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07.01.17 - swiss snow walk & run

Endlich einmal (Halbmarathon)

Alle erdenklichen Bildschirme sind eingeschaltet: Fernseher, Laptop, Tablet, Smartphone: Die Netzteile glühen, die Akkus rauchen. Auf einem lese ich, dass der vergangene Monat der seit Beginn der Aufzeichnung der Wetterdaten niederschlagärmste Dezember war. Auf dem anderen Monitor lasse ich die Bilder der Webcams an mir vorbeiziehen, auf welchen alle das Gleiche zu sehen ist. Braune Alpweiden durch welche weiße Kunstschneebänder  mäandern, damit der Wintersporttourismus diese Saison nicht zu einer Nullnummer wird. Durch die Gorillagläser der in der Hand haltbaren Kommunikationsmittel werde ich über die unterschiedlichen Wettermodelle informiert. Mit gebanntem Blick verfolge ich die kleinsten Änderungen der  Vorhersagen und aktuellen Wetterveränderungen. 

Das alles geschieht zum Wochen- und Jahresbeginn und es bleibt nicht viel Zeit, bis die zweite bedeutende Laufveranstaltung nach dem Neujahrsmarathon in der Schweiz stattfindet. Im Verlauf der Woche kann ich beruhigt ein Gerät nach dem anderen herunterfahren. Zwei Fronten durchqueren das Land und an deren Rückseite drängt kalte, den nun vorhandenen Schnee stabilisierende Kälte nach. Kurzum, die Aussichten, in Arosa den Snow Walk & Run tatsächlich im Schnee laufen zu können, sind real.

Es sind nicht nur die teilweise prekären Straßenverhältnisse, die mich bei diesem Tagesausflug dazu bewegen mit der Bahn zu reisen. Wenn einem im Starterpaket die Anreise mit dem ÖV auf dem Silbertablett angeboten wird, braucht es triftige Gründe dies nicht zu tun. Der Arosa Snow Walk & Run ist eine der 18 Laufveranstaltung von Swiss Runners, bei welchen in Zusammenarbeit mit der SBB die Fahrkarte vom Wohnort – für Teilnehmende aus dem Ausland ab Grenzbahnhof – inbegriffen ist. In meinem Fall kann ich also von einem Freistart sprechen, da der Fahrpreis sogar mit dem Schweizer Halbtaxabonnement höher wäre. 

Der Zug von Zürich nach Chur ist gut besetzt. Zahlreiche Wintersportler wollen endlich das echte Gefühl der Jahreszeit genießen und machen sich ebenfalls auf in Richtung Bündnerland. Der Zufall will es, dass just in dem Wagen, in welchen ich einsteige, auch Karin und Roland sind, welche ihrerseits noch einige andere Lauffreunde um sich herum haben. Die Fahrt nach Arosa wird somit ein wenig Zeitreise zurück in die Zeit der Klassenfahrten. Wir sprechen über dies und das, dann kommt einer vorbei und bietet noch das letzte Stück vom verbleibenden Königskuchen an, wir unterhalten uns über das Projekt der Laufgruppe Limmattal, sehbehinderte Läufer zu begleiten und Guides dazu auszubilden. René von der Gruppe ist aktiv bei PluSport, der Dachorganisation des Schweizer Behindertensports. Mir kommt die Idee, dass ich im Frühjahr beim Zürich Marathon eines dieser Teams (wenn sie nicht zu schnell laufen…) über die ganze Strecke mit der Kamera begleiten könnte. 

 

 
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Der Kollege mit Nachname Weiss ist passend zum Namen für den Weisshorn Snow Trail (Ja, die Schweizer unterschlagen das Doppel-s) gemeldet, Karin Flach, geborene Winkler, verzichtet aufs Laufen im Flachen, stellt den Steigungswinkel des Halbmarathons ein, und ich hoffe, dass die Steine in meinem Namen bleiben und die Laufstrecke durchgehend schneebedeckt ist.

Bei der Ankunft in Arosa stelle ich fest, dass es glücklicherweise nicht kälter ist als bei meinem Aufbruch zuhause am Hochrhein. Die Sonne versucht sich gegenüber der Bewölkung durchzusetzen, doch es ist ersichtlich, dass ihr das immer weniger gelingen wird. 

Zielstrebig geht die Meute, welche der Zug ausgespuckt hat, als Karawane dorthin, wo organisatorisch alles abläuft. In dem nur etwa fünf Gehminuten entfernten Kongress- und Sportzentrum kann man sich nachmelden und diejenigen, welche die Startnummer nicht zugeschickt bekommen haben (z.B. Teilnehmer aus dem Ausland), holen die Unterlagen hier ab.

In den Garderoben der Eishalle, dem Zuhause des EHC Arosa, sind heute statt scharf geschliffenen Kufen gut profilierte Sohlen angesagt. Meine Schneeketten hätte ich dabei, doch beim Anblick des griffigen Profils meiner Trailschuhe meint der Banknachbar, dass ich mir das Montieren der Steighilfe sparen könne. 

Die große Frage ist nun, in wie viele Schichten und in welcher jeweiligen Dicke ich meinen Oberkörper einpacken soll. Ich entscheide mich für zwei wärmende und eine dekorative, mit welcher ich für Trailrunning.de Werbung mache, dazu kommt eine Windjacke als Hüfttasche. Um es vorwegzunehmen: Ohne die Windjacke überhaupt einsetzen zu müssen, die perfekte Wahl.

Eine gute halbe Stunde vor dem Start wird zum Fototermin mit der anwesenden Prominenz gebeten. Nun, ja, nachdem ich in meinem früheren Job während zweier Jahrzehnte immer wieder mit Hollywood-Ikonen, Größen des Musikbusiness, Geldadel, Blaublütern und allerlei anderer „Promis“ zu tun hatte und viele lustige aber auch weniger schmeichelhafte Anekdoten zu erzählen hätte, berührt mich das ehrlich gesagt nicht wirklich. Die wahre Prominenz in dieser Gästeschar identifiziere ich nach meinem Gusto und gehört nicht zur Staffage des Privatfernsehens. Den drei mit Weltmeisterehren geschmückten OL-Profis gehört auch meine Aufmerksamkeit. 

 

 
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Die Bergziegen mit Ziel auf dem Weisshorngipfel  sind die ersten, welche den Wettkampf in Angriff nehmen. Ehrenstarter ist Gilbert Gress, Fußballexperte mit Kulttrainer-Status. Nur fünf Minuten nach ihnen gehen wir Halbamarathonis auf die Strecke.

Das Laufen auf der Schneeschicht über dem gefrorenen Obersee ist gewöhnungsbedürftig. Ich hoffe, dass ich nicht die ganze Zeit so torkeln werde, wie auf den ersten Metern. Eine Runde auf dem See, dann fast eine um den See sollten dazu reichen, danach geht es bereits in die erste Steigung. An Ferienimmobilien vorbei geht es auf einen Waldweg oberhalb des Dorfes. Im hinteren Teil des Feldes ist es gut zu laufen; ich habe Platz und kann mein Tempo wählen.

Auch auf dem etwas steileren Abschnitt einer ebenfalls schneebedeckten und teilweise abgesperrten Straße sind fast alle Teilnehmer noch im Laufschritt unterwegs. Dann geht es wieder auf einen Waldweg, breit genug, um weiteres Sortieren zu ermöglichen.

Plötzlich kommen auf der linken Seite mir bekannte architektonische Objekte ins Sichtfeld, die Lichtsegel des auf vier Etagen in den Berg gebauten Spas des Hotels Tschuggen Grand. Stararchitekt Mario Botta durfte hier eine Wohfühl-Oase bauen, die ich hoffentlich einmal nicht nur auf Bildern bewundern, sondern leibhaftig erleben darf. Man darf ja träumen…

Beim Anblick des Schildes „Verpflegung in 1km“ meine ich auch zu träumen. Die bisher zurückgelegte Strecke kommt mir kürzer vor. Gut, was sich in meiner Erinnerung festgekrallt hat, ist auch nicht repräsentativ. Vor dreieinhalb Jahren sind wir hier beim Irontrail zu Dritt in einem beinah aussichtslosen Kampf gegen den Schlaf nach Mitternacht vom Weisshorn herunter nach Arosa gelaufen (oder getorkelt), waren uns nicht sicher, ob wir halluzinieren. Und es wollte und wollte nicht Arosa werden…

 

 
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Nach den fast dreihundert erklommenen Höhenmetern geht es nach der Zeitnahme an gut gefüllten Skiständern vorbei direkt zu den Tischen vor der Tschuggenhütte. Drinnen sind die Gäste sicher bei warmen Getränken einschlägiger Art, aber auch die Laufkundschaft draußen bekommt warmes Flüssiges. Iso und Wasser, dazu gibt es Choco Bits zum Knabbern. 

Der Weg kreuzt einen Skilift und die Herausforderung besteht darin, das eigene Tempo und das des Lifts richtig einzuschätzen, um ohne stoppen zu müssen weitertraben zu können. Wenig später wird eingespurt und sortiert. Halbmarathon nach links, andere Strecken und Bewerbe nach rechts. 

Ein weiterer  breiter Winterwanderweg führt zur Carmennahütte. Arosa ist ein Ort, an welchem nicht nur die Jünger der schmalen Latten und breiten Bretter im Winter auf ihre Kosten kommen. Auch jetzt sind Spaziergänger unterwegs. Leider hat die Sonne den Versuch nicht geschafft, Oberhand über die Bewölkung zu erlangen. Das wäre natürlich das Sahnehäubchen und die Fotos des Panoramas würden imposanter, aber ich habe meinen Spaß. 

Es folgt eine Begegnungsstrecke, was immer wieder für Abwechslung sorgt. Am höchsten Punkt des Kurses angelangt, genau 400 Meter höher als der Start, gibt es wieder warme Getränke und unter anderem zu Sorbet mutiertes Gel, das auf diese Weise angenehmer einzunehmen ist als warm und klebrig. Frisch gestärkt geht es dann vorerst einmal abwärts. Zuerst auf der Begegnungsstrecke, dann in Richtung Inner-Arosa. Das diffuse Licht  zwingt zu einer Trail-Tugend, dem Sehen mit den Füßen. Für mich ist es intensive medizinische Trainingstherapie ohne Langeweile und abwärts kann ich es auch mit meinem Trainingsstand schneller angehen, was ich genieße. 

Laut Streckenbeschilderung ist die Streckenhälfte erreicht, was aber nicht bedeutet, dass nur noch Höhenmeter abgebaut werden. Der leicht ansteigende Weg ist die Vorbereitung auf eine heftige Steigung. Nachdem diese gemeistert ist, finde ich mich auf bereits bekanntem Weg wieder, diesmal ist er garniert mit der Fraktion der Walker. Kurze Zeit und zwei Kehren später fühle ich mich wieder vom Murmeltier verfolgt und finde mich zum zweiten Mal vor der Tschuggenhütte wieder. Sonst meist auf Langstrecken unterwegs, kann ich es kaum glauben, dass es nur noch sieben Kilometer bis zum Ziel sind. 

Es folgt nochmals die Querung des Skilifts und an der Stelle, wo wir zuvor links abgebogen sind, gehen wir diesmal rechts, an der Mittelstation der Weisshorn-Bahn vorbei auf den Abstieg. Das Gefälle ist gerade richtig. Ich genieße, dass ich es wieder einmal so richtig brettern lassen kann. Abwärts rennen und Schläge auf die Gelenke vom Schnee abgefedert zu bekommen ist einfach herrlich. Doch es gibt etwas, was meine Freude leicht trübt. Achim Achilles kann ein Lied davon singen. Ich habe es auch schon gesungen und wäre ich häufiger an kombinierten Anlässen unterwegs, würde ein Liederzyklus daraus. Oder eine tragisch-komische Oper. Im Feld der Walker gibt es Exemplare, welche des Lesens unkundig sind oder sich nicht darum scheren, dass die Veranstalter den Hinweis gegeben haben, dass langsamere Teilnehmer die Schnelleren links passieren lassen sollen. 

Auf dem Weg könnten locker vier Wanderer nebeneinander gehen. Wieso die beiden Damen 7/8 des Weges für sich, ihre ausgefahrenen Arme und die Bewaffnung beanspruchen, erschließt sich mir nicht. Ich könnte damit leben, wenn nicht gerade in dem Moment, in welchem ich in dem verbleibenden Achtel zwischen Wegbord und Sportlerin durchflutschen will, ein Ausfallschritt derselbigen meinen Lauffluss empfindlich abbremst. Obwohl das Profil meiner Schuhe im Schnee ordentlich knirscht werde ich nicht gehört. Das spricht doch für einen effizienten Laufstil. Warum in aller Welt müssen diese siamesischen Walker immer in die Umgebung abschirmende Gespräche vertieft sein oder sich mit Tonstöpseln Musik aufs Ohr drücken – womöglich noch Helene Fischer? 

Auf diese Ausnahmen, welche die Regel, nämlich gebührende Rücksichtnahme bestätigen, könnte ich verzichten, den Spaß verderben sie mir trotzdem nicht.

 

 
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Dreieinhalb Kilometer vor dem Ziel gibt es nochmals warmes Wasser, dann geht es auf einem schönen Waldweg weiter. Schön heißt aber nicht leicht. Beim Überholen gerate ich zwangsläufig in den weniger kompakten Schnee, was ganz schön Kraft kostet. Und dann geht es beim Eichhörnliweg noch einmal aufwärts. Zu flach zum Gehen, zu steil zum Laufen. Auch das hat ein Ende und bald danach kommt die „flamme rouge“. Den letzten Kilometer kann ich mich von der Schwerkraft treiben lassen und es dauert gar nicht lange, bis ich wieder über das gefrorene Wasser des Obersees wandle und unter dem Zielbogen hindurch. 

Zuerst genehmige ich mir eine warme Bouillon und dann etwas Neues: Rivella-Slush. Bei den tiefen Temperaturen gefriert die Oberfläche des Getränks sehr schnell an, das Eis wird aber durch die aufsteigende Kohlensäure luftig gehalten. Damit ich nicht und nirgends anfriere, begebe ich mich umgehend zum organisatorischen Zentrum des Laufs zurück und unter die heiße Dusche. 

Obwohl ich mich – und ich bin, wie ich feststelle, nicht der Einzige -  mit der Beschilderung etwas schwer tue, finde ich den Ort, wo ich mein Finishergeschenk entgegennehmen darf.  Wenn wir den weiteren Vorhersagen glauben und davon ausgehen, dass der Winter noch eine Weile dauert, wird mir dieses Buff-Tuch mit Fleece gute Dienste erweisen. 

Ich hoffe, dass diese erste Teilnahme nicht meine einzige und letzte bleibt. Und das nicht nur, weil ich auch einmal den Weisshorn Snow Trail ausprobieren will.

 

Informationen: swiss snow walk & run
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