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25.06.11 - Graubünden Marathon

Himmel und Hölle

 

Aufstieg zur Mittelstation Scharmoin

 

Es folgt das letzte Drittel, der Anstieg zum Rothorn. Auf gut elf Kilometer Weg sind noch rund 1400 Höhenmeter verteilt. Ich glaube, ich werde zum Spaziergänger, als ich von der Hauptstrasse links abbiege. Etwa auf halber Strecke zum Wasserfall haben sich zwei Musiker niedergelassen. Ein Lagerfeuer brennt, Essen und Trinken haben die auch dabei und spielen jetzt auf ihren Quetschen, die Schweizer nennen die Instrumente Handorgeln. Ich bin schon vorbei und jetzt auf einem schmalen Wanderweg, als mir einfällt, dass ich das Bierschnorren vergessen habe. Mist!

 
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Vor der Verpflegung Wasserfall (Kilometer 33,5, 1800 Meter) kippe ich ein Isogetränk hinter die Binde und genehmige mir dazu eine kurze Sitzrast. Wer will, kann in eine Schale mit Salzstangen und Erdnüssen langen. Da eine kleine Kolonne Läufer daherkommt, werde ich unruhig und mache mich wieder auf den Weiterweg. Es folgt ein rund zwei Kilometer langer Singletrail ohne nennenswerte Steigungen. Es tut gut, dass ich wieder ins Joggen komme und so die Beine lockern kann. Doch aufgepasst wegen der Steine und Wurzeln. Ich überhole eine Holländerin, die hier bereits Schwierigkeiten beim Überwinden solcher Hindernisse hat. Vor der Mittelstation bearbeiten drei Burschen ihren Trycheln mit großer Inbrunst.

 

Scharmoin – Kilometer 37

 

Kurz vor der Mittelstation pflücke ich mir ein paar Alpenrosen und stecke sie mit ins Stirnband. Ein Fotograf hat mich dabei ertappt. Bei der Mittelstation (Kilometer 35,4; 1883 Meter) ist der Verpflegungstisch wieder reichlich gedeckt. Ich greife zu. Dann geht’s auf guter Bergautobahn weiter, auch Laufeinlagen sind möglich, wer noch laufen kann. Für ein paar Meter geht es auch bei mir noch. Aber es wird übel schwer.

 
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An der Alp Scharmoin ziehe ich mein Windjacke an, denn die Sonne ist wieder hinter den Wolken verschwunden. Die Alpbäuerin kommt herangelaufen. „Ein Bild mit der Kuh gefällig?“ fragt sie. Ich komm mir vor wie der Ochs (vorm Berg). Kurz danach sehen wir einen blauen Speichersee. Unsere Steigungsprozente werden wieder zweistellig. In meinen Oberschenkeln ist ein Höllenfeuer entbrannt, so sehr maulen die Muskeln.

Am Weishornlift (2170 Meter, Kilometer 37,5) erhalten wir wieder Getränke. Zunächst sehen wir ergrünende Skipisten mit vielen Alpenblumen, dann wird das ganze steiniger. Der Fahrweg wird immer ruppiger. Nach Kilometerschild 38 folgt dann ein unglaublich schwieriger Streckenteil. Wir laufen unterhalb der Seilbahn durch die sogenannte Traverse. Mittlerweile will ich mich nicht mehr allein quälen und habe mich der Pia Rohner aus Rüti (Zürich) angeschlossen. Der Volksmund sagt, geteiltes Leid ist halbes Leid. Zu recht.

 

„I muess auffi aufs Rothorn“

 

Man glaubt, in einer Steinwüste zu sein. Und zwischen den Steinen finden sich immer noch kleine Blumen, die das Mikroklima ausnutzen können. Das Herz hämmert, die Luft ist knapp. Wer seine maximale Herzfrequenz sucht, kann hier sicher fündig werden. Ich habe Arbeit, dass ich genug Luft bekomme. Ist das die Höhe? Irgendwie ist mir warm. Die Sonne ist durch die dünne Wolkendecke fast nicht sichtbar. Da kommt mir ein Gedanke und ich greife nach einem Stein am Weg. Er ist „bacherlwarm“. Aha, das mit der Wärme war nicht geträumt. Die diffuse Strahlung reicht, um den Untergrund ein wenig aufzuheizen.

 
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Am Foil Cotschen (Kilometer 39,9; 2470 Meter) gibt’s noch Mal reichliche Auswahl auf der Speisekarte. „Habt’s Ihr Bier für an Bayern?“ Auch mein Appell an die christliche Nächstenliebe und das Teilen mit Durstigen verhallt ungehört. Nur Kopfschütteln sehe ich bei den Helfern. Man schickt mich weiter.

Der weitere Weg führt um einen Bergvorsprung. Das 40-Kilometerschild folgt. Pia lässt sich zu einem Kilometerschildbild motivieren. Das kriegt nicht jeder von mir! Weiter ansteigend. Ich höre Klänge aus einem Alphorn. Der Musiker lässt bei jedem Hochgebirgswanderer eine Weise erklingen.

Wir sehen die letzte Verpflegung auf dem Grat. Alles geht. Die Wadenmuskulatur ist bretthart und kurz vor einem Muskelkrampf. Bei der letzten Verpflegung bei Kilometer 41 (2660 Meter) gönne ich mir noch einen Becher. Ich frage nach der Temperatur, denn es ist mittlerweile kalt geworden. „Es hat 20 Grad“, muss ich mir anhören. Na, vielleicht bei mir unter der Fußsohle.

Der letzte Kilometer bricht an. Hier kann man gute Kilometersplits erzielen. Der letzte hat 20 Minuten gedauert. Wir sehen heute auf viele Gipfel, 1000 soll es im ganzen Kanton geben und 11000 Kilometer Wanderwege und 45 Hütten.

Die letzten Serpentinen. Von oben rufen  Pias Angehörige, sie kommen uns entgegen zum Anschieben. Weitere Zuschauer hocken wie die Hühner „aufm Stangerl“. Mittlerweile bläst der Wind unangenehm kalt. Da ist man froh, wenn man ein paar Meter im Windschatten unterwegs ist. Und es fängt zu regnen an. Oder ist’s Graupel? Hölle pur, wo ist denn jetzt die Bergstation? Die ist nicht zu sehen. Ich fluche innerlich. „Wie weit geht es denn noch“, fragt Pia fast verzweifelt. „Nur noch um die Bergecke da“, höre ich von einem Betreuer. Und dann sehen wir den Himmel. Das Ziel - vielleicht 50 Meter weg.  Wir marschieren stramm und laufen die letzten Meter ins Ziel auf 2865 Meter Höhe, dem Rothorn. Dem Himmel sei Dank. Die hart verdiente Medaille wird überreicht.

 
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An der Verpflegungsstelle greife ich mir zwei Becher und hole mir meinen Rucksack. Schnell was Warmes anziehen. Für ein paar Bilder begebe ich mich noch in den Zielbereich und fahre dann mit der Bergbahn nach unten.

Ja, heute hat’s lang gedauert, denn das Zeiteisen zeigt 6.36.35 Stunden (Platz 232). Da war ich schon mal eine geschlagene Stunde schneller. Aber die rund 300 Fotostopps, die brauchen halt a a bisserl Zeit. Ach ja, mein Vereinskollege Roland wird Gesamtzweiter beim 20-Meilen-Rennen. Ich glaub, den schleif ich mal zu einem Bergmarathon mit. Ach ja, die Sieger erhalten einen Felsbrocken vom Rothorn auf einem Sockel, damit wir künftig weniger Höhenmeter laufen müssen. Aber da braucht’s genug Geduld.

Sieger Marathon Männer:

1. Timothy Short GB-London 3.41.22
2. Tobias Brack D-Buchenberg 3.49.05
3. Michael Barz D-Durach 3.52.22

 
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Sieger Marathon Frauen:

1. Maja Meneghin-Pliska Vernes 4.20.08
2. Denise Zimmermann Mels 4.24.40
3. Jeanette Dalcolmo-Jegen Dürnten 4.41.53

Teilnehmer:

Marathon 336 Finisher. 20 Miles 109 Finisher. Rothorn Run 101 Finisher. Halbmarathon 99 Finisher.

Zeitnahme:

Per Chip von Datasport.

Auszeichnung:

Urkunde aus dem Internet, Finishershirt, Medaille. „Nur Bares ist Wahres“, das gilt für die schnellsten drei Männer und Frauen. Sachpreise für die Klassensieger.

Drumherum:

Duschmöglichkeit und Massage in der Mehrzweckhalle. Gepäcktransport zum Ziel. Gratisrücktransport vom Rothorn nach Lenzerheide mittels Rothornbahn und Shuttlebus.

Verpflegung:

Alle fünf Kilometer Mineraldrinks, Wasser, Cola, Energieriegel, Bananen, Gel und Bouillon. Am Aufstieg zum Rothorn sechs Verpflegungsstellen .

Zuschauer:

An gut erreichbaren Stellen viele Zuschauer, es gibt auch Streckenteile, wo kaum eine Menschenseele anzutreffen ist.

Fazit:

Ein schwerer Berglauf, den man mit großem Respekt vor der Topographie angehen sollte. Erfahrung am Berg kann für die Teilnahme nur von Nutzen sein. Viele Teilnehmer nutzten den LGT-Alpin-Marathon eine Woche zuvor als „Aufwärmprogramm“. Ohne Vorbereitung hast du mehr Hölle als Himmel.

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