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08.10.17 - Trail Marathon Heidelberg

Definitiv eine harte Nummer

Autor: Joe Kelbel

Die Wolken hängen tief, leichter Regen am Nachmittag, bis dahin werden wir im Ziel sein. Also Jacken  einpacken und am Kleiderdepot abgeben und grandiosen Startplatz genießen.

Erstmals in der Geschichte Heidelbergs ist der Karlsplatz, unterhalb des Schlosses von Heidelberg Start und Ziel eines Marathons. Dabei war er schon 1815 der Mittelpunkt Europas. Napoleon hatte sein Exil auf Elba verlassen, konzentriert Soldaten am Niederrhein, während die Siegermächte Europas noch in Wien die Ländereien neu verteilen. Eile ist geboten. Der Karlsplatz wird zum Hauptquartier der Militärmächte Europas.

Zunächst kommen die badische Landwehr und die bayerische Armee und ziehen gen Waterloo. Es folgen die Österreicher, der kaiserliche Feldmarschall Fürst Schwarzenberg bezieht die Zentrale im jetzigen Kurpfälzischen Museum. Dann kommt Kaiser Franz, bezieht das Haus der Akademischen Wissenschaften an unserem Startplatz. Kanonendonner und Glockengeläut kündigen den Regenten des größten Reiches der Welt an: Zar Alexander, der sein Quartier im Loosischen Haus bezieht. Es folgen Fürsten, Diplomaten und hochrangiger Militärs. Der russische Thronfolger Nikolaus l. und der spätere österreichische Kaiser Ferdinand l., König Friedrich von Württemberg und dessen Kronprinz Wilhelm, Kronprinz Ludwig von Bayern, der spätere König von Sachsen, Friedrich August II., die Erzherzöge Karl und Johann, Fürst Metternich, Freiherr vom Stein, der spätere Feldmarschall Radetzky und der bayerische Feldmarschall Wrede. Und dann wird auf dem Karlsplatz beraten. Gastgeber ist der badische Großherzog Karl, der pikanterweise mit der Adoptivtochter Napoleons verheiratet ist. Er ist aber auch Schwager des Zaren.

Am 21. Juni, nachmittags um drei Uhr, bringt ein russischer Kurier die Nachricht von der Niederlage Napoleons zum Karlsplatz. Drei Tage hat er von Waterloo hierher gebraucht. Drei Tage, an denen Nathan Rothschild an der Börse Millionen verdient, denn ihm brachten Brieftauben frühzeitig  die Nachricht vom Sieg über Napoleon. Es waren Tauben aus Hemsbach, die schnellsten der Welt. Perfide: Nathan Rothschild  war der Vermögensverwalter von Napoleon und finanzierte mit diesem Geld die Armee des Duke von Wellington, der mit diesem Geld wiederum die Soldaten aus Hannover finanzierte.

 

 
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Die Startnummernausgabe ist im Palais Prinz Carl, früher Grandhotel, war beliebt bei Kaiser Wilhelm I.,  Otto von Bismarck,  „Sissi”, Goethe, Mark Twain, Jules Verne, und dem amerikanischen Präsident Cleveland.

Über uns ist die bekannteste Ruine Europas: Das Heidelberger Schloss, die Residenz der Wittelsbacher, wurde nicht von Napoleon, sondern schon 1689 vom Sonnenkönig zerbombt. Nach dem Wiederaufbau kamen die Franzosen zurück, legten Minen und Sprengladungen in die unterirdischen Verteidigungsgänge, es brannte eine Woche lang. Hoffentlich werden wir nachher nicht so zerrissen aussehen.

Favorit ist Florian, der mit dem Flow läuft, die Reporter reißen sich um ihn. Hufeneisenförmige Startaufstellung rund um den Brunnen am Karlsplatz. Ich bin erst nach 7 Minuten an der Startlinie, wichtige Zeit, die mir bei den Cut-Offs hoffentlich nicht fehlen wird. An der Heilig Geist Kirche vorbei, geht es runter zur Alten Brücke, die eigentlich eine neue, die neunte Brücke ist. 300 Österreicher mit nur einer Kanone hielten sieben Angriffe der Franzosen stand. Ich hoffe, das spitze Torgitter fällt jetzt nicht runter.

 

 
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Es ist schwierig bei dem Dämmerlicht Fotos zu schießen, immer wieder muss ich stehenbleiben, die Aussicht von der Brücke auf das Schloss ist zu gut. An der Uferstraße hole ich wieder auf, doch dann geht es steil die Hirschgasse hinauf. Hier steht das älteste Haus der Stadt, das Hotel Hirschgasse (1473). Die Schlagenden Verbindungen nutzen es als Mensurlokal, wie Marc Twain 1878 in seinem Werk „Bummel durch Europa“ beschrieb.

 

 
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Wir schlagen uns hinauf zum Philosophenweg. Zypresse, Ginster, Zitrone, Granatapfel und Palmen neben der Laufstrecke. Einst wandelten hier Gelehrte in steifen Gehröcken und lockerten ihre Gedanken beim Spaziergang. Für uns wird nix locker, trotz herrlichem Blick auf Stadt, Fluss und Schloss. Weiter geht es bergan zum Heiligenberg, einem Berg, auf dem in 7000 Jahren verschiedene religiöse Bauten entstanden sind. Im Nebel erscheint die dunkle Mauer der von den Braunen erbauten Thingstätte,  man sieht nicht das Ende unseres 178 -Stufen-Aufstiegs. Gruselige Stimmung. Oben sind die Reste des Mercuriustempels (80 v.Chr.)und Reste des Stephanklosters.

 

 
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Nun geht es durch zahlreiche, lange, verblockte und steile Trail-Passagen, es sind Reste keltischer Ringwälle. Die Abwärtspassagen sind nicht erholsam, es ist dunkel und die Brille ist beschlagen. Vor drei Jahren bin ich den Marathontrail schon mal gelaufen. Aber dass die Verpflegungsstellen so weit auseinander liegen, habe ich nicht mehr auf dem Schirm. Nach 7 grausamen Kilometern endlich die erste Erfrischung.  „Das schaffen wir nicht mehr“ höre ich von meinen Mitkämpfern.

Es wird hell, der Weg durchs Mühltal hinauf ist angenehm. Dann wieder Nebel, die 30 Kilometer-Läufer nehmen eine Abkürzung, ich bin allein. Ein Verlaufen ist nicht möglich, an jeder Wegekreuzung stehen Streckenposten, mein junge Mädels. Einige Marathonläufer kann ich einholen. Vor dem Weißen Stein (km 18) bricht eine Läuferin zusammen, schnell sind Streckenposten bei ihr. Jeder, den ich überhole, spricht von Aufgabe und Cut Off Zeiten, das macht mir Panik. Zum Fotografieren gibt es hier glücklicherweise nichts, es geht durch riesige Waldgebiete wieder hinunter zum Neckar, dort ist Kilometer 30 erreicht. Wieder eine Gruppe Marathonläufer vor mir. Am Bahnhof Schlierbach warten Abbrecher auf die S-Bahn nach Heidelberg.

Auf der anderen Neckarseite geht es gleich wieder hinauf. Der Aufstieg Richtung Molkenkur ist nur wegen des Namens hart, man kann noch relativ gut laufen. Tatsächlich war im 19. Jahrhundert hier  eine „Gaststätte“ in denen man das Molke-Fasten praktizierte. Zur Heidelberger Romantik gehört doch wahrlich etwas anderes, als ein Milchprodukt. Je höher wir kommen, desto heftiger wird der Regen. Bei Kilometer 35 ruft ein Streckenposten: „ Mach schneller, ich mach hier gleich zu!“ Glück gehabt, wer hier nicht durchkommt, muss direkt runter ins Ziel, dabei sind es nur noch 7 Kilometer.

 

 
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Aber nun beginnt der härteste Trail des Marathons: Die Himmelsleiter ist eine Treppe aus Natursteinen, die ein Förster 1844 anlegte. Sie führt vom Kornmarkt über das Schloss hinauf zum Königstuhl. Das wären dann 1600 Stufen, wobei ich mich frage, wer so bekloppt ist, 1600 Stufen zu zählen. Wir steigen irgendwo dazwischen ein. Manche Stufen sind hoch, erfordern große Tritte, andere sind  flach. Winen Rhythmus bekommt man hier nicht hin. Wenige Spaziergänger kommen von der Bergstation am Königsstuhl herunter, einer legt sich schreiend auf die nassen Stufen hin. Es ist nicht Favorit Florian, der hat das hier Stunden früher absolviert und musste oben am Königsstuhl (km 36) aussteigen. „Nur noch“ 6 Kilometer für mich, doch dann zeigen die Wolken, dass sie richtig was drauf haben: Es regnet Sturzbäche, ich kann mich nicht auf den Weg konzentrieren.

Was wie Naturstufen, Felskanten und Geröllsteine aussieht, sind in Wahrheit die Reste der Oberen Burg, die 1537 durch die Explosion des Pulvermagazins zerstreut wurden. Im Dreißigjährigen Krieg wurde dann eine Schanze für Kanonen errichtet, diese Steine müssen wir auch noch durchpflügen.

 

 

Neben Wällen und Schanzenresten müssen wir auch noch durch Überreste der Vorburg, der Turmhügel, der Gräben, sowie durch den verfallenen Steinbruch „Teufelsloch“. Dazu kommen noch Buntsteinblöcke, die in der Eiszeit über den Permafrostboden von oben herabgerutscht sind. Schlamm und spitze Steine sind definitiv nicht… ah Mist, verdammter,  ich falle kopfüber hin, das Wasser läuft über mein Gesicht. Zum Glück nichts Schlimmes passiert. Nur, ich muss langsamer laufen.

Und 200 Meter weiter: „Ah Scheiße!“ Diesmal tut´s richtig weh. Fuß verstaucht, Jacke und Hose zerrissen, Knie, Arm und Hand blutig, Brille verbogen, von oben bis unten voller Schlamm. Wie in alten Zeiten! Die letzten 2 Kilometer schaffe ich gerade noch so. Auf der Ziellinie kann ich wieder grinsen. Das war definitiv eine harte Nummer!

 

Informationen: Trail Marathon Heidelberg
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