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19.02.06 - Yukon Arctic Ultra

Wie beim letzten Mal?

Das war kein guter Gedanke: Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass es hier deutlich mehr Elchspuren gab als vorher. Außerdem erinnerte ich mich an den Hinweis von Shelley, dass Elche besonders dann gefährlich werden, wenn sie sich bedrängt fühlen und keinen Fluchtweg haben - zum Beispiel in einem dichten Wald!! Ich machte kurz Halt und horchte in den Wald hinein: Nichts. Dann ging ich wieder ein paar Schritte, hielt wieder an, machte sogar meine Stirnlampe aus und horchte wieder: Wieder nichts. So ging das Spielchen noch ein paar Mal bis ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte und mir klar wurde, dass nicht plötzlich ein Elch auftauchen würde, nur weil ich zufällig mehr auf seine Spuren achtete als vorher. Schon bald nach einem gewaltigen, aber schon steif gefrorenen Overflow wurde ich auch wieder müde und suchte ein schönes Plätzchen für mich und meinen Schlitten. Ich hatte es anscheinend ganz gut getroffen und schlief satte 9h am Stück. Wenn man bedenkt, dass der Sieger Andrew Matulionis wahrscheinlich insgesamt nicht so viel geschlafen hat wie ich in dieser einen Nacht erklärt sich schnell, wieso er nur fünfeinhalb Tage für diese Strecke gebraucht hat.

Obwohl ich so lange geschlafen hatte tat ich mich unheimlich schwer, aufzustehen. Grund dafür war auch die klirrende Kälte, die mich umgab. Tatsächlich war das folgende Stück bis Carmacks wohl das kälteste der ganzen Tour. Aber es half ja alles nichts, und wie schon im letzten Jahr freute ich mich auf Carmacks, da das Erreichen dieses Checkpoints bedeutete, dass schon mehr als die Hälfte hinter einem lag. Außerdem wusste ich ja jetzt, wie gemütlich, also wie trocken und warm der Checkpoint war und dass man dort herrlich duschen konnte. Ich aktivierte also die Heatpads (chemische Handwärmer) wieder, die ich in der Nacht zuvor trotz meiner warmen Fäustlinge ausgepackt hatte und versuchte, irgendwie warm zu werden. Ist schon lustig: Da fliegt man um die halbe Welt, um an einem solchen Rennen teilzunehmen, läuft am Tag durchschnittlich 70km und freut sich, wenn es endlich wieder kalt wird; wenn man dann aber morgens aus dem Schlafsack raus muss, drückt man sich wie ein Weichei vor den 10sec, die man dann der Kälte ausgesetzt ist, bis man wieder in die Jacke schlüpft!

Aber weit war es nicht mehr und mit der Helligkeit wurde es auch wieder etwas wärmer. Um die Mittagszeit des 15. Februar, also nach rund vier Tagen hatte ich dann 284km hinter und Carmacks direkt vor mir. Wenn ich die Geschwindigkeit hielt, wäre ich nach nicht einmal 180h im Ziel und damit 12h vor dem Zeitlimit. Es sah also nach wie vor sehr gut für mich aus. Und was das Wichtigste war: Es machte schlicht und ergreifend tierisch viel Spaß! Und Spaß gab's am Checkpoint noch mal in rauen Mengen: Tobi war schon mit dem Mietwagen hierher gekommen, Fisse war ca. 40min vor mir angekommen und auf Klaus mussten wir auch nicht lange warten. Da saßen wir nun also, frisch geduscht, mit vollem Bauch und in kurzen Hosen. Hier hatte ich mein erstes drop bag deponieren lassen und konnte nun meine Pulka neu bestücken: Essen rein, Batterien wechseln, Müll wieder raus und Schlafsack trocknen, das waren so die Kernthemen. Bei so manchem, der seinen Schlafsack auspackte hatte man das Gefühl, dass er die Nacht zuvor im Bach verbracht haben musste: Howard "Cookie" Cooks Schlummertüte tropfte wie frisch aus der Waschmaschine gezogen und verzögerte so seine Abreise aus Carmacks deutlich, denn er wollte die Wärme nutzen, um seinen Schlafsack wieder in einen brauchbaren Zustand zu versetzen.

Nach 3:50h (übrigens exakt 10min mehr als im letzten Jahr) verabschiedete ich mich dann von dem Trubel wieder und zog meinen Schlitten entlang der Hauptstraße von Carmacks (Nebenstraßen gibt es in diesem 700-Seelendorf ja keine) Richtung Norden. Sehr gefreut haben mich die Anfeuerungsrufe der Leute, die mir mit dem Auto entgegen kamen: Hier spürte ich wieder, wie sehr solche "Beileidsbekundungen" die eigene Motivation steigern konnten, wenn sie nur zur rechten Zeit kamen. Bei großen Stadtmarathons habe ich mich durch den "Lärm" schon öfters gestört gefühlt, aber hier bedeuteten mir die Zurufe sehr, sehr viel. Ich war jetzt ganz in meinem Rhythmus: An die Kälte hatte ich mich gewöhnt, mein Stoffwechsel funktionierte reibungslos, die Muskulatur machte überhaupt keine Schwierigkeiten und auch die Fußsohlen waren in Ordnung. Durchhalten war nun die Parole, und: Nicht auf dumme Gedanken kommen! Dumme Gedanken waren z.B. Überlegungen, ob man den "Half way"-Marker nun übersehen hatte, oder ob er nicht doch hinter der nächsten oder übernächsten Kurve auftauchen würde. Ein solcher Gedanke war wie Opium für die erwartungsvolle Seele: Irgendwann wurde man schwach und glaubte diesen Mist selbst, obwohl einem irgendwie klar war, dass man den Marker definitiv nicht übersehen hatte. Aber es tat soooo gut! "Klar, den habe ich übersehen. Ich bin bestimmt schon viel weiter! So schnell wie ich heute unterwegs bin. Gleich kommt der Checkpoint etc." Wie gerne habe ich das geglaubt! Bis dann die Ernüchterung folgte und oft Stunden später - zu spät - das berühmt berüchtigte Schild auftauchte.

Aber auch mit diesem "logischen Schweinehund" lernte man irgendwie umzugehen. Ich hatte für die nächste Etappe auch keine besonders hohen Erwartungen: Ich wusste nämlich (fast) nichts mehr davon! Aus Carmacks raus, drei Kilometerchen oder so auf der Minenstraße, dann irgendwann runter zum Fluss, noch ein, zwei Kilometer am Ufer entlang, über den Fluss und dann war der Checkpoint McCabe Creek schon da. Das waren also die ersten drei und die letzten beiden Kilometer, an die ich mich erinnern konnte. Die 64 dazwischen hatte ich geflissentlich verdrängt - vielleicht schon ein Omen für den bevorstehenden Abbruch, der 2005 nur 15km nach McCabe Creek kommen sollte? Egal, jetzt war ich wieder hier und konnte mir die Strecke ja noch mal anschauen. Erstaunt stellte ich fest, dass die Kilometer auf der Straße mehr waren als erwartet (wie ich dem Roadbook mittlerweile entnommen habe sind es nicht drei, sondern fast 20...) - und vor allem steiler! Ich musste lauthals lachen, als Klaus mir am nächsten Abend erzählte, dass er irgendwann genervt anhielt und seine Pulka hochhob, um den Stein zu finden, der sich dort seiner Meinung nach verkeilt haben musste. Doch leider vergeblich: Der Schlitten war völlig intakt, er musste halt einfach mehr ziehen. Und genau die gleiche Feststellung machte ich auch, als ich meine Pulka untersuchte! Ich wüsste zu gerne, ob wir nicht beide unabhängig voneinander an genau der gleichen Stelle nach dem Phantomstein suchten, der unser Anhängsel so unfair abbremste.

Direkt warm war diese Nacht auch nicht: Ich war nun insgesamt schon 10 Tage unter diesen Bedingungen unterwegs und nie hatte mir die Kälte mental etwas ausgemacht. Doch irgendwo im Wald auf dieser nicht enden wollenden Bergbaustraße beschloss ich, dass ich einfach keine Lust mehr auf -30°C hatte. Ich fluchte ein paar Sekunden leise vor mich hin, bis wieder Platz für sachliche Argumente war: "Tom, das wusstest Du vorher. -30°C ist auch nicht so schlimm, es könnten ohne weiteres -40°C sein. Und übrigens: Im Umkreis von fünf Gehstunden gibt es hier keinen noch so winzigen Fleck, der auch nur ein bisschen wärmer wäre als diese Stelle hier im Wald. Also, was soll's?!" So bekam ich mein Tief schnell wieder in den Griff und marschierte weiter. Ich wollte nach McCabe Creek und dann schnell weiter: Ich wollte froh und munter an der Stelle vorbeilaufen, an der mich Murray beim letzten Mal abholte. Doch zunächst war mal wieder Matratzenhorchdienst angesagt: Im lichten Wald, nur ein paar Meter hinter dem Half way-Marker fand ich eine Stelle, von der aus ich Vollmond und Nordlichter sehen konnte. Natürlich nicht besonders lange, denn schon bald fielen mir die Augen zu. Und das wieder für ca. 6h.

Gegen Abend des 16. Februar war es dann so weit: Nach 24:10h hatte ich die zweite 69km-Etappe hinter mich gebracht. Tobi holte mich am Fluss ab und wies mir den Weg zum Checkpoint, der leider etwas spärlich markiert war. Es war toll zu sehen, wie er seinen vorzeitigen Ausstieg aus dem Rennen meisterte: Er begleitete das Feld mit seinem Mietwagen, half an den Checkpoints fleißig mit und unterstützte alle Beteiligten wo er nur konnte. Wo sich also andere ins Hotel verkrochen und mit ihrer eigenen "Niederlage" zu kämpfen hatten, genoss er das Renngeschehen und nahm so vielleicht sogar mehr mit als wenn er sich durchgekämpft hätte. So, wie ich ihn kenne wird er in den Yukon zurückkehren. Und dann hat er einen ganzen Sack voller Erfahrungen dabei, die ihm sicherlich nützen werden.

Klaus war diesmal der erste am Checkpoint und präsentierte uns stolz die Sporttaschen, die er von seinem "Sponsor" erhalten hatte. Dass es nur stinknormale Plastiktüten eines Sportgeschäfts in seiner Heimat waren interessierte ihn dabei nicht. So ist er halt, der Yukon Arctic Ultra: Hier werden alltägliche Dinge auf einmal sehr, sehr wertvoll. Wohingegen Geld eigentlich ziemlich wertlos wird - in dieser Gegend, in der es nichts zu kaufen gibt! Unbezahlbar war auch die tolle Betreuung des Checkpoints durch den Holländer Henk Sipers. Er hatte sich im Vorfeld bei mir über die Bedingungen erkundigt und ging sehr ambitioniert über die 100M an den Start. Leider wurde ihm erst zu spät klar, dass er hier nicht laufen konnte, sondern gehen musste. Für ihn als passionierten, erfahrenen und schnellen Läufer war das ein ernstes Problem. So ernst, dass er in Dog Grave Lake das Rennen beendete. Nun unterstützte er das Team bei der Betreuung der Checkpoints. Diese Unterstützung war auch dringend nötig, denn dadurch, dass Andrew allen anderen davonlief mussten teilweise vier Checkpoints gleichzeitig betreut werden und dafür war die " Personalstärke" zu gering. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit dem Ofen und der Stromversorgung in McCabe Creek machte Henk einen super Job und versorgte uns hervorragend.

 

Informationen: Yukon Arctic Ultra
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