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02.11.19 - Zagora Sahara Trail

Er ist wieder da

Autor: Joe Kelbel

Vor neun Monaten: Die Brocken Challenge gerade gefinisht, haut es mich vor dem vereisten Eingang des Bergrestaurants hin. Zwei gebrochene Rippen, ein gebrochenes Schienbein. Und damit dann zehn Kilometer hinunter nach Schierke zum Bus.

Ich bin froh, dem Novembernebel zu entfliehen, es geht nach Zagora zum Sahara Trail, meinen ersten Wettkampf nach der „Broken“ Challenge.

Die ehemalige Karawanenstation Zagora ist nicht leicht zu erreichen, die Anreise ist ein Abenteuer. Dieses Jahr habe ich geplant, von Agadir aus die Sahara zu erreichen. Im Flieger lerne ich Dani, Sarah, Hanna und Gerd kennen, die ich im Auftrag von interair ein wenig betreuen werde. Sie sind das erste Mal in Afrika. Am Flughafen Agadir erwartet uns Khalid, der uns mit dem Allradauto zum Paradis Nomade, einem Berghotel, eine Stunde östlich der Touristenstadt bringt. Pool und Bier sind kalt.

 

 
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Auf dem Weg nach Tafraout fällt die Kasbah Tizougane, auf einer markanten Bergkuppe über einem fruchtbaren Tal gelegen, auf. Wie alt das Wehrdorf ist, kann niemand sagen.  Es stammt aus einer Zeit, als Nomaden immer wieder die sesshaften Berber überfielen. In den 1970ern, der Zeit der großen Dürre, zogen die letzten Bewohner in die großen Städte. Der Staat hat die Häuser jetzt Nomaden zugewiesen, die die Kasbah restaurieren. Wir parken auf dem ehemaligen Dreschplatz und klettern durch den Verteidigungsring aus Kakteen hinauf. Jamal steht an der mächtigen Pforte und verlangt 20 Dirham, 2 Euro pro Person Eintritt.  Das ist fair. Die Fassaden der Häuser sind mit Fischgrätmustern und Rauten geschmückt. Als Türklopfer dient die Hand der Fatima, die alles Böse abwehrt.

Tafraout wird jetzt Cité Akhannouch genannt. Der Agrarminister und reichste Mann Marokkos hat hier seinen Wohnsitz und finanziert die aufwändige Straßenbeleuchtung. Für den Tafraout Trail ist aber kein Geld mehr vorgesehen. König Mohamed VI hat den Agrarminister Aziz Akhannouch jetzt zur Ordnung gerufen, vielleicht findet der Tafraout Trail nächstes Jahr wieder statt.

Das Hotel Les Amandiers liegt hoch auf einem Felsen und bietet einen traumhaften Blick über die reichlich bunt beleuchte Stadt. Der Gouverneur hatte mir hier einst das letzte Zimmer weggeschnappt, sein Chauffeur hatte mich dann zum Saint Antoine gefahren, wo man im Keller Bier kaufen kann.

Ali hatte im Etoile du Sud, dem Restaurant gearbeitet, das die Pastaparty des Tafraout Trails ausrichtete. Jetzt hat er sein eigenes Restaurant und stellt mir sogleich eine Flasche Whiskey auf den Tisch. Er erinnert sich genau an den Tag, als ich hier meinen 300ten gelaufen bin und mit Blaulicht in den Ort geleitet wurde.

 

 
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Das ist lange her, doch die Markierungen des 72 km Trails sind noch sichtbar. Hassan führt uns zu den Felszeichnungen aus unbekannter Zeit. Die berühmten, grell bemalten Felsen (rocher peint) stammen aus den 80ern, wir wandern weiter zum Napoleonhut, einem markanten Felsen oberhalb des kleinen Ortes Agrd Odad. Nein, Napoleon war nie hier gewesen.

Die Schlucht von Ait Mansour ist ein kühler Palmentraum.  Ich sage zu Khalid, unserem Chauffeur, er solle am Ende der Schucht auf uns warten.

320 Kilometer müssen wir zu unserem nächsten Etappenziel, der wüsten Wüstenstadt Tata fahren. Der Antiatlas protzt mit skurrilen Felsschichten. Staubig wird es rund um die Kobaltmine bei Igherm. Schon vor Jahrhunderten förderte man hier mit bloßen Händen Kupfer, jetzt die blauen Kristalle für die Smartphones.

Tata wird von tiefschwarzen Menschen bewohnt. Es sind Nachkommen entflohener Sklaven von der Elfenbeinküste oder der Karawanenführer. Wir fahren entlang der umstrittenen Grenze zu Algerien. Jede Bewegung wird durch Radar überwacht. Alle hundert Meter stehen hier Wachttürme, die von der EU finanziert wurden. Einen Grenzübergang gibt es nicht, nur in der von Marokko besetzten Westsahara gibt es einen.  Dort soll es in Dakhla jährlich einen Marathon geben.  

Foum Zguid bedeutet so viel wie „Mund im Gebirge“. Vor langer Zeit durchbrach der Draafluss das Gebirge des Jebel Bani, durch den ich zusammen mit den Hartfüsslern in 27 Stunden lief (106 km nonstop). Auf 150 Kilometern erstrecken sich jetzt hier die Melonenfelder. Der Staat subventioniert das wasserintensive Gewerbe. Das Grundwasser ist in den letzten Jahren von 10 Metern auf 100 Metern gesunken. Übrig bleiben Plastikrohre und –planen, sowie mit Pestiziden verseuchter Sand. 500 Lastwagen pro Tag bringen die Melonen über den Hohen Atlas nach Europa.

 

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Ich möchte mir einen solchen Betrieb ansehen und weise Khalid an, einen Abstecher zu einer „Farm“ zu machen. Nette Leute.  Nach dem süßen Tee geht es auf die Felder. Ein alter VW Motor wird aus Gasflaschen betrieben. Strom für die Pumpe, die aus 100 Metern Tiefe glasklares Wasser in ein großes Becken fördert, das von zahlreichen Fischen sauber gehalten wird. Tagsüber übernimmt eine Solaranlage die Stromversorgung. Pro Tag zahlt der Farmer 4 Euro Kreditkosten für die Anlage ab. Das Wasser fließt pausenlos und bewässert Melonen-, Absinth- und Ocrapflanzen.  Ocra sind essbare Blütenschoten, die schweineteuer sind.

Salzkrusten bedecken die Erde. Die Kinder des Farmers fahren mit dem Rad zur zwei Kilometer entfernten Schule. Nicht alle Kinder, nur die Jungs. Für Mädchen lohnt sich der Aufwand nicht, sie werden kaum aus dem Haus gelassen. Wie viele Kinder er habe. Gott, es sind viele, sehr viele, hier gibt es kein Fernsehen.

Wir erreichen unseren morgigen Startort Zagora. Das Karawanenschild „ 52 Tage bis Timbuktu“ begrüßt uns. Das Original aus Kacheln befindet sich im Museum. Ein Dromedar schafft maximal 40 Kilometer pro Tag, also ist Timbuktu etwa 800 Kilometer entfernt von hier. Der Sahara Trail Zagora hat auch 52, aber Kilometer. Sarah und Gerd werden die 52 Kilometer laufen, ich laufe 27, Dani und Hanna habe ich zu den 10 Kilometern überreden können. Die 10 Kilometer führen dieses Jahr auch über den Jebel Zagora. Einen tödlichen Berg, wie ich auf grausamen Fotos gesehen habe.

Aber der Lauf ist ja erst morgen. Heute wollen wir wissen, woher die Finishermedaillien kommen. Ein langer Marsch führt uns zur jüdischen Kasbah aus dem 12. Jahrhundert in Amzrou. Kaum ein Tourist war je hier drinnen gewesen. Die Juden sind nach ´45 nach Israel gezogen. Geblieben ist das handwerkliche Wissen, was nun von sesshaften Berber-Nomaden weitergeführt wird. In den fensterlosen, dunklen Verließen gießen diese Leute Metall in tiefschwarze Lehmformen und hämmern nach dem Brennen „Sahara Trail Zagora“ in die kamelförmigen Medaillen. Fünf Euro blättert Lahcen Ahansal, der Veranstalter des Trails, für diese traumhaften Finisher Unikate hin. Der staubige Boden ist übersäht mit Resten der gegossenen Metalle. Mehr als hundert Leute arbeiten hier unten und produzieren außer Finishermedaillen sämtlichen Schmuck aus Messing, Kupfer und Silber, der auf den Märkten in Marokko angeboten wird. Türen und Fenster mit Knocheninlays, aufwändiger Hochzeitsschmuck, Armreife, Ringe, Ketten, Lampen, Truhen, alles wird hier unten gezimmert und gehämmert. In einer Vitrine liegt eine Tora, deren Text auf lateinisch in Frankfurt/Oder gedruckt wurde.

 

 
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Wir sollen um 8 Uhr am Start sein. Wann der Start sein wird, hängt davon ab, wann der Gouverneur  wach ist. Also sind wir um 7:45 am Startort. Lahcen Ahansal, der Veranstalter und 10fache Seriengewinner des Marathon des Sables, stellt die Absperrgitter auf. Rachid, ein fünffacher Marathon des Sables Gewinner, weist die kleinen Läufer in ihre Schranken. Außer den wenigen Europäern zahlt hier niemand Startgeld. Red Bull steuert 500 Euro bei, den Rest zahlt Lahcen aus eigener Tasche.  Er möchte die Jugend fördern. 15 Läufer treten die 52 Kilometer an. Vielleicht 100 die 27, 300 die 10, wie das Fernsehen berichtet. Der Polizeichef umarmt mich, dankt mir für meine Tätigkeit als Botschafter für Zagora. Mir ist das unangenehm, wie er mich abküsst. Noch schlimmer sind die schrillen Schreie der vollbusigen Berber-Damen, die man als Sängerinnen engagiert hat. Der monotone Wechselgesang zwischen Männlein und Weiblein, bei dem es nur um Heirat und Fortpflanzung geht, turnt mich ab.  Ich will laufen, nur laufen. Und dann werde ich auch noch ständig von stachligen Freunden geküsst. Aber ich bin gerne hier.  

Trillerpfeife. Der Gouverneur kann Trillerpfeife. Los geht´s. Die Meute fetzt los, ich  gleich hinten. Die Morgensonne blendet, als wir über die Brücke des Draaflusses laufen. Die Franzosen sind begeistert über das lustige Scheppern, das aus meinem Rucksack tönt. So richtig gut laufen kann ich noch nicht.

Beim Aufstieg zum Zagora Berg bekomme ich gleich Kopfschmerzen. Immerhin sind wir auf einer Höhe von 600 Metern und müssen weitere 400 hinauf. Dies ist ein Lauf für Newcomer, und die sind viel zu schnell angegangen, hocken jetzt auf den Steinen und leiden. Als ein Typ kotzt, reicht Hanna ihm ihre Wasserflasche. Hat sie danach die Flasche zurückgenommen? Der ganze Berg ist mit Plastikwasserflaschen garniert.

Eine Sechsjährige hängt im Hang und weint, als würde sie sterben. Ich kämpfe mich durch das Geröll hinauf zu ihr, denke, sie hat sich das Bein gebrochen, nehme sie an die Hand, führe sie auf dem Weg. Sie will aber nicht den Weg, sie will direkt. Französisch lernen die erst in der weiterführenden Schule. Ich brülle sie an, sie solle verdammt noch mal auf dem Weg laufen. Je mehr ich das blöde Kücken anbrülle, desto mehr schreit sie. Ich habe nie so geschrien. Vielleicht als ich Schwimmen oder Autofahren lernen sollte.   

 

 
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Unterhalb des Gipfels ist der Wahlspruch der Nation umweltverschandelt einbetoniert: „Gott, Vaterland, König“.  Nachts leuchtet der Spruch 70 Kilometer weit hinaus in die Sahara. Ich bin nun oben und beginne auf dem Weg hinunter einen „Ronaldo“ nach dem anderen einzusammeln. Früher standen noch deutsche Namen auf den Fußballtrikots der Kinder. Kinder? Ich überhole Kinder! Wie tief kann man mit einem gebrochenen Bein fallen?  

Nach der 10 Kilometer-Weiche höre ich hinter mir Schritte. Er stellt sich als K. vor, ist etwa 15 Jahre alt, spricht Katalanisch und ist gerade aus Spanien ausgewiesen worden. Sprechen kann ich Katalanisch nicht, aber ich verstehe einiges. Ganz unangenehm ist, dass er auch einige Wörter Deutsch spricht, die aus einem Porno stammen . Das ständige „Uh Gott uh ah, tiefa!“ gefällt mir nicht. Ich habe nichts gegen Pornos, aber alles zu seiner Zeit. Er bekommt die erste Verwarnung von mir. Noch grinst er in die Kamera.

Die zweite Verwarnung bekommt er, als er mir, dem 40 Jahre älteren und erfahrenen Ultraläufer seine sexuellen Erfahrungen mit Handbewegungen erklärt. Eine dritte Verwarnung wäre fällig, als er mitten in der Wüste Schwanzvergleich fordert. Statt der Verwarnung bekommt er meinen Armreif aus Sterlingsilber ins Gesicht. Er hätte eh verloren.

Als K. sich aus dem Staub erhebt, kommt Yachou panisch angedackelt, er findet den Trail nicht mehr.  Die beiden freunden sich unmittelbar an und dackeln laut schwätzend in die falsche Richtung.

Bei Kilometer 20 endlich die erste Verpflegungsstation. Eine junge Helferin schüttet mir freudestrahlend Wasser über den Kopf. Gesprochen wird nur Tamazight und Arabisch.  Ich will wissen, welcher Kilometer hier ist: „Ashar? Ishrun?“, das kann ich,  weil ishrun wie „ Isch run“  klingt. Also ich bin bei Kilometer Ishrun, zwanzig.  25 hätte  hhamsa  ishrum, also „ hamse isch rum“ gelautet.

Ich laufe in den Ort Timtig, der aus fünf Wehrburgen besteht, in denen jeweils 500 Bewohnern leben. Ein Bewohner ist gerade gestorben, ich muss einen Umweg laufen, denn die weinenden Frauen lassen mich nicht durch. Die Gasse ist mit einem Vorhang abgesperrt. Bloß nicht die Kamera zücken, sonst werde ich gelyncht.

 

 
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Der nächste VP ist am Ufer des Draa. Wasser, Datteln und Bananen, ich lasse eine leere Flasche Bier zurück. Langsam wird es grüner. Zu dieser Jahreszeit wird Alfalfa, also Luzerne angebaut. Die Datteln sind geerntet, der Weizen sprießt schon. Seit den heftigen Regentagen im September herrscht hier Trockenheit. Grund ist nicht ein Klimawandel, sondern der Stausee in Ouarzazate. Zwar wurde das  Sonnenkraftwerk Noor, wofür Deutschland 1 Milliarde gespendet hat, errichtet, doch der Strom ist mit 0,19 USD pro kWh zu teuer, also wird weiterhin der Strom aus dem Staudamm genutzt. Ein Bauer aus Zagora zahlt jetzt für die Bewässerung seines Feldes 3 Euro die Stunde. Die Pumpe wird mit Benzin betrieben.

Ich laufe nun kreuz und quer durch die Palmenhaine von Amzrou. Trailmarkierungen gibt es viele. Es dauert lange, bis die weiße Farbe verblasst. Die diesjährige Farbe wurde von Hafid angekleckst, leider  von der anderen Richtung kommend.  Deswegen sieht man die nicht. Hafid überholt mich jetzt, er läuft die 52 Kilometer schneller, als ich die 27.

Viele der uralten Lehmmauern in der Flussoase sind in den letzten Jahren eingerissen worden, um Platz für Straßen zu machen. Ohnehin werden die kühlenden Mauern seit langem nicht mehr instandgesetzt. Ein UNESCO Welterbe löst sich im Regen auf. Ich komme auch aufgelöst im Ziel an, die ersten drei Läufer der 52 km haben mich noch überholt.

Im Hotel Fibule du Draa schlafe ich 4 Stunden, gehe dann zum Zielgelände. Unglaublich, Sarah gewinnt gerade die 52 Kilometer. Sie ist die zweite Deutsche, nach Gaby Kenckenberg, die hier gewinnt. Fürs Fernsehen muss Sarah nochmal den Zieleinlauf nachstellen. Gerd, der mit ihr gelaufen ist, hat Platz 6, oder so erkämpft. Manue macht den zweiten Platz bei den 52 Kilometern. Sie ist mein scout für die besten Hotels und Restaurants in Marokko, sie handelt auch die Preise runter, so dass interair den Preisvorteil an die Zagoraläufer weitergeben kann.

Ich dränge zur Eile, will zum Sonnenuntergang im Bivouac Ahansal sein. Das Wüstencamp liegt 40 Kilometer westlich von hier, am Fuße des Passes, durch den einst die Karawanen den Jebel Bani passierten, um nach Timbuktu zu gelangen.

Lahcen kommt spät in der Nacht ins Camp. Er hat eine Kiste Bier dabei, die ich vor Tagen über verworrene Karawanenwege in die Wüste gesendet habe. Es ist warm, ich lege mich auf die Düne und schaue in den glasklaren Sternenhimmel. Sternschnuppen flitzen über das Firmament. Wenn ich  übermorgen die Besteigung des Toubkal (4167 m) schaffe, dann bin ich wieder vollkommen da.

 

Der Toubkal

 

Viele deutsche Läufer waren schon auf dem höchsten Berg Nordafrikas, einer der beklopptesten war Stefan Schlett, der nach dem UTAT nur mit kurzer Hose und t-shirt auf den 4167 Meter hohen Gipfel gestiegen ist. Ich habe seit Jahren diesen Berg gemieden, mein Beinbruch auf dem Brockengipfel bestätigt meine Bergphobie.

Wenn man in der Wüste übernachtet, dann wundert man sich am nächsten Morgen, wer alles zu Besuch war: Springmäuse suchen nach den braunen Erdnusshäuten, die ich nicht mag. Käfer haben schnurgerade Bahnen durch den Sand gepflügt, Eidechsen breite Muster.

Das Frühstück wird auf einem Teppich serviert.  Unsere Wege trennen sich nun nach dem Zagora Trail. Meine vier Läufer fahren jetzt in die Dünenlandschaft von Chegagga und über den Trockensee Iriki. Die meisten vom Camp fahren Richtung Süden, denn in M´hamid findet das 4tägige Musikfestival statt. Das ist zwar nicht so doll wie der Burning Man, aber das Gras ist besser.

Der Rest fährt nach Norden: Nadia hat den dritten Platz in Zagora auf den 27 Km gemacht, rein ins Auto. Philipps Flug wurde gecancelt, er konnte in Zagora nicht teilnehmen, rein ins Auto. Ich habe Bergallergie, rein ins Auto. Einer muss fahren, Lahcen. Rein ins Auto. Abfahrt. Von Zagora braucht man zwei Tage um nach Ilmil zu gelangen, wo der Weg hinauf zu Toubkal startet.

 

 
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Der Onilafluss ist mir ans Herz gewachsen. Die Karawanenstraße, die an der Elfenbeinküste begann und über Timbuktu und Zagora führte, wurde in dieser Sektion von Hamburger Kaufleuten betrieben.  In den Höhlen am Steilufer des Onilas wurde Elfenbein, Gold, Silber, Gewürze gelagert. Deutsche Worte auf Steinen. Das jüngste Graffiti trägt das Datum 1913 und den Namen Berlin. Es waren Soldaten des Kreuzers Berlin. 1913 hatte das Deutsche Reich endgültig auf seine Handelsbeziehungen mit Marokko verzichtet, um einen Krieg mit Frankreich abzuwenden (Panthersprung nach Agadir, 1911). Als Ausgleich erhielt das Deutsche Reich Gebiete in Kamerun und Togo.

Wenige Kilometer hinter der wunderschönen Kasbah Tifaout ist ein 400 Jahre altes Haus (Kasbah du Peintre), das von dem verrückten Künstler, Azdine Bendra restauriert wurde. Nach seiner dritten Scheidung sagte der Richter, Azdine solle mal zum Psychiater. Azdine liebt Picasso und Van Gogh. Azdine will auf sein Ohr verzichten. Seine Inspiration erhält er nicht von Dogen, er steht um drei Uhr morgens auf und malt dann ein paar Stunden wie ein Weltmeister und pennt den restlichen Tag in seiner Garage, oben an der jetzt endlich geteerten Straße. Nadia und Philipp kaufen seine Bilder, Lahcen und ich schauen uns grinsend an. Dieser verstrahlte Künstler strahlt eine erstaunliche Lebensfreude aus.

Petra und Martin aus Wien wollen nach Tafraout zum Klettern.  Sie haben ein Buch, in dem sind jeder Haken und jede Halterung aufführt, die in der Wand hängen, die die Eurasischen Kontinentalplatte von der Afrikanischen trennt. Wir schicken sie erstmal zu Karla, der deutschen Cousine von Lahcen. Sie betreibt in Oued Driss eine Kamelstation. Karla schickt die beiden bestimmt zum Festival.

Nadia fliegt zurück nach Frankreich. Philipp, Lahcen und ich sind am Nachmittag in Imlil, am Fuße des Toubkal. Sieben Tote gab es hier vor zwei Monaten, als heftige Regenfälle haushohe Steine durchs Dorf rollten. Noch einmal schlafen, dann geht’s hoch.

Imlil, viele Emotionen: zweimal UTAT, zweimal Trans Atlas Marathon, und nie habe ich hier Bier gefunden. Ich verstehe nicht, wie man Couscous bestellen kann. Jetzt winselt Philipp. Ich gebe ihm von meiner Hühner-Tajine ab, sonst schafft er morgen den Berg nicht.

 

 
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Um 10 Uhr morgens sind wir in Aroumd. Dicke Weiber kommen auf Mulis sitzend aus Imlil hoch. Mir ist nicht klar, was das soll, die schaffen doch niemals den Toubkal! Ihre Guides erledigen die Passkontrolle. Ohne Guide kommt man nicht mehr hinauf zum Toubkal. Es gibt eine dreifache Passkontrolle, seitdem im Dezember zwei Skandinavierinnen von Islamisten geköpft wurden. Die Stelle ist rechts von dem Eingangsschild zum Nationalpark, vor dem ich mich zusammen mit Philipp fotografieren lasse.

Herbstliche Apfelplantagen, es duftet nach Weihnachten. Eine massive  Kontrollstation wird gebaut, ab Januar wird für die Besteigung des Toubkals Geld verlangt. Ob man uns dadurch schützen kann?  

Lahcen, der 10fache Seriengewinner des Marathon des Sables ist die Ruhe selbst.  Er ist unser Guide. Zur zweijährigen Ausbildung gehört Geologie, Pflanzen- und Wetterkunde usw. 

Von oben kommt mir Thomas entgegen, er zeigt auf die Bierdosen, die aus den Taschen meine Rucksacks schauen, fragt ob das Stigl sei. Thomas erzählt von den Leichen im Himalaja, an denen er vorbei musste. Der Toubkal wurde 1923 das erste Mal bestiegen.

Den weißen Felsen von Sidi Chamharouch (2300 m) habe ich schon oft von oben gesehen. Ich dachte immer, es sei so ein Art Partyzelt wie in Sölden, wo nackt auf dem Tisch getanzt wird. Lahcen erklärt mir, dass dies das Ziel der dicken Weiber ist. Der islamische Heilige, der Marabout, der unter dem weißen Stein begraben liegt, garantiert dafür, dass sie heiraten werden. Also doch wie in Sölden. Dafür müssen sie aber eine Kuh kaufen, die auf dem Plateau vor dem Grab des Marabouts geschlachtet wird. Das Fleisch wird unter den Souvenirhändlern verteilt, die es in der Tajine den  Touristen anbieten. Erinnert mich meine Besteigung des Adam´s Peak in Sri Lanca.

Tatsächlich stammt auch dieses Heiligtum hier aus einer Zeit vor der Entstehung der Weltreligionen. Der König des Jupiters, Al Mushtari soll den Stein…. aber das ist selbst mir zu wirr.

Wir überqueren den glasklaren Fluss Mizane, Passkontrolle.  Nach Sidi Chamharouch gibt es noch zwei Kioske, an denen Getränke und Chips verkauft werden. Leichter Nebel zieht auf. Lahcen bekommt einen Anruf, dass es in Marrakesch und Agadir regnet. 

Mulikarawanen kommen mir entgegen, oder wollen überholen. Die Mischlingstiere transportieren von der Gasflasche bis zur Mohrrübe alles nach oben zum Refuge. Mohrrübe ist nicht rassistisch. More ist ein altdeutsches Wort für Wurzel. Mulis haben immer Vorfahrt -  und immer zur Hangseite ausweichen, sonst bist du ganz schnell wieder im Tal.

Nach vier Stunden erreichen wir das Refugium (3200 m), wo wir übernachten. Die Hütte vom französischen Alpenverein (30 Euro incl. Essen) ist besser als die untere Hütte. Aber auch im Centre Alpin francais ist die Sickergrube verstopft, es stinkt bestialisch. Es gibt zwei von diesen Trittbrettklos und zwei für hockschwache Europäer, das muss für 90 Bergsteiger reichen.  Steckdosen sind rar.

Es gibt Milchsuppe mit Möhren und Reis oder Spaghetti mit Huhn und Mohrrübe. Auf meine Antwort zur unvermeidlichen Frage „Mama Merkel good?“ erwarte ich eigentlich wieder ein hämisches Grinsen, aber diesmal fällt den verfalteten Muliführern vor Lachen der Vervaintee aus den schwarzen Zähnen. Da kann auch ich nicht mehr und liege wiehernd auf dem Tisch. Der Kamin flackert und wärmt.

30 Personen fasst ein Schlafsaal, drei davon gibt es. Lahcen hat alle Touries angewiesen, ihre Schuhe vor die Tür zu stellen. Männlein und Weiblein nachts in einem Raum, das hätte ich jetzt hier nicht erwartet. Die Stockbetten sind grausam, die oberen Liegeflächen sind frei.  Um 0.13 Uhr weiß ich warum, aber ich muss runter in den verstopften Keller.

 

 
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Um sieben Uhr ist Sonnenaufgang, doch schon um drei Uhr fangen die ersten an zu wurschteln. Es hat geschneit, der Himmel ist glasklar. Bis Philipp, mein Leidensgenosse aus Paris, all seine Gadgets angelegt hat, ist es 4:30 Uhr.

Die Aufstiegstrupps formieren sich. Nicht alle wollen auf den Toubkal, es gibt weitere 4000er von hier aus zu besteigen. In den  Steilhängen des Ras Ouanoukrim (4083) und des Timzguida(4088) sieht man die Stirnlampen. Beide Berge sind durch einen breiten Sattel verbunden, man kann also zwei 4000er an einem Tag schaffen.  Am Tizi Aguelzim (3.547) soll es noch einen Kiosk geben. Es gibt da noch den Afalle (4043) und den Bouguinoussene (4002.) und natürlich die Skipiste auf der anderen Seite.

War der gestrige Aufstieg vergleichbar mit dem Transalpin, so werden wir ab sofort gefordert. An eine Stirnlampe hatte ich nicht gedacht, habe aber eine powerbank, die gleichzeitig als Taschenlampe dient. Aber so habe ich nur eine Hand frei um zum Klettern. Der Pfad ist schlecht im Schutt und Geröll zu erkennen. Es geht durch Felsenspalten.

Nach zwei Stunden öffnet sich eine Arena, ich sehe oben die Lichter der Vorläufer, die schon in der  Scharte des Toubkal kleben. Der Pfad ist jetzt zu erkennen, führt über ein paar kleine Schneefelder, über große Felsblöcke und immer wieder steile Schotter-Serpentinen durch eine karge Steinwüste immer höher.

Ich muss über den gefährlichsten Teil der Route.  Die 900 Meter tief abfallende Schutthalde habe ich nach 30 Minuten überwunden. Wir sind jetzt etwa 3900 Meter hoch, meine Schritte sind nicht mehr zielgenau. Auf dem südwestlichen Grat stehend, sehe ich die Sahara, die fahlen Morgenlichter von Marrakesch sind in meinem Rücken. Und oben, im roten Licht des Sonnenaufganges zeichnet sich der Gipfelaufbau ab. Es ist kein Kreuz, es ist eine Stahl-Pyramide, die dort im eisigen Wind steht. Darüber die Sterne und Al Mushtari der König des Jupiters, oder so.

 

 
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Eine lustige Fontäne aus Bierschaum fliegt über mein Gesicht, als ich die Dose öffne. 4167 Meter Höhe geschafft. Endlich mal ein Runners High!

Zeit für einen Snack gibt es nicht, Philipp, dem MdS-Läufer geht es nicht gut, wir müssen sofort runter. Meine Beine sind nicht trainiert, immer wieder falle ich hin, doch auch Lahcen passieren Fehler, wir sind zu müde. Nach sechs Stunden sind wir in Imlil. Eine Stunde später in Marrakesch, das dann aber per Auto.

 

Die Daten für 2020:

 

Flug nach Marrakesch 04. Nov

Sahara Trail Zagora: 07. Nov

Aufstieg zum Toubkal 10. und 11. Nov

Rückflug 12. Nov ab Marrakesch

Ich plane die Anfahrt über die Saghro Berge, die seit letztem Jahr durch eine Straße erschlossen sind. Genaueres nach Finishh der Erstaustragung des Saghro Trail ( 27. -29. Feb) . Dann wird der Reiseverlauf auf der website von interair veröffentlicht.

 

 

Informationen: Zagora Sahara Trail
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