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16.07.16 - Silvrettarun 3000

Frau Holles Sommertraum

Hoch oben über den Wolken war die Narrenfreiheit in dieser Woche wohl grenzenlos, denn dort kam Frau Holle ab Mittwoch auf die Idee, den vielen Schnee, den sie in den Weihnachtsferien sparte, nun Mitte Juli über den Alpen auszuschütten. Zwei Tage vor dem Silvrettarun 3000 lag auch im Paznauntal in Österreich teilweise bis hinab auf 1800 m Neuschnee. Auf den höchsten Punkt der geplanten Marathonstrecke schüttete Frau Holle gleich 40 -50 cm tief ihre Restposten aus dem letzten Winter.

Der Small-Trail des Silvrettarun 3000 führt mit 11,2 km und 230 hm direkt von Ischgl nach Galtür durch das Tal. Der Medium-Trail führt mit 29,9 km und 1482 hm über das 2686 m hohe Ritzenjoch. Beim Hard-Trail läuft man normalerweise 42,2 km und 1814 Höhenmeter über das 2974 m hohe Kronenjoch, also höher hinauf als fast jede andere Laufveranstaltung im deutschsprachigen Raum. Wegen dem Schnee folgt nun dieses Mal kurzfristig der Hard-Trail auf den ersten 27 km dem Medium-Trail, zweigt dann aber knapp 3 km vor dessen Ziel zu einer weiten Runde um Galtür ab und kommt dadurch nur auf 37,9 Kilometer. Schade, für Marathonsammler sind das nun leider knapp 5 km zu wenig. Aber dafür wird uns heute ein großartiges Bergerlebnis geboten, das gerade wegen der schönen Schneelandschaft vielleicht sogar noch schöner als der ursprüngliche Plan ist.

Um die Strecke über das Ritzenjoch überhaupt für Läufer begehbar zu machen, schaufelten viele Helfer der Bergrettung am Tag zuvor Schnee vom Weg. Als wir beim Briefing Fotos von dort oben gezeigt bekommen, gruselt es wohl manche Teilnehmer. Ich freue aber auf die weiße Pracht. Die Zeitlimits auf der Strecke wurden aufgrund der Streckenverhältnisse aufgehoben. Diese kurzfristige Änderung wurde auf dem Informationsblatt, das bei der Startnummernausgabe liegt, nur teilweise aktualisiert. Oben steht in schwarzer Schrift, dass es keine Zeitlimits gibt, darunter aus der alten Textdatei in roter Schrift: "Bei Nichtbeachtung erfolgt die sofortige Disqualifikation." Ok, solche Word-Gimmicks kenne ich auch aus eigener Arbeit.

Mit auf alle Distanzen zusammengerechnet 544 Teilnehmern feiert die Veranstaltung einen neuen Melderekord. Dies liegt sicherlich nicht nur an der attraktiven Strecke, sondern auch an den insgesamt 12.000 Euro Preisgeld. Neu im Programm sind die Teamwertung, bei der jeweils ein Teilnehmer pro Distanz antritt, und die Gruppenwertung, bei der unabhängig von Zeit und Strecke die größte antretende Gruppe belohnt wird. Fünf Euro der Startgebühr gehen an die Stiftung Wings for Life, die damit weltweit aussichtsreiche Forschungsprojekte und klinische Studien zur Heilung des verletzten Rückenmarks unterstützen, um irgendwann eine mögliche Heilung für Querschnittslähmung zu finden.

 

 
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 Schon am Freitag um 17 Uhr starten vor dem Sport- und Kulturzentrum in Galtür die Kinderläufe, bei denen 63 Nachwuchsläufer von 4 bis 15 Jahren in verschiedenen Klassen antreten. Klar, als Fotograf lasse ich mir das nicht entgehen.

Bei der Pasta-Party gibt es ab 18 Uhr kostenlos eine gute Auswahl an Salat sowie verschiedene Sorten Pasta und Saucen. 

Am Samstagmorgen herrscht im mehr als nur gut gefüllten Bus von Galtür nach Ischgl dank Teilnehmern aus 25 Nationen ein babylonisches Sprachgewirr. Im Startgelände, das direkt neben der Talstation der Silvrettabahn ist, treffe ich wie bereits gestern Abend viele Bekannte. Im Winter wäre Ischgl ohne seine vielen Bergbahnen und Skilifte wie Mallorca ohne Strand. Kaum jemand weiß noch, dass die Eröffnung der Silvrettabahn nicht gerade optimal begann, da 1962 kurz vor der ursprünglich geplanten Einweihung die Kabine abstürzte. Heute zählt Ischgl zu den bekanntesten Skigebieten der Alpen, da dürfen neben sehr vielen Seilbahnen auch die Apres-Ski-Lokale nicht fehlen. Eines ist direkt neben unserem Startfeld. 

Durch den kurzfristigen Wintereinbruch liegt die Temperatur um 7 Uhr noch im einstelligen Bereich. Manche Läufer sind mit kurzen Hosen und kurzen Shirts vielleicht zu sommerlich angezogen. 


 
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 Um 7.30 Uhr starten wir. Kurz geht es durch den Ort, dann auf mal mehr, mal weniger steil aufsteigendem Weg mit bequemem Untergrund in die Höhe. Gegenüber den ersten vier Ausgaben wurde der Trail-Anteil an allen Strecken deutlich erhöht. 

Entgegen der sehr sonnigen Prognose des Wetterberichts verbergen am frühen Morgen noch zahlreiche Wolken die Berggipfel der Umgebung. Schon bald liegt Ischgl weit unter uns. Neben einem plätschernden Bach wird der Aufstieg steiler. Und schon kann ich meine Jacke in den Rucksack packen.

Nahe der Mittelstation der Silvrettabahn steigen wir kurz auf einem schmalen Trail bergauf, dann laufen wir ebenfalls über einen Trail hinab zur Station, wo die erste Verpflegungsstelle ist. Über eine Wiese geht es hinüber zur kleinen, 1676 erbauten Wallfahrtskapelle zu den Sieben Schmerzen Mariä. Ein Trail führt an einem kleinen See vorbei.


 
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 Dann laufen wir auf einem breiten Wirtschaftsweg ohne große Anstrengung in das Fimbatal hinauf. Da mein fotografischer Ehrgeiz sehr viel höher ist als mein sportlicher, laufe ich langsamer, als ich es hier normalerweise machen würde. Ich hoffe, dass sich wie angekündigt die Wolken bald auflösen, so dass ich möglichst viele Berge wolkenfrei fotografieren kann. Bei der Bodenalpe nehme ich die vielen Blumen vor die Linse, dann geben die Wolken allmählich wie erhofft die Sicht frei.


 
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 Die Strecke durch das Fimbatal ist angenehm zum Laufen. Immer wieder höre ich Sätze wie: "Weißt Du noch, vor ein paar Jahren hast Du mich bei .... fotografiert." Bei der Fimbaalpe überschreite ich die Grenze zur Schweiz. Weit über mir sehe ich die Karawane der schnelleren Teilnehmer, die sich oben am Berg immer weiter hinauf zur Schneegrenze und darüber hinaus zieht.

Bei der Verpflegungsstelle Heidelberger Hütte (2123 m) wäre eigentlich für die Hard-Trailer ein Zeitlimit gewesen, bei dessen Überschreitung man auf den Medium-Trail ausweichen müsste. Heute biegen wir wegen dem Schnee am Kronenjoch alle rechts ab, das Zeitlimit hätte ich aber auch problemlos geschafft. Obwohl der Aufstieg zur Heidelberger Hütte von Ischgl, also aus Österreich erfolgt, steht sie auf als einzige Hütte des Deutschen Alpenvereins auf Schweizer Boden.

Beim Begriff "Jakobsweg" dachte bis vor wenigen Jahren wohl jeder nur an die klassische Pilgerroute nach Santiago de Compostella. Nachdem sich als Modeerscheinung überall im deutschsprachigen Raum alte Pilgerrouten mit der Jakobsmuschel schmücken, gibt es im Tiroler Paznaun nun sogar eine besonders kreative Auslegung des Begriffs. Beim "Kulinarischen Jakobsweg" bieten von Mitte Juli bis Ende September fünf Alpenvereinshütten unter anderem Gerichte an, die von prominenten internationalen Sterneköchen kreiert wurden, darunter die Heidelberger Hütte.

Ab hier führt ein Trail nun mal mehr, mal weniger steil bergauf. Da auch im unteren Bereich dieses Aufstieges gestern noch Neuschnee lag, ist der Boden vom Schmelzwasser getränkt. Oft platscht es unter meinen Schuhen, ab und zu müssen wir Bäche überqueren. Doch nie ist die Strecke technisch besonders schwer oder sogar gefährlich, auch später oberhalb der Schneegrenze nicht. 

Seit gestern ist an unserer Aufstiegsroute bereits wieder sehr viel Schnee abgeschmolzen, außerdem trampelten die vielen hundert Schuhe vor mir den restlichen Schnee fast überall vom Pfad. Aber die schwarz-weiß gefleckte Umgebung unter tiefblauem Himmel sieht großartig aus! In dieser faszinierenden Landschaft bin ich nun absolut nicht mehr traurig über die Streckenverkürzung. Dieses Schneeabenteuer ist ein mehr als nur adäquater Ersatz für die Route über das Kronenjoch.

 

 
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 Je höher ich steige, desto lückenloser werden die Schneeflecken um mich herum.  Als ich oben am Joch ankomme, bin ich fast ein wenig traurig darüber, dass der Aufstieg schon vorbei ist. Von mir aus hätte es gerne noch eine Stunde so weiter gehen können.

Oben haben die Helfer der Bergrettung sogar eine kleine Verpflegungsstelle aufgebaut. Alle Getränke mussten sie hier hinauf tragen. Sogar warmen Tee gibt es. Einer der Helfer fotografiert mich. Wie sich am Abend herausstellt, ist es der Chef des Hotel Casada, in dem ich übernachte. Auf der anderen Seite geht es die ersten Meter noch auf überraschend wenig Schnee hinab, doch dann laufen wir über eine geschlossene Neuschneedecke. Zuerst relativ flach, so dass wir uns an den Untergrund gewöhnen können, dann zunehmend steil. Die ausgetretene Mitte des Pfades bietet kaum Halt. Viel besser ist es, neben dem Pfad die Fersen in den tieferen Schnee zu hauen.

Wer darin etwas Übung hat, kommt dadurch recht schnell und problemlos voran. Allerdings sollte man dazu Gamaschen haben, denn in den bis zu zehn Zentimeter tiefen Löchern, die man in den Schnee tritt, gerät sonst viel Schnee in die Schuhe.

Mir macht der Abstieg viel Spaß, manch anderer hat an  steilsten Stellen etwas Probleme. Doch wirklich gefährlich ist es nicht, da keine Absturzgefahr besteht. Wer stürzt, der rutscht hier nicht weit. Außerdem stehen genügend Leute von der Bergrettung bereit. Natürlich muss man trotzdem gut aufpassen, damit man sich nicht durch einen falschen Tritt die Füße bricht, aber das ist auch auf steilen Trails ohne Schnee der Fall. Hier könnte man gut Stöcke benutzen, doch die sind beim Silvrettarun 3000 nur auf der harmlosen Small Strecke erlaubt.


 

 
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 Das Gefährlichste ist für mich nicht der Schnee sondern die Aussicht. Ich muss mich zwingen, den Blick auch mal auf den Boden vor mir zu werfen, statt nur die wunderbare Landschaft zu bewundern. Aber so etwas sieht man halt nicht alle Tage.

An der höchsten mit dem Auto erreichbaren Stelle im Lareintal steht eine kleine Verpflegungsstelle. Ab hier kann ich nun viele Kilometer weit sehr bequem auf einem Fahrweg mit nur wenig Gefälle laufen, neben mir ein Bach, der immer wieder in flacheren Bereichen weit ausfächert, blühende Alpenrosen, Kühe, vor und hinter mir schneebedeckte Berge. Was braucht man mehr zum Glück?


 
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 Bei der Lareinalpe gibt es wieder Verpflegung. Kurz laufe ich nun auf einem Trail, dann führen breite Wege und schöne Trails bergab und bergab, manchmal mit Blick durch das Paznauntal in Richtung Ischgl. 

Schließlich erreiche ich die Stelle, an der sich die beiden Strecken trennen. Der Medium-Trail führt geradeaus zum nur noch ungefähr 2 km entfernten Ziel, für mich geht es nun links bergauf. Als die Frau, die an der Streckenweiche trotz unübersehbarer Wegmarkierung und Hinweisschild auch mit Worten und mit den Armen die beiden Routen anzeigt, mir gratuliert, weil ich den Hard-Trail wähle, kommen mir Zweifel. Sind vielleicht alle anderen langsamen Läufer auf den Medium-Trail gewechselt? Wegen der Streckenänderung hat man die Möglichkeit, sich erst hier zu entscheiden.

Jetzt führt ein breiter Weg wieder bergauf. Unter mir sehe ich im Tal einige Läufer von der Weiche aus direkt nach Galtür laufen, auf der gegenüber liegenden Seite des Tales sehe ich einige Läufer des Hard-Trails, die wohl schon mehr als eine Stunde Vorsprung haben. 

Es geht immer weiter hinauf. Mir kommt es vor, als würde dieser Aufstieg nie enden. Aber die Blicke hinab nach Galtür entschädigen für die Mühe. Dann biegt der Panoramaweg als Trail in Richtung Jamtal. Nun kann ich wenigstens einen Blick in dieses Tal werfen, durch das wir auf der geplanten Strecke gekommen wären. Ein Trail führt hinab, wo ich die Originalroute erreiche. 

Auf asphaltiertem Weg über Wiesen geht es in den Höhenluftkurort Galtür. Im 18. Jahrhundert wurde Galtür mit seiner barocken Kirche als Wallfahrtsort bekannt, heute prägt der Tourismus diese Region. Direkt gegenüber meinem Hotel sitzen drei sehr junge Mädchen und betreuen die Verpflegungsstelle. Gleich darauf bin ich unten an der Dorfstraße, wo zwei Ordner den Verkehr für mich stoppen. Auf der anderen Seite des Tales geht es zuerst etwas steil bergauf. Nachdem es heute morgen so kalt war, dass ich sogar Handschuhe brauchte, ist es jetzt so warm, dass ich mein langärmeliges Shirt gegen das kurze tauschen kann. Wie gut, dass ich mit Rucksack laufe! 

Es ist ein wirklich angenehm, wenn man auf den letzten Kilometern nicht unter Zeitdruck steht, sondern in aller Ruhe die Strecke genießen kann. Meine Platzierung ist mir völlig egal und bis zum ursprünglich für den Hard-Trail angegebenen Zeitlimit ist noch viel Luft. Daher wandere ich nun manche Streckenabschnitte, die ich eigentlich auch laufen könnte. 

Am Morgen hatte ich überlegt, ob ich auf die Runde um das Dorf verzichten will und nur den Medium-Trail laufe, doch nun bin ich froh, auch diese Kilometer zu erleben, die zwar keine spektakuläre Strecke mehr bieten, aber auf angenehmem Untergrund immer neue Perspektiven talauf und talabwärts vermitteln. Einmal sehe ich für kurze Zeit sogar den weit entfernten Jamtalferner. Faszinierend ist aber vor allem der Blick hinab zu einigen gewaltigen Steinmauern. Das sind keine Befestigungsanlagen aus kriegerischen Zeiten, sondern dringend notwendiger Schutz vor Lawinen. In der kleinen Gemeinde mit rund 800 Einwohnern kamen im Februar 1999 31 Menschen bei einer verheerenden Lawinenkatastrophe ums Leben. Der Ort wurde durch den Schnee von der Außenwelt abgeschnitten, dass Hilfskräfte und Urlauber nur mit Hubschraubern transportiert werden konnten. Nun schützt man die gefährdeten Häuser mit diesen riesigen Mauern. 

 

 
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Schließlich überquere ich erneut die Trisanna, laufe kurz am Ufer flussaufwärts, steige dann zur letzten Verpflegungsstelle auf, die nahe der Streckenweiche steht. Dann geht es über eine Wiese, an Lawinenschutzmauern vorbei, ein paar hundert Metern auf einer Straße, zuletzt noch einmal kurz über Wiesen. 1,5 Stunden vor dem ursprünglich geplanten Zeitlimit erreiche ich ganz entspannt das Ziel, hätte also in der verbliebenen Zeit auf jeden Fall auch die ursprünglich geplante, 4,3 km längere Strecke mit nur 87 Höhenmetern mehr geschafft.

Beim Hard-Trail erreichten 24 Frauen und 125 Männer das Ziel.

Ein wunderschöner Lauftag liegt hinter mir, der nun zwar nicht in die Statistik meiner Marathonsammlung aufgenommen wird, aber dafür in der viel wichtigeren Sammlung großartiger Erlebnisse. Und natürlich steht fest, dass ich unbedingt noch einmal hier her kommen will, um auch das Kronenjoch zu sehen.

 

 
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Es lohnt sich, den Aufenthalt um einige Tage zu verlängern. Schon mit der ersten Übernachtung im Paznaun, der Region zwischen Landeck und Bielerhöhe, erhält man in der Unterkunft die Silvretta Card, mit der man alle Busverbindungen, Bergbahnen sowie Eintritt in Bäder und Museen gratis bekommt. Auch ich nutzte diese Möglichkeit. Hier sind zum Abschluss meine Fotos vom Silvretta-Stausee bei der Bielerhöhe, von der Bergstation der Birkhahn-Bahn, vom Kopps-Stausee, die Bergbahnen von Ischgl auf das Idjoch (mit denen man auf der anderen Seite auch bis hinab nach Samnaun fahren könnte), in Kappl und in See. 

 

Informationen: Silvrettarun 3000
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