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27.12.15 - Zagora Sahara Trail

Verrückt nach Wüste

Autor: Joe Kelbel

Seit zwei Stunden hänge ich in der Passkontrolle fest. Jetzt sagt der Typ, dass er mich mit meinem durchgenudelten Reisepass nicht reinlassen kann. Ich erkläre ihm, dass sich mein Pass während eines 210 km Lauf  in Sri Lanka aufgelöst hat. „En Afrique?“ „Non, Asia!“ Die Brüder Ahansal kennt er, ich bin drin. Der Typ der den Stempel des Stemplers kontrolliert, findet den Stempel nicht, macht mir Ärger. Ich ihm auch, ich verlange seinen Vorgesetzten.

Man muss wirklich verrückt nach Wüste sein, um sich am zweiten Weihnachtsabend in einen irischen Flieger nach Marrakesch zu quetschen. In Sri Lanka war Dietmar meine „Drinking Relationship“, weil wir stets auf der Suche nach Bier waren. Jetzt in Marokko dackelt mir meine „Running Relationship“ Gisi hinterher.

Längst hat sich mein Französisch afrikanisiert, dennoch fordert der Taxifahrer 200 Dirham.  Der ist hilfsbereit, hat uns zu einer „pisserie“ gebracht, so nennt man einen Laden, wo man Bier kaufen kann. Aber 200 sind zu viel. Sport! Afrika ist Sport! Also drücke ich ihm in die Hand, was ich zahlen will. Er öffnet lachend den Kofferraum, um unsere Taschen auszuladen.

Ich war wieder der Stärkere. Das geht ab wie vergorene Ziegenmilch, die ich nie wieder trinken werde.

Am Gare Routière, dem Busbahnhof, fallen die Überland-Taxifahrer über uns her, wollen eine lukrative Fahrt übernehmen. Ich sage nur: „Zagora“ und Ruhe ist. Zagora liegt verdammt weit im Süden, in der Sahara, nahe der algerischen Grenze, wo die N9 endet. Also dort, wo niemand hin will. Die N9 ist die einzige Strasse, die durch den Hohen Atlas führt. Hier wurde „Mission Impossible“ gedreht. Und weil Tom Cruise nicht richtig Auto fahren kann, wurde die Strasse eine Woche lang gesperrt. Kein normaler Taxifahrer würde diese Fahrt für bekloppte Deutsche übernehmen. Ich stehe auf Orte, die nicht erreichbar sind.

Jetzt, mitten in der Nacht, gibt es einen Seelenverkäufer, der die Fahrt über die schneebedeckten Berge anbietet. Wir haben keine andere Wahl, morgen früh um 9 Uhr ist Start des Ultramarathons Atlas Sahara Zagora Trail. Der Name ändert sich jährlich, nein stündlich, wir brauchen einen Sitzplatz.

Das ist nicht so einfach, denn kaum hält der Bus, schon drängen sich Händler ins Innere.

Du musst schnell sein in Afrika. Also hechte ich die Treppe  hoch und glotze direkt in die Augen von Ismail, dem Sozialhilfeempfänger, der Typ, der bei keinem Marokkobericht von mir fehlen darf. Ekelhaft diese Küsschen links und rechts! Und er ist ja nicht alleine hier im Bus. Also quetsche ich mich durch die Keksverkäufer, die den Gang blockieren und knutsche alles ab, was vorgibt mich zu kennen.

Im Laderaum des Busses ist kein Platz für meine Tasche. Dort lagern schon Autoreifen und Matrazen. Der Bus kommt aus Casa, ist vollgepfropft mit allem, was jenseits des Atlasgebirges gebraucht wird. Nur Bier hat er keines.

Gisi muss strullen, ich soll dem Fahrer Bescheid sagen. Den Teufel tu ich! In Afrika gibt’s kein „Wir schaffen das!“ Wir halten in Taddert auf 2000 Meter Höhe, dort wo die Schneeräumfahrzeuge parken. Ich springe aus dem Bus. Wie gesagt, du musst hier schnell sein. In diesem Dorf gibt es „Schnelles“, und zwar „ouschnelles“,  Fleischgriller. 

Auch mein Schriftfranzösisch ist mies geworden. Also schnell hin zum Fleischer und Kottlets vom Rind abschneiden. Die Rinderhälften hängen hier fliegenlos am dieselreichen Straßenrand. Hier wird alles ausgeblutet, auch Hühner. Deswegen, iss niemals Huhn in Marokko, das Land ist schon trocken genug. Das Rindfleisch jedoch ist zart wie Ponyschnauze. Die Reproduktionsanatomie des blutleeren Rindviehs hängt aus dem Bauchraum, wie ein pakistanischer Hilferuf aus der Billigjeans. Der Metzger hat kein falsches Gebiss wie ein deutscher Entertainer, er hat auch kein Latexhandschuhe, die dreckigen Dirhamscheine wandern ökologisch durch seine Hände.

Das Hackfleisch auch. Kefta oder Kefka nennt sich das, wird mit Koriander vermischt und schmeckt traumhaft. Ich hab jetzt Kottlets, fetze damit zum Griller, beim Wirt bestellen ich Tee, zackzackzack, der Bus fährt in 20 Minuten weiter. Gott, wie liebe ich das afrikanische Leben, wo nur die Stärksten, die Schnellsten, die Fittesten und die Fleischfresser überleben!

Khadija ist Vegetarierin, sie ist Berberin aus Amsterdam, will gleich die 10 Kilometer laufen. Ihre blond gefärbten Haare sehen aus, als kämen sie aus einem Stockwerk tiefer. Sie wird sich unserer Trailtour anschliessen, die wir für morgen, also nach dem Zagoramarathon planen. Sie ist nervös, will ihren Kindern ein Lebenszeichen geben, doch es gibt keine Verbindung nach Europa. Es wird für dieses Jahr keine mehr geben. Wir sind dann mal weg!

Der nächste Halt ist in Agdz, ein Ortsname, der nicht trocken über die Zunge geht. Der Busfahrer geht jetzt zwei Stunden pennen. Vier Busse stehen hier, unglaublich viele Fahrgäste (das Wort passt nicht) blockieren das verstopfte Stehklo. Ich nutze die Seitenstrasse, verscheuche drei Schakale, die im Müll nach Nahrung suchen. Ein Penner sucht auch, findet meine Tasche, fliegt augenblicklich an die Mauer. Ich liebe Afrika! Seine Zähne waren eh locker.

Normalerweise ist man in acht Stunden in der Sahara, aber dieser Bus ist grausam, foltert uns 11 Stunden mit zurückgeklappter Rücklehne des Vordermannes, müffelden Gepäckstücken und schwabbelden Kotztüten.  Zahlreiche Schreier prallvoller Windeln müssen ihren Erfolg genervten Businsassen kundtun. Das ist selbst für mich nicht mehr haltbar. Die verhüllte Frau neben mir lacht, als ich den Korken reindrücke und der Rotwein ihr in den Gesichtsvorhang spritzt.

 
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Irgendwann geht dann doch die Sonne auf. Der Busbahnhof Zagora ist vor der Stadt, der Boden des Petite Taxi auch. Teppiche im Fussraum schützen vor aufsteigendem Kohlenmonoxid. Eine Notbremsung schickt unser Gepäck von der Dachterrasse des gelben Playmobils auf die Strasse. Zagora hat jetzt eine Ampel. Eine sinnlose, denn sie steht vor dem Kreisel. Autoverkehr gibt es nicht in Zagora, aber neuererdings diese pompöse Ampel.

Mindestens einmal im Jahr wird der Kreisel vor dem Palast der Provinzialregierung umgestaltet. Mal gibt es einen Brunnen, mal eine Palme. Das wechselt mit den Aufträgen, die ein Beamter vergibt, um sich ein Zubrot vom Auftragsnehmer zu verdienen. Dieses Jahr also gibt es eine Ampel. Die Provinz hier kann es sich leisten, Europa pumpt viel Geld in die Grenzregion, offiziell  „Vorfeldsicherung“ der EU, da dient auch mal eine Ampel zur Regulierung der Flüchtlingsströme. Exakt zwei Minuten dauert eine Ampelphase. Die zählt grün runter, rot hoch, das freut den Polizisten, der mit seiner Pfeife mächtig schimpft und nicht beachtet wird. Als ich das Gepäck vom Asphalt pflücke, dreht er sich demonstrativ weg.

Ali kenn ich jetzt seit 100 Jahren. Ich hatte damals mit der Deutschen Botschaft hier Silvester gefeiert. Jedenfalls können wir uns in seinem Riad die Laufklamotten anziehen, es ist 8 Uhr. Kurzer Anruf beim örtlichen Bierbringer. Der kriegt kaum die Augen auf, aber ich etwas zum Frühstück. Mögt Ihr denken, was Ihr wollt, es war eine grausame Nacht und die Morgensonne bringt mich um.

38 Marathonläufer treten an, 29  werden ankommen. Aziza Raji ist die schnellste marokkanische Trailläuferin, Gewinnerin des Trans Atlas Marathons 2015 über 285 km (ich werde von der Austragung 2016 berichten), sie wird heute allen davonlaufen. Organisiert wird der Ultra von Lahcen Ahansal (10facher Seriengewinner beim MdS) und Mohamad Ahansal (5facher MdS-Gewinner).

Ich bin noch nicht mal eine Stunde in dieser Stadt, werde gefeiert, wie ein verlorener Sohn. Mich interessiert das Posing der zahllosen Kurzstreckler. Die führen sich so groteskt auf, dass mir vor Lachen die Tränen kullern. Vor allem das Siegerpodest wird herzhaft missbraucht, so als wäre es eine brandneue, gute Idee, sich vor dem Start mit fremden Lorbeeren zu schmücken.

Hier ist es lustig, wir sind alle ganz kleine Kinder. Also stelle ich mich auch in den Kinderblock. Eigentlich ist der dazu da, die Mitläufer von uns fernzuhalten. Aber ich bin nicht wahnsinnig, eine Herde afrikanischer Wildhunde kann man nicht bremsen. Ich mache meinen Fotojob gleich vor dem Starttor.

Viele Musikergruppen gibt es dieses Jahr.  Die lauten Trommeln lassen nicht nur meine Lungen vibrieren, das ist superscharf, bringt mich in Extase. Ich rausche von Gruppe zu Gruppe, das schrille „triiiiiliiiiiii“ der fetten Weiber putscht zusätzlich. Ich könnte jetzt jede Palme ausreissen und Weltrekord laufen. Die Tränen wollen nicht mehr trocknen. Dazwischen dudelt laute europäische Musik: „ So wake me up when it´s all over.“ Ich will nicht mehr wach werden, alles so bunt hier!

 
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Khadija läuft sich warm. Nein sie fetzt zum Klo. Das gibt es jetzt hier auch, ist fast größer als der Provinzpalast und  liegt mitten im Stadtpark, der mit seinen Brückchen, Wasserläufen und Kinderspielplätzen einen guten Eindruck macht. Mein Hemd macht auch Eindruck, stinkt wie Puff. Habe im Dutyfree wohl die falschen Flasche erwischt.

Rachid Elmorabity (3facher MdS-Gewinner) schickt mich hinter die Startlinie. Es gibt zwar keine Zeitmessung, aber ich soll irgendwie die Kurzstreckler nicht verwirren. Davon gibt es etwa 1000: 10 km Läufer, HM-Läufer sind 26 km-Läufer und jede Menge Mitläufer.

Mitläufer werden hier ausdrücklich geduldet, denn die Ahansalbrüder sind so entdeckt worden. Mitläufer zahlen nix, Westler 25 Euro. Dieser Marathon ist nicht kostendeckend, dabei hätte er es verdient. Mein Hemd stinkt nach der Flasche mit der schwarzen Faust. Die Verkäuferin wollte meine Telefonnummer.

Es geht dann ganz schnell. Die Gnuherde hat Panik. Kleine Gnus fallen auf die Fresse. Das wird hier mit herzhaftem Lachen quittiert, niemand ruft nach Mama. Fotografen sind Krokodile, fressen jede Szene. Große Gnus machen extra Faxen, wissen nicht, dass Krokodile gnadenlos sind. Der Durchgang hier ist eng. Dann geht es hinauf zum Provinzpalast und zum Kreisel.

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Informationen: Zagora Sahara Trail
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