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22.07.17 - Zugspitz Trailrun Challenge

Die Wahl der Qual

Ich hätte vorgewarnt sein müssen. „Rock the Top“, „der höchste und härteste Marathon Deutschlands“ – schon die Homepage des Organisators Plan B sendet klare Signale. Okay, an Superlative als gängiges Werbemittel hat man sich gewöhnt, ohne sie gleich ernst zu nehmen. Aber die Ansage „3.965 positive Höhenmeter“ ist dann doch etwas, was objektiv klarstellt: Mehr Höhenmeter kann man auf der Marathondistanz in Deutschland und wohl auch sonst in Europa nicht sammeln. Und wer die gängigen Höhenmeter bei Bergmarathons kennt, der weiß: Das ist schon deutlich „a bisserl“ mehr als üblich.

Nun ja: Wer nicht hören / lesen / verstehen will, muss eben fühlen. Aber die Aussicht, auf Deutschlands höchstem Gipfel, der Zugspitze auf 2.962 m üNN, marathonisch zu finishen, hat schon ihren besonderen Reiz. Der Marathon ist sozusagen die Königsdisziplin, die das Zweitages-Event „Zugspitz Trailrun Challenge“ bereit hält. Bei diesem hochsommerlichen 2-Tages-Laufevent kann man sich auch auf diversen anderen Trails läuferisch rund um die Zugspitze austoben, darunter einem Berglauf, der ohne marathonischen Unterbau über 15,8 km und immerhin auch noch 2.127 HM direkt zum Gipfel führt. Wer unbedingt auf die Zugspitze will und bei klarem Verstand ist, dem sei schon an dieser Stelle gesagt, dass sich die Chance, den Gipfel auch tatsächlich zu erreichen, bei diesem Laufs deutlich erhöht.

Aber zurück zum Marathon: Genau genommen ist dieser mit 43,5 km ein kleiner Ultra, der neben 3.965 Metern „up“ auch 1.993 Meter „down“ bereithält. Der Clou dabei: Da eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass die besonders exponierten letzten 0,9 km ab dem Sonnalpin zum Gipfel witterungsbedingt, etwa wegen Wolken oder gar Gewitter auch kurzfristig gestrichen werden, hat man zumindest die Gewissheit, selbst in diesem Fall bis zum Sonnalpin einen vollen Marathon zurück gelegt zu haben. Vorausgesetzt, man schafft es überhaupt bis dorthin. Die 11 Stunden, die man bis zum Gipfelziel Zeit hat, klingen nach viel, sind es aber nicht wirklich. Vier Zeitschranken sorgen schon unterwegs dafür, dass man für Trödelei oder Unvermögen mit der roten Karte abgestraft wird. Zum Glück erst nach der Anmeldung bewusst gemacht habe ich mir die DNF-Quote des Vorjahres: Da lag sie bei 35 %.

 

Früher Vogel fängt ….

 

Nicht nur eine Portion Masochismus mitbringen sollte man, auch Morgenmuffel darf man nicht sein, um sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Aufgrund der Wetterprognose kurzfristig von 5:30 auf 5:00 Uhr vorterminiert ist der Start im tirolerischen Ehrwald. Schon ab 3:30 Uhr ist das Rennbüro im Zeltdorf auf dem zentralen Martinsplatz geöffnet. Wer nicht am Vorabend seine Startnummer geholt hat, bekommt sie auch jetzt noch.

 

 
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Streng sind die Pflichtgepäckvorgaben. So etwa müssen wir 1,5 statt dem üblichen einen Liter an Trinkbarem mitnehmen. Moderat kontrolliert wird alles am Zugang zum Startkanal, in dem sich, schon recht ausgeschlafen wirkend, die fast 300 für den Marathon gemeldeten Starter in der Finsternis vor dem erleuchteten Startbogen sammeln. Zur morgendlichen Erfrischung trägt bei, dass es feucht vom Himmel rieselt, nachdem es schon die ganze Nacht geregnet hat. Auch das noch. Der Startmoderator verspricht allerdings Besserung. Und Recht soll er behalten.  

Ausgeschlafen fühle ich mich zwar auch, aber so ganz wohl dann doch nicht. Selten habe ich am Start so viel Respekt vor der „Aufgabe“ und auch Selbstzweifel gehabt. Aber da ich nun einmal da bin, bleibt mir nichts anderes, als das Beste daraus zu machen. So gilt für mich die schlichte klassisch bayerische Devise: „Schau mer mal ….“.

 

Mit einem Ups geht’s los

 

Die erste Streckenhälfte hat mit der Zugspitze erst einmal gar nichts zu tun. Zum „Aufwärmen“ werden wir zunächst in die umliegenden Gebirgszüge geschickt, erst in die Ammergauer Alpen, von dort ins Mieminger Gebirge, und erst dann dürfen wir dorthin, wo wir eigentlich hin wollen: ins Wettersteingebirge, aus dem die Zugspitze als höchster Punkt empor ragt.  

Von Ehrwald aus wendet sich unser Kurs daher zunächst geradewegs weg von unserem Zielberg. Knapp 900 Höhenmeter, von Ehrwald auf den Grünen Ups (1.862 m üNN), lautet die Aufgabe für die ersten 6,5 km. Grüner Ups – klingt nett und harmlos. Aber harmlos ist hier gar nichts.

Entspannt sind nur die ersten gut 1,5 km. Sie führen durch das noch nächtlich ruhende Ehrwald hinaus in die Wiesen des Tales. Ein erster Hauch von Taghelligkeit hilft uns dabei, nicht in jede Pfütze hinein zu tapsen. Jenseits des Ehrwalder Viadukts am Ortseingang ist es vorbei mit dem gemütlichen Traben. Ein erst breiter, dann sich zum Pfad verengender Naturweg führt in Serpentinen durch üppiges Grün in die Höhe. Ein paar Dynamiker meinen zunächst noch, den Anstieg im Laufschritt bewältigen zu können. Doch setzt sich im Kollektiv schnell die Einsicht durch, dass Walking die sinnvollere Lösung ist. Fast tropisch feucht die Luft. So stehe ich trotz der morgendliche Kühle schon nach kurzer Zeit im eigenen Saft.

Dennoch: Ausgeruht und frisch, wie wir noch sind, geht es flott dahin. Mit Erreichen der Tuftelalpe (1496 m üNN) werden wir erstmals optisch für die Mühen belohnt. Weit reicht der Blick von den Almwiesen auf die umliegenden Bergketten, allen voran das Mieminger und das Wettersteingebirge. Malerisch hängen im Tal einzelne Wolkenfetzen. Der motivierende Panoramablick bleibt uns auch in der Folge erhalten. Durch niedrige Latschenkiefernbestände setzt sich der Anstieg ohne Unterlass fort. Bis auf einmal unvermittelt ein Kreuz auf einer Wiese signalisiert: Das muss wohl der Gipfel sein. Wie der Zusatz „grüner“ vor dem Ups vermuten lässt, erwartet uns nicht schroffer Fels, sondern eine sanfte grüne Rundung. Weniger sanft ist der steile Zacken nebenan, die 2.332 m hohe Upsspitze.

 

 
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Schon am Start hatte man uns vorgewarnt, beim Abstieg vom Grünen Ups vorsichtig zu sein. Beim Anblick des Weges verstehe ich, warum. Eigentlich passt der Begriff „Weg“ gar nicht, denn die unglaubliche Matsche, die sich steil hinab führend vor mir auftut, wirkt nicht so, als könnte man sie unbeschadet queren. So einige nehmen auch sogleich ein unfreiwilliges Schlammbad. Manche, wie auch ich, suchen den Weg durch das umliegende Unterholz, nicht gerade bequem, aber hosenbodenschonender.

Eine Herausforderung bleibt auch der weitere Pfad quer über die Hochalm. Bei jedem Schritt droht man in einem Wasser- oder Matschloch zu versinken. Konzentration ist angesagt. Kaum einer hat einen Blick für die herrliche, im trüben Morgenlicht grün schimmernde Gebirgslandschaft rundum.

Von der Alm geht es wieder hinab in den Wald. Leichter wird es dadurch nicht. Nicht der Matsch ist nun die Herausforderung, sondern ein sich unglaublich steil in die Tiefe senkender Pfad. Feucht und moorig schwarz ist der Untergrund, auf dem selbst die Trailschuhe kaum Halt finden. Ab und an durch den Wald gellende Schreie und Flüche signalisieren mir, dass nicht nur ich ein Gleichgewichtsproblem habe. Geradezu eine Erholung ist der Forstweg, der ab der Bichlbacher Alm normales Laufen ermöglicht. Aber nur für kurze Zeit. Schon geht es auf einem Pfad wieder jäh in die Tiefe.

Wie gewonnen, so zerronnen: Der größte Teil der erlaufenden Höhenmeter ist verpulvert, als ich nach 11,5 km den ersten Verpflegungsstopp in Lähn (1.107 m üNN) erreiche. Die erste Zeitschranke nötigt uns, es bis 7:30 Uhr bzw. binnen 2,5 Stunden bis hierher geschafft zu haben. Dass mein Zeitpolster nur 15 Minuten beträgt, gibt mir zu denken. Dass nicht wenige Starter schon hier unfreiwillig „finishen“, erfahre ich erst später.  

Die nächste Etappe steht an: Knapp 10 km sind es bis Biberwier. Es ist das technisch wie kräftemäßig wohl einfachste Wegstück mit den wenigsten Höhenmetern, allerdings auch das optisch am wenigsten aufregende. Auf kleinen Asphalt- und Naturwegen folgen wir im stetigen Auf und Ab durch Wald und Wiesen dem Talverlauf, ehe uns ein ausgesetzter wurzeliger Pfad in die Höhe lotst. Auf einer Forststraße oberhalb von Lermoos bietet der Kurs eine der wenigen Gelegenheiten, sich einigermaßen entspannt im Laufschritt fortzubewegen. Davon, dass Lermoos ein bekannter Wintersportort ist, dürfen wir uns am höchsten Etappenpunkt (1.338 m üNN) überzeugen, wo wir die Anlagen der Grubigsteinbahnen passieren und die parallel verlaufende Piste queren. Wenig später heißt es wieder: Gemütlichkeit ade. Auf einem schmalen, steil in die Tiefe stürzenden Waldpfad dürfen wir einmal mehr austesten, welche Tortur unsere Beinmuskeln zu ertragen imstande sind. Geradezu eine Erlösung ist es, als ich die Häuser von Biberwier zwischen den Bäumen erspähe.

 

Biberwier oder: Zurück auf Los

 

Mit Biberwier (979 m üNN) erreichen wir nach knapp 22 km letztlich wieder das Höhenniveau unseres Startpunkts. Kein Wunder: Der Ort liegt in unmittelbarer Nähe zu Ehrwald. Die erste, vergleichsweise harmlosere Hälfte ist geschafft. Irgendwie kommt es mir vor, eigentlich nur wieder auf „Los“ geschickt worden zu sein. Nur jetzt mit der Hypothek kräftig reduzierter Energiereserven. Zumindest „carbo“-mäßig habe ich aber erneut Gelegenheit nachzurüsten. Die nutze ich auch: Salami und Käse, Bouillon und Cola, Melone und Ananas – das ist nur ein kleiner Ausschnitt des überaus üppigen Angebots am Verpflegungspunkt. Ich lasse mir Zeit, auch wenn hier nach 4,5 Stunden um 9:30 Uhr die zweite Zeitschranke zuschlägt. Aber mit einem auf 40 Minuten angewachsenen Zeitpolster ist man gleich entspannter.

 

 
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So richtig gen Zugspitze geht es auch jetzt noch nicht. Das Mieminger Gebirge harrt der Eroberung. Und diese Eroberung, hinauf zur Biberwierer Scharte, fordert zunächst einmal die Überwindung weiterer 1.000 Höhenmeter. Wie eine mächtige Wand steht der bis über 2.700 m hohe Gebirgsstock vor mir. Irgendwie gar nicht vorstellen kann ich mir, wie und wo man da durchsteigen kann. Aber irgendwie muss es wohl gehen.

Frisch gestärkt mache ich mich ans Werk. Geradezu malerisch ist der Einstieg über ein sich durch sonnengeflutete Wiesen direkt dem Bergmassiv entgegen windendes Sträßlein. Schließlich entschwinden wir im Bergwald. Aus dem Sträßlein wird in Forstweg, aus dem Forstweg ein Pfad. Und der windet sich, immer ausgesetzter und steiler werdend, dem Fels entgegen.

Mit Gleichmut und gleichmäßigem Schritt versuche ich die schier endlose Steigung zu bewältigen. Bloß nicht nachdenken, wie lange das noch so gehen könnte! Außer dem Wald selbst gibt es nichts, was Ablenkung verheißen könnte; kein Gefühl habe ich, wo ich mich eigentlich gerade befinde. Und doch: Je höher ich komme, desto mehr verändert sich der Wald. Zunehmend wird er lichter, die Bäume niedriger. Immer mehr geben sie den Blick frei auf die Welt drum herum: hinab in das Tal hinter uns, die Bergketten jenseits des Tales und vor allem auf die senkrechten Felswände über uns. Noch immer lässt sich nicht erkennen, wo die Scharte eigentlich liegen soll.

Auch unser Pfad ändert sich. Er wird steiniger, noch steiler, aber auch spannender. In immer kürzeren Windungen schraubt er sich zwischen den Felswänden zur Linken wie zur Rechten nach oben. Der Fernblick wird immer dramatischer, verstärkt noch durch die tief hängenden Wolken. Dramatisch ist aber auch der Blick, der sich auf einmal in Wegrichtung vor uns auftut: Ein großes, vegetationsloses Geröllfeld liegt vor uns, in dem nur die kleinen fernen Punkte der Läufer andeuten, wo ein Weg hindurch führt. Ganz weit oben lässt eine Kerbe zwischen den Felswänden zum ersten Mal unser Zwischenziel erahnen.

 

Biberwierer Scharte

 

Durch die Flanke des Geröllfelds führt uns ein schmaler, unbefestigter Ziehweg näher an unser Ziel heran. Näher kommen wir ihm dabei aber zunächst nur entfernungs-, weniger höhenmäßig. Erst dann folgt bergsteigerisch das finale Filetstück. Zwischen Felsen und Geröll erklimmen wir über einen oft kaum als solchen erkennbaren Pfad den in seiner Steigung einer Treppe vergleichbaren Steilhang. Über mir sehe ich auf einem Felsen die Bergwachtler harren. Sie haben einen Blick darauf, dass nicht einer der Läufer im Geröll verloren geht. Und ich weiß: Gleich ist es geschafft.

 

 
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Ein kühler Wind fegt über die Kante der Scharte. Exakt 2.000 m üNN hoch gelegen ist diese Passhöhe zwischen Schartenkopf (2.303 m üNN) und Sonnenspitze (2.414 m üNN). Und wie weggeblasen ist für einen Moment auch die Anstrengung des langen Aufstiegs. Gut 25 km mit insgesamt 2.300 Höhenmetern liegen hinter mir. Kleiner Vergleich: Schon jetzt sind das 500 Meter mehr als beim Jungfrau Marathon.

Jenseits der Scharte eröffnet sich die Bergwelt für uns mit einer ganz neuen Kulisse: Einsamer, entrückter ist sie, gleichzeitig schroffer und herber. Erstmals auf unserem Kurs erleben wir die Welt des Hochgebirges. Grauer Fels und grüne Grasmatten bestimmen das Bild. Ein steiniger Weg schlängelt sich weithin sichtbar dahin und verliert sich in der Ferne.

Schon bald erobern die robusten Latschen das Terrain zurück. Und ein Panoramablick der besonderen Art präsentiert sich vor meinen Augen: Tief unter mir blicke ich auf den grün schimmernden, wundervoll in die Gebirgslandschaft eingebetteten Seebensee, im Hintergrund überragt vom Wettersteinmassiv. Einer uneinnehmbaren Festung gleich thront der Gebirgsstock über dem See. Irgendwie irreal ist die Vorstellung: Dort, ganz oben, soll mein Ziel sein.

Auf dem weiteren Weg hinab passieren wir wenig später die Coburger Hütte. In traumhafter „Balkon“-Lage ist die traditionsreiche Hütte in 1.917 m Höhe inmitten der Bergeinsamkeit platziert. Einsam heißt aber nicht weltentrückt, was die immer zahlreicheren Wandergruppen auf dem folgenden Wegstück belegen. In steilen Kehren geht es einen Latschenhang hinab und über die Seebenalm direkt an das Ufer des Sees.

 

Vom Mieminger ins Wettersteingebirge

 

Im glasklaren Wasser des Seebensees (1.657 m üNN) spiegelt sich die umliegende Bergwelt. Ein herrlicher Anblick. Fast schon ein wenig irritierend ist der gleichzeitige, sozusagen mit Kind und Kegel anrückende Besucherrummel rundherum. Ein Wunder ist das aber nicht: Von der per Seilbahn erreichbaren Ehrwalder Alm führt ein bequemer Fußweg hierher. Und das mittlerweile sonnige und warme Sommerwetter verführt natürlich zu einem Ausflug ins Bergidyll.

 

 
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Der „Spuk am See“ ist für uns aber nur eine Momentaufnahme. Am See vorbei entschwinden wir im Bergwald und setzen unseren Weg fort in Richtung Wettersteingebirge. Auch die folgenden Kilometer fallen wieder in die Kategorie „laufbar“. In sanftem Auf und Ab geht es dahin. Wenn sich der Wald ab und an gen Süden lichtet, präsentiert sich der nahe Gebirgsstock im schönsten Gewand: Sonnenbestrahlt leuchten die senkrecht ansteigenden Wände, nur ein paar Wolken umwabern vor dem blauen Himmel die Spitzen und geben dem Ort etwas Mystisches.

Ganz plötzlich ist der Wald zu Ende, ein knallgelber Pavillon leuchtet mir entgegen. Mit der winzigen Pestkapelle (1.617 m üNN) direkt zu Füßen des Wettersteingebirges habe ich nach 32 km das nächste Etappenziel erreicht. Noch bevor es zum Verpflegungsbuffet geht, blickt ein Ärzteteam jedem Ankömmling in die Augen und erkundet das Befinden. Nicht jeder „besteht“.

 

Via Gatterl durchs Zugspitzplatt

 

Mit der Pestkapelle haben wir den Punkt erreicht, an dem auch die Starter des Zugspitz-Direkt-Laufs schon vor Stunden nach knapp sechs Kilometern vorbei gekommen sind. Vor zwölf Jahren, beim einstigen „Zugspitz Extrem Berglauf“, habe ich die anstehende Passage schon einmal erleben dürfen. Ein höchst eindrückliches Erlebnis war das damals. Umso gespannter bin ich, wie sich das heute anfühlt.

Vorbei an Beschneiungsanlagen im Sommerschlaf führt uns ein zunächst relativ bequemer Weg über die Piste weiter in die Höhe, hinauf bis zur Berghütte an der Hochfeldernalm (1732 m üNN), dem für längere Zeit letzten Außenposten der Zivilisation. Jäh steigen die Felswände vor mir weitere tausend Meter an. Ein Durchkommen gibt es hier nicht. Aber ich weiß: Der Zugang in die Höhenwelt ist ein anderer. Und ich erinnere mich auch: Der Weg dorthin bedeutet ein ordentliches Stück Geharbeit. Weithin bis zum fernen Horizont sichtbar ist der Pfad, der sich entlang der grünen Bergflanke immer geradeaus bewegt, zwar nicht besonders steil, aber stetig nach oben. Das pure Vergnügen ist das nicht, auch wenn sich die Berglandschaft jenseits des Tales, das bereits bezwungene Mieminger Gebirge, immer beeindruckender präsentiert. Der Boden wird karger, das Geröll wird mehr. Erst das exponiert gelegene Feldernjöchl auf 2.045 m üNN markiert das Ende dieser Passage.

 

 
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Einen scharfen Knick nach Norden macht der Kurs. Hinein treten wir in ein Seitental. Und das, was sich vor meinen Augen auftut, verdient wahrlich die Bezeichnung "Traumlandschaft". Der vielleicht schönste Abschnitt unseres Kurses steht bevor. Im wechselnd jähen Auf- und Abschwung schwingt sich unser Pfad mitten durch die steile Bergflanke, immer weiter in das Tal hinein. Wie ein Kunstwerk, eine Komposition aus Grün, Weiß und Grau, erscheint mir das großflächige, aus Grasmatten, Geröllhalden und Fels geschaffene Naturbild. Verstärkt wird der Eindruck durch die Licht-Schatten-Spiele der Sonne, deren Strahlen sich mit Macht zwischen die Wolkenbäusche über den Gipfeln drängen. Ein wenig Acht geben muss man allerdings schon, vor lauter Staunen nicht einen falschen Tritt zu tun.

Auch das Finale dieses Wegstücks hat es in sich. An Stahlseilen entlang kraxeln wir ein paar Meter den Fels empor. Und vor mir prangt auf einmal, auf einem Pfosten thronend,  eine große schwarz-gelbe Plakette mit Bundesadler. Ein fast schon surreales Bild. Das sogenannte „Gatterl“ auf 2.024 m üNN ist erreicht. Es markiert die Grenze von tirolerischem zu bayerischem Hoheitsgebiet. Wirklich originell in dieser Bergeinsamkeit sind die „Grenzanlagen“, bestehend aus einer kleinen verriegelbaren Drahttür. Umlagert ist die Grenze von Wanderern von hüben wie drüben, die per Selfie diesen sehr besonderen Grenzübertritt in alle Welt tragen.

Landschaftlich spektakulär geht es jenseits des Gatterl weiter, wenn auch ganz anders als zuvor. Der sogenannte Plattensteig führt uns in einem weiten Bogen durch die nahezu vegetationslose, aber umso grandiosere Karstkulisse des Zugspitzplatts. Konzentration ist angesagt, denn gämsengleich müssen wir uns auf, über und um das Felsgeröll herum den Weg suchen. Doch „Platt“ nennt sich nicht nur diese Mondlandschaft, platt bin ich auch selbst und so gebe ich wohl eine ziemlich lahme Gämse ab. Nichtsdestotrotz: Der Begeisterung tut das keinen Abbruch.

Wie eine Insel im Felsenmeer sehe ich in der Ferne, gar nicht viel höher liegend, ein einsames Berghaus. Magisch zieht mich die trutzige Knorrhütte an. Aber der Weg zieht sich. Eine mir entgegen kommende Schafherde will just den Pfad nehmen, dem auch ich folge. Aug in Aug stehen wir einander gegenüber. Platz ist nur für einen. Der Klügere gibt nach – denken sich wohl die Schafe. Und erschreckt räumen sie das Feld. Kurz darauf, nach 39,5 km habe ich die einsam wie grandios 2.051 m hoch gelegene Schutzhütte erreicht. Noch einmal bietet sich Gelegenheit, Flüssiges nachzutanken. Und nebenbei erfahre ich: Der Weg zum Gipfel ist wetterbedingt geschlossen. Das Ziel ist auf das Sonnalpin verlegt. Soll ich es bedauern? Ober mich freuen? Ich weiß nicht recht. Damit liegen „nur“ noch drei Kilometer vor mir. 1:15 Std. Zeit habe ich dafür. Klingt sehr komfortabel. Sollte man meinen.

 

Durch die Geröllwüste zum Sonnalpin

 

Richtig zur Sache geht es jetzt. Ein steiler Pfad windet sich durch Geröllhalden den Hang empor. Damit ist im Wesentlichen schon der Dauerzustand der finalen drei Kilometer mit nochmals 500 Höhenmetern beschrieben. Von einer ganz anderen Seite zeigt sich hier das Zugspitzplatt. Anfangs gelingt es mir noch ganz gut, in gleichmäßigem Trott die Höhen zu erklimmen. Aber zunehmend schwer geht mein Atem, ich spüre die Höhe, muss immer wieder innehalten …. und die Zeit rinnt dahin.

 

 
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Auf der anderen Seite: Die Einsamkeit der hochalpinen Geröllwüste entfaltet einen ganz eigenen Reiz. Schnell dahin fliegende Wolkenfetzen, diese ab und an durchdringende Sonnenstrahlen verstärken den weltentrückten Eindruck. Manchmal sieht man nur wenige Meter weit, dann wieder reißt der Wolkenvorhang auf und gibt den Blick frei auf die imposanten steinernen Wogen des Gebirges. Fern am Horizont sehe ich bereits die Liftanlagen des Zugspitz-Skigebiets inmitten trauriger Reste von Altschnee. Wohl nirgendwo lassen sich die Folgen des Klimawandel so drastisch verfolgen wie in den Gebirgshochlagen.

In immer neuen Windungen schraubt sich der Pfad weiter in die Höhe. Ein Ende will nicht in Sicht kommen. Die verbleibenden Kilometer werden zwar einzeln angezeigt, aber von einem Schild zum anderen dauert es gefühlt eine schiere Ewigkeit. Dann, auf einmal ist es in einem Wolkenloch zu sehen: Das Gipfelziel, die Zugpitzplattform mit seinen dichtgedrängten Aufbauten, in luftiger Höhe gelegen, aber zumindest optisch gar nicht so weit weg. Unser eigentliches, neues, vorzeitiges Ziel macht sich aber noch rar. Das Schild „1 km“ taucht auf. Es bezieht sich nicht auf das Sonnalpin, sondern den Gipfel. Doch wo bleibt das Sonnalpin? Um einen Hügel herum taucht erst ein riesiger Liftmasten aus dem Nebel, dann erst sehe ich die Talstation der Gletscherbahn und zu deren Füßen ein paar Meter weiter: Einen schwarzen Bogen.

 

Geschafft!

 

Für mich ist es die pure Erleichterung, nach 10:24 Stunden „kurz vor knapp“ die Ziellinie auf 2.562 m üNN zu queren. Insgeheim bin ich einfach nur froh, auf die finale Krabbelei, zwar nur 900 Meter lang, aber auch 400 Meter hoch hinauf zum Gipfel heute ganz offiziell verzichten zu müssen. Direkt vor der Nase habe ich im Ziel den Verlauf des finalen Extremanstiegs: Erst im Zickzack durchs Geröll, vorbei am wie ein tibetanisches Kloster im Steilhang klebenden Schneefernerhaus, dann am Stahlseil über den Felsgrat zu den Treppen hinauf. Das hätte ich einfach nicht mehr gebraucht. Und rein optisch ist das Ziel auf dem Sonnalpin ohnedies deutlich attraktiver als das Menschengewühl auf dem verbauten Gipfel. Allein der Blick durch den Zielbogen gen Norden, direkt auf den größten deutschen Gletscherrest, den Schneeferner – sensationell.

 

 
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Nun ja: Ihr seht schon, so kann man sich das frühere Finish nach 42,6 km natürlich auch schönreden. Am Gipfel komme ich aber ohnedies nicht vorbei, will ich mein Zielgepäck bekommen und bequem nach Ehrwald zurück schaukeln. Die Gletscherbahn bringt mich vom Sonnalpin geschwind nach oben. Kalt ist es nicht, aber dicke Wolken versperren zumeist die Aussicht. Das macht verständlich, warum der Veranstalter bei der Sperrung des finalen Streckenstücks auf Nummer sicher gehen wollte.

Immerhin 137 Starter haben es heute ganz nach oben geschafft, mit mir noch 50 andere mussten bzw. durften sich mit dem Finish am Sonnalpin begnügen. Noch ein paar mehr allerdings sind es, die gar nicht angekommen sind und die DNF-Liste füllen.

Am Gipfel bleibt mir nicht allzu viel Zeit für Muße. Schon um 16:40 fährt die letzte Gondel der Tiroler Zugspitzbahn hinab nach Ehrwald. Dort geht das große Feiern aber erst los: Ab 18 Uhr ist Pasta-Party und große Siegerehrung im Zugspitzsaal. Bei einem Riesenteller Nudeln kann ich resümieren: Es war schon eine wahre Qual, diese „Challenge“ – aber zugegebenermaßen eine besonders schöne. Und ich denke: Wenn man den Start dauerhaft auf 5 Uhr oder noch früher verlegen und so die Zeitlimits ein wenig großzügiger gestalten könnte, ließe das auch die DNF-Quote netter aussehen.

 

Informationen: Zugspitz Trailrun Challenge
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