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13.05.18 - Special Event

Der Wahnsinn ruft!

Autor: Joe Kelbel

In sechs Jahren hat es Mohamad Ahansal, der fünffache Marathon des Sables Gewinner aus der Wüstenstadt Zagora, geschafft, den härtesten Etappenlauf Marokkos zu etablieren. Wahrscheinlich  weil der König von Marokko, Mohamed IV, meinen Bericht über den TAM aus dem Jahr 2016 gelesen hat, ist  dieser Lauf zweimal mit der königlichen Auszeichnung für die beste Sportveranstaltung Marokkos ausgezeichnet worden.

Die Route, auf der wir den Hohen Atlas queren werden, wird jährlich geändert. Dieses Jahr stehen 250 Kilometer mit 12.000 Höhenmeter an, also wesentlich weniger als 2016, als nur 30 % der Starter,  ankamen. „Nie wieder“ hatte ich mir 2016 geschworen und deswegen das letzte Jahr geklemmt. Doch jetzt bin ich wieder hier, der Wahnsinn lockt!  

In Marrakesch treffe ich Paul Dicu, der auf eigene Faust 1200 Kilometer durch die Sahara läuft. Ausgangspunkt war Merzouga, dann über Zagora nach Marrakesch und morgen weiter nach  Essaourira. Er zeigt auf die schneebedeckten Berge und erzählt von den derzeitigen schweren Schneestürmen dort oben. Für so ein Wetter bin ich nicht gerüstet, habe nur sommerliche Laufkleidung dabei. Begleitet wird Paul von einem Berber mit Moped, der nur Tamazight spricht. Wie bringt Paul dem bei, wenn er ein Bier braucht?

Am folgenden Tag treffen die Läufer des Trans Atlas Marathons ein. Besprechung der Route.  Sie muss  geändert werden, die Pässe sind unpassierbar. Fahrt zur Provinzstadt Azilal, der letzte Ort, an dem das Navigerät noch funktioniert. Mittagessen an der einzigen Straße des Ortes. Die meisten Läufer haben Hummeln in den Beinen, wollen die trostlose Stadt erkunden, werden dabei von Horden kleiner Kinder begleitet: „Bonjour. Ca va. Merci“. Mehr Französisch wird hier nicht  gesprochen.

 

 
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Weiter geht es in Serpentinen zum Tizi (Pass) Arouba (2900 m). Erstes Foto vor dem 4000 Meter hohen, tief verschneiten Assif M`Gouns, unserem Trailrevier. Hier in der Nähe gibt es 3000 Jahre alte  Felsbilder. Nach 10 Stunden Ankunft in Agouti, einem Dorf, das immerhin zwei kleine Geschäfte hat, in dem man Cola und Ölsardinen kaufen kann. Über dem Dorf erhebt sich der pyramidenförmige Mosesberg, Sidi Musa, auf dessen Gipfel sich ein Heiligengrab befindet. Für die Besichtigung holt man sich den Schlüssel vom Dorfältesten. Der Aufstieg dauert etwa 30 Minuten, zu viel für mich vor so einem Rennen.

Bezug der Zimmer in der Gite (Herberge) La Montage Au Pluriel. Ich teile mir die Kammer mit Christian, er ist taubstumm, ihn kann also mein Schnarchen nicht stören.  Und morgens labert er mich nicht zu. Es gibt reichlich saubere Sanitäranlagen. Im Garten der Herberge steht ein großes Beduinenzelt, dort ist die Kontrolle der Pflichtausrüstung, der Formulare, sowie Ausgabe der Startunterlagen.

An diesem Abend können wir noch im Freien zu Abend essen, obwohl es schon empfindlich kalt ist. Abendessen und Frühstück ist inbegriffen, auch der Gepäcktransport. Das Ärzteteam wird hauptsächlich von marokkanischen Läufern beansprucht, sie wollen sich hier beweisen und Sponsoren für den Marathon des Sables gewinnen. Dafür sind Talentsucher und das Fernsehen  anwesend. Favorit ist Abdelkarim aus Zagora, der den 4. Platz beim MdS gemacht hat. Bei den Damen wird wieder Aziza Raji das Rennen machen und einen Sponsor für den 3500 Euro teuren MdS gewinnen. Ich schließe  Freundschaft mit Hamid aus Zagora, er ist der Taschtabt (Tamazight= Besen). Er wird von den 44 Startern in den nächsten 6 Tagen 30 Abbrecher zurück in die Täler führen müssen. Und ich werde wieder derjenige sein,  „dessen Leistung nur darin besteht, bester Deutscher zu sein, weil er der einzige Deutsche bei solchen Rennen ist“ (Zitat Herbert Steffny).

Auf der Suche nach einem Schlummertrunk werde ich von zwei Gymnasiallehrern aus Ouaoula in deren Kammer eingeladen. Sie machen eine von der EU finanzierte Bildungsreise, um das Leben der Berber kennenlernen. Die Journalistin Aurore braucht auch einen Schlummertrunk. Sie hat in der französischen Zeitschrift Zatopek einen mehrseitigen Artikel über mich geschrieben, weil ich der typische Vertreter des bei Läufern häufig vorkommenden Peter-Pan-Syndroms bin. Das Syndrom bezeichnet Menschen, die nie erwachsen werden.

Gerade wegen dieser „Krankheit“ habe ich vor diesem Lauf kein Testament geschrieben, aber sicherheitshalber noch fällige Überweisungen getätigt, den Müll runter getragen, und den Stecker der elektrischen Zahnbürste gezogen. Als Notfalladresse habe ich eine Telefonnummer in Baden-Baden angegeben.

Wir starten also morgen in Agouti, in einer Höhe von 1850 Metern, werden in einem weiten Bogen über die schroffen 3000er bei frostigen Temperaturen laufen, um dann bei 35 Grad in der nördlichen Ebene, am Stausee Bin El Ouidane nach einer Woche anzukommen. Für weniger Wahnsinnige gibt es eine 160 Kilometerstrecke (Challenge)mit eigener Wertung.

 

 
1.    Etappe 45 km Agouti-Agouit


   
In Agouti beginnt das Vallée des Heureux, das Tal der Glücklichen, wie das Ait Bougmezz  genannt wird. Die 30 km lange Hochebene ist von allen Seiten von 4000ern umgeben. Deren Schmelzwasser speist den Fluss, der ganzjährig fließt und somit seine Bewohner in die glückliche Lage versetzt, unabhängig vom Regen Feldbau zu betreiben. Getreide- und Gemüsefelder, Obst- und Nussbäume sowie Pappeln dominieren das Bild. Die heutige Etappe müsste also easy sein. Etwa alle 10 Kilometer gibt es Wasser an den Kontrollstationen (CP). 2300 Meter hoch, 2300 Meter runter. Höchster Berg 3060 Meter ü.M.

 

 
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Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, und der ist zum Bett von Christian, um ihn wach zu rütteln. Logischerweise hört er keinen Wecker. 6:30-7:30 Frühstück. 8 Uhr Start. Los geht’s:

Die anfängliche Strecke ist mir gut bekannt, dann geht es hinter der Burg Tabannt auf den Anstieg zum Tizi N´Tafenfent, der sich im dichten Nebel verbirgt. Ein eigenartiger Geruch verfolgt mich. Ich prüfe, ob er aus meinen Achselhöhlen kommt, er kommt aber von den zahlreichen Wachholderbäumen, die wohl Frühlingsgefühle haben. Bei Kilometer 5 überholt mich Aziza, sie kam 30 Minuten zu spät zum Start, erhält deswegen zusätzlich eine Zeitstrafe von einer Stunde, was sie nicht juckt, sie wird eh souverän gewinnen. Vor dem CP bei km 8 überholt mich Ismail, wir trinken schnell einen stark gesüßten Tee, dann biegt er auf die Strecke des Challenges ab.

Zwei Berberinnen versperren mir mit ihren mit Holz dick beladenen Eseln den Weg, der keiner ist. Um überholen zu können, schlage ich den Eseln (nicht den Berberinnen) auf den Hintern, um sie Richtung Abhang zu drängen.  Mürrisch machen die zwar Platz, aber ich rutsche dennoch in einen der Holzstöße und bekomme die ersten Schrammen der 6 Tages-Tour.

Kilometer 20: CP in Ifri N´ Ait Kherfella. Viele Kinder und ein Berber mit gutem Tee begrüßen mich, nehmen lachend Reißaus, als ich die Kamera hebe. Wenig später überhole ich einen marokkanischen Läufer. Er hat Probleme mit der Höhe. Ich erkläre ihm, dass der Weg nach oben kürzer sei, als der zurück zum Basislager.  Aber er kann nicht mehr aufstehen. In Rufweite ist ein Hirte, den ich bitte, sich um diesen armen Läufer zu kümmern.  Hamid, der Tashtabt ist vorgelaufen, auf dem Pass sind zwei weitere Marokkaner zusammengebrochen. Für mich beginnen nun 6 einsame Stunden mit der Besteigung des Tizi N´Tilghmine. Die ersten Schneefelder fotografiere ich noch so, als sei überall Schnee. Die Sonne scheint grell, also gute Laune und Sonnenbrille auf. Der Spaß vergeht mir, als es dunkler wird und ich im Nebel nur noch die Spuren meiner Vorläufer in der jetzt geschlossenen Schneedecke  erkennen kann. Was wird sein, wenn man mich in 2000 Jahren hier oben findet? Würde man meine spärliche Ausrüstung untersuchen, so wie man es beim Ötzi gemacht hat?

 

 
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Pässe haben die Eigenart, dass sie immer noch ein Stückchen höher sind, als man erhofft. Schuhe falsch gewählt, ich rutsche ab. Meine entwürdigende Taktik: mit dem linken Fuß auf dem schrägen Schnee abstoßen, mit dem rechten Knie Halt suchen, dann auf allen Vieren hoch kämpfen. In den folgenden Tagen wird das Knie dank der Erfrierungen medienwirksam bluten. In der Dunkelheit erkenne ich am Pass einen steilen Abhang, der von meinen Vorläufern rücklings  bewältigt wurde, was ich an den extra breiten Schleifspuren erkenne. Nach einigem Zögern setze ich mich auch auf den Arsch und rutsche runter, was bei einer kurzen Hose nicht angenehm ist. Kaum habe ich den Schnee raus geschüttelt, reißt es mir im Schlamm die Füße weg, meine Hose füllt sich nun mit brauner Brühe. Habe also wieder die Hose voll, das verschlammte Innenteil hängt runter, als hätte ich Durchfall. Zur Beruhigung krame ich das Gipfelbier aus meinem Rucksack, doch in dieser Höhe schmeckt es wie getragene Laufsocken.

In einer Senke scheuche ich einen Trupp Raben auf.  Ds gibt kaum Nahrung hier oben, da die Hirten tote Schafe recyceln. Die Vögel ernähren sich von den Knödeln der Klippschliefer, die der Regen angeschwemmt hat. Dem Südafrikaurlauber sind die possierlichen Tierchen, die nächsten Verwandten der Elefanten, bekannt. Hier in Marokko bekommt man sie kaum zu Gesicht, denn sie sind sehr schmackhaft. Pfeilspitzen aus hellem Stein, vielleicht 2.000-10.000 Jahre alt, liegen auf dem Boden des einstigen Sees.

Es ist 16 Uhr, als ich bei km 27 den Kontrollpunkt erreiche, nun geht es abwärts.  In dem reißenden Flüssen wird mir der Dreck aus der Kleidung gespült. Um 18:15 bin ich im Ziel.

 

2. Etappe 42 km Agouti-Agouti (+ 2320 – 2320m)

 

Die Schneefallgrenze ist heute Nacht bis auf 2000 Meter gefallen, es sind weitere Niederschläge zu erwarten.  Ein Zeltcamp wäre bei diesem Matschwetter sehr unangenehm, denn die Zelte werden nur mit Strohmatten ausgelegt. Die Route muss geändert werden, wir sind alle froh, noch eine Nacht in der Herberge übernachten zu dürfen. Im Gegensatz zu meinem letzten, schlecht organisierten Ultra in Patagonien, hat Mohamad Alternativrouten ausgekundschaftet. Dazu ist er mit Jorge und Ayoub wochenlang unterwegs gewesen. Sie mussten zu dritt die Pfade bereiten, weil die Hänge teilweise so steil sind, dass man nicht mehr hinauf kann, sollte man abgerutscht sein. Da Walky-Talkies in Marokko verboten sind, ist die Verständigung zwischen den Pfadsuchern schwierig. Jedenfalls stehen die Alternativrouten nun fest, es müssen in der Nacht „nur“ die Verbindungstücke markiert werden.

Was auf den Frühstückstisch kommt, hängt davon ab, ob der Übernachtungsort mit dem Jeep erreichbar ist. Das Fladenbrot hält sich über mehrere Tage, schmeckt aber nicht, wenn es auf dem Rücken eines Esels transportiert wurde. Der Kaffee wird mit Kardamon versetzt, ich mag das. Es gibt  auch Pulverkaffee, mit dem ich den Kardamonkaffee verstärke. Butter, Marmelade, Honig, Olivenöl und dieser unsägliche Schmierkäse „La Vache qui rit“, der im ersten Krieg für die französischen Soldaten kreiert wurde. Ursprünglich hieß der Käse „La Walkurie“, Walküre, in Anspielung auf die germanische Erdgöttin. Ich habe Zwiebelmettwurst in Dosen dabei.

 

 
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Wir fahren nach Tabannt, Vincent rutscht 5 Meter hinter dem Start zwischen die Felsen und in den Fluss hinein. Der erste Kilometer bietet 500 Meter Aufstieg. D´Ait Imi, d´Ibaklioune, d´Akourbi heißen  Siedlungen, die aus zwei, drei Lehmhäusern bestehen. Christian dreht um, sein Knie ist 5mal operiert worden, es macht nicht mehr mit. Rechter Hand das Massif des Aït Bougmez, mit über 3000 Metern unser Zwischenziel bei km 13. Alex, der Österreicher hat, das, was Läufer am meisten fürchten: den Willen des Magens, zwei Ausgänge gleichzeitig zu nutzen. Bitter, jetzt schon ein DNF hinlegen zu müssen.

Warum ist der TAM so schwer? Im Gegensatz zu den Alpen erfolgt die Erosion in Hohen Atlas nur durch Temperaturunterschiede. Es gibt also unglaublich viele scharfkantige Steine, die sich in die Fußsohlen bohren. Esel können mit ihren schmalen Hufen zwischen die Steine treten, wir nicht. Gefährlich ist es, wenn man Schuhgröße 48,5 hat und deswegen in einem Steinspalt hängen bleibt. Marokkaner springen von Stein zu Stein, die wiegen ja nix und haben noch intakte Achillessehnen.

Ich schaffe es natürlich auf den Tizi N´Oumsoud (3040). Der Nebel ist grausam und ich ahne, wie steil der Berg hier abfällt. Oben am Pass ist der nächste CP. Anne aus Australien geht es nicht gut. Sie bietet mir noch Gels und Riegel an. Die braucht sie nicht mehr,  sie will nur noch runter. Wir verabschieden uns, der Helfer vom CP wird sie mit dem Esel ins Tal bringen.

Auf der Route durch das Assif Magoum war mutmaßlich noch nie ein Westler gewesen. Der steile Hang besteht aus Mergel, Schlammablagerungen eines Urmeeres, hoch geschichtet wie ein Vulkan. Wer hier abrutscht, der landet 500 Meter tiefer im Fluss von N´Ou Khlifat, der von seltsamen Türmen aus versteinertem Schlamm eingeengt wird. In den Türmen sind natürliche Höhlen, die von den Römern als Gefängnisse genutzt wurden. Es sind 2000 Jahre alte Zeugnisse eines aussichtslosen Versuches, den Hohen Atlas zu queren. Für mich geht die Querung mit dem Anstieg zum Tizi N Ait Imi (3020) weiter. Den ganzen Tag gab es Schneeregen, jetzt fällt Graupel, der im Gegensatz zu Hagel zunächst noch lustig ist. Bis kurz vor dem Gipfel bleibt es relativ hell, dann hüllen Nebelschwaden schlagartig die 50 cm hohen, scharfkantigen Steinblöcke ein, die ich hinauf soll.

16 Uhr, km 29. Auf dem Pass freie Sicht auf die zwei Jeeps des CP. Im Wageninneren sitzen Hamid, der Arzt und die Arzthelferin, zwei weiter Helfer und Jorge, der mich filmt, wie ich die Wasserflaschen auffülle.  Da schlägt ein Blitz in den Felspfeiler neben uns ein. Der gewaltige Donner wird von allen Felswänden reflektiert. Ich solle sofort ins Auto steigen, es sei zu gefährlich. Ich balle die Fäuste über dem Kopf zusammen und brülle auf deutsch: „Niemals! Niemals! Ich gebe niemals auf!“ Ich brauche keinen Faradayschen Käfig.

„Cincuenta metros a la izquierda“ ruft mir Jorge hinterher, aber ich sehe die Hand vor den Augen nicht, taste mich unsicher durch das Schneetreiben weiter. Es sind dann auch nicht 50 Meter, sondern 500, oder 600 Meter, als ich durch Zufall die roten Pfeile finde, die mich auf einen Pfad nach unten weisen. Der Weg ist gut erkennbar, weil der Graupel den Matsch aufsaugt und sich braun verfärbt, doch immer mehr der weißen Kügelchen bedecken den zerklüfteten Hang. Die Blitze machen mir dann doch Angst, der enorm laute Donner lässt mich zittern. Es wird gefährlich glatt, mir wird klar, dass meine Situation bös enden kann.  Also mache ich Selfies, berühmte letzte Bilder, und nutze die 10 Sekunden des Selbstauslösers um durchzuatmen. Nur wenige Meter unter mir endet scheinbar die Schneefallgrenze, aber sie ist genauso schnell wie ich und verfolgt mich. Erst 1000 Meter tiefer schmelzen die Graupelkörner und verwandeln sich in braune Wasserfälle. Das nächste Problem bahnt sich an: Die Sturzbäche reißen nicht nur die Markierungen, sondern den ganzen Weg weg.

Orientierungslos folge ich dem Sturzbach ins Tal, so gut es geht. Als die Felsen die Sicht auf das Tal freigeben, hat sich der Bach auf 50 Meter verbreitert. Auf einer Insel machen sich die zwei Männer des Kontrollpostens mit einem Esel gerade auf den Heimweg. Der Esel wird mit kräftigen Stockhieben ins braune, tosende Wasser getrieben.  Ich mache das freiwillig, ich habe die Schnauze voll.

In Tagbalout sehe ich, wie Hamid aus einem Jeep springt und sich schnell vor mir versteckt, um mich 10 Minuten später zu überholen. „Du bist doch mit dem Jeep runter gefahren!“ stelle ich fest. Plötzlich versteht er kein Französisch. Ich muss grinsen, er läuft wirklich viel, wenn er die Abbrecher ins Tal zurück bringen muss. Er kann die Laufzeit seiner Schützlinge gut einschätzen, so dass man am nächsten CP Bescheid weiß. Hamid ist Mitte Zwanzig und das erste Mal außerhalb Zagoras unterwegs. Sein Lauftalent hat er beim Sahara Trail Zagora bewiesen, jetzt muss er sich hocharbeiten, deshalb bekam er diesen Job von Mohamad. Von Michelle bekommt er am Ende der Reise den Aufenthalt in Marrakesch finanziert, was (lachend) teuer wird, denn Hamid denkt, dass das Bier im Zimmerpreis inbegriffen ist.

Von Tagbalout bis Agouti sind es noch 10 Kilometer. Und die sind grausam, denn der Regen hat die Landschaft mit tiefem Matsch gesegnet. Dies ist kein Lauf, dies ist ein entwürdigendes Geglitsche. Um 18:45 komme ich auf die Zielgerade.  Alle Läufer sind schon da, Mohamad wirft mir eine staubige Eselsdecke über die Schultern. Zwischen Staub und Eselshaaren kann ich ein kaum lachen, was ein Scheißtag!

Am Abend gehe ich zum Doktor. Er meint ich sei ein Phänomen, weil ich über alten Blutblasen nun neue Blutblasen hätte, dann beginnt er jeden Zeh kraftvoll einzeln auszuquetschen. Die Farbenpracht, die sich auf die Mulltüchern ergießt, vertreibt wartende Leidensgenossen.  

 


3. Etappe 18 km Assem Souk- Zaouit Ahanal

 

Eigentlich waren heute über 40 Kilometer vorgesehen, doch der Schnee liegt bis ins Tal hinab. Die heiße Morgensonne taut augenblicklich die ersten Zentimeter der Oberfläche auf, was einen Aufstieg zur Rutschpartie macht. Vor allem aber ist das Plateau Ait Oaabdi im Tiefschnee versunken.

Schon in der Nacht sind drei Markierer aufgebrochen, die sichtlich Spaß im Schnee haben, wie wir in den sozialen Medien sehen. Wir nutzen in den Camps einen von Mohamad eingerichteten Hotspot und posten, was das Zeug hält. Vor allem auf Instagram folgen uns zusammengerechnet über 100.000 User weltweit. Jorge und Chris stellen stündlich erstklassige Videos bei YouTube ein, wobei meine unkonventionelle Wettkampfeinstellung gerne in die Welt getragen wird. Den morgendlichen Lacher erhält aber Rachid, der bei den Markierungsarbeiten ausrutscht ist und sich dabei das Gesicht grün markiert hat.  

 

 
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Es ist ein entspannter Morgen, wir freuen uns auf einen kurzen Lauf durch den Schnee. Um 9 Uhr geht die Jeep- Karawane los, wir müssen hinauf zur 0-Grad Grenze fahren, um überhaupt festen Untergrund zu finden. Von den 44 Startern beim TAM sind schon einige frustriert nach Hause gefahren. Die 9 Teilnehmer der Challenge haben Begleiter dabei, dazu kommt noch der Tross der etwa 40 Helfer. Mit den Helfern bin ich sehr, sehr  zufrieden, sie sind sehr zuverlässig, brauchen keine Anweisungen, arbeiten selbständig. Der blutjunge, immer lachende Ayoub Ahansal aus Zagora ist immer 15 Minuten vor dem Spitzenläufer Abdelaziz mit den Markierungsarbeiten fertig, eine Spitzenleistung!

Als wir nach einer traumhaften Fahrt in Assem Souk (2300 m) ankommen, bleiben uns noch wenige Minuten, um im Kiosk einen Kaffee zu trinken. Der Kiosk steht verkehrsgünstig an der Passstraße, die die Nord-Südquerung mit der 4x4 Strecke nach Zaouiat Ahansal verbindet. Es geht los.

Zunächst geht es durch ein grausames Flussbett hinauf zum Tizi-Irgendwas. Die Schrecken von gestern sind vergessen, ich bin gut drauf, bleibe im Mittelfeld der westlichen Läufer. Juliane, das Covergirl von Asics, wird vom Wiener Filmproduzenten Peter begleitet, der heute Abend noch 24.000 Bilder in die Welt schicken wird. Peter läuft zwar nur die Challenge, hat aber mit der schweren Kameraausrüstung einen schweren Job, zumal er immer wieder spurten muss, um beste Bilder zu schießen. Als wir im Schnee ankommen, haben wir Zeit für eine Schneeballschlacht. Auf dem Tizi-Irgendwas ist der erste CP, von nun an geht es abwärts. Schon bald begrüßen uns dunkelgrüne Buchsbäume, imposante Steineichen, mächtige Atlaszedern  und die weißen Blüten des Kapernstrauches. Der schweissig-würzige Duft von Wacholder mischt sich mit dem süßlichen Parfum des leuchtend gelben Ginsters. Eine Gottesanbeterin verharrt regungslos, bis ich vorbei bin.  

 

 
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Was jetzt aber folgt, das gibt es nur hier: Ein 12 Kilometer langer Lauf, abwärts durch einen Gebirgsbach. Wir springen und hüpfen von einem Ufer ans andere. Nach etwa 2 Stunden lässt der Elan nach.  Ohnehin hat man im Hohen Atlas niemals trockene Schuhe, also einfach durch! Ich lasse meine Bilder sprechen, Bilder, die meine Timeline prägen.

Ankunft in Zaouiat Ahansal (Sankt Ahansal). Der Ort ist nach einem Missionar benannt, der dort lehrte, wo seine Katze vom Esel sprang. Der Urgroßvater der Ahansal Brüder brach um 1900 mit 300 Schafen zur 800 Kilometer entfernten Stadt Zagora auf, um dort den Tuareq als Karawanenführer zu dienen. Er wählte seinen Familiennamen nach dem Ort Zaouiat Ahansal und begründete die Läuferdynastie der Ahansals in der Sahara.   

Den hier lebenden Anthropologen Simon kenne ich vom letzten Jahr. Schweizer Mutter, Vater aus dem Schwarzwald, er ist in Amerika aufgewachsen und leitet in Zaouiat Ahansal agrarwissenschaftliche Arbeiten. Abends sitzen die Jung-Ökologen vor unserer Gite und notieren geflissentlich ihre ökologischen Arbeiten in den Feldern. 500 ökologische Zivilisationsgegner lehren und lernen hier jährlich, was dem Ort ein wenig Wohlstand bringt, wie man anhand der schön renovierten Speicherburgen erkennen kann.

Heute Abend wird bekannt gegeben, dass wir nicht wie geplant morgen in Almoun N´Ouhanad auf 2500 Meter Höhe campieren können, was mit allgemeinem Beifall quittiert wird.

 

4. Etappe 30 km Zaouiat Ahansal – Zaouiat Ahansal

 

Heute Morgen hat eine Läuferin auf FB Folgendes gepostet: „ Zu allem Überfluss habe ich heute meine Periode bekommen“. Das ist grundsätzlich erfreulich zu wissen, aber zusätzlich wird jetzt klar, dass alle Läuferinnen sich entschlossen haben, sich zu synchronisieren, auch die, die damit schon abgeschlossen hatten. Das fordert jetzt das Talent der Orga auf das Äußerste, denn wo bekommt man im Hohen Atlas die passenden Artikel her? Lahcen hatte mir mal innerhalb von 24 Stunden eine Zahnbürste besorgt.

Die wenigen Berberdörfer, wie Vogelnester an die Bergflanken gebaut, wirken verschlafen. Häuser aus Lehm, staubige Gassen, bunte Kleider und Tücher, die auf Büschen zum Trocknen ausgebreitet werden. Wie genial ich das Thema wechseln kann!

Unsere heutige Etappe beginnt mit dem Aufstieg entlang des Ahansal Flusses, der uns am 6. Tag wieder begegnen wird. Uns kommen einige Halbnomaden entgegen, die zum Einkaufen nach Zaouiat Ahansal wollen. Es gibt dort keine Läden, aber einen regen Markt auf dem Parkplatz vor dem Bank-Postgebäude, wo man das staatliche Geld abholt. Sozialhilfe ist das nicht, es sind Zuschüsse für Saatgut oder Transporttiere, also eine Unterstützung, um selber Geld zu verdienen. Oft trifft man Frauen mit  schwerem Grasfuder auf dem Rücken oder Männer, die auf ihren Maultieren Baumaterial transportieren. Der Staat gibt dafür Hilfe zur Selbsthilfe. Ins Hintertreffen gerät dabei aber der Konsum, der Handel. Allenfalls sieht man von Kindern weggeworfene Verpackungen von Süßigkeiten. Die Menschen lassen sich von mir gerne fotografieren und bedanken sich: „ Choukran“. Mein „Bsslama“, also „Auf Wiedersehen“ kommt gut an.

 

 
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Wir erreichen die 600 Meter hohe Wand des Tamga Amsfrane, eine der am höchsten ausgezeichneten Kletterwände der Welt. Vor vier Jahren verschwand ein Forscherteam im Höhlensystem. Trotz größter Rettungsaktion aller Zeiten in Marokko wurden sie nie gefunden. Über uns nun die Escalier des Bergers, die Treppe der Hirten. Auf Tamazight trägt das Holzgerüst noch den ursprünglichen Namen: Straße des wahnsinnigen Pferdes, denn nur äußerst durstige Maultiere wagten den Lauf über die mit schrägen Balken gesicherte 500 Meter lange Bretterbahn. Jetzt hat man über die Bretter ein Strohgeflecht und darüber flache Steine gelegt. Ein Führungsdraht sichert die Touristen, die sich dem Wahnsinn 300 Meter über dem Talgrund hingeben.

Für uns geht es hinauf zum Assif n´Taghia und bald überblicken wir die gesamte 600 hohe Wand des Tamga Amsfrane von oben. Ein schöner Tag. Eine Hirtin zerschlägt einen dieser Kugelbüsche, die Schafe stürzen sich sofort drauf. Männer drehen Steine um, sie suchen nach den großen schwarzen Skorpionen, die man gut nach Europa verkaufen kann.

Während der westliche Hang aus rutschigen Mergelschichten besteht, gibt es auf der östlichen Seite angenehmere fette Platten, die an Römerstraßen erinnern. Am späten Mittag erreiche ich das Ziel in Zaouiat Ahansal.

Ein kleiner Junge fährt mit Rollerblades ungeschickt über die steinige „Hauptstraße“, er ist jetzt der König des Dorfes.

 

5. Etappe 37 km Aouijja- Cathedrale Mstefran + 850 m/ -2250m

 

Heute Nacht mit dem Gesang der Nachtigall vor unserem Fenster entspannt geschlafen. Wenn Mohamad mal Geld hat, dann will er sich hier ein kleines Lehmhaus bauen. Nur für sich, nur, um da zu sitzen und über das liebliche Tal zu schauen.

Wir fahren im Konvoi  den Ahansal Fluss hinab, dann hinauf zur Ouhanad-Kante, die mit ihren steilen Tafelbergen an den Grand Canyon erinnern. Nach zwei Stunden erreichen wir Aoujja. Michelle wurde mit dem Krankenwagen hierher transportiert, sie hat hohes Fieber. Eine Sepsis, ausgelöst durch unversorgte Blutblasen, hat sie flach gelegt. Saugefährlich, wie ich aus eigener Erfahrung auf der Intensivstation weiß. Sie wird nun mehrere Tage Infusionen mit Antibiotika erhalten. Kreidebleich, in Goldfolie gewickelt, sitzt sie im Krankenwagen.

 

 
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Wir laufen los. Das heißt, die anderen laufen los, ich streike, denn die Höhenluft der 2500 Meter bremst mich aus. Der Untergrund ist mal wieder technisch schwierig und der folgende Anstieg liegt in der prallen Sonne, die uns jetzt schon 30 Grad bietet. Ich schaue oft zurück auf den schneebedeckten Hauptkamm, den ich vor wenigen Tagen im Wintergewitter gemeistert habe. Ich liebe diese Ausblicke von erhöhten Posten. Der folgende Weg ist mir vom Zaouiat Ahansal Trail bekannt, doch die gemeinen Dornen der Macchiabüsche habe ich nicht mehr in Erinnerung. Zu grausam sind die Kratzer, die sich schnell entzünden. Unter einem uralten Wacholder ruhe ich mich aus, nicht ohne vorher die Sitzgelegenheit nach Schlangen abzusuchen.

Vor dem Pass erinnern Schneefelder an den Sturm der letzten Tage, dann geht es hinab in ein wunderschönes Hochtal, ein Tal, wie ich es liebe. Einst war hier ein See, der den Sand hinterlassen hat, jetzt wachsen hier sternförmige Disteln, die in wenigen Tagen mannshoch sein werden. In einem Erdloch hocken dick in Schwarz vermummte Nomaden und trinken wohl Tee. Sie blicken mich aus dem Augenwinkel an, mich der in seinen unpassend farbenfrohen Laufklamotten wie ein Außerirdischer in einer nie gesehenen Fortbewegungsart wortlos vorbeizieht. Es reihen sich nun Hochtäler an Hochtäler, unterbrochen von extremem steinigen Abhängen, die Chris sichtlich Probleme bereiten. Ich bin jetzt gut drauf und kann sehr gut laufen.

Auf der anderen Seite springt eine kalte Quelle aus dem Felsen, dann links eine, rechts, und immer mehr, bis sich ein stattlicher Fluss gebildet hat. Das Wasser der Quellen schmeckt sehr gut.

„Labass, Joe?“ brüllt jemand von hinten. Zwei Marokkaner, die heute Morgen in Zaouiat Ahansal gestartet sind und nun federleicht an mir vorbei springen wollen. „ Stop, stop!“ brülle ich und schüttele eiskalte Hände. Wie kann man mit anscheinend niedrigem Blutdruck so schnell laufen?

Unter mir sehe ich jetzt Carla und Alessandro, die sichtlich Mühe haben, den jungen Fluss zu queren. Ich erkläre den beiden, dass es keinen Sinn macht zu versuchen, die Schuhe trocken zu halten.  Wir haben 16 Kilometer Flusslauf vor uns! Und kein Weg! Dann laufe ich vorweg, mitten durchs Wasser, das meinen schmerzenden Fuß angenehm kühlt. An steilen Prallhängen müssen wir auf den gegenüberliegenden „Flachhang“ ausweichen, das ist unangenehm, denn mein Hirn suggeriert mir wieder Sinnlosigkeit dieses Trails vor. So schön diese Sandsteincanyons sind, ich mag sie nicht, erst recht nicht, wenn auf ihrem Grund schmerzende Steine einen gleichmäßigen Lauf verhindern. Ich mag den freien Blick und der eröffnet sich mit dem Blick auf die „Kathedrale“, wie die Tafelberg genannt wird, der eher aussieht wie die untergehende Titanic. Dort muss das Ziel sein, dort muss ich hin. Unglaublich viele Vögel lindern mit fröhlichem Gesang mein Leiden.

 

 
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Urplötzlich bestimmen Weizenfelder die Landschaft, CP 3 in Tamga ist erreicht. Die schon lange geduschten Abdelkarim und Hamid sitzen im Schatten, geben mir zwei Gläser heißen, stark gesüßten Tee aus. 9 Kilometer sind es noch bis zum Ziel. 200 Meter davor sitzen meine Laufkameraden bei eiskalter Cola. Ich beziehe mein Zelt und laufe mit meinem taubstummen Freund zurück zur Colatanke. Und was macht der sprachunkundige Christian, als eine Hirtin mit ihrem Esel vorbeikommt? Er macht ihr klar, dass er auf dem Esel ins Camp einziehen will, und sie stimmt zu! Wie Jesus beim Einzug in Jerusalem, so sitzt Christian stolz auf seinem Lastentier und winkt segnend nach links und rechts, so dass der Läufertross sich zwischen Lachen und Bewunderung entscheiden muss. Am Ende des Camps dreht er gekonnt das Tier und reitet wieder hinaus. Was für ein Auftritt!

Das tägliche Abendessen beginnt mit einer Harira, der traditionellen Suppe aus Hülsenfrüchten. Sie wird täglich variiert und kann zur Anregung der Verdauung mit der scharfen Chilisoße Harisa gewürzt werden. Ich habe ein Pulver aus mildem Chili mit Knoblauch dabei, was mich seit Tagen in den Verdacht bringt, es würde nicht nur die Durchblutung der Lunge fördern.

Wenn es das von vielen geliebte, von mir verschmähte Couscous gibt, dann bietet der Koch zu meiner Freude auch Fleisch und Gemüse an. Ich, der Gemüse vor dem Servieren gerne durch ein Schnitzel ersetzt hätte, ich mag das marokkanische Gemüse, es ist unglaublich schmackhaft. Rote Beete, wirklich gute Kartoffeln, aber vor allem die Gurkenarten und die Kürbissorten, all das schmeckt traumhaft. Nach dem Dessert aus Äpfeln, Bananen und Orangen gibt es den Tee aus Eisenkraut, Vervain oder Louisa genannt. Man trinkt ihn ungesüßt, er soll eisenhart und zuversichtlich machen. Ich mag diesen Tee.

Nach dem Essen zeigen Jorge und Chris die Filme, die sie tagsüber gedreht haben, dann erst kapieren wir, was wir geleistet haben.  Wir sind in einer Höhe von 1350 Metern.  Es gibt hier Insekten, die sind echt groß und werden vom Licht der provisorischen Leinwand angelockt. Es sind harmlose Tierchen, aber man kann damit jeden Marokkaner wunderbar erschrecken.

 

6. Etappe 36 km Chathedrale Mstefran- Bin El Ouidane

 

Um ein Uhr schrecke ich panikartig auf. Irgendwas hat an meinem Fuß gekrabbelt. Ich denke es war ein Skorpion, es waren gefühlsmäßig 16 Füße. Raus, raus, raus aus dem Schlafsack. Panik. Stirnlampe suchen und den Schlafsack umdrehen.  Stiche von den hellen, flachen Skorpionen sind äußerst schmerzhaft. Gut dass Christian meine Panik nicht hören kann und Jesus, der Spanier mit Namen Jesus, seelenruhig weiterschläft. Jorge hat seine Matratze verlassen, er ist auf Markierungstour. Jetzt, wo ich mal wach bin, kann ich auch Pinkeln gehen. Ich bin anständig und gehe zum Ende des Camps, wo Christian gekonnt seinen Esel gewendet hatte. Hüfte raus, Nacken nach hinten und den Sternenhimmel beobachten. Mars und Jupiter dominieren den Himmel. Die Venus zeigt sich in der Abend-und Morgendämmerung, die Sichel ist dann mit bloßem Auge erkennbar.

Nach dem Frühstück wird blitzschnell das Camp abgebaut, zuletzt die Klozelte.  Ich hatte schon erwähnt, dass die Helfermannschaft auf Zack ist. Mein österreichischer Freund hat in Afghanistan Giftgasgranaten entschärft. Wohl aufgrund dieser traumatischen Erlebnisse setzt bei ihm die Peristaltik erst nach dem Frühstück ein, was ihm heute Morgen zum Verhängnis wird, denn plötzlich ist der Sichtschutz weg. Diese Campingklos sind auch noch so niedrig, und wenn man dann aufsteht, um....., lachend hüpfe ich zum Startbogen.

 

 
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Wie meistens geht es zunächst einen Flusslauf hinauf. Es duftet nach Minze und Rosmarin. Die Mergel-(nicht Merkel)hänge werfen die Wärme der Morgensonne zurück. Blumenmeer vor alten, zerfallenen Kornspeichern aus Lehm. Ich habe das Privileg! Ich habe das Privileg Landschaften zu sehen, die sonst kaum jemand sieht, weil ich Laufen kann.

Eine Schule auf halber Höhe ist rosa und hellblau bemalt, die Klassentüren stehen offen, also Blick hinein: auf der einen Seite die Jungs, auf der anderen die Mädchen mit leichten Kopftüchern, der Lehrer im weißen Kittel buchstabiert auf Französisch. Als er mich bemerkt, kommt er an die Türschwelle und schüttelt mir die Hand. Er ist hocherfreut über meinen Besuch, doch sein Französisch ist unter aller Sau. Seine Sätze sind unvollständig und mit spanischen Wörtern durchsetzt. Ich weiß jetzt nicht, ob die Kinder ihren Mund nicht schließen können, weil Ihr Lehrer versucht, mit einem Außerirdischen zu sprechen, oder ob es mein Anblick ist. Es gibt wenige Orte, wo ich länger verweilen möchte.  Dies wäre einer gewesen.

Es gibt viele Schulen hier auf dieser Etappe, es gibt blühende, bunte Felder, durch die freudig Mädchen in bunten, langen Kleidern, ohne Kopftuch mit gepflegten, langen Zöpfen hüpfen. Jungs hängen wie landesweit üblich nur rum oder bekriegen sich mit Scheinangriffen. Die Mädchen lassen sich lachend fotografieren. Dann aber lösen sich die Hände der Jungs vom Zaun der Schule, klatschen und rufen „Bravo, Bravo, Bravo!“.  Das habe ich noch nie in Marokko erlebt, das ist echt nett.

Die Landschaft mit den Feldern voller Mohnblumen, die in den Farben der marokkanischen Flagge leuchten wird von einer sagenhaften Kakteenwelt abgelöst. Botanisch gesehen sind es keine Kakteen, sondern Sukkulenten, aber deren symmetrische, himmelsstrebende Ordnung ist wunderschön.

Der Ahansal Fluss ist nun ein reißender brauner Fluss, den ich über eine urige, aber stabile Brücke am Assif Melloul überquere. Den folgenden, brutal heißen Anstieg zum Ifard N´Tagganit möchte ich nie wieder machen.  Und auch nicht drüber schreiben.

Es ist so heiß, dass ein Chamäleon vergisst sich zu tarnen. Als ich den Drachen zwischen die Finger nehme, faucht es mich an. Bewundernswert mutig, das kleine Ungeheuer!

Auf dem Tadawt Taggant weht ein kühler, angenehmer Wind.  Hier ist der CP 2 und Hamid, der  Taschtabt, der Besen, pennt auf der Rückbank. Ich will mich setzen, doch auf dem Beifahrersitz sitzt die füllige Nurse. Hinter das Steuerrad kann ich mich nicht klemmen, das wäre mit Schmerzen verbunden. Mein Anblick muss grotesk sein, ich wackele wie das Chamäleon hin und her, kriege keine Luft und fauche den Helfer an, er soll schneller das Wasser in meine Flaschen nachschütten. Foto mit dem stressfreien Wasserschubser und weiter geht es. Ein Hammer mitten auf dem Weg, dann geht es links ohne Weg hinab.

Ich habe Freude, Lauffreude, ganz viel! Es gibt kein Zeitlimit bei den Etappen des TAM, deswegen habe ich immer eine Stirnlampe dabei.  Man kann ja nie wissen.  Von oben, aus 15 Kilometern Entfernung sehe ich das Ziel am Stausee. Zelte reihen sich am Strand, da will ich hin.

Der Bin El Ouidane Stausee wird vom Ahansal Fluss gespeist. Es werden hier mehrtägige Kanutouren angeboten, die in einsame, weitverzweigte Täler führen, wo 25 cm große maurische Wasserschildkröten leben. Sie sind streng geschützt. Die Karpfen nicht, es gibt Kolosse von 28 kg. Mein Gewicht nähert sich dem der Karpfen an. Ich hatte zwar versucht, über meine marokkanischen Freunde mein Lieblingsgetränk auf dem Schwarzmarkt zu besorgen, doch in der Woche vor dem Ramadan werden Hamsterkäufe getätigt.  Ich bin zu spät dran. Der Ramadan ist die wichtigste Jahreszeit. Im neunten Monat des islamischen Mondkalenders hat Mohamed die Worte des Korans empfangen. Da der Mondkalender nicht mit unserem Kalender übereinstimmt, ändert sich jedes Jahr der Termin. Am Sonntag vor Ramadan wird die Uhr eine Stunde zurückgestellt, nach 29 Tagen wieder vor. Wir können also morgen ausschlafen.

Die letzten Kilometer laufe ich durch schöne Frühlingsfelder. Hamid pflückt sich unreife Pfirsiche und kaut die noch weichen Kerne. Auch die Ähren des Weizens kaut er mutig. Ich genehmige mir ein Bounty. Gerald hat mir das Zeug vor drei Wochen in Patagonien empfohlen. Hamid bleibt zurück, er wartet auf Houcine, der auf einem Stock gestützt zum Ziel humpelt.

Relativ verletzungsfrei ist mein Zieleinlauf vor der Kulisse des einladenden Sees. Dass ich den Trans Atlas nochmal finishen kann, hätte ich vor 6 Tagen nicht erwartet. Komischerweise dauert es eine Weile, bis ich lachen kann.  Es ist vorbei und das ist eigentlich traurig.  Ich habe gefinisht, das ist schön. Mit diesen widersprüchlichen Gefühlen komme ich nicht klar. Peter aus Belgien und ich sind die ersten Westler, die den Hohen Atlas zweimal gequert haben. Ich habe Platz 14 von 44 Startern erkämpft.

 

 
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Im kühlen Wasser des Sees schwimmend denke ich nach. „Nie wieder?“ Oder doch nächstes Jahr noch einmal? Die Antwort ist: Der Wahnsinn lockt!


Trans Atlas Mararthon (TAM)2019: 07.-07. Juni,
fünf Deutsche haben sich schon angemeldet und profitieren
von 300 Euro Ermäßigung bis zum 31.05.18.

 

Weitere Ultraläufer der Ahansal Brüder:

 

Zaouiat Ahansal Trail (ZAUT)15.-22 September 2018:
116 km, 12.000 hm, 4 Etappen.


Zagora Sahara Trail 03.November 2018:
10, 26 und 52 km.

Hier bin ich Reiseleiter für die 5 bzw 8 tägige Reise
durch die Sahara


Tafraout Atlas Trail 17.-18. November 2018:
10, 26, 72 Km


Ultra Trail Marocco Eco Sahara 14.-18. März 2019 (UTMES)
110 km in einer oder in zwei Etappen


Trans Zagora Trail 23.-30 März 2019:
200 km

 

 

 

 


 
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