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21.04.24 - Special Event

Nord Trail Monts des Flandres: Sanfte Hügel zwischen Frankreich und Belgien

Autor: Rudo Grimm

Es ist gar nicht so einfach, von Düsseldorf aus einen Ultra zu finden, der
a) innerhalb eines gewünschten 4-Wochen-Zeitraums stattfindet
b) die richtige Streckenlänge anbietet und
c) nicht zu weit weg ist.

Wegen der ersten zwei Punkte habe ich meinen Suchradius erstmalig von Belgien auf den Nordosten Frankreichs erweitert und bin knapp hinter der belgisch-französischen Grenze fündig geworden. Der Nord Trail Monts de Flandres  (NTMF) mit einer sogar grenzüberschreitenden Laufstrecke soll es sein. Die Internetseite beeindruckt: Sechs verschiedene Strecken (13, 25, 42, 59, 80 und 115 km), Punkte für UTMB und ITRA, Laufshirt inklusive (habe dann leider keines bekommen – als ich es abholen wollte gab es trotz Vorbestellung in M nur noch XXL und XL), 30 Sponsoren, darunter einige große Sport- und Industriemarken, und auf YouTube jede Menge Videos vergangener Läufe.

Wesentlicher Nachteil: Das Rennen findet an einem Sonntag statt, sprich der Kirchgang fällt aus (wenn einem daran liegt) und man muss den Montag je nach Strecke und Laufgeschwindigkeit den halben Tag frei nehmen, wenn man nicht gerade die Nacht über zurückfahren und am Montag nach nur wenigen Stunden Schlaf im Büro erscheinen möchte.

 

 
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Die Statistik des letzten Jahres zeigt auf den damals angebotenen Ultrastrecken von 59 und 80 km in Summe 944 Starter, dieses Jahr soll es 7.000 (!) Anmeldungen geben, scheint also ein ganz großes Ding zu sein (ins Ziel gekommen sind am Ende rund 6.000 Läufer, 292 auf 115 km, 285 auf 80 km, 710 auf 58 km, 1.568 auf 42 km, 1.759 auf 25 km und 1.435 auf 13 km). Ein vielleicht viel zu großes Ding, aber nach meinem letzten Lauf ganz ohne Streckenmarkierung und minimaler Verpflegung hört sich das Kontrastprogramm ganz spannend an.

Bei der Anmeldung fällt auf, dass sechs Wochen vor dem Termin die Strecken bis 42 km bereits alle ausgebucht sind, einige Tage später auch die 58. Der Lauf scheint also wirklich populär zu sein. Ich entscheide mich wie anvisiert für 80 km mit 2.000 Höhenmetern. Zeitlimit ist 14.30 h. Mein bisher längster Lauf war 70 km, so dass mich die 80 sowohl reizen als auch machbar sein müssten. Meine Tochter schüttelt nur den Kopf, als ich ihr eines Abends sage, dass ich „versucht bin“ mich anzumelden. Am nächsten Tag melde ich mich an und berichte ihr, dass ich „der Versuchung nachgegeben habe“ – sie schüttelt nur den Kopf – und bin mit meiner Entscheidung hoch zufrieden, ja spüre schon eine Vorfreude. Nicht-Ultra-Läufer werden das wohl nicht verstehen können, aber für mich ist das Gefühl total real. 

Kostenpunkt 70 Euro, plus 1 Euro für die Grenzüberquerung nach Belgien, warum auch immer. Seinen Pass soll man auch unbedingt bei sich führen, was sich auch als unnötig erweist. Und, wie in Frankreich generell üblich, muss man auch noch eine ärztliche Nicht-Bedenklichkeitsbescheinigung hochladen. Alternativ gibt es ganz neu die Möglichkeit einer Selbstauskunft, genannt PPS, für die man eine Online-Schulung durcharbeitet und bei jedem Thema bestätigt, dass man die Risiken und Warnhinweise verstanden hat. Sehr praktisch – am Ende muss man ja ohnehin selber die Verantwortung für seine Gesundheit tragen.

Das kleine Dorf Saint-Jans-Capelle als Ausgangspunkt des Rundkurses liegt etwa zwischen Lille und Calais. Eigentlich eine eher flache Gegend, die sich auf Deutsch passenderweise „Westflämisches Hügelland“ nennt. Auf der Strecke liegen der Mont des Cats (164 m), der Col de Berthen (109 m), der Mont de Boeschepe (139 m), der Mont Kokereel (110 m), der Vidaigneberg (142 m), der Rodeberg (138 m), der Monteberg (115 m), der Kemmelberg (154 m) und der Mont Noir (152 m), der Start liegt auf 26 m. Für Alpenläufer sicher eher langweilig, für mich mit der Halde Haniel in Oberhausen als nächster Hausberg (Anstieg 159 m) aber durchaus in Ordnung.

 

 
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Die Strecke erweist sich tatsächlich auch genau so: Es sind zwar einige Höhenmeter, aber die Anstiege sind so moderat, dass man sich auch beim raschen Gehen nebenbei noch etwas erholt. Die Gefällestrecken sind alle gut zu laufen. Daher hat auch niemand Stöcke dabei, auf ganz wenigen steilen Passagen gibt es Holztreppen. Eine kleine Ausnahme gibt es, etwa 400 m, wo gesondert ausgeschildert ist, dass es eine Variante „difficile“ gibt, die man aber auch auf einer Variante „facile“ umlaufen kann. Alle laufen ausnahmslos die schwierige Strecke, auf der es sich allerdings der einzige Stau des Laufes ergibt, so dass man nur ganz langsam gehen kann.

Start der 80 km ist um 6 Uhr. Anders als die späteren Läufer kann man noch vor Ort parken, der danach großflächig abgeriegelt wird. Insgesamt ist die Logistik sehr gut organisiert. Unglaublich viele Helfer bei jeder Straßenüberquerung, bei der die Läufer stets Vorrang vor den Autos bekommen. Der April ist noch einmal kalt geworden, sprich man startet bei 5 °C. Für mich bedeutet das lange Klamotten, die ich auch erst mittags bei 11 °C abgelegt habe. Andere starten gleich in Minimalbekleidung, laufen vielleicht aber auch schneller als ich.

Gleichzeitig ist es nicht ganz so trocken wie vom Wetterbericht angekündigt. Die 115-km-Läufer, die vier Stunden vorher gestartet sind, haben schon auf den ersten Kilometern eine kräftige Dusche abbekommen. Bei der Kälte nicht ganz so toll, allerdings geht auch ein kräftiger Wind, so dass die Sachen recht rasch wieder trocknen. Ab Mittag verschwinden dann endlich die Wolken, so dass der Rest des Tages wirklich schön ist. Die vorgeschrieben Stirnlampe braucht man nur die erste halbe Stunde, um die Schlaglöcher und Unebenheiten der Wege direkt vor sich gut zu sehen. Allerdings haben genügend Läufer Lampen dabei, so dass man auch ohne auskäme.

 

 
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Was mich am frühen Morgen überrascht: Schon nach wenigen Kilometern steht die erste als Kühe verkleidete Gruppe mit Musikbox und feuert die Läufer an. Etwas weiter dann eine Polkaband, begleitet von etwa 4 m hohen Holzpuppen. Die nennen sich einfach „Géants“, also Giganten, und sind im französischsprachigen Flandern eine Tradition bei Festen und Feierlichkeiten. Sie fahren auf kleinen Rollen, so dass eine darinnen stehende Person sie bewegen und ggf. zur Musik tanzen kann. Hat einen ganz eigenen Charme. Es folgen noch etliche Bigbands, einige Solo-Gitarristen, Blechbläser-Combos und CD-Beschaller – der Lauf scheint hier lokal wirklich ein Ding zu sein. Schön!

Man läuft trotz der langen Strecke nie alleine. Nach etwa 20 km überholen die ersten 58-km-Läufer, eine Stunde später kommen die 25-km-Läufer dazu, später verschwinden die auch wieder und es kommen die 115- und 42- km Läufer. An einigen Stellen ist es wirklich dicht, aber auch nie unangenehm, bis auf das besagte Stück „difficile“. Wer mit sich allein die Stille der Natur sucht, ist bei diesem Lauf also völlig falsch.

Einige Dinge fallen mir allerdings gerade trotz der Menschenmassen negativ auf: Ein Läufer hatte seine Jacke am Rucksack so locker befestigt, dass ich bei seinem Überholen schon dachte, sie würde bald herunterfallen. Ein paar Minuten später lag sie dann am Wegesrand, so dass ich sich mitnahm und versuchte, ihn einzuholen. Er kam mir dann auch entgegen – nur waren zwischen ihm und mir ja dutzende anderer Läufer, von denen niemand ihn aufmerksam gemacht oder seine Jacke aufgehoben hatte. Schon seltsam. Ebenso ein anderer Läufer, der seine Lampe am Rucksack hängen hatte, diese aber noch eingeschaltet war. Ist zwar nicht kritisch, kann man wieder aufladen, aber warum spricht ihn kein anderer darauf an? Und letztlich, was ich aber auch bei anderen Läufen gesehen habe, verliert ab und zu einmal jemand seine Gelverpackung und niemand hebt sie auf. Ich denke, dass wir als Läufer immer unseren Müll mitnehmen sollten, auch die Kleinigkeiten, die andere vor uns vermutlich unbeabsichtigt verloren haben. Das sind wir der lokalen Bevölkerung doch schuldig.

Was mich auch gewundert hat, aber das ist nicht per se negativ, ist, dass es anscheinend keine Läufer aus Belgien gab, obwohl wir ja sogar etwa 1/4 der Strecke durch das niederländisch-sprachige belgische Flandern gelaufen sind. Weder hört man Niederländisch noch konnte ich irgendein Auto aus Belgien vor Ort entdecken. Nicht schlimm, aber doch verwunderlich. Vielleicht zieht es die Belgier fürs Laufen doch eher in die eigenen Ardennen, die technisch deutlich anspruchsvoller und nicht ganz so überlaufen sind (nach Durchsicht der Ergebnislisten habe ich doch einige, allerdings ganz wenige belgische Läufer gefunden).

Was sieht man sonst so auf der Strecke? Vor allem eben Hügellandschaften, Wiesen von violetten Waldblumen (Hasenglöckchen?), ein schönes Schloss, zwei Windmühlen, eine kleine touristische Seilbahn sowie einige Erinnerungen an die beiden Weltkriege. Aber ehrlicherweise alles nicht spektakulär, nicht atemberaubend und nicht faszinierend, in Summe mit der sonstigen Unterhaltung und den vielen Läufern aber durchaus nett. Und dann gab es noch die Radfahrer: Auf der belgischen Seite fand zeitlich ein Radrennen statt. Da die Räder Vorrang hatten, musste man hier einige Male anhalten und konnte den Vorbeirasenden zusehen. Bergauf sehr mühsam, bergab mit einer Affengeschwindigkeit, die einem Angst machen kann, auf den ebenen ewig langen Passagen Fahren im Pulk um die Strecke möglichst energieeffizient zu überstehen. Was eine Anstrengung! Schon überraschend, was sich manche Leute sonntags so als sportliche Betätigung zumuten.

 

 
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Der Lauf, so lang er auch ist, ist wie gesagt ganz gut zu machen. Bei mir hat die Energieversorgung diesmal richtig gut geklappt (Gel alle 30 Minuten, dazu neu im Sortiment Snickers Riegel). Versorgungsstationen gab es bei 15 (nur Wasser), 35, 48 und 58 km, so dass die letzten 22 Kilometer etwas mehr Wasser als meine 2 x 0,5 Liter hätten vertragen können, vor allem wenn es wärmer gewesen wäre. Ansonsten bei mir wieder das linke Knie (trat jetzt leider schön öfter auf), Blasen an beiden großen Zehen (die Gleitcreme hat diesmal leider kein Wunder bewirkt) und ein leider zu langer kleiner Zehnagel rechts (trotz meiner neusten Anschaffung einer Nagelfeile). Vermutlich waren die Schuhe aber auch zu klein, denn seitdem ich Trail laufe, haben sich meine Füße derart verändert, dass ich einige Schuhe schon eine halbe Größe größer nachkaufen musste und die Mehrzahl meiner Büroschuhe aus hartem Leder schlicht nicht mehr passen.

 

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Bis zur Hälfte ging es mir eigentlich recht gut, bis dort der Weg plötzlich um zwei Hopfenfelder herum geleitet wurde, komplett durch den Matsch. Dieser war zwar nicht sehr tief, aber extrem rutschig, so dass es äußerst anstrengend wurde und man recht viel Zeit mit dem ständigen Blick auf den Meter vor seinen Füßen verbraucht hat. Einige der 25-km-Läufer sind hier mit voller Geschwindigkeit durchgegangen, allerdings auch mit spektakulären Ausrutschern (von denen man fairerweise lieber kein Foto macht). Da hätte ich weniger Lust drauf gehabt. Auf den letzten 20 km der Strecke kamen dann zahlreiche weitere dieser überfluteten Wege zwischen Wiesen und Weiden vor, so dass es nicht mehr wirklich lustig war, sondern eher ärgerlich und absolut kräftezehrend. Aber die Sonne schien und ich hatte an dem Tag je ohnehin nichts mehr vor, so dass es am Ende auch so in Ordnung war.

Ein hübscher Lauf, den ich für alle empfehlen kann, die

  • einmal eine längere Strecke ausprobieren, aber sich durch steile Anstiege nicht kaputt machen wollen. Falls man es nicht schafft, kann man an verschiedenen Stellen auch relativ gut aussteigen.
  • eine Gruppe mit den unterschiedlichsten Streckenwünschen unterbringen möchten.
  • einen Trail mit etwas mehr Unterhaltung als üblich wünschen.
  • Bei der Laufverpflegung auf französische Salami und Brioche mit Camembert abfahren (wirklich empfehlenswert).
  • am Ziel neben dem Einlaufen auch noch eine Glocke läuten möchten.
 


 
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