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07.08.21 - Ottonenlauf

Auf Wegen Deutscher Kaiser und Könige

Endlich wieder ein Lauf ohne Eigenverpflegung. Da darf es schon mal etwas Besonderes sein und ich entscheide mich für die lange Strecke des Ottonenlaufes durch das Selketal. Schon das Ziel in Quedlinburg verspricht schöne Aussichten, aber auch die Strecke ist sehr abwechslungsreich, wie ich noch feststellen werde. Doch dazu später mehr.

Ich übernachte mit meiner Familie für diesen Lauf unweit des Startes in Stiege in Stolberg. Ein Traum in Fachwerk inklusive Barockschloss. Die Anreise am Freitagabend ermöglicht, ausgeschlafen zum frühen Start um 7.00 Uhr vor Ort zu sein. Schon die Anfahrt verspricht herrliches Laufwetter. Vor mir liegen 69 abwechslungsreiche Kilometer. Ich hätte mich auch für einen Marathon oder Halbmarathon entscheiden und diese sogar wandern können, denn der Veranstalter bietet für jeden Geschmack etwas.

Die Startunterlagen können 2 Stunden vor dem Start abgeholt werden. Aufgrund des überschaubaren Läuferfeldes von 75 gemeldeten Teilnehmer/innen ist das auch problemlos möglich. Der Bahnhof der Selketalbahn könnte dazu verführen, den Weg unbeschwert und gemütlich per Zug zurück zu legen. Doch Lok und Waggons sind nicht zu sehen, weshalb ich mich in das Läuferfeld einreihe. Mit aufmunternden Wünschen meiner Frau Silke begebe ich mich pünktlich mit dem Läuferpulk auf die Strecke. Da ich im Harz bin, wundert es mich nicht, dass mir auch eine Hexe Beine macht.

 

 
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Forscher Anfang bis Alexisbad

 

Nach wenigen Metern entkomme ich dem Schatten der Bäume, der mich noch ein wenig frösteln lässt. Die Strahlen der Sonne wärmen wohltuend, da ich noch nicht auf Betriebstemperatur bin. Links des Feldweges liegt der Oberteich, rechts wenig später die Schienen der Schmalspurbahn. Ein Anblick, an den ich mich noch gewöhnen werde, da ich insgesamt 11 Teiche passieren und die Schienen noch mehrfach kreuzen werde. Vorerst führt die Strecke über Felder und ich genieße die Sonne, bevor wir in den Wald eintauchen. Die meiste Zeit wird er heute Schatten spenden. Schon jetzt unterhalte ich mich prächtig mit Henrik und Tobias aus Bernburg. Da unser Tempo das Gleiche ist, nehmen wir die Strecke gemeinsam unter die Füße. Henrik war schon einmal beim Marathon hier und weiß davon zu berichten, dass ein Verlaufen möglich ist. Ich kann es mir kaum vorstellen, aber schon der nächste Abzweig hätte mich eines Besseren belehren können, wenn ich nicht direkt einen Mitstreiter vor mir gehabt hätte. So folge ich der Strecke kurz bergab und weiter geht es an den Gleisen entlang hinauf nach Friedrichshöhe.

Am Ortsschild biegen wir nach links auf die Straße ab. Es folgen wenige 100 Meter auf Asphalt. Insgesamt sollen  etwa 10 Kilometer so beschaffen sein, aber das meiste davon kommt später. Bevor wir die Gleise queren können, leiten uns die Helfer auf den nächsten Waldweg. An der Steigung wartet bereits Silke, die das Läuferfeld mit der Kamera einfängt. Ich freue mich sehr darüber, denn ich hatte sie hier nicht erwartet. Hinunter geht es nach Güntersberge. Abwechslung bieten in diesem Bereich nicht nur die Teiche und die Gleise, sondern auch eine Stempelstelle für den hier beliebten Harzer Wanderpass. Tobias hatte jetzt noch nicht damit gerechnet, nutzt aber gleich die Gelegenheit, seinen Pass zu vervollständigen. Weitere Stempel werden heute noch folgen und berechtigen später zum Erwerb einer Wandernadel.

 

 
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Kurz vor Güntersberge liegen 10 Kilometer hinter uns. Der gleichnamige Bergsee lädt hinter Bäumen zum Schwimmen ein. Heute die falsche Disziplin, auch wenn ich die Gelegenheit gerne wahrnehmen würde. Eine kurze knackige Steigung holt mich in die Wirklichkeit zurück. Die Gaststätte „Zum Bahnhof“ erinnert mich daran, dass ich langsam Durst bekomme. Gut, dass die erste Getränkestation gleich hinter dem Bahnhof wartet. Frisch aufgetankt laufen wir auf breiten Wegen weiter durch das Selketal. Die ersten beeindruckenden Felsen säumen die Strecke. Zahlreiche aufgestapelte Stämme erinnern an die Trockenheit der letzten Jahre. Durch den radikalen Einschlag lösen sich Feld, Wald und Flur bis Straßberg ständig ab. Die Gespräche  verkürzen die Zeit. Ein Schild am Bahndamm erinnert an den Ursprung des Ortes als Bergbaustadt. Silber konnte gewinnbringend abgebaut werden. Heute profitieren eher Touristen und Einheimische, die Ruhe suchen. Einige gemütliche Häuser an der Laufstrecke zeugen davon.

Nach der nächsten Getränkestelle muss ich bereits die Batterie meiner Kamera wechseln. Hoffentlich hält die zweite bis ins Ziel. Fast 20 Kilometer liegen hinter mir und ich gewinne erneut an Höhe. Der erklommene Bergrücken gleicht einer Heidelandschaft. Die nächsten Kilometer machen es leicht, denn nun geht es bergab nach Alexisbad, dem Startort des Marathons, der bei dieser Veranstaltung mit seinen 45,2 KM auch als kleiner Ultra durchgehen könnte. Die Verpflegungsstelle mit dem kompletten Angebot für den verwöhnten Gaumen wartet kurz nach dem Ortsschild. Tobias und Henrik sind so begeistert, dass sie etwas länger verweilen.

 

 
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Wildromantischer Selketalstieg bis Meisdorf

 

Deshalb mache ich mich nach der Verpflegungsstation  erst einmal allein auf die Strecke. Hier stoßen die Marathonis  zu uns auf die Strecke. Zu sehen sind sie noch nicht, denn sie starten etwa 800 Meter weiter in der Ortsmitte und erst etwa eine halbe Stunde später. Über die Straße folgt ein kleiner Steg. Sehr glatt soll er sein, wie dem angebrachten Schild zu entnehmen ist. Langsam und vorsichtig kann ich ihn passieren und folge den Schienen der Selketalbahn. Aber nur kurz, denn ein weiteres Mal darf ich den Fluss queren, um anschließend einigen Serpentinen den Hang hinauf zu folgen. Gehen ist angesagt. Von Nachteil ist es nicht, denn so kann ich den Beginn des spektakulärsten Teiles der Strecke besser genießen. Auf der Höhe des Klippenweges angekommen, präsentiert sich über Alexisbad die Verlobtenurne. Sie erinnert an das glückliche Zusammensein von 6 jungen adligen Pärchen aus dem Königreich Württemberg 1845. Dabei ist der Name irreführend, denn ob diese glücklichen Stunden zu Verlobungen beigetragen haben, ist nicht überliefert.

Sicher dagegen ist die Schönheit des Klippenweges, dem ich weiter folge. Dabei hat er neben einigen schönen Ausblicken noch weitere menschengemachte Abwechslungen zu bieten. Das Friedensdenkmal zeigt eine Taube und ersetzte ein Eisernes Kreuz, das früher an die Napoleonischen Kriege erinnerte. Wenn es doch immer so einfach wäre, Kriege durch Frieden zu ersetzen. Die mit letzterem verbundene Ruhe kann ich genießen, da ich immer noch allein unterwegs bin. Vorbei führt die Strecke am Luisentempel, gewidmet der Tochter des Badgründers, Alexius von Anhalt-Bernburg. Weiter laufe ich über Stock und Stein über eine Strecke, an der jeder Trailläufer seine Freude hätte. Nächstes Ziel ist der Pioniertunnel, der 1900 in einer 6 Tage dauernden Übung durch ein Magdeburger Pionierbataillon errichtet wurde. Die anschließende Felswand rechts mutet fast alpin an.

Über felsigen Grund erreiche ich die Köthener Hütte. Mit ihrem kleinen Turm wirkt sie wie eine Kapelle und vermittelt Ruhe. Eine Ruhe, die einige Mitläufer für eine kurze Rast nutzen. Es ist so ruhig, dass ich Tobias und Henrik bereits vernehmen kann, bevor ich sie sehe. Da es mir Recht ist, freue ich mich, dass sie wieder zu mir aufgeschlossen haben. So passieren wir gemeinsam das Alexiuskreuz, dass zu Ehren des Badgründers aufgestellt wurde. Auch an der Mägdetrappe sind wir noch zusammen. Hier soll der Sage nach eine Riesenjungfrau zu ihrer Freundin über das Tal gesprungen sein, sogar mit einem Bauern mitsamt seines Pferdefuhrwerkes in der Schürze. Unfallfrei. Ich traue mir dies heute nicht zu und da ich die Seite nicht wechseln muss, folge ich weiter dem Klippenweg.

 

 
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Auf dem Weg hinunter nach Mägdesprung, das der Sage seinen Namen verdankt, hat Frank zu uns aufgeschlossen, so dass wir auf den folgenden Kilometern ein munteres Quartett bilden. Wir umrunden den Backsteinbau des Carlswerkes. Früher war es eine Fabrik, heute ein Maschinenmuseum. Direkt dahinter quere ich frisch gestärkt die Selke. Vorbei an einigen Felsen und durch einen weiteren. Tunnel liegt das Selketal breit vor uns. Jetzt werden wir vom schnellsten Marathoni eingeholt.

Die Strecke führt leicht wellig und kurvig bis KM 41 stetig bergab. Wir lassen es rollen, sind aber nicht schnell genug für die führende Frau des Marathons, die uns locker überholt. Ihr Laufstil ist flüssig und entspannt. Die Gruppe im entgegenkommenden Pferdefuhrwerk ist ebenfalls entspannt unterwegs. Freudig werden wir angefeuert. Dass wir heute auf Wegen Deutscher Kaiser und Könige unterwegs sind, ist übrigens nicht ungewöhnlich. Im Mittelalter hatten die Herrscher zwar ein bevorzugtes Stammgebiet, wie die Ottonen gleich nördlich des Harzes, aber sie waren viel in Deutschland unterwegs, um ihre Herrschaft zu sichern. Ausdruck davon sind die vielen Pfalzen, die sich über ganz Deutschland verteilen und u. a. in Goslar oder eben in Quedlinburg zu finden sind. Die Rasthöfe des Mittelalters.

Vor uns taucht ein Läuferpaar auf, dass ich sofort erkenne und am Start vermisst habe. Claudia und Peer durften mit Erlaubnis des Veranstalters eher starten. Sie nutzen den heutigen Lauf, um letzte Kilometer für den Berliner Mauerweglauf am kommenden Wochenende zu sammeln. Ich kann verstehen, dass sie deshalb langsam unterwegs sind, um Kräfte zu sparen. Nur vorstellen kann ich mir die Teilnahme an zwei Ultras innerhalb von einer Woche für mich nicht. Da ich die Beiden lange nicht gesehen habe, freue ich mich über ein anregendes Gespräch und lasse meine bisherigen Mitstreiter ziehen. Trotz intensiver Unterhaltung entgeht mir das Mausoleum der Grafen von Asseburg-Falkenstein nicht. Direkt an der Laufstrecke gelegen drängt sich die im 19. Jahrhundert errichtete Begräbnisstätte förmlich in den Vordergrund. Ganz im Gegenteil zur Stammburg Falkenstein, die hinter Wäldern verborgen bleibt.

Kurz darauf erreichen wir das Schloss in Meisdorf und die nächste Verpflegungsstelle. Das neue Schloss aus dem 18. Jahrhundert ist heute ein Hotel und wird mit seinem 12 Hektar großen Schlosspark gerne für Hochzeiten und andere Großveranstaltungen genutzt. Derzeit immer vorausgesetzt, dass die Coronalage es zulässt. Gleichzeitig befindet sich vor dem Schloss der Start des Halbmarathons, der hier, wie der Marathon, mit 26,1 Kilometern länger als üblich ist. Zu sehen bekomme ich von den Halbmarathonis jedoch nichts, denn mit der Startzeit 10.00 Uhr sind sie schon lange auf der Strecke oder sogar schon im Ziel.

 

Finale bis Quedlinburg

 

Die herausfordernde kommende Steigung hinauf Richtung Ballenstedt haben diese bereits hinter sich. Claudia und Peer bleiben langsam zurück. Auch wenn ich mich nicht quälen muss bewundere ich, wie leichtfüßig Marion an mir vorbeizieht. Ihren Mann Jochen werde ich noch in Ballenstedt ziehen lassen müssen. Vielleicht habe ich auch nicht aufgepasst oder habe mich zu sehr von den Gründerzeitvillen in der Heine-Straße ablenken lassen. Dennoch bin ich nicht alleine und liefere mir mit zwei Marathonis auf dem anschließenden Fürstenweg ein kleines Privatduell. Auch wenn ich erstaunt bin, wieviel Energie ich noch aufbringen kann, muss ich schließlich doch abreißen lassen. Rechts öffnet sich der Wald immer wieder für herrliche Fernblicke über angrenzende Felder. Kühe grasen friedlich in der Sonne. Unvermittelt ist der Weg gepflastert, womit ich hier mitten im Wald nicht gerechnet habe. Zum Glück ist es nur ein kurzes Intermezzo. Der Osterteich präsentiert die nächste Gelegenheit zum Bade. Ich nutze nur die Möglichkeit eines erfrischenden Getränkes, um anschließend die letzte nennenswerte Steigung zu erklimmen.

 

 
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Bei KM 56 schließt Steffi zu mir auf und macht mich auf das Friedrich-Heckert-Heim aufmerksam. Hinter Gebüschen und Bäumen versteckt wäre mir dieser Lost Place glatt entgangen. Benannt nach einem Mitbegründer der KPD Deutschlands und des Spartakusbundes war das 1952 erbaute Ferienheim eine beliebte Erholungsstätte für hohe Parteifunktionäre der SED. Nach der Wende endete die Nutzung und es fehlte an Investoren, so dass es heute verloren in der Natur steht. Genauso komme ich mir vor, denn ich muss Steffi ziehen lassen.

Ich genieße die Ruhe des Waldes. Bis ins Ziel geht es jetzt nur noch sanft bergab. Vereinzelt geben die Bäume Weitblicke in die Tiefebene im Norden frei. Die aufgestellten Bänke, die in Ihrer Form einem mittelalterlichen Thron alle Ehre machen, laden zu Verweilen ein. Ich widerstehe der Versuchung auszuruhen und verlasse kurz hinter KM 60 letztmalig den Wald. Bad Suderode ist erreicht, die Zivilisation hat mich wieder. Die Strecke führt einmal quer durch den Ort und beeindruckt mit seiner Architektur aus der Gründerzeit. Vorgebaute hölzerne Balkone und Veranden erklären, warum man vom Bad Suderoder Pensionshausstil spricht. An der Verpflegungsstation vor Ort laufe ich, wenn auch nur kurz noch einmal zu Steffi auf, die aber gleich wieder davon zieht.

Ab Ortsausgang gestalten sich die letzten Kilometer zäh. Alleine auf weiter Flur schwindet die Motivation. Der Himmel verdunkelt sich, Regen droht. Letztendlich wird es trocken bleiben. An den in zahlreiche Verpflegungsstellen der letzten Kilometer verwirren die unterschiedlichen Angaben, wie weit es noch ins Ziel ist. Ich bin unsicher, ob es mit der angestrebten Zielzeit unter 9 Stunden noch klappt. Zudem motiviert die lange Gerade entlang der Straße nicht wirklich. Mangels Alternative ist dieser Zulauf der einzige direkte Weg zum Sportplatz am Moorberg. Kurz hinter dem Ortsschild von Quedlinburg grüßt das Schloss mit der Stiftskirche St. Servatii aus der Ferne. Die fehlenden Meter kann ich in der Rechtskurve immer noch nicht abschätzen, werde aber kurz darauf positiv überrascht, als mich freundlicher Helferinnen über die Straße direkt ins Stadion leiten. Das Ziel vor Augen, meine Familie im Blick, nehme ich die Beine noch einmal in die Hand und erreiche glücklich das Ziel. Hier begrüßen mich Tobias und Henrik, die nur knapp 10 Minuten vorher eingelaufen sind.

Erschöpft aber glücklich erhole ich mich im Ziel von den Strapazen des Tages im Kreis meiner Familie. Dankbar blicke ich auf einen abwechslungsreichen, wohl organisierten Lauf zurück, der durchaus mehr Teilnehmer/innen verdient hat, als die 171 Frauen und Männer, die sich der Herausforderung über alle drei Strecken gestellt haben.

 
 

Impressionen

 
 
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