„ Oh-oh, hohe Berge,
La Montanara für das Objektiv,
Oh-oh, hohe Berge,
Denk ich an Trenker, werde ich aktiv.“
Nicht erst die Neue Deutsche Welle brannte das Bergglück in die Herzen vieler Menschen ein. Schon von jeher übten die Gipfel eine unwiderstehliche Faszination auf viele Menschen aus. An einen der Protagonisten, den Südtiroler Luis Trenker (1892-1990), Bergsteiger, Schauspieler, Regisseur („Der Berg ruft!“) und Schriftsteller, erinnerte 1982 Fräulein Menke in ihrem Lied „Hohe Berge“ und brachte es prägnant auf den Punkt.
„Ich sitz' im Sessellift und freu' mich schon,
Nur noch ein Stückchen bis zur Bergstation,
Dort gibt′s noch sehr viel zu erklimmen.
Ich brauch' den Auerhahn, die Gams, das Reh,
Bergwelt-Idylle und ewigen Schnee,
Natur, ganz pur, ganz nah am Himmel.
Und so brech' ich mir das Edelweiß,
Dann kauf ich mir ein Eis.“
Man mag das vielleicht für etwas schwülstig halten, aber nicht wenige von Euch werden sich dem Inhalt zumindest nicht völlig entziehen können, da bilde ich keine Ausnahme. Phantastische Bergläufe habe ich in den deutschen, österreichischen, Schweizer, italienischen und französischen Alpen, häufig bei traumhaftem Wetter, erleben dürfen. So langsam komme ich in die Jahre, weshalb es schon längst nicht mehr so geschmeidig wie ehedem läuft, aber grundsätzlich klappt's erfreulicherweise noch.
Bereits zum neunten Mal ist die im österreichischen Kleinwalsertal – dieses ist als Besonderheit nur von Deutschland aus per Auto erreichbar - veranstaltete Walser Trail Challenge ausgeschrieben, als ich auf sie aufmerksam werde. Warum war ich eigentlich noch nicht hier gewesen? Als ich mich an einen Stocknagel am Wanderstab meines Opas erinnere, fällt die Entscheidung zur Teilnahme sehr schnell.
Doch, oh weh, der Walser Ultra über 63 km, garniert mit 3.900 hm, ist zwar ganz nach meinem Geschmack, doch realistischerweise längst außer Reichweite. Aber es geht auch anderthalb Nummern kleiner. Als Walser Trail Challenge firmieren zwei Läufe an aufeinanderfolgenden Tagen: Der Widderstein-Trail über 15 km und 980 hm am Samstag, gefolgt vom Walser Trail über 29 km und 1.700 hm am Sonntag. Zusammen also eine Herausforderung über 44 km und 2.680 hm. Das ist für mich schwierig und verlockend zugleich, auch wenn es im Erfolgsfall keinen Zähler für den 100 Marathon Club gibt. Doch ist das nicht alles im Leben, flache Marathons kann man auch im hohen Alter noch packen, die laufende Bergseligkeit wird früher ihr Ende finden (müssen). Ran an den Speck also, solange es noch geht!
Als frisch gebackener Pensionär mit Jungrentnerin genießen wir die neue Freiheit und reisen bereits eine Woche vor dem Ereignis an, um uns in zahlreichen Wanderungen viele Höhenmeter zu erarbeiten und uns bei den Walsern entsprechend zu akklimatisieren. Warum eigentlich Walser? Gehören die nicht in die Schweiz (Wallis)? Im Prinzip ja, hätte man seinerzeit im „Radio Eriwan“ gesagt. Tatsache ist wohl, dass die ersten Dauersiedler des Breitachtales (Kleinwalsertal) die Walser waren, die wegen ihrer Herkunft aus dem Wallis in der Schweiz so benannt wurden.
Im 13. Jahrhundert hatte vom Rhonetal aus eine späte Völkerwanderung durch die Alpen eingesetzt. Ganze Sippenverbände waren ins Aostatal, in das Piemont, ins Berner Oberland, in die Graubündner Hochtäler, nach Liechtenstein, Tirol und nach Vorarlberg gezogen. 1270 hatte diese Einwanderung aus dem Oberwallis in der Schweiz begonnen. Es waren vorwiegend wirtschaftliche und politische Gründe, die dort eine gesicherte Existenz erschwerten und zur Abwanderung führten. Fünf Walliser Familien stiegen vom Tannberg über den Hochalppass in das noch unbewohnte Breitachtal herab. Die ersten Häuser entstanden in Mittelberg am Fuße des Zwölferkopfes.
Exakt dorthin hat es auch uns verschlagen. Interessant ist, wie eingangs erwähnt, dass das 15 km lange und 6,5 km breite Tal zwar zu Österreich gehört, aber durch die Nicht-Erreichbarkeit von Felix Austria per Auto in wechselvoller Geschichte eng mit dem germanischen Allgäu verbunden ist. Die Landeshauptstadt ist Bregenz, daher gehört das Kleinwalsertal mit seinen drei Dörfern Riezlern, Mittelberg und - ganz am Talende - Baad zum Bundesland Vorarlberg.
Genug des Vorgeplänkels. Am Freitag gehöre ich um 16 Uhr zu den Ersten, die im Hirschegger Walserhaus die Startunterlagen empfangen. Es gibt, besonders erwähnenswert, ein nettes, baumwollenes Shirt und v.a. für den Walser Trail ein „Trailbook“. Dieses ist, falls Du (wie ich) solch eines noch nicht in Händen gehabt haben solltest, ein wasserabweisendes, zweifach gefaltetes A4-Blatt zum Mitführen. Auf der einen Seite ist die Strecke auf der Karte markiert, auf der anderen das Höhenprofil und weitere wesentliche Informationen verzeichnet, wie die Auflistung der Verpflegungspunkte, die Angabe von Orientierungspunkten sowie, ganz wichtig, die Zeitlimits.
Die Startnummer gilt am Lauftag als Busfahrschein, daher lege ich die dreieinhalb km von Mittelberg nach Baad am Talende zum Start mit dem sog. Walser Bus, der ständig zwischen Baad und Oberstdorf pendelt, zurück. Wer im Tal logiert, hat übrigens während des kompletten Aufenthalts freie Fahrt. Erstmals bin ich bereits vor dem Lauf über die komplette Strecke im Bilde, da wir den Kurs, allerdings anders herum, bereits am Dienstag abgewandert sind.
Dies trägt allerdings gerade nicht zu meiner Beruhigung bei, denn ich weiß, dass es nach den ersten vier und letzten zwei gut zu laufenden km deren neun gibt, die es in sich haben. Und das gerade bei der heutigen Witterung, denn mein sprichwörtliches Alpenglück hat mich erstmals verlassen. Und das vollkommen. Denn an diesem Wochenende sind im Kleinwalsertal zwischen 100 und 150 l Regen auf den qm vorhergesagt und werden die Wege in Schlammwüsten verwandeln.
In Baad am Talende hat man ein riesiges Zeltdach aufgebaut, unter dem die Gastronomie logiert und auch viele Läufer temporären Schutz vor dem himmlischen Segen finden. Immer wieder lösen sich wahre Sturzbäche vom Zeltdach und sorgen bei dem einen oder anderen bereits vor dem Start für eine unfreiwillige Dusche. Burmi, das Maskottchen des Tals, sorgt mit Gummibärchen bei zahlreichen Kindern für gute Laune. Bei mir sind es Iris und Jürgen aus meiner Laufbekanntschaft, die sich ebenfalls erstmals der Walser Trail Challenge hingeben. Auf der für den Autoverkehr gesperrten Straße versammelt sich das gute 400 Teilnehmer umfassende Feld, um pünktlich um 10 Uhr auf 1.244 m Seehöhe zunächst talabwärts losgeschossen zu werden.
Im strömenden Regen, der das Fotografierergebnis nicht nur heute wesentlich beeinträchtigen wird, legen wir die ersten Meter auf Asphalt zurück, bevor wir vor dem kurzen Tunnel (Lawinengalerie) rechts auf den Breitachweg abbiegen, der sich als einfache, vorwiegend geschotterte Wanderstrecke entlang des Baches durchs gesamte Tal zieht. Nur natürlich nicht für uns, denn bald schon geht es rechts abbiegend durch den Gemstelboden und über einen breiten Alpweg ins Gemsteltal. Noch weicht man allgemein den großen Pfützen auf dem Weg in der trügerischen Hoffnung aus, nassen Füßen entgehen zu können.
Tief hängen die Regen- und Nebelschwaden ins Tal hinein und lassen die herrliche Berglandschaft kaum erahnen. Vorbei an der Bernhards Gemstelalp und der Hintere Gemstelhütte – hier erfolgt bei km 4 die erste Verpflegung mit Wasser - geht es noch locker flockig auf laufbarem Schotterweg dahin, auch wenn im hinteren Feld schon der eine oder andere Meter im flotten Wanderschritt zurückgelegt wird. Die roten Startnummern gehören übrigens den „Nur“-Widderstein-Trailern, die Teilnehmer der Challenge tragen grüne.
Ab hier wird der Trail deutlich steiler und schmaler. Zum ersten Mal zeigt sich zu unserem Schutz die Bergwacht, die sich vor dem Sauwetter ins Fahrzeug geflüchtet hat. Das wäre dem Markus und Tobi von den filmischen Ramsauern Bergrettern natürlich nie passiert. Die haben übrigens, im Gegensatz zu uns, fast nur gutes Wetter. Hier und heute regnet und regnet es. Trotzdem erhalten wir von etlichen Fans und natürlich auch Wanderern freundlichen Beifall.
Immer noch versuchen einige, die vielen, vielen Pfützen zu umrunden, was natürlich völlig sinnlos ist. Auf schmalem Pfad gewinnen wir weiter Höhe. Erneut gilt es, ein schmales Gewässer zu überqueren. Drüberspringen geht nicht, also Augen zu und durch. Mit meinen Kompressionsstrümpfen sollten nasse Füße kein Problem darstellen. Ist es auch nicht.
Man sollte meinen, dass allseits schlechte Laune herrscht, aber dem ist ganz offensichtlich nicht so. Ja, Trailer sind schon ein eigenes Völkchen. Selbst auf dieser vergleichsweise kurzen Strecke dürfte sich die Zahl der reinen Volksläufer in sehr engen Grenzen halten, und Trailer kommen mit jedem Wetter zurecht. Gerade in den Bergen muss man ja jederzeit mit überraschenden Wetterwechseln rechnen. Im Uphill kommen wir kurzzeitig durch ein etwas ausgesetztes, mit Drahtseilen versichertes Tobel (trichterförmiges Tal) zur oberen Gemstelhütte (1.692 m). Hier verpflegt man uns nach 6 km mit allem, was das Herz begehrt.
Teils seilgesichert, teils über Stufen führt der Weg rechtshaltend weiter ansteigend über teils etwas gröberes Blockgelände zum Gemstelpass (1.972 m). Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass die Sonne nicht scheint? Auf schmalen, teils ausgesetzten Pfaden zieht die Karawane, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, weiter bergan. Nur vereinzelt versuchen sich Unkundige an Überholversuchen, die offenbar wichtig sind, wenn man nicht bloß 264., sondern 262. werden möchte.
Jeder Weg führt mittlerweile Wasser, der Boden kann die Mengen gar nicht mehr aufnehmen. Kühe stehen auf dem Weg, sind aber Menschenmassen offensichtlich gewöhnt, messen uns keine Bedeutung bei. An der Widdersteinhütte (2.015 m), sonst ein gastlicher Ort, gibt es nichts, daher gleich weiter. In anderthalb Stunden gelangt man als Wanderer von hier zum Gipfel des Widdersteins auf 2.533 m. Doch im Gegensatz zu unserer Wanderung am Dienstag ist er nicht einmal schemenhaft zu erkennen. Ich erinnere mich an ein Kurzgedicht eines klugen Menschen am Brocken: „Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine.“
An der Hochalp-Alpe bei km 9,5 führt man nochmal Wasser zur inneren Anwendung zu. Aber wie sieht es hier aus! Am Dienstag saßen wir noch gemütlich im Gras bei Buttermilch und Frischkäsebroten, heute gleicht es einer Schlammwüste. Der Wind pfeift ungemütlich und treibt uns die Nässe quer ins Gesicht. Ich bin heilfroh, gestern noch eine leichte Laufjacke mit Kapuze erstanden zu haben, unter der es sich, in Verbindung mit einer Schirmmütze vom heimischen Wiedtal-UltraTrail, gut aushalten lässt. Motivationsprobleme? Nicht bei mir.
Ab hier flacht der Trail ab und führt mit nur noch leichter Steigung hinauf zum höchsten Punkt des Widderstein-Trails (2.039 m). Am Fuß des Widdersteins befinden wir uns nahezu auf der Höhe zum Hochalppass. Ab hier folgt ein in Serpentinen steil abfallender und technisch etwas anspruchsvollerer Downhill über den steinigen und wurzeligen Bergtrail hinab ins Bärgunttal. Aber wie sehen die Wege aus! Überall Wasser, Schlamm und Steine, furchtbar. Also genau so, wie der Trailer es (zumindest gelegentlich) liebt! Nur der Reporter hadert, denn er hat die Stöcke, die er hier sehr gut hätte gebrauchen können, zugunsten der Kamera zuhause gelassen. Drei Hände müsste man haben!
An der Bärgunthütte verpflegt man uns nochmal mit allem, was man gerne hat. Was man nicht gerne hat, geschieht bei km 11,5: An einer lehmigen Stelle sind die Füße schneller als der Rest, der Herr Bernath liegt wie ein Maikäfer auf dem Rücken und suhlt sich im Schlamm. „Mi hot's beitelt!“ An diesen Ausruf eines Mitläufers auf dem 30er Trail im Tannheimer Tal fühle ich mich sofort erinnert. Ich bin vollkommen besudelt, zentimeterdick klebt der Schlambampes sogar auf der Kamera und muss, Schicht für Schicht, im fließenden Wasser mühsam abgewaschen werden. Auch so kann man die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen!
Bald wird die Strecke wieder breiter und es folgt ein technisch leichterer Abschnitt bis ins Ziel nach Baad, auf dem ich nochmals richtig ausschreite, denn unter drei Stunden möchte ich dann schon bleiben (was gelingt), selbst wenn ich im Feld natürlich ziemlich hinten lande. Aber auch hier gilt das olympische Prinzip!
So, wie ich bin (allerdings ohne Rucksack und Schuhe), stelle ich mich unter die Dusche und lasse das halbe Kleinwalsertal im Abfluss verschwinden. Alles muss ja für morgen wieder brauchbar sein. Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.
Die Nacht verläuft unauffällig. Zwar zwickt und zwackt es an der einen oder anderen Stelle, aber das darf bei einem älteren Herrn, der nicht ständig in solch einem Gelände unterwegs ist, durchaus sein. Daher finde ich mich rechtzeitig zur Rucksackkontrolle am gestrigen Start und Ziel in Baad ein. Das riesige Zeltdach, das uns gestern willkommenen Schutz geboten hat, ist gestern Abend noch an unser heutiges Ziel am Walserhaus in Hirschegg umgezogen. Erst spät realisiere ich, dass die Rucksackkontrolle tatsächlich bei jedem Läufer durchgezogen wird und die Erfolgreichen in dem abgesperrten Startbereich gesammelt werden. Bei mir genügt mein ehrliches, bezauberndes Antlitz und einige beherzte wie begründete Jas zu konkreten Fragen (z.B. nach dem Handy mit einprogrammierter Notrufnummer, der Rettungsdecke, warmer Kleidung, Wasser, etc.). Offensichtlich bin ich nicht der einzige mit langer Leitung, weshalb sich der Start um fünf Minuten verzögert. U.a. der moderierte Durchlauf der Führenden des Ultras, die hier auf ihre finalen 29 km geschickt werden, vertreiben uns die Zeit. Dann jäht et ewwer endlich loss.
Umgekehrt zum Zieleinlauf des gestrigen Widderstein-Trails starten wir, bereits spürbar bergauf, auf kommoder Schotterpiste. Schon bald verfalle nicht nur ich in einen flotten Wanderschritt. Bemerkenswert ist, dass es immer wieder kleine Fangruppen gibt, die uns anfeuern. Problemlos erreiche ich die Bärgunthütte auf 1.408 m. Hinter ihr wird der Uphill steiler. Dass es ohne Unterbrechung regnet und die Wege völlig durchnässt sind, setze ich weiter als bekannt voraus.
Nach kaum drei km überlege ich nicht mehr und stapfe mitten durchs Wasser. Nasse Füße waren gestern kein Problem, also wird das heute nicht anders sein. Hoffe ich. Wurzelpassagen durch einen Wald sind zu überwinden. Ständig stehe ich vor der Alternative, direkt in die Pfützen zu treten oder beim Betreten der Wurzeln wegzurutschen. Über einen abwechslungsreichen Bergtrail im ständigen Wechsel zwischen matschigem, steinigem oder geflutetem Untergrund ziehen wir hinauf zum Hochalppass. Schön ist die lange Kette der Trailer anzusehen, die sich den steilen Hang teils über Serpentinen hinaufarbeiten. Vor allem brauchst Du dann nicht auf den Weg zu achten und verläufst Dich nicht mehrmals wie der (trotzdem) spätere Sieger des Ultras.
Wie schon gestern verpflegt man uns an der Hochalpe-Alp, erfreulicherweise nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Iso. Magdalena, die jüngere Tochter der Bewirtschafter, schaut uns durchs Fenster zu, sie hatten wir am Dienstag kennengelernt. Man stelle sich vor, hier zu viert die Alpe ohne jeglichen Seilbahnanschluss über Monate zu betreiben und auch auszuharren. Da muss man schon sehr gut miteinander klarkommen. Es zieht wie Hechtsuppe, daher nichts wie weiter.
Die folgenden km wird mich die Germanin Anni Küthe begleiten, ihr Freund ist der Moderator. Sie könnte wohl schneller sein als ich, ist aber froh, nicht alleine unterwegs zu sein. Mir ist das natürlich auch alles andere als unangenehm. Die Wege werden immer übler, dafür ist der markante Widderstein, als wir ihn passieren, im Gegensatz zu gestern wenigstens zumindest schemenhaft in den Nebelschwaden wahrzunehmen.
Nicht nur einmal überqueren wir offenkundige Muren, also Geröllfelder abgerutschter Hänge. Ich frage mich, was wohl wäre, wenn sich just solch ein Hang über mir in Bewegung setzte. Sofort verdränge ich diesen nicht guten Gedanken wieder. Einige Kühe, schon von weitem am Geräusch der Glocken zu vernehmen, kündigen mit der Widdersteinhütte (2.015 m) das nächste Zwischenziel an. Die zeigt sich uns gegenüber auch heute ungastlich, also weiter.
Wieder und wieder überwachen Doppelposten der Bergwacht unsere Bewegungen, bei allen bedanke ich mich ausdrücklich. Es ist doch alles andere als selbstverständlich, über Stunden und Stunden mehr oder weniger bewegungslos den Unbilden der Natur ausgesetzt zu sein, auch wenn zumindest ein Zelt für (unsere) Notfälle bereitsteht. Irgendwo hier, ich bemerke das erst hinterher beim näheren Betrachten des Trailbooks, überqueren wir die Grenze zum „Reich“, wie die Ösis immer noch gerne sagen. Da fühlt man sich doch direkt wohler. Nein, quatsch, Späßle gmacht. Dann setzt tatsächlich der Regen aus und ich die Kapuze ab, ein vollkommen ungewohntes Gefühl. Kann man auch haben, ich werde bescheiden.
Über den Gemstelpass (1.945 m) ist es ein mühsamer Weg, vor allem ohne Stöcke. Zwei extra ausgeschilderte „gefährliche Passagen“ mahnen auf dem Abstieg zu besonderer Vorsicht, eine davon ist sogar seilgesichert. Kurz darauf erreichen wir mit der Mindelheimer Hütte (2.013 m) bei km 14 den zweiten VP mit vollem Programm. Da es kurz zuvor wie aus Eimern zu schütten begonnen hat, habe ich eine gute Ausrede, das Buffet von links nach rechts und zurück zu plündern. Wir Mittelstreckler profitieren kulinarisch ganz klar von den Ultras, die wirklich gut versorgt werden.
Irgendwann hilft dann nichts mehr, ich muss hinaus in die rauhe Wirklichkeit. Entlang des Krumbacher Höhenwegs geht es in einem Wechsel aus kurzen An- und Abstiegen mit verschleiertem Blick auf den Allgäuer Hauptkamm weiter. Die Strecke bleibt spannend, die Bodenverhältnisse konstant. An der Mindelheimer Hütte sprach man etwas von einem weiteren, letzten Brutalo-Aufstieg über 500 m, dessen Beginn dann auch bald erreicht ist.
Die Kletterei, zunächst über große Gesteinsbrocken und zwischen dichten Latschenkiefern, fordert mich auf dem Weg zum Fiderepass ziemlich heftig. Lange, lange schleppe ich mich aufwärts. Irgendwann ist es dann endlich geschafft, die Plackerei zu Ende. Wieder droht eine „gefährliche Passage“ nach Überschreitung des höchsten Punktes. M. E. bildet der die Grenze zu Felix Austria, es geht also wieder heimwärts.
Ein Downhill durch ein Geröllfeld bringt uns zur Fiderepasshütte (2.070 m), wo man uns an km 19 zum dritten Mal verpflegt. Erneut verweile ich für mehrere Minuten und labe mich vor allem an den leckeren Nutellabroten und am Kuchen. Höchst willkommen ist auch die warme Brühe. Es folgt ein langer, herausfordernder Downhill vorbei an der Wannenalp, wo die Bergwacht offenkundig die Kühe aus ihrem Stall vertrieben hat. Letztere schauen daher etwas bedröppelt. Leider bin ich entweder technisch zu schwach und/oder zu schissig vor einem erneuten Sturz, daher bin ich deutlich langsamer, als ich gerne wäre. Sicherlich ist meine Einstellung eine vernünftige, auch wenn ich laufend überholt werde.
Ich passiere die Kuhgehrenalpe (1.673 m), haarig ist der weitere Abstieg. Im Tal ist Mittelberg schön zu sehen, wo es aber nicht hingeht, Hirschegg ist unser Ziel. Herrlich ist ab km 24 ein breiter Schotterweg, die letzten fünf km sind ein Klacks, in einer guten halben Stunde werde ich im Ziel sein. Welch Trugschluss!
Kaum eingegroovt, heißt es links abbiegen. Ach, Du Sch...! Erst fette Baumwurzeln mit tiefen Pfützen, dann ein schmaler Wiesenweg. Also durch Wiesen, der Weg ist schlammig und ein Bach. Vorsichtig eiere ich hinunter und entschließe mich endlich, unter einem elektrischen Zaun auf die Kuhweide zu wechseln, wo es geringfügig besser geht. Als ich nicht mehr weiterkomme und unter dem Zaun auf den Bachweg zurückwechsele, bekomme ich eine gewischt.
Noch 3 km. Wieder durch einen Wald mit Bach, wieder nur Geeiere. Erste Flüche, glücklicherweise von keinem gehört (hoffe ich). Wieder Schotter, herrlich! Asphalt, super, auch wenn wieder Höhenmeter zu nehmen sind. Noch 1,2 km, wieder ist links in einen ganz schmalen Trail abzubiegen. Noch einmal ein Bach durch einen Wald, wirklich schmal, schlammig, furchtbar. Bei Trockenheit könnte sogar ich hier herunterhüpfen, so ist das Gegenteil der Fall.
Für diese letzten 1,2 km benötige ich geschlagene 14 Minuten. Durch eine überdachte Brücke, erste Häuser, fester Weg, nochmals bergauf. Dann bin ich endlich auf der Walserstraße, der das komplette Tal durchziehenden Landstraße. Auf der rechts abgesperrten Spur erreiche ich wenige hundert Meter weiter nach 28,2 km in 7:12 Std. als viertletzter Mann das Ziel am Walserhaus.
Zum zweiten Mal medaillendekoriert (anderes Band wie bei der des Widderstein-Trails) stelle ich erfreut fest, dass ich erstens keineswegs total erledigt, zweitens natürlich komplett durchnässt bin und drittens gerade der Bus eingetroffen ist. Daher gebe ich der Dusche den Vorzug gegenüber der Zielverpflegung im Walserhaus.
Warm berieselt lasse ich beide Läufe Revue passieren und brauche nicht ansatzweise zu lügen, wenn ich feststelle: Trotz des wirklich, äh, herausfordernden Wetters war die Walser Trail Challenge 2025 nicht bloß eine runde Sache, sondern rundum klasse. Natürlich treibt sich hier kaum ein normaler Volksläufer herum, darum ist es umso schöner, als alter Dackel noch in der Ergebnisliste stehen zu können. Die elf Stunden Zielzeit (identisch mit dem Ultra) hat niemand auch nur im Ansatz ausnutzen müssen.
Da es dem mehrfach geäußerten Vernehmen nach hier auch schon gutes Wetter gegeben haben soll, lautet der dringende Rat Luis Trenkers: Der Berg ruft! 2026 auf ins Kleinwalsertal!
Zum wettertechnisch versöhnlichen Abschluss zeige ich Euch noch einige Fotos unserer Wanderung um den Widderstein, wie es ohne Regen aussehen kann.
Streckenbeschreibung:
Zwei Tage, zwei Läufe mit offiziellen 15 km und 980 hm sowie 29 und 1.700 hm über tolle Strecken im Kleinwalsertal und dem Randbereich der Allgäuer Alpen.
Startgebühr:
90 – 120 €, je nach Anmeldezeitpunkt.
Weitere Veranstaltungen:
Ultra über 63 km und 3.900 hm.
Leistungen/Auszeichnung:
Medaille, Urkunde, baumwollenes Teilnehmershirt
Logistik:
Absolut nicht zu meckern, kürzeste Wege.
Verpflegung:
Völlig ausreichend, beim Walser Trail ist die Mitnahme zusätzlichen Wassers (insbesondere bei warmer Witterung) nicht nur Bedingung, sondern auch sinnvoll.
Zuschauer:
Am Start und Ziel wie immer zahlreiche, aber auch unterwegs immer wieder freundliche Aufmunterung.
![]() |
![]() |
|||
---|---|---|---|---|
30.07.16 | Nümmr-Springer in der schönsten Sackgasse der Alpen |
Joe Kelbel | ||
01.08.15 | Ein neuer Trail-Stern geht auf |
Günter Kromer |