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04.10.12 - Ultra Trail Atlas Toubkal (UTAT)

Sturm über Afrika

Autor: Joe Kelbel
 

Der Gefangene von Azib Likemt

 

 
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Im Sonnenuntergang kann ich die nebligen Umrisse des Toubkal ausmachen.
Sobald die Sonne untergeht, saugt die warme Sahara mit den aufsteigenden Winden die eiskalte Luft aus dem Norden an. Auf den Pässen ist in diesem Moment bei Windgeschwindigkeiten von über 100 Stundenkilometern kaum Überleben möglich. Ich bin etwa 20 Meter unterhalb dieses Passes (ca 3100 m), hier entsteht durch die Luftströmung, die über den Pass saust, ein lebensbedrohlicher Unterdruck mit extrem warmen Temperaturen. Scheiß Timing, bin ich gerade in diesem Moment in einer beschissenen Situation. Sie kündigt sich mit einem unangenehmen Kribbeln in den Kiefern und einem unwirklichen Zusammensacken an. Ich kann die Höhe der Steine nicht mehr erkennen, die Augen liefern Wischiwaschi.

Es sind nur wenige Minuten, dann lässt der Wind kurz nach und der Luftdruck steigt wieder. Kontaktlinsen raus, Brille und Lampe drauf, dies war das erste Warnsignal unberechenbarer Hochgebirgsphysik. Volle Breitseite in die Biologie.

Es ist verdammt dunkel, da lerne ich Robert kennen, nicht wirklich, er brach halt vor mir zusammen. Dann haben wir die Lampen ausgemacht und wort- und atemloslos in den Himmel geschaut, haben erkannt, dass wir in einer wunderbaren Schlucht festhängen, dessen scharfe Ränder den klaren Sternenhimmel begrenzen. Wie klein sind wir – und wie groß die Schöpfung. Träume von einem Platz dort oben in einer glasklaren, reservierten Wohnung. Ich habe sie gesehen.

Robert bleibt zurück. Mich reißt ein leises, drohendes Brüllen aus meinen Träumen. Eiskalt läuft es mir den Rücken runter, reiße mich zusammen, versuche Logik in meine Panik zu bekommen. Vermutlich eine Streifenhyäne, die wühlen gerne im Müll der kleinen Ortschaften. Die brutalen Tüpfelhyänen gibt es glücklicherweise hier nicht.

Tatsächlich künden erst Wasserkanäle, dann bellende Hunde von einer Ortschaft.
Meine Füße sind nass, zu oft in den Kanälen ausgerutscht. Zwischen alten Ruinen sucht mein Scheinwerfer den Weg, glühende Augen schauen mich an. In den folgenden Stunden wird mir klar, dass ich nicht wegen des Wettkampfes, sondern wegen der grandiosen Landschaft hier bin. Ich werde definitiv hier irgendwo oben übernachten und morgen früh bei Tageslicht weiterlaufen.

20:45 Ankunft in Azib Likemt. Km 68, Versorgungsstation, Gelegenheit zum Ausruhen und Schlafen. Warme Nudelsuppe, mehr bekomme ich nicht herunter.

21: 45, ich will doch weiter, schließe mich einer Gruppe von 4 Läufern an, doch der Medizinmann kontrolliert meine Kleidung: „ Trop basic“. Für mich kein Hinderniss, aber der Medizinmann vom nächsten  PC7 (Point Controle 7 ) meldet minus 10 Grad, Windgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern und Schneefall. Die grausigen Todesbilder der letzten Nacht schicken mich ins Schlafzelt.

Ich habe nur noch Platz ganz vorne an der flatterigen Eingangsluke, das Zelt ist gerappelt voll, niemand schnarcht. Die Decken stinken nach Maultier und Petroleum. Als es mich am Rücken beißt, weiß ich, dass Petroleum nicht wirklich gegen die kleiner Beißer wirkt. Ich huste mir die Lunge weg, schaue hinaus in den  Fast-Vollmond, die rasenden Wolken fletzen silbern über die kalten Gipfel. Gehirnnebel.

Die Lucke fliegt krachend auf , ein Vollidiot klatscht mir einen nassen Lappen ins Gesicht, vor mir liegt eine hässliche Läuferin mit aufgerissenem Mund und starren Augen, dann geht der Vorhang wieder zu. 

Die Angst um meine Schuhe, die vor dem Zelt im Regen liegen, weckt mich auf. Ein Griff durch die klatschende Zeltbahn nach meinen Tretern, zum Glück keine hässliche Tote mehr.

Als Stephane mit zwei weiteren Kämpfern um 3 Uhr den Weitermarsch angeht, raffe ich mich auch auf. Wir melden uns beim Medizinmann ab, doch es gibt Probleme: PC 7 ist nicht mehr erreichbar, PC 6.5 ist nicht verstehbar, auch meine schnatternde Zähne machen eine Konversation unmöglich. Nicht dass mich jetzt die Vernunft zurück ins Zelt treibt, ich habe schiere Angst.

5 Uhr, ich stehe wieder vor dem Medizinmann, will weiter. Er kann mich nicht gehen lassen, PC7 ist vom Radarschirm verschwunden: das Zelt ist weg, der Punkt evakuiert. PC6.5 antwortet immer noch nicht, wir müssen umgehend unser Lager abbrechen und den Jungs dort oben helfen.

06:30 Uhr, ich bin bereit, nach Süden auszuweichen, doch dort ist nur die Sahara, wir müssen über die Bergkette, wir müssen dort hinauf auf 3500 Meter Höhe. Der Medizinmann lässt mich nicht gehen. Ein Läufer wird nach Westen geschickt, er ist platt, soll in 20 Kilometern von einem Muli weitertransportiert werden. Ein Arzt und ein Führer begleiten ihn, er verschwindet im Nebel, während wir die Decken und Zelte zusammenlegen.

07:30 wir gehen los. Ich hatte 10 Stunden Zwangsaufenthalt. Ein Führer vorneweg, der Medizinmann, seine Mutter, ein Reporter und einige gestrandete Läufer hinterher.

 

Marsch hoch zum Schlachtfeld

 

Robert geht es sehr schlecht, er übergibt sich und sein Gepäck. Mir fallen die abgebrannten Büsche auf. Der Führer erklärt: „Radiateurs des bergers“ Heizung der Hirten, Macchiabüsche mit aloehaltigem Harz. Man brennt diese stacheligen Dinger an und hat eine wunderbare Heizung und Notfallbeleuchtung. Deswegen also das Feuerzeug in der Pflichtausrüstung. Mir kommt die Geschichte über den brennenden Dornbusch aus der Bibel in den Sinn. Was wird mir erscheinen, wenn ich im Höhenrausch die Dinger anstecke? Etwa mein Italiener, der mir statt der 10 Gebote die Nr. 10 ohne Zwiebeln serviert? Ich habe keine Höhenprobleme, bin erstaunlich fit.

 
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Und das Messer? Er lacht: Skorpione! Er dreht demonstrativ die Steine um. Es sind diese winzigen schwarzen Dinger, die ich oft heute Nacht zertreten habe, weil ich dachte, es wären kleine Spinnen. Er erklärt: „Wenn sie gestochen haben, musst du den Stachel mit dem Messer abschneiden, damit die Viecher nicht weiter das Gift rein pumpen.“ Gut, dass all diese Geheimisse in der Ausschreibung erklärt wurden.
„Die größeren, schwarzglänzenden Viecher machen Fieber, die ganz großen, die  hellen, die tun nur weh“ und zur Demonstration dreht er wieder einen großen Stein um. Eine hässliche kurze Schlange kriecht gemächlich unter den nächsten Stein.

09:30 Uhr Azib (Tierhütte) Tifni, ein Maultier, PC 6,5 ist sichtbar. Der dortige Medizinmann kommt uns entgegen. Angst hätte man gehabt heute Nacht. Das Zelt ist von außen mit großen Steinen gesichert worden, von innen hat man sich an die Zeltbahnen gekrallt, zu acht habe man dort drinnen gehockt und gebetet. Gebetet? Ja, gebetet!

In diesem Moment schätze ich den Wert meines Lebens ab. Wie sagt Papst Benedikt: “Du sollst nicht widerstehen, du sollst aufleiden!” Da frage ich mich doch, wem geholfen ist, wenn ich hier auf 3200 Meter Höhe “aufleide” Nicht mal das Finanzamt wird mir meine Schuld vergeben. Und wer hat den Mut, mir einen Kasten Bier ins Grab zu werfen? Ich will unbedingt weiter, will finishen. Doch Robert will aufleiden, bricht zusammen. Im Zelt hatte ich mich noch lustig neben ihn gelegt. Auch der Medizinmann hatte blutdruckmäßig keine Bedenken. Und doch war dann Ende für ihn.

Er muss runter, doch zunächst noch hoch auf den Tizi n`Tarharate. Es gibt hier oben kein Zurück. Man einigt sich darauf, die Strecke nach dem Pass zu ändern, um über einen Notabstieg ein Mittagessen in Aroumd zu ergattern.

 

Informationen: Ultra Trail Atlas Toubkal (UTAT)
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