Das ist wieder mal ein echtes Highlight zwischen den kleineren Events, die ich in Belgien so erlebt habe. Klassische Ardennen, ganz im Süden an der Grenze zu Frankreich. Klassische Streckenführung in der Region, am stark mäandernden Flüsschen Semois die Hänge rauf und runter. Über 1.500 Anmeldungen, Distanzen von 20 bis 100 km, davon die 100 mit über 3.300 Höhenmetern. Und, so wurde frühzeitig werbewirksam angekündigt, es war sogar der aktuell beste belgische Trailläufer, Maximilien Drion (UTMB Index 876), dabei.
Ausgangspunkt der Strecke ist der Ort Bouillon, genauer die Burg Bouillon, bekannt durch Gedefroy de Bouillon, zu Deutsch: Gottfried von Bouillon. Also genau der mit dem Suppenwitz, den man sich bis in meine Jugendzeit noch erzählt hat. Er lebte natürlich nicht davon, zu seiner Zeit (um 1100) gab es noch keine Bouillon-Suppe. Bekannt wurde er als prominenter Teilnehmer am Ersten Kreuzzug und sollte nach der Eroberung wohl sogar König von Jerusalem werden, was er aber abgelehnt hat. Gestorben ist er ebendort in Jerusalem mit unter 40 Jahren, also jünger als viele der bei dem nach ihm benannten Traillauf Aktiven.
Mit dem Lauf hat er sonst eigentlich nichts zu tun, denn selbst die Burg hat nicht er, sondern ein Vorfahr erbaut. Imposant ist sie aber allemal und der Ort ganz sicher ein Highlight der Region. Man kann auf dem Flüsschen Bootfahren und sogar darin baden, sprich auch für wartende Nicht-Läufer könnte ein Tag dort durchaus interessant sein.
Ganz in der Nähe, auf der französischen Seite, liegt übrigens das Städtchen Sedan, auch mit einer riesigen Festung mit kriegerischer Vergangenheit. Die dortige Schlacht am 1. September 1870, ohne die möglicherweise der preußische König nicht Kaiser geworden und Deutschland als Einheit nie entstanden wäre.
Zurück zum Lauf (diesen und andere tolle Veranstaltungen findet man unter www.trailrun.be): Ich nehme mir mal wieder etwas nicht zu Ambitioniertes vor, nämlich die 53 km, mit schön verteilten Versorgungsstationen etwa alle 10 ± 1 km. Bei der ersten gab es u.a. einen schönen Käsekuchen: Vom kurzfristigen Nährwert her nicht ideal, aber manchmal hat man einfach eine unbändige Lust auf bestimmtes Essen und verträgt das meist auch gut. Die Salami, die es öfter gab, ist mir hingegen nicht so gut bekommen.
Es sind für den Tag 32 Grad angekündigt, dazu am Nachmittag Wärmegewitter. Also vor allem Sonnencreme und die Laufkappe mitbringen. 2x 0,5 Liter Wasser im Gepäck sollten reichen. Wie immer bei den Trails in Belgien ist es durch die Bewaldung oft schattig, so dass der Lauf durchaus erträglich zu werden verspricht.
Ein Schnäppchen ist der Lauf mit 75 Euro Stargebühr nicht, das geht aber für mich gerade noch ok. Als Überraschungsgeschenk bekomme ich übrigens gratis einen recht schönen Rucksack. Durchaus brauchbar oder zumindest gut zum Weiterverschenken. Ach ja, ich habe die Startnummer 1000, was sicher bedeutet, dass es ein toller Lauf wird. Was mir dabei erst nach dem Rennen auffällt: Auf der Startnummer ist unten das Höhenprofil der Strecke abgebildet, umgekehrt gedruckt, so dass man beim Laufen zum Lesen nur kurz das Hemd nach oben ziehen muss. Äußerst hilfreiche Idee.
Am Morgen sind es ab Düsseldorf drei Stunden Anfahrt, was gerade noch geht. Kurz vor vier treffe ich an der Garage noch meine 18-jährige Tochter, die gerade von einer Feier nach Hause kommt. Andere Lebensphasen, andere Tagesabläufe. Wobei die meisten Leute in meiner Lebensphase vermutlich auch eher im Bett liegen als ins Auto steigen. Für ein bisschen bekloppt halten einen die meisten ja schon, aber für mich ist so ein Lauftag immer ein „Me-Day“, also ein Tag ganz für mich, ohne weitere Verpflichtungen, draußen in der schönen Natur, ohne Stress, selbst die Autobahnen sind so früh morgens leer. Dazu bin ich auch noch in Belgien unterwegs, wo die Städtchen einen eigenen Charme und einige Sehenswürdigkeiten bieten, und wo selbst der Einkauf lokaler Spezialitäten im Supermarkt ein kleines bisschen Exotik versprüht.
Gegen sieben Uhr bin ich auf dem großen Sonderparkplatz außerhalb von Bouillon angekommen, eine ausreichend große Wiese speziell für die Läufer. Man könnte um diese Zeit auch noch im Ort parken, allerdings wollen die ganz normalen Touristen ihre Autos ja auch noch abstellen. Der Fußweg zur Burg dauert etwa 15 Minuten, was am Morgen ganz nett ist, nach dem Rennen bergauf aber auch mühsam sein kann.
Der Ort ist wirklich malerisch, die Burg imposant, und das Wetter bestens. Nur 28 Grad und ein paar Wolken, also (scheinbar) perfekt. Start ist auf dem Vorplatz der hoch gelegenen Burg und die Atmosphäre ist unglaublich entspannt. Keine Anheizmusik, keine Autogeräusche, selbst die Toiletten sind nicht überlaufen.
Erst drei Minuten vor Start kommen die Ansagen, und schon geht es los. Auch wieder ganz entspannt, erst bergab, dann gleich über den Fluss und steil hoch, aber niemand drängelt und kaum jemand überholt. Alle genießen den Tag. Die Strecke ist geschickt gewählt. Erstens ist sie sehr schön, weitgehend sehr schmale Waldwege, nur kurze Strecken durch kleinere Orte, einige Pfade zwischen Bäumen und Büschen hindurch (Beine und Arme sind danach etwas stärker zerkratzt als bei den meisten Läufen), und ein paar tolle Aussichtspunkte, wo viele der Läufer für ein Foto stehen bleiben. Ich rede hier immer über das Mittelfeld, nicht über die, die vorne das Rennen gewinnen.
Die Natur ist recht unberührt, d.h. keine abgeholzten Waldflächen, wie man es auf längeren Läufen sonst oft sieht. Teilweise riesige Felder von Fingerhut und kleine Tannen, die direkt auf dem Weg wachsen. Alles recht unberührt. Hoch geht es meist gemächlich, so dass ambitionierte Läufer gut laufen können, manchmal aber auch sehr steil und gleich 200 Höhenmeter am Stück, so dass man eine gute Abwechslung hat. Ein Köcher für die Stöcke ist sehr hilfreich. Runter geht es meistens nicht so steil, so dass man es richtig laufen lassen kann, was dem Körper gut tut und auch Geschwindigkeit und Glücksgefühle bringt.
Bei den steileren Serpentinen bergab muss man etwas aufpassen. Einige kürzen hier ab, was aber eher zu Stürzen und kaputten Knien führt. Stichwort kaputt: Auch ich habe mir diesmal einen Sturz nicht nehmen lassen. Schon bei Kilometer 21 bin ich an einem schmalen Stück am Hang mit dem talseitigen Fuß abgerutscht und mit einer eleganten Rolle den Berg hinab. Glücklicherweise nur ein paar Schürfwunden und auch die Brille war noch da. Aber schon blöd. Scheint aber keine Alterskrankheit zu sein, sondern maximal mangelnde Vorsicht. Technisch war die Strecke nicht anspruchsvoll, auch nur vergleichsweise wenige Baumwurzeln und Steine.
Nochmal Stichwort kaputt: Auf der Hinfahrt hatte ich noch darüber nachgedacht, ob sich bei meinen geliebten aber inzwischen recht abgenutzten S-Lab Genesis Laufschuhen irgendwann einmal die Sohle lösen würde. Ist mir zwar nicht passiert, aber einer anderen Läuferin. Vermutlich wurde sie von jedem Überholenden darauf angesprochen, dass ihre Sohle nur noch am Mittelfuß hängt, was über die vielen Stunden an sich schon nerven kann. Die Sohle hatte sich wohl schon ganz am Anfang gelöst, aber die Versorgungsstationen hatten kein Klebeband, so dass es für so die ganzen 50 km lang ging. Das ist echte Leidensbereitschaft. Respekt!
Neben dem Schuhthema noch ein paar Erfahrungen bzw. Werbung, mit mehr Erfahrung bildet man ja gewisse Gewohnheiten und Vorlieben aus: Gold wert ist Anti-Chafing-Gel, z.B. Pjuractive 2Skin auf den Füßen. Seitdem ich die, verbunden mit einem Paar Socken Trail Aéro der französischen Firma Thyo (die ich letzten Jahr bei einem Lauf in meiner Geschenktasche hatte) benutze, hatte ich nie wieder eine einzige Blase. Mit meiner Garmin Fenix 6 pro Laufuhr bin ich auch zufrieden, vor allem seitdem ich die Einstellung Karte mit verbleibender Strecke als Standard einstelle. Kein Stress mehr durch Zeit oder Puls oder Pace. Einfach nur nicht verlaufen und grob wissen, wie lange man noch vor sich hat. Allerdings hatte ich diesmal aus Versehen Trail Run statt Ultra gewählt, was nach 40 km zu einem leeren Akku führte. Ohne Uhr läuft man dann ganz frei. Die Strecke war aber auch 1a ausgeschildert.
Die Sonnencreme hat sich übrigens nicht gelohnt. Schon kurz nach der ersten Versorgungsstation, malerisch oberhalb einer Flussschleife gelegen, zog sich der Himmel zu, gegen Mittag ging dann ein Gewitter durch, kein Wärmegewitter, sondern echter Regen und dazu eine spürbare Abkühlung. Viele Zuschauer gab es, abgesehen von den Versorgungsstationen, nicht, dafür aber eine Familie, die mit Regenschirmen vor ihrem Häuschen im Wald saßen und Leckereien an die Läufer verteilte. Normalerweise nehme ich in solchen Fällen lieber nichts, aber allein schon als Anerkennung für ihre treuen Unterstützung im strömenden Regen habe ich diesmal doch einmal etwas Obst mitgenommen. Solche Leute und die Helfer an den Stationen und Straßenüberquerungen sind für mich ebenfalls Helden so eines Laufes.
Für eine Weile fühlte es sich richtig kühl an, und die Handkamera ließ sich leider mit feuchten Fingern auch nicht mehr richtig bedienen. Durch die Laufkappe war zumindest die Brille tropfenfrei. Das war nicht unwichtig, da so mancher Waldweg nass auch recht rutschig wurde. Zum Ende des Laufes hin klarte es wieder auf, wurde warm und die Kleidung konnte wieder trocknen, so dass es in Summe doch ein schöner Tag war.
Bei meinem Zieleinlauf kam zufällig auch die Dritte des 75 km Laufes ins Ziel, so dass es spontan die dazugehörige Siegerehrung gab. Der gleiche Sachpreis wie so oft in Belgien: Bier. Aber die Freude über den Sieg ist vermutlich ohnehin stärker als jeder Preis.
Er eingangs erwähnte Maximilien Drion ist übrigens nur die 20 km gelaufen, so dass ich ihn trotz überlappender Strecken nicht getroffen habe. Auch sonst dürfte ihn kaum jemand gesehen haben, da er ganze 11 Minuten oder 14% schneller war als der Zweitplatzierte. Für ihn vermutlich nur ein Vormittags-Fun-Run.
Am Ende war ich nach langer Fahrt und noch längerem Lauf so richtig müde. Dank Elektroauto und der Notwendigkeit zum Nachladen bei der Rückfahrt bin ich, ohne zusätzlich pausieren zu müssen, noch zu einem ausreichenden Nickerchen gekommen. Ein Ehepaar, das auf dem Parkplatz neben mir stand, hat es noch besser gemacht: Im Campingbus angereist, nach dem Lauf erst einmal die Gardinen zu und für einige Stunden ins Bett. Während ich vor einem Lauf aufgrund der erwarteten frühen Aufwachzeit fast immer schlecht schlafen kann, ist der Schlaf danach der beste der Welt.
Für die, die nächstes Jahr evtl. dabei sein wollen, hier etwas Statistik:
Strecke [km] |
Höhenmeter [m] |
Finisher |
Beste Zeit [h] |
Median Zeit [h] |
100 |
3.314 |
108 |
11:07 |
15:21 |
75 |
2.647 |
89 |
7:02 |
11:10 |
53 |
1.960 |
249 |
4:56 |
7:35 |
34 |
1.284 |
320 |
2:56 |
4:37 |
20 |
804 |
457 |
1:23 |
2:48 |