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07.01.16 - La Corsa della Bora

Hart im Nehmen

Laut Ausschreibung sollte man umkehren, wenn man mehr als 200 Meter kein Wegzeichen mehr gesehen hatte. Leute, ihr habt die Strecke grandios gut ausgezeichnet, gefühlt alle 10 Meter war ein Fähnchen mit dem Zeichen des S1 angebracht, häufig sogar mit Kabelbinder befestigt. Top! Jetzt kann ich ja gestehen, dass ich eins der Fähnchen habe mitgehen lassen. Aber erst gegen Ende, erst da, wo ganz, ganz viele standen, ehrlich!

Nach diesem ersten Eindruck von der Streckenbeschaffenheit ging es vielleicht einen Kilometer durch triste Industrievororte. Überall waren Streckenposten, die an allen Straßenüberquerungen standen, toll anfeuerten und sehr zuvorkommend und freundlich grüßten. Sie schickten uns scharf links den Berg hoch, endlich in die erwünschte und ersehnte Karstlandschaft. Auch die Polizei sicherte Straßen, und ich sah viele aufmerksame Sanitäter. Wiederum top organisiert!

Bei Kilometer 14 kam der erste Verpflegungspunkt in einem Dorf nahe der slowenischen Grenze  und unterhalb einer Wand - steil, senkrecht, einfach nur hoch! Gerade richtig, um kurz durchzuschnaufen und um etwas zu sich zu nehmen. Die Versorgung an diesem VP wie auch an allen anderen war großes Kino, alles was das Läuferherz begehrt, und wiederum von so vielen Helfern nett und unterstützend angeboten. Ich hatte den Eindruck, dass alle nicht nur mit Herz, sondern auch mit Leidenschaft die Läufer unterstützten. 

Dann kam die Wand, der Pfad wurde immer enger, wurde zum Ziegenpfad, nichts war es mehr mit steinbockhafter Leichtigkeit. Einer nach dem anderen kämpfte sich diesen schmalen Pfad hoch, die Baumgrenze war gefühlt überschritten, weil auf diesen Steinen kaum ein Baum Halt findet. Die am steilsten abfallenden Passagen waren mit Seilen gesichert. Ein Seil war dann auch beim Abstieg hilfreich, die Sicherung übernahmen Männer von der Bergwacht.

 
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Trotzdem  sah ich einen wohl verletzten Läufer unter einer Rettungsdecke, um den sich sich die Bergwachtleute fachmännisch kümmerten . Alles gut.  Der Abstieg auf losem Geröll war weiterhin schmal und schwierig. Dazu hatte ich einen Simpel mit glatten Straßenlaufschuhen vor mir, der trotz „Scusi, scusi“ nicht zur Seite gehen wollte. Stattdessen ließ er mir wieder Strauchwerk ins Gesicht schnalzen. Irgendwann sprangen wir dann doch an ihm vorbei.  Viel gewinnen konnten wir nicht, denn an etlichen Abschnitten  waren wir auf allen Vieren oder auf dem Po unterwegs. Zum Glück hatten wir die Handschuhe dabei. Sie schützten nicht nur gegen den  scharfen und kalten Wind, sondern auch vor scharfkantigen Steinen.

Nach jedem Berg kommt ein Tal, das wir dann auch  gesund erreichten. Ein sehr idyllisches Tal im Übrigen, von einem Gebirgsbach durchzogen. Aber denkste, nach jedem Tal kommt wiederum ein Berg und weiter ging es hoch und höher hinauf auf schönen und gut laufbaren Wanderwegen, dann über Stock und Stein und Steintreppen, irgendwann mit Blick auf einen gut 30 Meter hohen Wasserfall. Natur pur, der La Corsa della Bora bot uns einiges an fantastischen Ausblicken. Gegenüber sah ich mehrere Bergsteiger die Wand erklimmen.

An dieser Stelle dachte ich darüber nach, ob ich nicht wie andere besser meine Laufstöcke mitgenommen hätte. Aber die Wege waren meist voller Geröll und der Karst so durchlöchert, dass sie sich vielleicht verkantet hätten und mir eher hinderlich gewesen wären.

Egal, ich hatte sie nicht dabei.  Alex und ich kämpften uns weiter hoch. Wir waren schon ziemlich platt, obwohl  erst bei Kilometer 20.  Der Trail verlangte uns alles ab. Und jetzt sogar noch eine unnötige Schleife, weil wir nicht auf den sehr gut ausgezeichneten Weg achteten, sondern anderen hinterher liefen. Ok, Wende und zurück, dann  wieder und weiter hoch, bis wir letztendlich eine Hochebene erreichten. Ich fühlte mich hier wie in der Szene in  „Der Hobbit“, in der die Zwerge über eine ähnliche Hochebene vor bösen Orks flüchteten. Nur dass die Zwerge rannten, wir aber nicht.  Denn die Ebene war nicht eben, sondern voller Steine im und unter dem Gras. Wir mussten ziemlich gut aufpassen. 

Wir erreichten den strategisch perfekt  gelegenen zweiten VP bei Kilometer 23, wo auch die erste Zwischenzeit genommen wurde. Wir waren weit entfernt vom Cutoff, so dass wir die heiße Minestrone, eine gehaltvolle Gemüsesuppe, genießen konnten. Mensch, war die lecker, und wie tat das gut, ebenso der warme Tee  und die Salami. Wir  machten uns die Taschen mit leckeren Keksen voll und weiter ging’s.
Bald erreichten wir ein Waldstück und waren  ein wenig geschützt vor dem Wind. Obwohl die Berge um Triest nur rund 400 Meter hoch sind, ist es ziemlich ungemütlich, denn sie liegen direkt am Meer und der Bora bläst und bläst.

 
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Bei Opicina erreichten wir den dritten VP, Kilometer 33. Dort wurden auch die Beutel mit Wechselwäsche bereitgehalten, wussten wir vorher nur nicht. Und die Veranstalter hatten sich nochmals gesteigert. Von einem großen Stück Fleisch wurden warme Happen abgeschnitten, die Suppe dazu war noch leckerer als die zuvor. Aber trotz der wunderbaren Verpflegung wurden wir immer langsamer, es ging ständig bergauf und ab, was uns zunehmend zermürbte. Ich begann mir Sorgen um das Zeitlimit zu machen, was  nicht gut war für die Stimmung .

Erst als wir wieder einen Vorort von Triest erreichten und nach einer kurzen Straßenpassage (alle 20 Meter ein Helfer, der die Richtung wies!) auf eine Art Parkweg kamen, lief es wieder  und ich fühlte mich immer besser, weil schneller. Wegen des Feiertags (Heilige Drei Könige) waren hier viele Spaziergänger unterwegs. Wenigstens die konnte ich überholen, mental in dem Moment enorm wichtig.
Auf dem Weg sah ich auch das Schild des Alpe Adria Trails, „Prosecco 6 km“. Aber keine falsche Hoffnungen: Der nächste Ort heißt so! Eigentlich schade, wäre doch was gewesen für die italienischen Momente im Leben.

Wir ließen Triest hinter uns und liefen immer an der Küste entlang, die Alpen und vor allem die Gewissheit vor uns, dass hinter einer der nächsten Buchten unser Ziel liegen musste.  Es wurde dadurch nicht leichter.  Noch eine Steigung, noch ein schmaler verwinkelter Pfad, noch mal links und rechts um die Felsen herum, durch vom Wind gekrümmte Bäume und  bemooste alte Mauern: Fuß und Bein taten sich schwer, die Konzentration ließ nach. Der Trail verlangte uns alles ab.  Da tat es gut, immer wieder auf einen Streckenposten zu stoßen, der einen mit Ciao, Salve und Bravo begrüßte.

An den VP bei Kilometer 36 kann ich mich gar nicht mehr erinnern, mir war nur noch kalt. Der Himmel klärte sich auf und die Sonne zog sich langsam über das Meer zurück. Es wurde merklich dunkler.  Die Cola am  VP in einem Dorf bei KM 43 tat richtig gut. Mit der belebenden Brause wurden noch ein paar Kekse runtergespült und schon wurde wieder Kraft für die letzten 10 Kilometer verspürt.

Kurz zuvor hatte ich Rabenvater meinen Sohn im Wald zurückgelassen. Jeder musste den Lauf in unserer eigenen Geschwindigkeit zu Ende bringen. Aber ich wusste Alex gut versorgt, zumal hinter uns noch mind. 50 Läufer sein mussten. Der Weg war gut ausgeschildert und ich kenne seinen Willen zu finishen. Zur Not hätten wir uns auch über Handy verständigen können.

Etwa bei Kilometer 48 traf ich auf eine italienische Läuferin, mit der ich mich radebrechend unterhielt. Sie hätte gerne für sich behalten können, dass der Lauf entgegen der Ausschreibung und der Wegbeschreibung auf der Rückseite der Startnummer nicht 53, sondern 55 Kilometer lang sei. Ächz, wieder ein mentaler Tiefschlag.

 
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Ok, ich war jetzt auf den letzten 6 Kilometern und es konnte zum Ziel im Hafen ja nur noch abwärts gehen. Ging es ja auch, aber erst nach einer anstrengenden weiteren Kletterei über scharfkantigen Fels voller Löcher und Höhlen. Zudem hing mir auf einmal eine andere Läuferin dicht an den Fersen und es wurde immer dunkler. Sollte ich jetzt noch die Lampe rausholen? Hatte Alex seine Lampe aufgeladen? Er war doch irgendwo hinter mir und musste diese nicht ungefährliche Stelle später, bei noch weniger Tageslicht passieren. Warten oder weiter?

Weiter! Letztendlich spuckte mich der Wald auf einer Schnellstraße aus, wiederum top gesichert. Kurz noch ein paar Kekse mit dem Rest Wasser runtergespült und im Affenzahn die Straße zur Marina runter und das letzte aus dem müden Körper rausgeholt, denn plötzlich tauchte hinter mir eine Gruppe junger und noch sehr frisch wirkender Läufer auf. Ich ließ keinen mehr an mir vorbei und erreichte nach fast 9 Stunden 30 das Ziel und hatte endlich die ersehnte Medaille um sden Hals.

Glücklich umarmte ich Wolfgang, Robert und Daniel, die bereits seit Stunden im Ziel auf uns warteten.  Alex kam kurz nach mir ins Ziel. Mein Sohn, mein Held!
Damit hatte ich Platz 275 von 324 Finishern erreicht, Platz 230 von 262 Männern. DNFs gab es wohl 12. Leider gab es jetzt für uns nur noch Wasser zum Trinken, kein Zelt zum Aufwärmen uns keine Gelegenheit, sich irgendwo im Warmen und Trockenen etwas auszuruhen.

Also schnell in frische Klamotten und ab ins Shuttle. Im Hotel machten wir uns frisch. Wie herrlich doch so eine heiße Dusche ist. Wir gingen  wieder ins Pane Vino, unser neues  Stammlokal, und bestellten als Vorspeise einen Berg Wurst und Käse, was köstlich schmeckte. Danach noch eine Pizza, ein paar Bier  und dann die müden Knochen auf dem Bett ausgestreckt. Gute Nacht!

Fazit:

Der S1 La corsa della bora ist ein Brett, 55 km mit rund 2000 Höhenmetern, ein fantastischer Lauf, aber nur erfahrenen Läufern zu empfehlen. Die Organisation war top, bis auf leichte Abzüge am Schluss im Ziel.

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Informationen: La Corsa della Bora
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