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24.08.13 - Karwendelmarsch

''Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen''

Vor uns liegt nun das Geröllfeld am Fuß der Laliderer Spitze und der Dreizinkenspitze. Da müssen wir drüber. Von weitem sieht es schwieriger aus, als es tatsächlich ist. Der schmale und steinige Weg verläuft relativ eben. Erst auf der anderen Seite müssen wir, um auf das Hohljoch zu kommen, nochmal hoch. Da wir auf den letzten Kilometern etwas ausruhen konnten, ist das kein Problem. Oben hat sich der offizielle Fotograf auf die Lauer gelegt. Die Bilder mit den wild zerklüfteten Felsen im Hintergrund werden bestimmt ganz toll.

 
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Dann beginnt erneut der Kampf mit den steinigen Abstiegen. Das ist aber jetzt wirklich ein ausgetrocknetes Flußbett. Laufen ist an manchen Stellen unmöglich (Norbert wird mir hier widersprechen).  Ein Wanderer zeigt mir, wie es geht: Die Stöcke so weit wie möglich nach unten setzen und sich daran abgestützt hinunter schwingen, und dann sofort das gleiche wieder. Sieht anstrengend aus, ist aber effektiv. Schnell hat er mich hinter sich gelassen und ist schon außer Sichtweite. Das haben noch andere drauf. Bergab werde ich ständig überholt. Läufer, die an der roten Startnummer zu erkennen sind, gibt es hier keine mehr. Ich kämpfe mich langsam nach unten. Die Eng kann ja nicht mehr weit sein.

Dann liegt die Almsiedlung plötzlich unter uns. Das letzte Stück schaffe ich auch noch. Das Zieltor für die 35 km Wettkämpfer und gleichzeitig unsere Zwischenzeitmessung passiere ich nach 5 Std 43. Das ist im Plan.

Zeit für eine Stärkung: es gibt Obst, Kekse und sogar Joghurt. Eine klare Brühe mit Gemüsestücken kommt mir gerade recht. Die ist so heiß, dass ich sie mit Wasser verdünnen kann. Trinken ist jetzt wichtig. Mehrere Biertischgarnituren und Blasmusik verbreiten Festzeltatmosphäre. Mit meinen Getränkebechern suche ich einen Platz zum Sitzen. Da sehe ich, dass Heidelbeersuppe angeboten wird. Die muss ich probieren. Lecker sieht die dunkle Brühe nicht aus. Aber sie schmeckt köstlich, frisch und fruchtig.

In diesem Moment werde ich mit Namen angesprochen. Horst, der bei den 12 Stunden in Fellbach mein Coach war, steht hinter der Theke. Er  hat spontan beschlossen, bei der Verpflegung mitzuhelfen. (Auch eine Art, sich auf den Trans-Alpin-Run nächste Woche vorzubereiten). Und weil er wusste, dass ich hier irgendwann vorbeikommen würde, hat er mir ein Bier besorgt. Alk-frei natürlich. Das ist genau das, was ich jetzt noch brauche.

Nach dieser netten Unterbrechung laufe ich beschwingt weiter. Scheinbar sind in der Eng einige Mitstreiter ausgestiegen. Ich bin ziemlich allein auf der langen Geraden, die zum nächsten Anstieg führt. Wir müssen quasi das Engtal durchqueren und auf der anderen Seite wieder hinauf. Während des Aufstiegs könnte man einen schönen Blick auf den Großen Ahornboden werfen. Leider komme ich gar nicht auf die Idee, mich einmal um zudrehen. Auf dem Weg sind Spaziergänger unterwegs. Immer wieder werde ich angefeuert. Einige erkundigen sich nach unserer Strecke. Es scheint unvorstellbar, so eine Distanz an einem Tag zu meistern.

 
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Während des Aufstiegs habe ich Gelegenheit, das Wetter zu beobachten. Es ist mittlerweile bewölkt und zieht zu. Für den Abend waren Gewitter vorhergesagt. Hoffentlich hält es noch. Drei Stunden werde ich wohl noch brauchen.

Nach dem zähen Aufstieg kommt die Hütte des Binsalm Niederlegers (km 37) in Sicht. In der Almwirtschaft unterscheidet man Niederleger, das ist die untere Alm, und Oberleger (Hochalm). Erstere, meist zwischen 1300 und 1500 Meter, wird als Viehweide für den Früh- und Spätsommer gebraucht. Die Hochalm über etwa 1500 Meter wird nur im Hochsommer begrast. Nach dem Abweiden der Hochalm belegt man nochmal einige Wochen die Niederleger, wo man besser vor frühen Wintereinbrüchen geschützt ist.

Die Hütte ist gut besucht. Sie wird seit Jahrzehnten im Sommer privat von der Familie Stadler bewirtschaftet und verfügt über 40 Betten und 40 Matratzenlager. Unsere Verpflegungsstelle nebenan wird von vier jungen Burschen betreut. Es gibt Obst, Joghurt und gebackene Riegel. Die Jungs sind gut drauf und zu Scherzen aufgelegt. Als sie erfahren, dass ich zwei Töchter habe, bin ich plötzlich interessant und werde zum Bier eingeladen. Ich lasse mich auf den Spaß ein und muss noch lange hinterher über diese lustige Bande grinsen.

Es geht weiter bergauf. Den steinigen Wanderweg sind wir ja mittlerweile gewohnt. Wir zweigen links ab und kommen auf einen Trail - steil bergauf. Am Binsalm-Hochleger müssen wir einen Weidezaun überklettern und finden uns auf einem schmalen Wanderpfad wieder. Überholen ist schwierig. In einer Schlange kriechen wir den Berg hinauf. Das umliegende Bergpanorama ist grandios, und wird von Schritt zu Schritt noch besser. Um uns herum blühen tausende von Blumen und Insekten schwirren in der Sonne. Die Wolken haben sich gerade verzogen.

Alles ist toll, nur ich bin nervös: schon immer habe ich Angst vor großen Höhen. Im abschüssigen Gelände werde ich immer unsicherer. Noch ist das Profil kein Problem, aber ich weiß, dass das noch steiler wird. Plötzlich trennen sich meine Vorderleute. Zwei gehen geradeaus, zwei gehen rechts. Angelika kennt sich aus und ruft, es sei egal, welchen Weg man wählt; die würden sich gleich wieder treffen. Nach kurzem Zögern halte ich mich rechts. Das erweist sich als schwerer Fehler. Das ist nämlich kein Weg, sondern ein Abbruch im Fels. Loses Geröll machen das Laufen schwierig. Außerdem ist es wahnsinnig steil. Jetzt bloß nicht abrutschen! 

Mit fliegendem Puls erreiche ich oben wieder den richtigen Weg. Gerade kommt auch Christoph, der die andere Variante gewählt hat. Vorhin bot er mir schon an, voran zu steigen. Jetzt lasse ich seine Füße nicht mehr aus den Augen. Der Fotoapparat kommt nun in die Tasche. Ich brauche die Hände,  um mich gegebenenfalls festzuhalten. Angelika ist hinter mir. Sie meint, dass wir in zehn Minuten oben wären. Christoph fragt, ob das auch funktioniert, wenn wir jetzt 10 Minuten stehen bleiben würden. Angelika versteht den Scherz, und meint, dass es dann halt nochmal 10 Minuten wären.

Dann wird es still. Mir ist sowieso nicht nach reden und auch die anderen brauchen ihre Puste. So zieht eine schnaufende und pustende Karawane den Berg hinauf. Ich merke nur, dass wir immer höher kommen. Vom einmaligen Bergpanorama kriege ich nichts mit. Nur schnell hinauf. Nach endlosen Serpentinen höre ich Stimmen. Noch eine Kurve und es ist geschafft. Bergheil - wir sind oben. Die Helfer der Bergwacht empfangen uns auf dem  höchsten Punkt der Strecke: der 1903m hohe Binssattel, oder Gramaisattel, kommt drauf an von welcher Seite man kommt.

Jetzt geht es nur noch bergab. Das Bimmeln der Kuhglocken ist mittlerweile ein vertrautes Geräusch und verheißt die nahe Labestation. Unten ist der Gramai Hochleger bereits gut zu erkennen. Wir genießen noch kurz die Aussicht, dann stürzen wir uns in den Abhang. Naja, stürzen ist vielleicht übertrieben. Teilweise kann man ganz gut laufen, dann bremsen einen große Steine oder höhere Stufen wieder aus. So kommen wir irgendwann unten an (km40).

Es gibt nochmal das volle Programm: Brote mit Schinken, Salami, Käse, Bananen und Äpfel. Nur der Hollundersaft wird langsam knapp. Aber Tee tut es auch und so verzichte ich zugunsten der Späteren. Hier lohnt es sich, nochmal stehen zu bleiben und das spektakuläre Panorama zu genießen: wir sind dabei, in ein schmales Tal abzusteigen. In den grün bewachsenen Hängen sind die ersten Bäume zu sehen. Dahinter ragen zwei markante Berge auf.

Ich kann mich nur schwer losreißen, zumal jetzt auch noch ein besonders steiles Stück ansteht. Das ist für mich zu steil und steinig, als dass ich laufen kann. Infolgedessen bin ich runter genauso langsam wie bergauf. Dazu spüre ich noch eine unangenehme Druckstelle am rechten Fußballen.

Wanderer stehen am Weg und feuern die Vorbeikommenden an. Ich frage sie, ob sie hinauf oder hinunter gehen. Sie wollen rauf. O.k., dann will ich mal zufrieden sein. Mit ihnen tauschen möchte ich nicht. Die Gegend ist herrlich. Hier im Wald ist es meist schattig. Immer wieder hat man tolle Ausblicke. Blöderweise werde ich dauernd überholt. Auch hier sind die Wanderer schneller unterwegs. Wir überqueren ein Bachbett, es geht nochmal kurz hoch und dann wird der Weg flacher. Ich kann wieder laufen und das Überholen hört auf.

 
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Es geht nochmal durch ein Bachbett und dann wellig auf einem Schotterweg entlang. Die Gramaialm kommt in Sicht. Sofort sind unzählige Spaziergänger auf dem Weg. Die Zivilisation hat uns wieder. Der Alpengasthof Gramai hat sich im Laufe der Jahre zum Tourismusmagnet entwickelt. Die einmalige Lage im Ausgang des Falzturntales und die Erreichbarkeit mit dem Auto locken jeden Tag zahllose Besucher an. Professionelle Gastronomie und exklusive Übernachtungsmöglichkeiten, dazu eine großzügige Außen-Saunalandschaft mit angrenzendem Almgarten sorgen für entspannte Stunden umgeben vom imposanten Felsmassiv des Karwendels. Für die Kleinen gibt es den hauseigenen Abenteuerspielplatzes und einen Streichelzoo. Die „Kas- und Speckalm“,  eine urig-originale Almhütte aus dem 16. Jahrhundert, direkt hinter dem Gasthof gelegen, bietet Tiroler Bauernbrot, Butter, Speck, Käse, Milch und Buttermilch für alle hungrigen Wanderer!

Unser Verpflegungszelt steht, Gott sei Dank, gut sichtbar in all dem Gewusel. Wir decken uns nochmal mit Obst und Getränken ein. Dann geht es über den gut besuchten Parkplatz auf die letzte Etappe. Nun schlägt die Stunde der Läufer. Es geht leicht bergab. Optimale Laufbedingungen. Leider brennt jetzt am Nachmittag die Sonne heiß hernieder. Trotzdem kommen wir gut voran. Christoph ist wieder da und wir wollen die letzten Kilometer gemeinsam bewältigen.

Tatsächlich können wir locker an dem einen oder anderen Wanderer vorbeiziehen. Ein paar Kühe fühlen sich aufgefordert, uns zu begleiten. Dann stoppt uns ein Weidezaun. Da müssen wir hinüber steigen. Eine Familie unterbricht ihr Kuhkuscheln und beobachtet gespannt unsere steifen Versuche, über den Zaun zu klettern. Spott ist uns gewiss. Wir ignorieren dies, wohl wissend, dass die Spötter heute noch keine 45 km in den Beinen haben.

Nach dieser Dehn- und Streckeinlage geht es fast entspannt weiter. Da taucht bereits die Falzturnhütte auf. Vor der letzten Labestation muss Christoph anhalten, um einen Stein aus dem Schuh zu befreien. Ich laufe schon mal vor. Mir ist es jetzt zu heiß. Hoffentlich mache ich nicht auf den letzten fünf Kilometern schlapp. Einem Schluck Wasser und den Rest des Bechers über dem Kopf muss dennoch reichen.

Es geht immer geradeaus. Seit der Falzturnhütte laufen wir auf deren Zufahrtsstraße. Jetzt biegt diese ab und wir sind wieder auf einem hellen Schotterweg unterwegs. Der Wald ist so licht, dass er kaum Schatten spendet. Die Bäume werden weniger und Pertisau liegt vor uns. Ein Zielbogen gaukelt das nahe Ende vor. Ich weiß jedoch, dass wir erst kurz vor dem Achensee im Ziel sein werden. Dennoch motiviert mich das und es geht trotz Hitze wieder lockerer.

Hinter dem Zielbogen links ist es nicht mehr weit nach Pertisau. Die letzte kleine Steigung wird nochmal gegangen. Dann gibt es kein Halten. Auf der nachmittäglich ruhigen Straße laufen wir im geheimen Triumphzug durch Pertisau. Es geht nur noch bergab. Ein Reisebus hält an und lässt uns Vorrang an der Straße. Cool! Noch die Straße entlang, einmal links wieder die Straße entlang und die Glaspyramide des „Museum Tiroler Steinwerke“ kommt in Sicht.

 
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Der Zielbogen ist auf einer Wiese im Ortszentrum aufgebaut. Hier ist ganz schön viel Publikumsverkehr. Unter dem Applaus der Zuschauer gelangt man über einen kurzen abgesperrten Korridor ins Ziel. Der offizielle Fotograf kommt für das Finisherbild angestürmt und hält die ersten Emotionen fest. Jeder Eintreffenden wird mit Namen angekündigt und erhält mit Gratulation die Siegestrophäe in Form einer Medaille umgehängt.

Wir gratulieren uns gegenseitig. Da kommt Norbert mit einem Becher Erdinger. Er hat bereits geduscht und war bei der Massage. Gemeinsam besuchen wir die Zielverpflegung, die nochmal alles bietet, was es auch unterwegs gab.

Jetzt wird es Zeit an den Heimweg zu denken. Einmal um die Ecke finden wir die Halle für die Taschenausgabe. Dort gibt es auch ein Finisherpaket.

Der Transferbus steht hinter der Wiese bereit. Für 15 Euro kommt man zurück nach Scharnitz, oder direkt nach Innsbruck.

Fazit:

Der Karwendellauf/Marsch ist ein schwerer Berglauf, der aber auch für nicht ganz schwindelfreie mit genügend Kondition zu bewältigen ist. Die ersten 10 km und die letzten 7 km sollten als Einstieg bzw. Auslaufen gesehen werden. Die Ausstiegsmöglichkeit in der Eng ist optimal.

Die Organisation ist professionell, die Helfer überaus motiviert, die Verpflegung der helle Wahnsinn. Es wird empfohlen, einen Rucksack mitzuführen. Norbert und ich haben darauf verzichtet und auch keinen benötigt. Der Bustransfer vor und nach dem Lauf funktioniert bestens.

Größtes Manko des Laufs war seither das Wetter. In den Vorjahren hat es immer geregnet. Zur Vorsicht hat der Veranstalter in diesem Jahr für jeden Finisher ein hochwertiges Regencape als Geschenk beigelegt. Da muss man ja wiederkommen!

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Informationen: Karwendelmarsch
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