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07.06.15 - Alpen Challenge

Zum alpinen Glück führt ein schmaler Grat

Autor: Joe Kelbel

Die Abstiege bei diesem Event sind einmalig. Wenn ich meine Knie beugen könnte, dann würde ich jetzt gerne auf dem Hintern runterrutschen. So versuche ich irgendwie seitlich abzusteigen, was wieder sehr entwürdigend ist. Eine Markierung habe ich schon lange nicht mehr gesehen, ist mir auch egal, ich will nur noch runter. Nach einer Stunde finde ich die Packung eines Müsliriegels, der Sorte, die beim letzten VP angeboten wird. Müll kann auch glücklich machen!

Auf einer grünen Wiese steht ein nackter Mann, putzt sich die Zähne. Wir sind nicht beim Mooserwirt, wir sind irgendwo. Der Typ hat, zumindest im Gesicht, die Frisur von Jack Sparrow. Wer so freizügig ist, der hat bestimmt ein Isogetränk für mich. Jack reisst eine Machete von der Wand, die Zahnbürste zwischen seinen Kiefern, die Bierflasche zwischen seinen nackten Schenkeln, dann macht es flopp und ich habe ein kühles Weizen.

Drei Stunden später bin ich vor Bludenz. Zwei Mädchen von der Orga laufen die letzten Kilometer zusammen mit mir: „Magscht Wasser?“  „Nee!“.  Kurzer Anruf im Zielbereich, wo gerade die Siegerehrung von irgendwas ist und mich erwartet im Zielkorridor ein halber Liter eiskaltes, schäumendes Getränk. Sebi und Martin, die beiden TV Moderatoren, haben mich angekündigt, als sei jetzt Frohnleichnam. Die Menge brodelt. Falco und der Bürgermeister brüllen: „Joe, komm, come on!“  Das ist absolut geil. Christoph Soukup, der zweimalige Olympiateilnehmer ist auf dem Treppchen, erwartet Medaille und Bierfass, da platze ich in den Zielkorridor und mache die Show, bin Held des Tages, habe Runnershigh. Das hier ist doch ein besseres Event, aber wirklich ne harte Nummer.

Ich bin absolut fertig, mache einen SideHop ins Bett, lausche noch durchs offene Dachfenster, was rund um den  Nepomukbrunnen abgeht: Die MTB-ler kommen vom Muttersberg Challenge, deren 2. Etappe nennt sich Hillclimb und ist „powered by Muttersberg“.  Die Speedfreaks fahren mit Giant Glory2 und Giant Reign-SX,  nicht die Titel eines Pornostreifens, sondern die Marken der Bikes, mit denen die Trailrider und Downhiller dort runterbrettern. Es gibt die Strecken blau-schwarz-rot, wie beim Skisport, heute wird direkt nach der Flowline rot gefahren. „Cheers MuCru“. Dann gibt es das NightJump der Radler. Ich verzichte auf Newschoolelemente und Airtime. Gute Nacht!

 

3. Etappe Großes Walsertal 22 km, 1800 Hm


Das große Walsertal liegt irgendwie nördlich von Bludenz. Wir umkreisen heute den Muttersberg, den wir morgen erst belaufen werden. Ist heute ein ganz lockerer Lauf,denke ich. Auf dem Streckenplan ist alles dunkegrün, also fetter Wald, der meinen Sonnenbrand schonen wird. Oder?

 
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Wie jeden Morgen Start am Nepomukbrunnen. Nach 7 Km haben wir den Berghof am Ludescherberg erreicht. Das war nicht ludschig, das war schon mal brutal. Es geht jetzt, nein da geht nix…es ist sausteil. Die Aussicht über den Walgau und hinauf zu den Rätikonbergen ist meine Ausrede. Die Walgau ist ein östliches Seitental des Rheines und in seiner exponierten Sonnenlagen mit den traumhaften Almwiesen ein besonderes Highlight. Die Wiesen stehen jetzt in voller Blüte, es ist heiss wie in der Sauna vom FKK Club, wo man 70 Euro Eintritt zahlt. Nein, es ist heißer.

Ich gehe meinen Laufkalender durch und streiche in Gedanken so manche Termine raus. Als ich auch noch die Halbmarathontermine streichen will, entdecke ich eine Powergelpackung zwischen den Gebirgswaldameisen. Es ist die Gattung der starkbeborsteten Waldameise, Unterfamilie Schuppenameise, was keinen Arsch interessiert, nicht mal mich. Man sollte aber keine Powergelverpackung wegwerfen, damit man die schwächeren, schwachbeborsteten Waldameisen nicht dem Untergang preisgibt.

Und mein Untergang steht jetzt bevor. Ich hänge nun seit einer Stunde in diesem Saunahang, ohne Service für 70 Euro.  Es ist einsam, keine Wanderer hier, Selfie im steilen Hang kostet Kräfte. Als ich beim Hohen Fraßen (1979m) ankomme, bin ich krankenhausreif. 3,5 Stunden für 10 Kilometer sind nicht normal. Hier ist nichts normal, deswegen falle ich nicht auf.

Der Grat ist wieder mächtig wacklig, Gewitterwolken ziehen auf. Meine Selfies gelingen nicht, es gibt keine festen Steine für die Kamera. An der Grenze ist man, wenn man sich überlegen muss, wo man seine Füsse positioniert. Spätestens dann kann man nicht mehr von Trailrunning sprechen.

Erst sehr viel tiefer habe ich mich erholt, die Wasserflaschen aufgefüllt. Ich habe wieder Spass, es geht hüpfend von Stein zu Stein bis hinunter zum Tiefenseesattel. Dort verkündige ich den Kontrollposten, dass sie endlich abdampfen können und wir uns im Ziel wiedersehen. Bis zur Elseralp laufe ich allein. Ja ich laufe, denn wir sind auf einer Höhe von nur 1600 Metern. Da geht das locker.

Auf der Elseralpe ist ein VP. Ich haue mir ne halbe Melone rein, das tut verdammt gut. Jetzt geht es hinauf zur Elsspitze (1980m) „Dort oben steht ein Afrikaner, sag dem dann, dass du der Schlussläufer bist. Er soll runterkommen“, lautet mein Auftrag.
Der Aufstieg ist wieder steil,  technisch aber nicht schwierig, die Blumenwiese ist die prächtigste, saftigste, die ich je gesehen habe. Die Elsspitze sieht brutal steil aus. Nach einer Stunde bin ich oben. Der Afrikaner schießt zwei Fotos mit meiner Kamera. „Dort geht es verdammt steil hinab. Du musst immer die Bremse anziehen! Pass auf dich auf!“

 
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Zwischen zwei Felsen beginnt ein Abhang, der zu „Krieg der Sterne“ passen würde. Bedrohliches Donnergrollen. Jetzt nicht den Blick auf die grausame Welt riskieren. Was soll ich machen? Schönen Tag noch! Zwiebelmettwurst habe ich nicht mehr und auch keinen Laufkameraden. Wenn man zu zweit ist, dann meistert man Gefahrenstellen besser. Also Kamera zwischen die Zähne und runter geht’s. Es ist etwas, was in meiner Timeline hängen bleiben wird, alles andere habe ich jetzt vergessen.

Wenn es über die steilen Muren geht, dann streiche ich sogar die 10 Kilometerläufe aus meiner Terminliste. Nochmal geht es hinauf zum Katzenköpfle, dann für eine Ewigkeit abwärts ins Tal. Ich weiss nicht, wieviele Stunden ich vor den Gewitterwolken geflüchtet bin, mit jedem Meter rede ich mir bessere Überlebenschancen ein. Es wird dunkel, es grollt lauter, der Untergrund zittert. Dann komme ich zum Galgentobel. Letzte gehängte Person war das Baumwollmädchen. Sie hatte 5 Gulden gestohlen. Eines Nachts wollten Burschen Frühobst stehlen und schüttelten die Bäume. Dem einen fiel eine verschimmelte, nasse Haut über den Kopf, sodaß er erstickte. Die Großeltern der Raben, die jetzt ihre Flugkünste im Gewitterwind zeigen, haben noch Menschenfleisch gefressen. Ich lege einen Zahn zu.

Im Ziel will Sebi noch ein Stellungnahme von mir zu dieser Etappe, doch bei mir ist Schluß im Gelände. Am Abend soll es den „BludenzNightRun Kids“ für die 0-6jährigen ( 400 m) und noch Läufe über 1250 und 5000 Meter für Erwachsenen geben. Doch der Himmel gibt alles, sodaß die Läufe abgesagt werden. Und da ist die Orga von Bludenz um Welten besser, als die von New York: Es wird entschieden und über Twitter und FB bekannt gemacht. Das Startgeld gibt es sofort zurück. Ich bin rechtzeitig im Hotelzimmer, um die Dachfenster zu schliessen. Gute Nacht.

 

4. Etappe Bludenz City Challenge, 7,5 km, 850 Hm

 

Der Muttersberg Challenge ist seit 31 Jahren ein Alpenklassiker, den 99 % der jetzt über 150 Läufer blind hochspurten können. Seit Monaten wird in FB gepostet, wer wie schnell da hoch kann. Der Berg hat nicht seinen Namen von einer gedissten Person, sondern von der Familie Muthers, einer walisischen Einwandererfamilie.

Am Frühstückstisch sitzen meine Konkurrenten aus Kenia. Während ich als Morgenmuffel kaum was essen kann, haben diese kleinen mikrigen Kerlchen Berge von leeren Tellern vor sich gestapelt, als seien sie beim Sushi Circle.

 
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Im Startbereich ist heute wirklich was los, ich hänge mich an Christa. Die Strecke ist uninteressant, es sei denn, man kann sie laufen. Ich halt nicht, sie ist zu steil. Oben an der Bergstation ist das Ziel. Ich höre schon von unten, wie Sebi die Zuschauer mobilisiert. Spitzenläufer werden gefeiert und bejubelt, doch erst mit Schlußläufern identifiziert man sich. Die werden geliebt, von denen will man Kinder. Kinderwünsche und 10 Kilometerläufe habe ich gestrichen, zu anstrengend.

Die Terrasse hier oben ist der schönste Zieleinlauf der Welt, super Blick auf den Rätikon und zur Silvretta, unter uns St Anton im Montafon, heisst Mont, da vorne. 32 Kameraden haben gekämpft, 20 sind angekommen. 32 Läufer sind hier oben, niemand trinkt Erdbeerschorle, alle futtern Fritten und Schnitzel, keiner Blumenkohl. Die übrigen Teilnehmer des Muttersberglaufes verteilen sich auf der Sonnenterrase oder treffen sich dann bei der Tagessiegerehrung.

 
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Mit der Bahn geht es hinunter zur finalen Siegerehrung. Ich habe viele Siegerehrungen erlebt, dies ist die erste, bei der ich bis zum Ende geblieben bin. Sebi und Martin machen moderationsmäßig eine solche Freude, dass ich Tränen lache.

4 Tage Sensation. Sie haben täglich getwittert und geFBooked, um zeitnahe Infos zu den wechselden Tagesgegebenheiten zu geben. Das ist neu, bringt die Orga ins Hotelzimmer und unglaubliche morgentliche Planungssicherheit für Läufer, denen das tägliche Extreme blüht.

Wer mich dann abends im Ziel erlebt hat, der hat sich verbeugt und mir Respekt erwiesen. Ich erweise meinen Respekt vor der Tourismus GmbH Bludenz als Veranstalter. Respekt! Alle Achtung! Weltklasse! Danke!

 

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