„Über Stock und Stein, wo wird das wohl sein? Natürlich im Hunsrück!“ So locken sie uns in ihre Mittelgebirgslandschaft, die Veranstalter des TuS Laubach. Vielfältig sei sie, uns erwarteten weite, grüne Wiesen, ein beachtliches Höhenprofil zwischen Flusstälern und Höhenzügen, sowie prämierte Wanderwege durch Wälder und Täler, wie sie ursprünglicher nicht sein könnten.
Nun, der Herr Cheforganisator, Torsten Franz, besucht regelmäßig unsere Waldbreitbacher Laufveranstaltungen im rheinischen Westerwald, da wurde es allerhöchste Zeit für einen Gegenbesuch im Hunsrück, Hunsbuckel nennt ihn der Volksmund.
Mit meinen schnellen Lauftrefflern Arne und Tobi finden wir uns am frühen Morgen auf dem Veranstaltungsgelände am Dorfrand ein. Bereits gestern haben zahlreiche Waldläufe für Groß und Klein stattgefunden, heute stehen drei Strecken zur Auswahl, die mit 600 Teilnehmern insgesamt restlos ausgebucht sind. 12, 27 oder 47 km sind zu bewältigen. Die 102 km des letzten Jahres wie auch die vormaligen +/- 70 km sind nicht mehr im Programm. Die heutige Königsstrecke ist – durchaus bemerkenswert - die mit der höchsten Meldezahl. Vielleicht liegt's an der in sie integrierten Überquerung der Hängeseilbrücke Geierlay?
Um kurz vor acht Uhr erfolgt das Streckenbriefing, das im hinteren Teil des Feldes allerdings kaum zu verstehen ist. Aber wie so oft kommt es auf die Zusammenfassung an, kurz und knapp heißt es: „Uffbasse!“ Damit ist doch alles gesagt. Meine Jungs, vorne eingereiht, sind direkt auf und davon, Tobi gibt hier bereits zum dritten Mal seine Visitenkarte ab. Zehn Stunden haben wir Zeit dafür, was mir angesichts 47 km und 700 angedrohten Höhenmeter sehr reichlich dimensioniert erscheint.
Ich vergleiche mit einigen meiner alpinen Erfahrungen und meine: Mittelgebirge, nichts Wildes, das passt locker. Das bestätigen auch die ersten Meter, die ich mit einigen Bekannten, unter anderem unserem Hendrik und dem Koblenzer Olli, auf einem gut zu belaufenden, flachen Waldweg zurücklege. Doch bald schon haben wir den ersten Singletrail, so wie ich sie liebe, unter den Füßen. Über eine gut von der Polizei gesicherte Straße lockt direkt der nächste Trampelpfad. Das geht ja Schlag auf Schlag!
Waldwege, kleine Brücken und weitere, schmale, geradezu verwunschene Wege wechseln sich ab. Eine Wiese wird gequert, zwischen Feldern und Wald geht es ohne viele Höhenunterschiede locker-flockig dahin. Nach geschätzten sechs km trennen sich die Strecken der 27 und der 47 km von den 12ern. Ein Maschendrahtzaun und der unzweideutige Hinweis auf einen Militärischen Sicherheitsbereich kennzeichnen die Hunsrückkaserne, die wir im Folgenden umkurven. Im Vorbeilaufen fällt mir ein, dass ich dort vor vielen Jahren schon mal einer Bataillonsübergabe an einen Kameraden beigewohnt habe.
Zwischen den km 6 und 7 streifen wir den Südrand Kastellauns, einer angesichts des recht dünnbesiedelten Hunrücks mit 5.700 Einwohnern bedeutenden Kleinstadt. Wenig später, einsehbar ist sie nicht, laufen wir mit etwas Abstand nördlich an der ehemaligen Raketenbasis Pydna vorbei. Was dem Schwermetaller Wacken ist, bedeutet dem Techno-Fans die Nature One, ein Festival, welches genau hier jährlich veranstaltet wird.
Wir wechseln auf den Premium-Wanderweg Burgstadtpfad (Burgstadt = Kastellaun) und nehmen den schon wievielten Trail mit, deren Dichte bis hierher außergewöhnlich hoch ist. Trotzdem komme ich gut voran. Also sollte das doch bei viereinhalb Stunden für einen flachen Marathon mit fünf km und 700 Höhenmetern mehr für mich in maximal fünfeinhalb Stunden zu schaffen sein.
Km 9, die Ortschaft Bell wird in deren Süden durchquert. Top sind übrigens die äußeren Umstände, denn die ganz große Hitze hat uns verlassen. Beginnend mit 11 Grad am Morgen werden es nur wenig über 20 Grad werden, allerdings ganztägig wolkenlos sein. Eine erste, ordentliche Steigung bringt uns zu Beginn des zehnten km in den Diellaysteig.
Steig? Innerlich lächele ich, der am Allgäuer Tegelberg schon einen für Rookies ordentlichen Klettersteig erfolgreich gemeistert hat. Die zwar nicht allzu lange, dann aber doch durchaus bemerkbare, seilgesicherte Kletterpartie überrascht mich doch. Uffbasse! Wir erinnern uns.
Unterste Beller Mühle, Streckenteilung der 27er und 47er, Aufstieg zum Hexentürmchen. Ganz easy scheint die Angelegenheit heute wohl doch nicht zu werden, so heftig sind unsere besten heimischen Klein-Abenteuer. Noch bevor das Hexentürmchen, ein großer Gesteinsbrocken, erreicht ist, überrascht mich ein Fotograf auf dem steilen Aufstieg und ich ihn zeitgleich mit entsprechender Gegenwehr. Damit hat er nicht gerechnet und muss erst mal lachen. Der mehr und mehr herausfordernde Kurs geht weiter und fordert mehr Kraft und wohl auch Zeit, als von mir prognostiziert.
Mittlerweile sehnsüchtig erwartet, beglückt uns zur Belohnung der erste VP mit einem tollen Angebot an km 15. Becher werden zwar angeboten, doch sollte man selber einen mitbringen, meiner ist heftig im Einsatz. Auch meine mitgeführte Flask wird wieder randvoll befüllt, die nächsten elf km wollen überbrückt werden. Das Ganze findet unterhalb der beeindruckenden Reset der ab 1325 entstandenen Burg Balduinseck statt. Der seinerzeitige Trierer Kurfürst ist mir als ebenfalls Namensgeber der alten Koblenzer Moselbrücke besonders nahe.
Das teilweise Gekrabbel findet auf dem Masdascher Burgherrenweg seine Fortsetzung. Auch dieser Premium-Wanderweg („Traumschleife“) ist Bestandteil des Saar-Hunsrück-Steigs. Auf und nieder immer wieder, die aufgrund eines Neubaus von 1902 gut erhaltene, verwunschene Kaspersmühle versteckt sich vor uns im dichten Grün. Vom Burgberg, kurz hinter km 17, bietet sich mal wieder ein schöner Ausblick.
Schon länger mache ich mir Gedanken, wann denn der Höhepunkt des Laufs erreicht sein würde, denn ich hatte es versäumt, mich vorher schlau zu machen. Und so kommt der Hinweis auf die Geierlayschleife nach etwa 18 km überraschend. Doch bevor es so weit ist, sind weitere Leitern zu erklimmen, Wurzelwege zu überwinden und schöne Trampelpfade zu nehmen.
Dann ist sie plötzlich über mir: Ein sehr langes, geradezu filigranes Bauwerk, auf dem sich winzig erscheinende Menschen bewegen. Einem nepalesischen Vorbild entsprechend, überspannt sie seit zehn Jahren in luftiger Höhe von bis zu 100 Metern das Mörsbacher Bachtal auf einer Gesamtlänge von 360 Metern. Damit ist sie exakt so lang wie die längsten Kreuzfahrtschiffe! Filigran sieht sie aus, ist aber doch stolze 62 t schwer. Es soll nicht wenige Leute geben, die im letzten Augenblick vor dem Betreten gekniffen haben.
So nicht bei mir, mit großer Freude genieße ich die Überquerung gehend, denn Laufen ist verständlicherweise untersagt. Mitten auf ihr sind 21 km abgearbeitet. Noch zwei Abschlussfotos, dann geht’s direkt weiter. Über Felder und Wiesen sowie am Waldrand haben wir Mörsdorf zwar in Sichtweite, laufen aber daran vorbei. Unschön sind die zahlreichen Spargel der sog. Energiewende.
Im steten Wechsel bereits beschriebener Umgebung erkenne ich erfreut den 2. VP, an dem km 26 erreicht ist. Das kulinarisch schon am 1. VP hervorragende Sortiment wird hier noch durch Schmalzbrote und Kuchen ergänzt, lecker. Durch vergleichsweise Wildnis arbeiten wir uns durch und entdecken einen Hinweis auf den nahenden Felsenweg. Na, kommen da etwa noch größere Abenteuer? Oh ja, und das nicht zu knapp!
Ich bewundere den Mut der Organisatoren, uns hier durchzuschicken. Viele, viele Bäume sind dem Wind zum Opfer gefallen, versperren den teils in den Steilhang eingearbeiteten Trail und müssen mühsam über- bzw. unterquert werden oder man hat sich irgendwie anders durchzuarbeiten. Ich will mir nicht ausmalen, wie kompliziert sich die Bergung gestürzter Teilnehmer gestalten würde. Doch weg mit den unguten Gedanken – uffbasse! - und tapfer voran. Gefühlt nimmt der Weg kein Ende.
Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Das ist des Trailers Paradies! Ich habe mir immer eingebildet, meine Heimat sei nicht zu toppen, muss mich hier aber korrigieren. Es ist eine grandiose Planungsleistung, derart viele, schmale Trails aneinanderzuhängen, ganz toll! Welch ein Aufwand auch, die Strecke zu markieren. Geradezu vorbildlich sind Tafeln, Pfeile und Flatterbänder platziert, wirklich idiotensicher.
Und weiter geht’s voran, Abwechslung ist Trumpf. Schneller als erwartet, kommt nach km 35 der dritte und letzte VP, nachdem die 27er wieder auf unsere Strecke geführt wurden. Die jedoch sind alle schon längst durch. Wieder verpflege ich ausgiebig und werde, als ich fast fertig bin, von einer Wespe in die linke Hand gestochen. Boah, das zieht durch, bleibt aber bis auf den Schmerz glücklicherweise folgenlos. Die später passierten zahlreichen Bienenstöcke bleiben dagegen ohne schmerzhafte Folgen.
Später folgt ein Déjà-vu, denn ein Bauwagen steht im Wald und erinnert mich sofort an den heimischen Siebengebirgsmarathon. Auch auf den nächsten km spendiert man uns einen Mix aus interessanten, aber auch vielfach fordernden Untergründen im munteren Auf und Ab über Stock und Stein. Eine sehr angenehme Überraschung empfängt uns nach 43 km in Form einer nicht angekündigten Wasserstelle, die gerade jetzt genau richtig kommt.
Vier km sind noch zu absolvieren, die sich etwas einfacher als die meisten bisherigen gestalten. Kurz wechseln wir bei Heul nicht, äh, Hollnich, auf die vom Hunsrück-Marathon wohlbekannte Bahntrasse. Ab der Zusammenführung mit der 12er Strecke ist es dann nicht mehr weit ins Ziel, das ich nach 47 km nicht in fünfeinhalb, nicht in sechs, sondern erst nach guten sechseinhalb Stunden erreiche.
Mit einer hübschen Medaille aus Schiefer dekoriert, wird natürlich auch hier jede Menge Läuferlatein ausgetauscht und v.a. die drängendste Frage geklärt: Waren es tatsächlich nur die ausgeschriebenen 700 Höhenmeter? Mitnichten, wie sämtliche Uhren unterschiedlicher Hersteller beweisen: +/- 1.200 HM und damit deutlich mehr als angekündigt. Und – hat das jemandem weh getan? Mir nicht und meiner Umgebung genau so wenig. Klar, anstrengend war es wie immer, das aber auf sehr unterhaltsame Weise.
Zwei bemerkenswerte Debuts gibt’s abschließend noch zu vermelden: Die ehemalige Ironman-Vizewelt- und mehrfache Europameisterin Yvonne van Vlerken hatte sich überraschend zu ihrem ersten richtigen Trail angemeldet. „Yvonne kam vor dem Start zu mir und fragte, ob sie mit ihren Schuhen den 47-Kilometer-Trail laufen könne“, erzählt Torsten Franz hinterher. „Ich bin vor ein paar Wochen aus Spaß den Rennsteiglauf gelaufen“, erzählt die 46-Jährige, die 2008 mit 8:45:48 Stunden eine Weltbestzeit für Langdistanz-Triathlons aufgestellt hatte. Die Schuhe, die sie beim traditionsreichen Landschaftslauf in Thüringen trug, zeigte sie den Organisatoren, die fast in Ohnmacht fielen „Die waren glatt an der Sohle“, erzählt Torsten und überzeugte die ehemalige Weltklasseathletin, auf richtige Traillaufschuhe mit Profil zurückzugreifen. Das sicherte ihr vermutlich den Sieg in 4:08:33 Stunden im stark besetzten Frauenfeld. Der Sieger unseres Marathons an der Wied in Waldbreitbach, der Koblenzer Lukan Setzlach, war auch hier nicht zu bezwingen und lag am Ende nach 3:54:17 Std. ganz vorne.
Ich gebe es als Fan meiner Heimat ja ungern zu, aber es ist, wie es ist: Die 47 km des HuBuT können ohne jede Übertreibung als das Nonplusultra eines Traillaufs in deutschen Mittelgebirgen bezeichnet werden. Aber: Uffbasse! Ich kann mir nicht vorstellen, wie man dieses Erlebnis noch steigern könnte. Torsten Franz & Co.: Chapeau!
Streckenbeschreibung:
Attraktiver, höchst abwechslungsreicher Kurz-Ultra mit selbst ermittelten 1.184 Höhenmetern insgesamt. Sehr gute Markierung mit Pfeilen auf Schildern, Flatterband und orangener Sprühkreide. Die Maximalzeit beträgt zehn (!) Stunden.
Startgebühr:
50 € für den Ultramarathon.
Weitere Veranstaltungen:
27 bzw. 12 km-Lauf und Volks-/Schülerläufe am Vortag.
Leistungen/Auszeichnung:
Steinmedaille, Urkunde für alle.
Logistik:
Alles unmittelbar beieinander, Gepäckaufbewahrung im Auto.
Verpflegung:
3 angekündigte VP mit allem, was das Herz begehrt und eine zusätzliche Wassertankstelle bei km 43.
Zuschauer:
Seien wir ehrlich: So gut wie keine.