolvieren. Dieser Tipp sollte noch Gold wert sein!

Mittlerweile hat Regen eingesetzt und macht die Sache nicht leichter. Es geht stetig bergauf über Wurzelpfade und schlechten Untergrund. Wir brauchten hier sehr lange, der Boden ist aufgeweicht und rutschig. Mein Magen macht mir zunehmend Probleme. Ich spürt einen zunehmenden Druck, der mir das Vorankommen immer schwerer macht. Ich verabschiede mich von Norman und gehe in die Büsche.  Zum Glück ist man ja als Raider voll ausgestattet und hat natürlich Toilettenpapier im Rucksack. Es dauert einige Zeit bis ich fertig bin und die Verfolgung von Norman wieder aufnehmen kann. Die Strecke hat es in sich, Eisenleiter hinunter, am Abgrund entlang und immer wieder gefährliche Stellen, die ich sehr langsam überwinde.

Ich habe Norman wieder eingeholt und wir laufen jetzt erstmal bergab, dann wieder bergauf.  Norman ist etwas schneller als ich und zieht langsam davon. Ich gehe den Berg hoch mein Tempo, alles andere macht keinen Sinn. Irgendwann ist dann auch bei der schlimmsten Steigung mal das Ende erreicht. Vom Profil und den reinen Höhenmetern her hätte dieses Stück kein Problem darstellen dürfen. Dennoch habe ich mich hier richtig schwer getan. Jetzt geht es auf einer Wendestrecke Richtung Verpflegung am “Piton des Neiges“. Hier kommt mir Norman entgegen und wir begrüßen und freudig.

Da es nur elf deutsche Teilnehmer gibt, ist es schwierig sich zwischendrin mal zu unterhalten. Englisch ist bei den meisten Franzosen leider verpönt. Nach 10 Minuten erreiche ich den  Verpflegungspunkt. Ich fülle die Trinkblase mit Wasser und Buffer, esse ein paar Rosinen und ziehe weiter. Es ist fast 16:00 Uhr und in zweieinhalb Stunden ist es hier auf der Insel stockdunkel. In meinem Kopf dreht sich alles um den Abstieg nach Cilaos. Ich will ihn nicht im Dunkeln machen. Es geht jetzt ein letztes Mal hoch und dann sehe ich ihn, den Abstieg.

Die Strecke schlängelt sich super steil den Berg hinunter.

Ich werde von einer Läuferin überholt und trotte ihr hinterher. Eigentlich ist mir das Tempo auf diesem steilen Stück viel zu schnell. Aber irgendwie schaffe ich es, dran zu bleiben. Das Gute daran ist natürlich, dass ich bei der Geschwindigkeit voll konzentriert auf den Boden vor mir schaue. So nehme ich dieses gefährliche Stück nicht wahr. Dann komme ich ins Rutschen, nicht schlimm, ich kann mich sofort wieder abfangen. Aber jetzt ist es vorbei mit dem hohen Tempo. Ich schaue mich um und bekomme einen Eindruck von dem Gefälle. Ein falscher Schritt und es ist aus.

Ich verliere die Läuferin aus den Augen. Dann kommt wie aus dem Nichts ein Einheimischer von hinten. Der muss verrückt sein! Ich springe zur Seite und lasse den Wahnsinnigen vorbei. Es ist vielleicht eine Minute vergangen und ich höre den Einheimischen schreien. Er ist gestürzt, ich eile herbei und helfe dem Läufer wieder auf. Er ist an einem Stein hängen geblieben sonst wäre das Ganze wohl viel schlimmer ausgegangen. Sein Knie blutet stark. Die Französin, die vor mir war, ist wieder zurückgekommen und hilft mir das Knie zu verbinden. Der Junge ist zäh, spricht sogar englisch mit mir. Er läuft weiter mit der Französin und mir im Schlepptau. Das Tempo ist super, wir unterhalten uns und wissen, es gilt keine Zeit zu verlieren, denn es dämmert schon.

Ich brauche gerade mal anderthalb Stunden für den Abstieg und das trotz der 10 Minuten, die das Verbinden gedauert hat. Nicht schlecht für die etwa 1000 Höhenmeter.

 
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Ich bin überglücklich als wir im strömenden Regen Cilaos erreichen. Es ist 18:20 Uhr als wir in dem Stadion ankommen. Ich klatsche mit dem Einheimischen ab und sage zu ihm: „ You are a Hero“. Er lächelt mich kurz an, bedankt sich bei mir für die Hilfe und geht dann humpelnd zu den Sanitätern. Das Blut ist mittlerweile vom seinem Knie bis in die Schuhe gelaufen.

Ich versuche mich zu orientieren, ohne Erfolg. Auf mein Nachfragen, wo es denn die deponierten Sachen gibt, bekomme ich nur Achselzucken. Wieder versteht keiner Englisch. Nach fünf Minuten entdecke ich dann die Abgabestelle für das Gepäck. Es ist ein trauriges Bild. das sich mir hier bietet. Die deponierten Sachen stehen auf dem Sportplatz mitten im Regen. Das muss ich fotografieren sonst glaubt mir das hinterher keiner.

Ich lasse mir meinen Sack geben. Zum Glück habe ich alles in eine Plastiktüte gesteckt, sonst wären die Sachen jetzt genauso nass wie die die ich anhabe. Andere mit Sporttaschen haben da nicht soviel Glück. Einige Meter weiter ist eine Halle, in der es Duschen und Essen gibt. Ich kann nicht begreifen, warum man die Gepäckstücke nicht kurzerhand dort untergebracht hat. Ich verstehe es nicht und versuche es auch nicht zu ergründen. Es ist sowieso zwecklos! Die Franzosen nehmen das mit Gleichmut und ohne jede Regung hin.

Das spiegelt wohl auch den Geist dieser Veranstaltung gut wieder. Egal was kommt es wird ohne Murren hin genommen. Ich bin sicher, in Deutschland hätte man den Helfern ihren Pavillon abgerissen. Dann treffe ich Norman wieder, der ist einige Minuten vor mir hier eingetroffen ist. Wir gehen zusammen in die Halle und essen Hähnchen mit Reis. Getränke gibt es hier keine, was mich leicht irritiert aber nicht weiter wundert.

Dann irre ich umher weil ich auf die Toilette muss. Ich werde von einer in die andere Ecke geschickt und bin völlig genervt. Jetzt greife ich mir einen Helfer und fordere ihn auf mitzugehen. Ich stampfe einmal mit ihm um das Gebäude herum und stehe vor den Toiletten. Diese sind für beide Geschlechter und vor der Tür ist eine längere Schlange von Nichtläufern.  Nach weiteren fünf Minuten lässt mich ein freundlicher Herr vor. Ich bedanke mich artig und verstehe nur „Priorität“.

Das war wichtig, jetzt kann es weiter gehen. Zum Glück, denn ich habe bestimmt 20 Minuten verloren. Mein Handy klingelt, Sabine ist dran. Sie will wissen wo ich bleibe, sie ist nach Cilaos gekommen und wartet am Ausgang des Stadions auf mich. Ich stampfe zum Ausgang und freue mich. meine Frau begrüßen zu können. Das Reden tut gut, ich fülle meine Trinkblase mit Wasser und meine Getränkeflasche mit Cola. Dann geht es weiter, Sabine geht noch ein Stück mit.

Am Ende des Ortes Cilaos, was soviel wie “Da geht kein Feigling hin“ bedeutet, geht es dann wieder in den Dschungel. Wir verabschieden uns und ich laufe in die Dunkelheit. Norman hat jetzt 20 Minuten Vorsprung, die gilt es aufzuholen. Nach wenigen Metern kommt eine Kreuzung, ich suche verzweifelt nach einer Banderole. Vergebens,  es gibt keine Markierung. Also laufe ich den ersten Weg entlang, es kommt und kommt keine Markierung. Wieder zurück in den zweiten Weg. Auch hier kommt keine Markierung und ich muss wieder zurücklaufen. Dann bleibt ja nur noch der dritte und letzte Weg. Aber auch hier kommt keine Markierung. Sicher hat irgend so ein Scherzkeks sich einen Spaß erlaubt. Ich laufe erneut zurück weil ich mich nicht im Dschungel verirren will.

Das ist das Letzte was ich brauchen kann. Nach 20 Stunden nervt das ernorm. Plötzlich höre ich Laute und kann drei Lampen erkennen. Die Rettung naht! Die Drei kommen auf mich zu und ich erkläre ihnen, dass hier die  Markierungen fehlen. Der Leader der Gruppe biegt nach rechts ab und gibt mir zu verstehen dass er die Strecke kennt. Ich folge den Dreien. Ich kenne die Gruppe bereits vom Sehen. Die haben mich schon mindestens dreimal im Laufe dieses Rennes überholt.Ob die sich immerzu schlafen legen und Zwischenspurts einlegen?

Das Tempo der Drei ist hoch, da mir kalt ist und es immer noch regnet, schließe ich mich den Dreien an. Wir sammeln Stück für Stück Läufer ein. Irgendwann treffen wir so auch auf Norman. Ich freue mich ihn zu sehen. Wir nehmen Tempo raus und kämpfen uns zu zweit weiter. Wir überqueren ein Flussbett und sind immer auf der Suche nach dem Bänder die den Weg kennzeichneten. Wir sind jetzt ganz alleine unterwegs und die Geräusche hier sind teilweise sehr ungewohnt. Ich höre ein Schlagen, so als ob ein Specht ein Loch in einen Baum hämmert. Aber im Dunkeln und so spät abends. Gibt es hier überhaupt Spechte? Ich denke nicht, habe aber keine Ahnung.

Jetzt geht es wieder munter auf und ab und dann haben wir eine Höhe von 920 Metern erreicht. Jetzt steht wieder ein Superberg an, der “Col du Taibit“ muss überwunden werden. Das bedeutet 1300 Höhenmeter auf einer Streckenlänge von etwas über fünf Kilometern. Die Strecke ist sehr schlecht und natürlich sehr steil. Hier findet man ständig Läufer, die sich in ihre Überlegensdecken eingehüllt haben und schlafen. Meistens sind es Gruppen von mehr als fünf Personen.

Wir werden zunehmend müder und überlegen uns, auch eine Schlafpause einzulegen. Dann beschließen wir aber, bis Marla durchzuhalten und uns dort für eine halbe Stunde hinzulegen. Der Aufstieg dauert ewig und will einfach nicht enden. Nach knapp 4 Stunden haben wir es dann geschafft und sind oben angekommen. Jetzt noch mal 2,8 Kilometer bergab und wir können uns in Marla ausruhen.

Die 500 Höhenmeter Abstieg haben es in sich. Ich sehe nicht mehr richtig. Meine Lampe wird immer schwächer. Man kann Marla im Tal erkennen. Der Weg ist hier megasteil. Stufen von über 40 Zentimeter zwingen mich ständig zum springen. Für die 2,8 Kilometer brauchen wir am Ende zwei Stunden.

In Marla angekommen, trennen wir uns und verabreden uns in einer halben Stunde wieder. Es gibt ein Zelt, in das man sich legen kann. Man liegt auf dem Boden und deckt sich mit seiner Überlegensdecke zu. Ich bekomme einen Platz in der Mitte zugewiesen. Ich lege mich hin, stelle meine Uhr und versuche zu schlafen. Nach wenigen Minuten bekomme ich einen Schlag von meinem Nebenmann. Ich bin gerade am Einschlafen. Jetzt  bin ich wieder hell wach und höre leise Musik. Keine Ahnung wo die herkommt. Ich kann nicht einschlafen. Mein Nebenmann steht auf und tritt mir auf die Füße. Mir reicht es, ich stehe auf und beende die erfolglose Schlafaktion.

Ich fülle meine Trinkblase, die Trinkflasche mit Cola gegen die Müdigkeit und futtere Süßigkeiten. Die Uhr piepst, die halbe Stunde ist um. Ich suche nach Norman, kann ihn aber nirgends finden. Vielleicht hat er verschlafen oder er ist schon mal weiter gezogen. Mir ist es kalt, man sieht den Atem und es regnet immer noch. Ziemlich steif beschließe ich, langsam weiter zu laufen.

Aber was ist dass? Ich höre immer noch die leise Musik. Sind das jetzt schon Halluzinationen? Dann greife ich in die Tasche meiner Jacke und stelle fest, dass mein iPod an ist. Ich habe beim Schlafen die Jacke als Kopfkissen benutzt und dabei wohl das Teil angeschaltet. So, wäre das auch geklärt.

Ich fühle mich gut, bin alles andere als müde. Ich fühle mich einfach nur gut und genieße es, die nasskalte frische Luft einzuatmen. Das Leben ist in diesem Moment so intensiv wie selten. Mein Wille unglaublich stark. Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal an das Ziel gedacht. Mein Denken richtet sich nur auf den nächsten Meter, ja sogar oft nur auf den nächsten Schritt. Ich habe Spaß, das fährt mir durch den Kopf. Meine Beine sind wieder lockerer und ich freue mich, dass ich an diesem Abenteuer teilnehmen darf. Es gibt nicht den geringsten Zweifel an dem positiven Ausgang dieses Unterfangens. Das ist gut so!

Es ist jetzt 2 Uhr und das Zeitlimit in Marla bei Kilometer 83 war 7 Uhr. Ich bin jetzt ganz alleine auf weiter Flur. Das Motto ist klar, weiter und weiter, das ist einfach, auch nach 26 Stunden. Der Weg schlängelte sich jetzt auf und ab und führte fast ausschließlich über große Steinbrocken. Klettern und springen ist angesagt. Ich werde jetzt öfters überholt. Mir fällt es schwer im Dämmerlicht zu laufen. Das ist nichts für mich!

 
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Vom Streckenprofil her scheint dieses Stück nicht besonders schwierig zu sein. Aber das täuscht gewaltig. Ich komme nur langsam voran, zum Glück wird es hell und ich kann meine Stirnlampe einpacken. Beim Blick zurück erkenne ich ein bekanntes Kopftuch. Norman hat wieder aufgeschlossen. Er hatte etwas länger geschlafen als geplant. Gemeinsam kämpften wir uns einen Bachlauf entlang, mit, wie es Bernhard in seinem Bericht genannt hat, “Riesenkiesel“. Hier hilft nur ein beherzter Sprung von einem auf den nächsten Stein.

Der Regen hat aufgehört und wir haben jetzt strahlend blauen Himmel. Die Sonne brennt unerbittlich und hier im Talkessel steht die Luft.  Wir reiben uns mit Sonncreme ein und ziehen weiter. An der Verpflegungsstelle Trois Roches versorgen wir uns mit Nudelsuppe und ich schaue mir meine schmerzenden Füße an. Ich habe jede Menge Wasserblasen und beschließe, sie mir bei Kilometer 103 behandeln zu lassen.

Wir wollen weiter, es sind jetzt bestimmt 30°C. Ich schwitze, was das Zeug hält. Es geht abwärts und wieder aufwärts, wie könnte es auch anders sein bei diesem Lauf. Wir kommen gut voran, obwohl wir ständig über die “Riesenkiesel“ springen müssen.

Dann erreichen wir Roche Plate eine weitere Cut off Station bei Kilometer 95. Wir sind gut in der Zeit und laufen jetzt einen Hügel hoch, auf der anderen Seite wieder runter und wieder hoch. Das geht jetzt vier Kilometer so. Dazwischen muss man immer mal über den ein oder andern Fluss klettern. Dann sind wir am Fuße des “Grand place les Bas Ecole“. Hier gibt es eine medizinische Versorgungsstelle, die per Hubschrauber hergebracht worden ist. Wir setzen uns für einen Augenblick und nehmen dann den Berg in Angriff. Wir haben jetzt fast 12 Uhr und die Hitze ist unerträglich. Hier im Talkessel staut sich die warme Luft regelrecht.

Der Aufstieg ist heftigst. 600 Höhenmeter auf 1,6 Kilometer. Fast senkrecht geht es den Berg hoch und die Sonne scheint gnadenlos ohne den geringsten Schatten. Ich ringe um Luft und tue mir schwer. Nur sehr langsam komme ich voran. Alle paar Meter muss ich trinken denn mein Mund ist ständig völlig ausgetrocknet. Ich pausiere jetzt öfters um wieder Luft zu bekommen. Mir geht es aber nicht alleine so. Ich sehe wie andere ebenfalls in der Wand hängen und nicht mehr weiter können. Ich gebe mein bestes, ich muss es schaffen oben anzukommen bevor meinen Wasservorrat aufgebraucht ist, sonst ist es vorbei. 

Mein Rucksack ist deutlich leichter geworden. Das bedeutet, der Trinkvorrat geht zur Neige. Norman geht es körperlich besser. Er will aber nicht ohne mich weiter. So schlagen wir uns gemeinsam Stück für Stück nach oben. Dann hören wir Läufer von oben herunterschreien. Offenbar der Gipfel und eine Verpflegungsstelle. Eine halbe Stunde später erreichen wir den Gipfel und stellen fest, dass die Läufer herunter schreien, um den kletternden Kameraden Mut zu machen.

Ich könnte eine ganze Wassertränke leeren, so einen Durst habe ich. Es geht bergab. Ein Helfer kommt uns entgegen. Er hat vier, fünf Liter-Flaschen Wasser, die er mit einen Stock über der Schulter trägt. Es hat sich herumgesprochen, dass die Leute in der Wand hängen und kein Wasser mehr haben. Er erzählt uns, dass es noch 10 Minuten bis zum Versorgungspunkt sind. Wir laufen und laufen zwar bergab, aber in der sengenden Hitze ist das kein Vergnügen. Es dauert gut eine dreiviertel Stunde bis wir endlich die Verpflegungsstelle am Mafate erreichen.

Ich lasse mir hier erstmal die Füße behandeln. Eine Frau von etwa dreißig, sie ist die Einzige, die hier der englischen Sprache mächtig ist, versorgt mich rührend. Meine Füße sind voller Blasen. Es ist eine Wohltat, wie sie die Blasen aufsticht und der Schmerz nachlässt.  Sie macht das wirklich super! Ich lasse mir jetzt noch alle Druckstellen von ihr tapen und fühle mich wie neu geboren. Na ja, fast!

An der Verpflegungsstelle lerne ich Dietrich kennen, einen weiteren Deutschen der sich der Herausforderung stellt. Wir lästern jetzt erstmal richtig über das unnütze Höhenprofil ab. Ein völlig absurdes Gekritzel ist das.  Mit der Realität hat das rein gar nichts zu tun. Steigungen von mehreren Hundert Höhenmetern werden einfach unterschlagen.

Dann geht es gut gestärkt weiter. Die Landschaft ist ein Genuss für jeden Naturfreund. Schroffe Berghänge, an denen die Wolken hängen und tolle Vegetationen, von Bäumen bis zu kleinen Sträuchern ist alles da. Die Wege führen an den Bergwänden entlang talwärts und auf der anderen Seite wieder aufwärts. Viele Stufen und steile Kurven müssen wir hier überwinden. Das Wetter ist angenehmer, leicht bewölkt und etwas windiger als noch vor zwei Stunden. Über diese Stück freut sich jeder Ultraläufer, es ist toll und einfach nur ein Genuss hier zu laufen. Wir haben richtig Spaß und kommen ins Schwärmen. Eine Bergformation ist schöner wie die Andere. Kaum zu glauben, dass sich innerhalb weniger Kilometer alles total verändern kann. 

Wir erreichen Aurère, eine Cut off Stelle, die in einem kleinen Häuschen untergebracht ist. Es ist 15:00 Uhr und die Cut off Zeit ist 20:00 Uhr. Also alles bestens! Wir treffen wieder auf Dietrich und ich amüsiere mich abermals köstlich über das Höhenprofil. Das muss eine andere Strecke sein. Norman legt sich eine Viertelstunde hin, während ich mich mit Dietrich unterhalte. Obwohl es nur eine Tür in dem Häuschen gibt ist ein Hinweis-Schild für die Toilette angebracht. Da können die sich in Cilaos mal eine Scheibe abschneiden.

Gegen 16:30 Uhr ziehen wir weiter, denn jetzt kommt ein wilder und gefährlicher Abstieg Richtung “Deux Bras“. Es ist wichtig, dass wir soviel wie möglich davon im Hellen schaffen. Der Weg geht anfangs moderat, dann mündet der Abstieg in einem Flussbett. Hier gibt es wieder die Riesenkiesel. Wir hüpfen von Stein zu Stein bis wir das Tal erreichen. Der Blick lässt nichts Gutes erahnen. Riesenkiesel so weit das Auge reicht und mehrere Flussüberquerungen stehen noch bevor. Aber es geht doch schneller als gedacht.

Wir sind mittlerweile routiniert in solchem Gelände. Über den Fluss springe ich immer mit besonders viel Elan. Von einen zum nächsten Stein. Da habe ich jede Hemmung verloren. Norman geht es ähnlich, während Dietrich, der direkt vor uns ist, zusätzlich noch die Hände benutzt.

Dann ist auch das geschafft und wir haben so etwas wie eine Straße vor uns. Diese steigt einige Meter an und dann erkennen wir Deux Bras. Dort angekommen wird die Startnummer gescannt und wir bekommen unsere hier deponierten Sachen. Wir wollen uns zum Schlafen an die Zelte begeben, als wir von einer deutschen Stimme angesprochen werden. Es ist Heinrich Schütte, ein weiterer Deutscher. Er hat diesen Lauf von seiner Frau geschenkt bekommen.

Norman und ich gehen zu den französischen Soldaten und lassen uns ein Feldbett in einem der Zelte zuweisen. Sogar Decken hat die französische Armee für uns bereitgestellt. Das ist ganz großer Luxus und nur hier an der Station zu finden. Ich liege super. Erstmals spüre ich aber auch, dass es an der einen oder anderen Stelle leicht schmerzt. Nachdem ich nun seit 45 Stunden unterwegs bin, schlafe ich hier zum ersten Mal selig ein.

Ich höre ein leises „Hallo“ und sehe einen schwachen Lichtstrahl vor mir. Es ist ein französischer Feldwebel der mich preußisch pünktlich genau nach einer Stunde weckt. Ich stehe schwerfällig auf und ziehe meine Schuhe wieder an, Rucksack auf und dann schaue ich Norman beim Aufstehen zu. Wir bedanken uns für die tolle Schlafmöglichkeit und gehen zum Essenszelt, wo wir wieder auf Heinrich treffen.  Hier gibt es alles, was das Herz begehrt. Von Suppe bis zu den obligatorischen Hähnchenteilen ist alles dabei.

Wir verköstigen uns in Ruhe und ziehen dann weiter. Es ist 20:00 Uhr und Norman teilt Sabine telefonisch mit, dass wir gegen 22:00 Uhr Dos dÀne erreichen werden. Dort wollen unsere Frauen auf uns warten. Wir sind jetzt vier Deutsche, Dietrich, Heinrich, Norman und ich. Erstmal laufen wir falsch. Selbst zu viert finden wir den Weg nicht auf Anhieb. Bei der Gelegenheit bin ich bis zum Knöchel  in einen Bach getreten.

Dann schaffen wir es doch noch auf den richtigen Pfad. Im Dunkeln ist es nicht einfach die Makierungen auf Anhieb zu sehen.735 Höhenmeter sollen es angeblich bis nach Dos dÀne sein. Die Wegstrecke beträgt 4.5 Kilometer. Das erste Streckenstück lässt sich ganz gut an. Dann geht es aber los mit riesig hohen Steinen und Stufen. Ich schätze mal, die sind immer so 50 cm hoch. Das ist jetzt sehr anstrengend und irgendwann hat es uns vier auseinander gerissen. Norman und ich und dann mit etwas Abstand Heinrich und Dietrich.

Wir brauchen fast genau zwei Stunden nach oben, wo uns Sabine und Sabine schon erwarten. Wir kommen aus dem Unterholz heraus und freuen uns, endlich mal auf einer Teerstraße zu sein. Wir gehen mit unseren Frauen zu der Verpflegungsstelle und verköstigen uns dort. Gleich  kommen auch schon Heinrich und Dietrich hinzu. Dann geht es weiter durch den Ort zum Stade de Dos dÀne bei Kilometer 128. Die zweieinhalb Kilometer gehen wir mit unseren Frauen zusammen.

Wir haben mittlerweile schon viele SMS von Lauffreunden aus Deutschland bekommen, die  unser Rennen im Internet verfolgt haben und uns für das letzte Stück die Daumen drücken. Vielen Dank für die Aufmunterungen. Auf den nächsten drei Kilometern geht es 560 Meter hoch auf den1512 Meter hohen Piton Bâtard. Anfangs läuft es gut, doch dann fängt es wieder an zu regen. Die dritte Nacht ist das jetzt und schon wieder Regen. Der Aufstieg ist hart, immer wenn man denkt, man ist oben angekommen wird man eines besseren belehrt.

Wir sind jetzt auf so einer Art Grat unterwegs. Der Weg ist völlig verschlammt vom vielen Regen. Seitlich der etwa 80 cm breiten Schlammpiste befindet sich niedriger Bewuchs und dann geht es links und rechts in die Tiefe. Zum Glück ist es dunkel und zum Glück geht kein Wind. Der Regen ist jetzt sehr stark geworden. Ich vermute, dass wir hier in den Wolken sind. Die Strecke wir immer gefährlicher, von Meter zu Meter wird es rutschiger. Der Weg, der jetzt folgt, ist so ziemlich das Schlimmste, was ich je gesehen habe.  Mir zieht es die Beine weg und ich lande mit voller Wucht auf der Schulter.

Der Boden ist wie Schmierseife. Wir kommen nur noch zentimeterweise voran.  Wenn ich auf einer Wurzel stehe und den anderen Fuß anhebe, rutsche ich sofort weg. Das ist höllisch und total ermüdend. Wir stoßen jetzt auf eine Gruppe, die um einen Einheimischen Läufer herumstehen. Sie halten uns an und wollen wissen, was der Einheimische tun soll. Er ist so müde, dass er nicht mehr weiter kann. Ich sage ihnen, er soll sich in die Überlebensdecke hüllen und schlafen. Hier oben kann ihn bei diesem Wetter nicht mal ein Hubschrauber wegbringen.

Die Gruppe diskutiert auf französisch während wir weiter den Schlammpfad entlang rutschen. Nachdem wir fast überhaupt nicht mehr vorankommen und sehr verschwenderisch mit unseren Kräften sind, beschließen wir, uns hier hinzulegen und eine Stunde zu schlafen. Es hat gerade aufgehört zu regnen. Norman hüllt sich links vom Weg in die Überlebensdecke und ich rechts des Weges. Ich habe noch nicht richtig meine Schlafposition gefunden, da regnet es schon wieder aus allen Rohren. Es prasselt auf die Decke. Norman verschwindet komplett in seiner Überlebensdecke. Ich hingegen muss mich entscheiden, Füße oder Kopf. Eines von beiden muss außerhalb der Decke ausharren. Ich entscheide mich für die Füße.

Nach einer halben Stunde werde ich wach mit eiskalten Füßen. Ich ziehe sie in die Decke und lege den Kopf, der in der Kapuze der Regenjacke steckt, außerhalb der Überlebensdecke. Nach einer Stunde bin ich völlig durchgefroren und wecke Norman auf. Wir gehen langsam weiter. Die Situation hat sich im Prinzip nicht geändert. Dennoch haben wir wieder Kraft getankt und sind der Strecke besser gewachsen.

Wir brauchen ewig und sind froh, als wir die Verpflegungsstelle Kiosque dÀffouches heil erreichen. Die Station ist voller Matsch, trotzdem sind die Helfer gut drauf. Sie singen und sind bemüht, uns mit allem zu versorgen. Ich bekomme hier sogar einen wundervoll duftenden Kaffee mit Milch.

Es ist jetzt kurz vor fünf Uhr morgens und wir verlassen die Station. Es regnet nicht mehr, dafür haben wir jetzt aber eine Luftfeuchtigkeit von Hundert Prozent. Der Kegel unserer Lampen wir dadurch so zerstreut dass man nicht mehr von Licht reden kann. Es fällt schwer den Weg einen Meter vor uns zu sehen. Die Strecke läuft auf so einer Art Schotterstraße. Das ist natürlich super. Dennoch müssen wir uns hier langsam vorantasten, da wir nicht genügend sehen.

Langsam wird es hell, man kann schon die Konturen der Bäume und Sträucher erkennen. Das verbessert unsere Situation ernorm. Wir packen die Lampen weg und freuen uns über den guten Weg. Dann ist aber plötzlich Schluss mit lustig. Der Weg macht eine Linksbiegung und die Streckenmarkierung geht rechts in den Urwald. Wie sollte es auch anders sein. Es macht uns nichts aus, oder vielleicht doch? Nein, natürlich nicht, denn wenn man es leicht haben will liegt man um diese Uhrzeit sonntags morgens im warmen Bett. Wir aber wollen nach Sant Denis und dort wie Helden empfangen werden.

 
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Der Weg wird noch mal richtig schwer, denn jetzt kommt ein Dschungelpfad der steil bergab führt und abermals sehr rutschig ist. Ich halte mich an den Sträuchern, die mannshoch um den rutschigen Pfad stehen, fest. Mehrmals setzte ich mich auf den Hosenboden. Besonders schwierig ist es da die Strecke mit vielen Wurzeln gespickt ist. Für die 8 Kilometer bis Colorado brauchen wir geschlagene zwei Stunden und dass selbstverständlich ohne Pause.

Wir erreichen Colorado, die letzte Verpflegungsstelle vor dem Ziel. Es ist kurz vor sieben und wir haben noch fünf Kilometer bis ins Ziel. Wir setzen uns kurz, Verpflegen uns und dann stößt Heinrich wieder zu uns. Gemeinsam nehmen wir den letzten Berg unter die Füße. Etwa 650 Tiefenmeter, denn es geht jetzt nur noch bergab bis zum Stade de Redoute.

Der Abstieg ist abermals nicht leicht. Hohe Stufen, Geröll und steile Passagen wechseln sich in schöner Regelmäßigkeit ab. Nach knapp zwei Stunden gehen wir zu dritt Richtung Stadion. Heinrich läuft vor, da er hofft, dass sein Freund im Stadion ist und unseren gemeinsamen Zieleinlauf filmt.

Ich kämpfe mit der Fassung, die ganze Spannung fällt jetzt von mir ab und mein Körper schüttet Glückshormone aus. Wir laufen über die Straße unter dem Bogen ins Stadion. Ich bin überglücklich. Heinrich beschließt, dass ich in der Mitte laufen soll. Wir geben uns die Hände und laufen zu dritt über die Ziellinie.  Was für ein überwältigendes Gefühl, ich bin im siebten Himmel. Am Streckenrand steht Sabine, die Fotos macht und uns zujubelt. Wir fallen uns in die Arme und wir bekommen eine wunderschöne Medaille und ein Finisher-Shirt mit der Aufschrift "J'AI SURVÉCU" was wohl soviel heißt wie “Ich habe überlebt“. Nach 56 Stunden und 40 Minuten haben wir die Ziellinie überquert.

 
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Die Minuten nach dem Zieleinlauf sind wirklich unbeschreiblich schön. Jetzt wo sich die Euphorie etwas gelegt hat lasse ich mir meine Füße versorgen. Das sind Schmerzen, schlimmer als der ganze Lauf. Aber die alten Taps müssen nun mal runter.

Wir sitzen jetzt noch mal zusammen und essen wieder Hähnchen mit Reis. Jetzt stößt auch Dietrich Klaassen zu uns. Er ist nach 57 Stunden 55 Minuten über die Ziellinie. Dann werden wir langsam aber sicher müde und unsere Frauen bringen Norman und mich unversehrt ins Hotel. Dann geht es unter die Dusche und ab ins Bett. Schlafen, was für eine Wohltat …

Resümee

Bis dato war ich noch nie so lange unterwegs. Es war eine ganz neue Erfahrung, die ich sicher so bald nicht vergessen werde. Dieser Lauf ist etwas ganz Besonderes, ohne Frage. Die Landschaft ist einzigartig und kaum zu beschreiben. Die Wege sind schwer zu laufen und fordern einem alles ab.  Das Zeitlimit ist großzügig bemessen, somit kann man das Sturzrisiko klein halten.

Mir sind die Nächte extrem schwer gefallen. Die erste war kein Problem, da es nur bergauf ging und ich frisch war. Die anderen beiden, speziell die letzte Nacht, war sehr hart und hat mir alles abverlangt. Während des Laufes und auch direkt danach war mir klar, dass ich den Grand Raid nicht noch mal mache. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher, denn der Lauf ist die Ultimative Herausforderung  für Bergläufer. 
 

 

 

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