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15.06.13 - Swiss Canyon Trail

Fee - oder doch Hexe?

Darf ich vorstellen? Défi International Val de Travers ist der Name. Herausforderung von und zu dem Quertal – mit dem Zusatz international.

Volljährig ist das Kind in diesem Jahr – und, ach, wie ist es doch gewachsen und vielseitig geworden. Es tanzt mittlerweile auf vielen Hochzeiten. Jugendläufe am Vorabend, 12km für Läufer und Nordic Walker, Halbmarathon, Marathon, Staffelmarathon (3x14km) und als Krönung den Trail de l’absinthe, benannt nach der Grünen Fee, welche in diesem Tal geboren wurde.

Den Trail de l’absinthe werde ich ohne Absinth bestreiten, obwohl es ein kleines Fläschchen davon mit den Startunterlagen zusammen gab. Auch ohne Grüne Fee gibt es genügend Gelegenheit abzusaufen: Bei nur 15% Asphalt gibt es viel aufgeweichtes, durchtränktes Geläuf; dazu kommt mein kläglicher Formstand. Doch der wird auch nicht besser, wenn ich kneife, also fahre ich zu nachtschlafender Zeit los. Zweieinhalb Stunden Fahrt in den Neuenburger Jura und genügend Zeit vor dem Start um 7.15 Uhr machen mich zum Frühaufsteher. Ob ich auch Langaufbleiber sein werde, wird sich zeigen.

Vor dem Start auf der Tartanbahn wird es hektisch, denn die Veranstalter haben für den Trail eine Pflichtausrüstung vorgeschrieben, bestehend aus Langarmhemd, Trinkbecher, Trinkflasche oder -blase und Mobiltelefon, welche beim Eintreten in den Startbereich akribisch überprüft wird. Die beiden Chefs legen da gerade selber Hand an und können doch nicht verhindern, dass der Start mit einigen Minuten Verspätung stattfindet.

 
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Trotzdem gehe ich die Sache entspannt an und unterhalte mich beim Loslaufen – wie erst gerade beim Winterthur Marathon - mit Beat.

Von meinen letzten Teilnahmen weiß ich, dass die ersten zehn Kilometer genügend Zeit lassen, die Knochen zu sortieren und in die Gänge zu kommen. Bis nach Noiraigue fällt das Tal ganz sanft ab und auf dem ersten Teilstück muss noch nicht auf Bodenunebenheiten geachtet werden. Wäre auch gelacht, wenn die Straße nicht asphaltiert wäre. Auch wenn heute nur noch ein Museum mit Besucherstollen die Zeit hochleben lässt, in La Presta, zwischen Couvet und Travers, wurde während über hundert Jahren Asphalt abgebaut. 1975 ging das letzte Grubenpferd in den Ruhestand, elf Jahre später wurde der Abbau ganz aufgegeben.

Jetzt treibe ich den Gaul durch die Landschaft und hoffe, dass ich nicht auf Asphalt für den Verwendungszweck zurückgreifen muss, welchem er hier in den ersten hundert Jahren nach der Entdeckung der Vorkommen im Tal zugeführt wurde: dem medizinischen.

 
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Entgegen früheren Austragungen gibt es den Verpflegungsposten nach knapp 5km nicht mehr, was einzig für die Marathonis ein längeres Durchhalten erfordert, da die Ultraläufer auf ihren Trinkvorrat zurückgreifen und die Flasche bei jedem weiteren VP nachfüllen können.

Angenehme Morgenfrische und Sonnenschein, das gibt es also doch noch in diesem Jahr. Nein, es ist nicht alles anders und schlechter geworden. Auch der Anstieg zum Creux du Van beginnt wie eh und je unmittelbar nach dem VP bei Noiraigue. Zwischen den Bäumen hindurch wird vom Wurzelweg aus immer wieder ein Blick hinunter ins Tal und auf die gegenüberliegenden Hügelzüge gewährt.

Die Ankunft auf dem Soliat nach dem ersten Kraftakt wird mit einem weiteren VP belohnt. Wie bei allen anderen wird das Gesamtsortiment angeboten. Kekse, Schokolade, Trockenfrüchte, Orangen, Bananen, Crackers, Käse, Riegel, Wasser Sport Tee, Iso, Cola und Wasser und später auch Bouillon.

Der Anblick des Creux du Van und die Aussicht von dieser natürlichen Felsenarena aus ist immer wieder und besonders bei dem heutigen Wetter eindrücklich. Als Naturschutzgebiet bietet es Steinböcken, Gämsen, und dem Luchs einen sicheren Rückzugsort. Ich verliere zwar Zeit dabei, kann es aber nicht lassen, den Weg jenseits der Trockenmauer und damit am Rand der 160 Meter hohen, senkrechten Felswände zu erkunden und einen besseren Blick in den vier Kilometer langen und über einen Kilometer breiten Talkessel zu bekommen. Eine frische Brise und die Schwindel erregende Aussicht sorgen dafür, dass ich auch im strahlenden Sonnenschein leicht fröstle. Sehnsucht nach der „Fontaine Froide“ kommt nicht auf. Diese Quelle entspringt unten in der Mitte des Kessels und ihre Besonderheit ist, dass ihr Wasser das ganze Jahr vier Grad Celsius kalt ist.

Über die Weiten der Juraweiden geht es weiter und bald schon wieder abwärts. Es ist ein majestätisches Gefühl, auf diese Weise endlich den Sommer zu schnuppern. Da passt es, dass die Wanderherberge beim Kontrollpunkt Km 15 den Namen „Die Baronin“ trägt.

 
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Auf den folgenden fünf Kilometern wechseln sich Forststraße und Weidewege ab, welche zwischendurch mit kleinen Hindernissen in Form von Trockenmauern aus Jurakalksteinen versetzt sind. Unterwegs gibt es auch wieder einen Verpflegungsposten, an welchem ich wieder ein typisch schweizerisches Phänomen der unschönen Sorte mitbekomme. Der ältere Besitzer des nebenan liegenden Restaurants befiehlt in einem von starkem Schweizerdeutschem Akzent geprägten Französisch, dass die Tische zwanzig Meter zur Zufahrtsstraße hin verschoben werden müssen. Dies sei Privatgrundstück, da könne man sich nicht einfach ohne ihn zu fragen installieren. Dass die Tische schon zum x-ten Mal dort stehen (und mittlerweile das Gros des Feldes schon durch ist), ist ihm wohl entgangen; ist doch in der Schweiz alles, was mindestens dreimal gleich war, eine Tradition, mit welcher nicht gebrochen werden darf. Bei so viel Gastfreundschaft wird mein Bedauern klein sein, wenn dieses Restaurant mit Wanderunterkunft im harten Wind, welcher der Gastronomie und Hotellerie in diesem Land entgegenweht, die Segel streichen muss. Das wäre dann minus einmal Fremdschämen.

Nach Km 20 führt ein langer, nur ganz leicht gewellter Forstraßenabschnitt durch den Wald, dann an einem Gehöft vorbei zum nächsten Verpflegungsposten drei Kilometer weiter, wo wiederum freundliche, aufmerksame Helfer zeigen, dass es auch ganz andere Gastfreundschaft gibt.

Bald schon beginnt der Abstieg ins Val de Tavers, mehrheitlich im Wald und zeitweise recht steil. Dass ich dieses Mal die Stöcke dabei habe, bereue ich keineswegs. Das letzte Teilstück des Abschnitts führt am wunderbaren Wasserfall von Môtiers vorbei, wo ich es mir nicht nehmen lasse, eine kleine Pause zum Bestaunen dieses Schauspiels einzuschalten. Die verschiedenen Foto- und Sightseeing-Stopps kosten zwar Zeit, doch auf das Zeitlimit bei Môtiers habe ich fast zwei Stunden Vorsprung. Schließlich bin ich für das sportliche Naturerlebnis hier, ich bin nicht auf der Flucht.

Rund um den Verpflegungsposten bekomme ich etwas vom Geschehen des 12km-Laufs mit. Während diese Läufer, darunter viele Nachwuchsläufer, links halten, biegen wir rechts ab, hinein in die Schlucht der Poëtta-Raisse. Ein großes Holzschild weist auf die Gefahren hin, welchen man sich beim Begehen der Schlucht aussetzt, ein Privileg, das die Marathonis nicht haben, denn die werden nach wenigen Metern bereits ausgeleitet. Begleitet vom Murmeln und Plätschern des Wassers steigen ich langsam – die einen schneller –in die Schlucht ein. Am Anfang erreicht das Sonnenlicht den Boden noch, doch je steiler der Weg und je enger die Schlucht werden, umso mehr tauchen wir in den Schatten der Bäume.

 
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Der Weg hat nichts Gefährliches, einzig der nasse Jura Kalk ist unter den Sohlen ziemlich seifig. Ich hätte doch den Schuh mit der weichen Gummimischung den Vorzug geben sollen. Kurz bevor es über Treppen und Stege durch die engste Stelle geht, hat eine andere Grüne Fee als die aus der Flasche gewirkt. Die dick bemoosten Steine und Farne geben die Kulisse eines Märchens ab.

Nach dieser Stelle geht der Wanderweg in einen Forstweg über, markiert vom 30km-Schild, und geht der Bergflanke entlang hoch, weiter zwischen Weiden und dann wieder im Wald von einer Kehre zur anderen hoch. Bei La Motte geht es nochmals ein Stück über eine Weide hoch, dann wartet schon wieder ein Verpflegungsposten. Ich lasse die freundlichen Helfer wissen, dass mir dieser Aufstieg heute dreimal länger vorkam als die früheren Male und erfahre, dass schon Unzählige vor mir heute dasselbe berichtet haben.

Obwohl kurz nach dem Verpflegungsposten der Km35 ausgeschildert ist und mir der Aufstieg lange vorgekommen ist, fühle ich mich frisch und froh dazu. Wolken haben in der Zwischenzeit den Himmel überzogen und sorgen dafür, dass es auf den kommenden Kilometern ohne Schatten ganz angenehm bleibt. Neben dem Wirtschaftsweg sehe ich Schlüsselblumen in Hülle und Fülle, was ich mir sonst eher in den Monaten März und April gewohnt bin. Aber eben, dieses Jahr ist alles etwas anders… So verwundert es mich auch nicht, dass in einer Mulde beim oberen der beiden Skilifte noch Schnee liegt. Weiter geht es über die mit lockeren Baumbeständen durchsetzten Juraweiden und an einem weiteren Schneefeld vorbei auf einem Weg von mittlerweile alpiner Prägung zum höchsten Punkt der Strecke, dem Chasseron.

Von hier oben gibt es einen Weitblick über den Neuenburgersee bis hinüber zur Alpenkette. Gerne würde ich die Aussicht länger genießen, doch ein Blick auf die Uhr gibt mir zu verstehen, dass ich bereits zu viel Zeit in den Genuss der Landschaft und Flora investiert habe und es bis nach La Côte-aux–Fées knapp werden könnte, denn dort gibt es ein zweites Zeitlimit. Mein Fehler ist, dass ich den Streckenplan zu wenig genau studiert habe und nicht weiß, wie viel Kilometer es bis dorthin noch sind. Leider kann mir auch niemand von den Helfern am Verpflegungsposten Auskunft darüber geben, was mich dazu treibt, den steilen Abstieg mit erhöhtem Tempo in Angriff zu nehmen. Auf den Weidewegen geht das noch gut, im Wald wird es auf dem verschlammten Weg eine Schleuder- und Rutschpartie. Es wäre interessant, die Neigung des Hangs fotografisch festzuhalten, doch aus zeitlichen Gründen und damit ich keine anderen Läufer behindere, lasse ich es bleiben und mich weiter heruntertreiben.

Unterdessen kreisen meine Gedanken um die weitere Strategie. Soll ich voll auf die Tube drücken und die Reserven mobilisieren, um nicht von der Zeitbarriere aufgehalten zu werden oder soll ich wieder einen Gang zurücknehmen und genießend zum Ausstieg hin joggen?

Es ist ein Wechselbad der Gefühle und der Kontrollposten auf dem Straßenstück ist in seiner Aussage, ob es mir wohl reicht, eher unverbindlich, woraus ich eine negative Tendenz heraushöre.  Bei Kilometer 45 fasse ich einen Entschluss.  Ich entscheide mich, es gemütlich zu nehmen und beim Kontrollpunkt auszusteigen, sogar wenn ich weiterlaufen könnte. Mit dem Gedanken, auf dem Zahnfleisch und auf dem letzten Zacken an den Kontroll- und Verpflegungsposten zu kommen und aus dem Rennen genommen zu werden, kann ich weniger gut leben.

 
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Ich trotte gegen La Côte-aux Fées zu, fast 50 Kilometern in den Beinen und ganz im Frieden mit den Umständen und meinem Entscheid, so oder so auszusteigen. In der Tat dürfte ich, obwohl schon etwas über das Limit, im Rennen bleiben, denn der „Fermeur“, der Schlussläufer, welcher ab hier mitläuft, ist noch da und traut mir das zu. Es kommt nochmals ein kurzes Zweifeln an meinem Plan auf, doch dann bitte ich darum, mich aus dem Wettbewerb zu nehmen und habe ein gutes Gefühl dabei. 

Ich weiß nicht recht, warum die sich Grüne Fee heute als Hexe gebärdet. Nur als kleine, aber als stark bremsende. Auch wenn ich nicht feenhaft über den Trail geschwebt bin, so war es doch kein Hexenritt. Zeit zum Grämen bleibt mir nicht. Kurz nach dem Loslaufen des „Fermeurs“ tritt die Fee wieder als solche in Aktion. Diesmal ist es diejenige, welche am Ende ihres Zauberstabs nicht einen funkelnden Zauberstern zeigt, sondern das blaue Symbol für die Notfall-Ambulanz. Sie prangt auf der Türe des Ambulanzfahrzeugs, das gerade zu dem Zeitpunkt zurück nach Couvet fahren sollte. Zusammen mit Julia darf ich hinten Platz nehmen und das Gefühl  auf mich wirken lassen, welches Joe seinerzeit in Rom erlebte. Einen Taxidienst von der Ambulanz bei voller Gesundheit und erst noch kostenlos – dieses Erlebnis hat Seltenheitswert.

In Couvet verfolge ich noch ein paar Zieleinläufe, darunter die Zweitplatzierte, und bestaune Brunos triefende Schuhe. Vor dem Gang zur Garderobe und zur heißen Dusche musste er mit ihnen unter den Wasserhahn, um sie vom Morast zu befreien. Immerhin kam er mit den Schuhen an. Er musste sie auf dem dritten Streckendrittel allerdings aus dem Schlammloch puhlen, welches ihm beide ausgezogen hatte…  Also, eine Hexe ist die kleine grüne Dame nicht – eine Fee mit allerlei Schabernack im Kopf schon.

 

Informationen: Swiss Canyon Trail
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