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03.02.19 - Special Event

Mad Fox Ultra: Wenn Füchse es verdienen zu sterben

Autor: Joe Kelbel

Zum ersten Mal seit Josef Martin Bauer durch Sibirien marschierte („Soweit die Füße tragen“), wagen sich deutsche Ultraläufer in die Kälte der sibirischen Weite. Wir sind sieben erfahrene Füchse, die nach zwei Nächten in Moskau früh morgens durch die Kälte zum Bahnhof Yaroslavsky dackeln, um den Zug Richtung Wolga zu bekommen. Es ist die Strecke der Transsib. Würden wir weiter auf dieser Strecke fahren, dann kämen wir nach 3900 Kilometern in Krasnojarsk an, wo Helene Fischer geboren wurde. So grausam ist Russland.

Man will uns nicht einsteigen lassen. Schon die Visabeamtin in Frankfurt hat den Kopf geschüttelt, als ich sagte, wohin ich im russischen Winter fahren will. Unser Fahrschein ist in Deutsch geschrieben, für die Bahndamen nicht lesbar. Ossi Harald kann ausreichend russisch, Aschu war bei der Bundeswehr Ausbilder für Russisch, kann einige Brocken lesen. Wir dürfen einsteigen.

 

 
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Als der Läufer, gemeint ist der Teppich, im Wagon eingerollt wird, müssen wir die Schlappen anziehen, die wir im Fach vor uns zusammen mit einem Frühstück finden.  Dann werden wir gefragt, was wir zu Mittag essen wollen.  Ein Kosake, der englisch kann, hilft uns. Nach drei Stunden und 200 Kilometern Fahrt landen wir in Rostov Jaroslawski. Etwas deutscher nennt man die Stadt Rostow am Nerosee. Es ist nicht Rostow am Don, an das unsere Väter und Großväter schlechte Erinnerung haben.

Der Bahnsteig ist schlimm vereist, zwischen kilometerlangen Güterzügen laufen wir über die Gleise. Ich meine ein eingeritztes „Hauptmann Kelbel war hier“ an einem der alten Viehtransporter zu erkennen. Knöcheltief steht der schmutzige Schnee auf dem Bahnhofsvorplatz. Es gibt Taxis, die wollen uns aber nicht mitnehmen. Also dackeln wir zu Fuß Richtung Nerosee. Aschu und Reinhold  (ich glaube Uwe auch) haben Rollkoffer. Läufer, die Rollkoffer ziehen, sind peinlich, vor allem im russischen Winter oder in der Sahara. Gerno, Harald und ich sind da erfahrener. Mathias ist mit Dana weit draußen in der Taiga untergekommen. Der Weg zum Hotel ist beschwerlich. Die Häuser des Ortes verfallen, einige sind abgefackelt. Ich peile schon mal, wo man Bier kaufen kann.  Diese Locations nennt man hier Dixies.

Unser Hotel ist nicht abgefackelt, ein Hubwagen entfernt gerade den Schnee und die ellenlangen Eiszapfen vom Dach. Gleich hinunter zum Nerosee, der ist maximal 1,30 Meter tief.  Im November waren hier minus 22 Grad, er sollte also soweit durchgefroren sein, und 2500 Läufer tragen.  Eisangler sind mit Skiern unterwegs und fangen meterlange Hechte. Wir also für Fotos aufs Eis,  Harald gleich bis zur Hüfte eingebrochen. Im Hotel gibt’s Wifi, auf FB  teilen die Veranstalter mit, der Lauf führt dieses Jahr nicht über den See, zu gefährlich.

Die Veranstalter, die Running Hereos of Russia nennen den Veranstaltungsort Rostov Welikij, Росто́в Вели́кий  übersetzt Groß Rostow, so wurde es im 18. Jahrhundert genannt. Man bezieht sich also ausdrücklich auf die goldene Zeit Russlands. Der Ort ist zwischen den Schienen der Transib und dem Nerosee eingequetscht. Man veranstaltet viele Sommertrails unter dem Label Golden Ring. Der Goldene Ring ist eine kreisförmige Ansammlung altrussischer Städte nordöstlich von Moskau. Hier überragen noch immer die goldenen Glockentürme prächtiger Kathedralen die befestigten Städte, Kreml genannt. Weltkulturerbe. Seit dem Ende der Sowjetzeit dürfen Ausländer alle Städte des Goldenen Ringes besichtigen. Älteste Stadt im Goldenen Ring, und damit auch eine der ältesten Städte Russlands, ist eben dieses Rostov Jaroslawski.    

Man muss sich fragen, warum es im riesigen russischen Reich nur zwei Winter-Ultras gibt. Den ice onega und den Mad Fox Ultra. Der Lauf über den Baikalsee ist nur ein Marathon, der Northern Wanderer Ultra Trail fand nur einmal statt. Sind die klimatischen Verhältnisse so grausam? Die Wettervorhersage meint, es würden am Sonntag -6 bis -2 Grad, schwerer Schneefall ab Mittag. Wir sind happy, doch die Orga schreibt auf FB, bei diesen milden Temperaturen wären Erfrierungen wegen der Nässe wahrscheinlich und der von uns erträumte leichte Lauf über den See ist vom Katastrophenministerium verboten worden. Das heißt, wir müssen durch den Sumpf am Ufer entlang. Ein Russe sagt: „Was wir Russen gut können, bringt die Deutschen um!“ Dies ist zwar die fünfte Austragung, doch noch nie wurde über den See gelaufen, denn zwischen oberer und unterer Eisdecke fließt Wasser. Eine Ergebnisliste gibt es nur von 2017, von 2019 wird es eine gefakte geben, zu groß ist die Anzahl der DNFler bei diesem Rennen, und doch erreichen die Anmeldezahlen das  Limit. Russen denken anders, sie werfen sich wie die Lemminge freiwillig ins Verderben. Ja, das können sie gut!

 

 
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Startnummernausgabe, Start und Ziel sind in einer Ferienanlage 10 Kilometer westlich von Rostow. Aus dem Taxi erkennen wir unglaublich viele Autos, die auf der Autobahn geparkt sind. Alle Laufstrecken sind ausgebucht. Im kleinen Saal, wo die Startnummernausgabe ist, fühlen wir uns nicht wohl. Direkt von der Wolga kommt Olga, die mir erklärt, dass ich in den drop bag bei km 40 trockene Unterwäsche lagern solle. Das macht für mich keinen Sinn, denn diese Hochleistungswäsche bekomme ich nicht ohne Hilfe ausgezogen, und auf dem Eis rumhüpfen möchte ich auch nicht. Dann will sie meinen Ausweis sehen, der liegt im Hotel. Problem! Ab zur Chefin. Die sagt, ich solle mir vom Hotel eine Kopie auf´s Handy schicken lassen. Wie denn ohne Netz? Ich habe ein Foto meines Passes auf dem Handy und sogleich eine geile Finisherweste  in der Hand.

Russische Innenräume sind grundsätzlich überheizt, und jetzt in dem Gewusel gehen Trailläufernerven auf Grundeis. Gerno hat CEP heiß gemacht. CEP ist einer der Hauptsponsoren beim Mad Fox Ultra, sie ist Tochterfirma von medi aus Bayreuth und hat uns deutschen Pioniere klamottenmäßig ausgestattet. Foto vor dem Messestand von CEP,  danach wir panikmäßig raus aus der Bude.  Wir verzichten auf das englische briefing. Seit 16 Uhr sind 97 Läufer auf den 100 Meilen unterwegs, fünf davon werden finishen.

Weil unser Hotel von einer volltrunkenen Hochzeitsgesellschaft mit ausufernder Musik belagert wird, flüchten wir in eine urige Harley Davidson Kneipe, wo wir am improvisierten Katzentisch Platz finden. Die Stühle seien für die Damen.  Die erscheinen sogar, und was für welche! Offensichtlich sind sie auf Männerfang. Die Kellnerin ist eine Katastrophe! Als es ums Bezahlen geht, offenbart sich ihre Mathematikschwäche. Da sie kein Wort Englisch versteht, drückt sie mir 20 Minuten lang ihren Ausschnitt  ins Gesicht und bettelt: „Please, Please, Please!“ Alles wahr, alles wahr! Ich überlasse sie Gerno, der nochmal 10 Minuten mit ihr kämpft und dann aufgibt.

Beim Frühstück um 6:30 Uhr nur schlanke Läuferinnen. Gut, die laufen nur die 30 km und starten später. Taxi zum Startort, dropbag fürs Ziel und für Kilometer 40 abgeben. Da niemand von den Helfern Englisch kann, entfällt für uns die Kontrolle der  Pflichtausrüstung. Nur Mikhail Dolgoy, Chef von dem Unsinn hier, kann Englisch: „Please, please,please, never leave the path!“

Riesige Boxen hämmern scharfe Musik über die Köpfe der Starter, wir sind jetzt laufgeil. Keiner der Trailer erreicht annähernd unser Alter, alle sind unter 30, wir werden sicherlich AK Sieger.

 

 
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Mikhail klettert auf´s Starttor, hält ein grell rotes Signallicht über unsere Köpfe, dann wird der kalte Morgenhimmel von einem grandiosen Feuerwerk erhellt, aus dem glitzerndes Konfetti fällt und uns die Sicht nimmt. 500 Läufer fetzen los, wir sind gleich abgehängt. Ich freue mich, der Schnee ist griffig. Nach 100 Metern Stau, der Pfad beginnt.  Wir lachen, wir haben ja 12 Stunden Zeit. Niemand von uns glorreichen Sieben hätte geglaubt, dass unser Schicksal jetzt schon entschieden ist, denn auf den nächsten zwölf Kilometern gibt es keine Möglichkeit zum Überholen. Die letzten 350 Läufer werden nicht finishen. Nach 50 Metern rutsche ich das erste Mal aus und liege im Sumpf. Helfende Hände. „ Spasibo, Spasibo“ raune ich, raffe mich fluchend auf. Harald erwischt es schlimmer, er ist bis zu den Knien im Wasser. Ein Husky latscht mir ständig von hinten auf die Füße, ich lasse ihn vorbei, falle rücklings in den Schnee. Helfende Hände.  „Danke, danke“ schimpfe ich, jetzt auf Deutsch. Der trockene Schnee ist wie Sand, die Klettverschlüsse meiner Gamaschen greifen nicht mehr.

„Gamascha, Gamascha!“ ruft einer hinter mir, ich bücke mich, die Kolonne hinter mir rammt meinen Arsch. Ich an den Rand des Pfades, um die Gamaschen zu befestigen.  Zack, ein Idiot rempelt mich an und ich lande kopfüber in den scharfen Eiskristallen, unten dringt Wasser in meine Schuhe. Helfende Hände. Ich versuche jetzt zu überholen, um wieder warm zu werden, versuche Geschwindigkeit zu halten.  Aber jeder Versuch, den Pfad zu halten endet mit Schlamassel aus Schnee, Wasser, Erde, Lehm und Grasbollen. Gehe ich aus dem Weg, um andere vorbei zu lassen, haut man  mich um.

Was diesen Pfad ausmacht ist mit Worten und Fotos nicht zu beschreiben. Auf FB werden mir Leser schreiben, dass sie diesen Trail mal probieren möchten, das würde sie reizen. Bitte nicht! Immer und immer kommen Gedanken an den Winter ´42 auf. Die Schwarzweißbilder werden real.

Bis zu den Knien wandern Eisklumpen innerhalb der Hose hinauf. In den Schuhen habe ich keinen Platz mehr, da haben sich Gletscher gebildet.  Die Füße sind gefroren, funktionieren nicht, ich knicke ständig um. Der Kopf glüht, Schweißtropfen fallen auf die Jacke, die hart gefroren ist.

Zwar wurde der Pfad mit einem Schneemobil gekennzeichnet, aber nur optisch, die Füße brechen bei jedem Schritt 20 Zentimeter durch die Kristallsplitter. Als ich mir mal einen Blick in die Weite gönne, verschmelzen meine Augen im Schnee zwischen Himmel und Nebel, der Horizont ist ausgelöscht. Kältetränen rauben mir das Gleichgewicht.  Zack, ich lege mich wieder mal ab. Der Druck, in einer Schlachtreihe laufen zu müssen, bringt mich um, das Blut hämmert im Kopf, die Kälte im Rachen. Mir ist klar, dass ich nicht finishen werde.

 

 
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Nach vier Kilometern gelingt es mir, einigermaßen die Fußstapfen der Vorläufer zu treffen, doch wenn ich in den linken Fußabdruck mit dem rechten Fuß trete, haut es mich wieder um. Im Schilf verliere ich den Anschluss, der Läuferdruck hinter mir wird unerträglich.  Gut dass ich nicht verstehe, was hinter mir gesprochen wird. Vielleicht bin ich, die Staumauer, ein Lebensretter, denn von denen hinter mir wird niemand den Zielbogen durchlaufen. Mittlerweile sind an meinen Schuhen die Eisfelder so dick geworden, dass sie ständig aneinander stoßen. Die offenen Gamaschen behindern zusätzlich. Die Hosenbeine haben sich in ihrer Kältestarre nach oben gekrempelt, sodass ständig Schnee in meine vergletscherten Schuhe dringt. Eisangler mit ihren Bohrmaschinen auf der Schulter kommen mir entgegen.  Machen die auch Sport?

Ich möchte gerne was trinken, kann aber nicht anhalten, ohne mir den Zorn aller Russen auf mich zu ziehen. Bei Kilometer 6 gibt es Luft, ein VP mit Wasser und Tee. Nicht für uns, sondern für die 100 Meiler. Google hatte die Ausschreibung übersetzt: Es gäbe 4 VPs auf den 70 Kilometer.  Stimmt, wenn man Start und Ziel einrechnet. Also, bei Kilometer 20 und 44 gibt es Wasser und Tee, aber nur zum Direktverbrauch, nicht zum Auffüllen der Flaschen. Man will Russlands erster Qualilauf für den UTMB sein, und da die 500 Höhenmeter das nicht hergeben, gibt es halt keine Versorgung. Auf die Gesundheit des Läufers gibt man keinen Rubel.

Die weißen Schilffelder werden nun durch Wälder mit schneebedeckten Bäumen ersetzt, zwischen denen sich der Schnee unterschiedlich dick angesammelt hat. Der Pfad ist jetzt 10 Zentimeter breit und 20 tief. Büsche peitschen mir ins Gesicht, mein rechter Fuß schleift hinterher, die Sehnen lassen sich nicht mehr bewegen. Ich bin allein. Das ständige Meeresrauschen im Kopf stammt von den kilometerlangen Zügen in der Ferne, die Flüssiggas aus Sibirien transportieren. Die mentale Belastung kann ich mit meiner Erfahrung und Sturheit unterdrücken, und doch ist jetzt etwas ganz neu: Ich zähle zu den Verlierern und die Nähe zum Winter ´42 wird real. Andererseits möchte ich auch keine Menschen sehen, mir ist mein Leiden zu peinlich. Fitnessmäßig ist alles im grünen Bereich, ich habe ausreichend Nahrung und Getränke dabei, doch der Untergrund bringt mich um.  Ich will laufen, nicht abknicken und hinfallen. Kleine Bachläufe werden zu unlösbaren Aufgaben und doch habe ich die Hoffnung, dass dieser Scheiß endlich mal in eine Laufstrecke münden wird.

 

 
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Ein Läufer kommt mir mit winzigen, schnellen Trippelschritten entgegen. Er macht keine Anstalten, ein Ausweichmanöver zu starten. Er schaut nicht auf, er grüßt nicht, er ist nicht von dieser Welt, ein seelenloser Tanker in einem gnadenlosen Eismeer. Was für ein Arsch, denke ich und weiche in den Schmodder aus. Am Abend raffe ich, dass dies Anton, der Gewinner des 100 Meilen Laufes war. Es folgen noch vier weitere menschenleere, stiere Tanker ohne Leben, die aber erst im Ziel zusammenbrechen. Noch nie habe ich so hohle Zombie-Maschinen gesehen.  Es sind die einzigen der 97 Starter der 100 Meilen, die ankommen werden. Lange noch wabern die Bilder der Horrorgestalten in meinem Kopf, während ich durch das melancholische Grau der russischen Weite stapfe und über mein blödes Hobby fluche.

Nach 12 Kilometern und drei Stunden endlich laufbarer Untergrund. Auf dem Fluss sitzen Angler, fette Flussbarsche liegen auf Eis. Der Geruch von Blut steigt in meine Nase, es ist mein Blut. Als ich die verschneite Dorfstraße hinauflaufe, streuen Dörfler Asche vor meine Füße, heben aber nicht den Blick, um mich zu grüßen. Vier Matrjoschkas schwätzen auf der Straße, schauen mich nicht an, machen keine Gasse, ich bin uninteressant, ich bin ein Nichts. Und doch ist mir nach nur wenigen Tagen in Russland klar, dass ich jederzeit Hilfe erwarten kann. Abgesehen vom Winter ´42 geht mir das Lied von Dschinghis Khan durch den Kopf: „Moskau ist ein schönes Land, hahahaha!“ Definitiv werde ich nochmal zu einem Trail der Running Hereos in Russland  antreten, definitiv nicht mehr im Winter, definitiv nicht mehr dieses Ding hier!

Die folgenden acht Kilometer sind laufbar. Es sind die einzigen auf den 70 Kilometern, der Rest wird wie die ersten 12 Kilometer sein. Die schnellen 30km-Läufer kommen mir auf der mit schmutzigem Schnee bedeckten Straße entgegen. Kurze Hose,  super!

Imposant ist der hohe, seit der Sowjetzeit verfallenen Kirchturm und die Kneipe, vor der sich Läuferinnen reihen. Wenn Russen pinkeln, dann erkennt man das an der vom Borsch verursachten Farbe. So erkenne ich sofort, dass es Gerno war, der seine Initialien hinterlassen hat, Harald streut mehr. Ob mir jetzt der Lauf auf der hohen Militärstraße gefällt? Mir egal, ich robbe hier meine Kilometer ab, mehr nicht. Hirn aus! Und plötzlich auch aus mit der Straße. Ich bin bei Kilometer 20, meine Uhr zeigt fünf Stunden an. Absolut klar, dass ich niemals das Rennen in 12 Stunden beenden kann.

Die Entscheidung ob weiter, oder nicht, nehmen mir Gerno und Uwe ab, die mir wild winkend  entgegen kommen. Nie habe ich mich mehr über bekannte Gesichter gefreut, wie jetzt. Ich bin eine Stunde über kutov! Cut-Off? Hat mir niemand von erzählt.  Ich dürfe aber auf eigene Faust weiterlaufen, hätte dann aber keine Evakuierungsmöglichkeit mehr. Ich soll also ohne Verpflegung, ohne Evakuierungsmöglichkeit in der Weite Russlands krepieren?

 

 
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Es kommen mehr Läufer aus dem Gebüsch und steigen in den Bus, doch wir drei wollen endlich laufen und entscheiden uns, in 10 Kilometern auf die Autobahn abzubiegen. Mathias, Aschu, Harald und Reinhold sind schon auf eigene Verantwortung weiter gelaufen. Sie haben die gleichen Bedingungen wie bei den ersten 12 Kilometern vor sich, jetzt aber entlang einer Gaspipeline. Bei Kilometer 44, zwischen 9 und 10 Stunden Laufzeit werden sie aus dem Rennen genommen.

Gerno, Uwe und ich drehen um, wir wollen Kilometer machen, ohne unser Leben aufs Spiel zu setzen. Nach sechs Kilometern reihen wir uns in die 30 Kilometerläufer ein. 2200 sind angetreten, also mehr als das vorgegebene Limit. Sie wissen nicht, wie die letzten 12 Kilometer, die wir hergekommen sind, aussehen.  

Ein abgerobbtes Auto mit laufendem Motor steht quer. Zwei fette Männer machen kauend die Tür des mit Lebensmittelpackungen randvoll vermüllten Wagens auf: „Evacuation?“ murmelt der, der gerade einen kalten Hamburger verdrückt. Das habe ich jetzt gelernt: Jeder Russe kann das  Wort „Evacuation“ anwenden. Nein, wir wollen keine „Evacuation“, wir wollen zurück nach Rostow laufen. „Njet!“ - „Ho!“- „Njet!“- „Ho!“ Dann grinsen wir uns an, schlagen uns gegenseitig auf die Schultern.  Ich kaufe mir am Kiosk noch ein Finisherbier und ab geht es auf die Autobahn. Nach sieben Stunden und 37 Kilometern sind wir drei im Ziel.

 

 

Letztlich entscheidet jeder selbst, ob er zu diesem Lauf antreten will. Und sie treten in Massen an und scheren sich nicht darum, mit dem Bus ans Ziel transportiert zu werden.

Es gibt diesmal eine Ergebnisliste: Von 500 gemeldeten Läufern beim K70 sind 279 gestartet. Nur 26 Läufer sind innerhalb des Zeitlimits von 12 Stunden angekommen, 12 Läufer sind innerhalb von 13 Stunden ins Ziel gekommen. Wir sieben glorreichen Füchse  schaffen es noch nicht einmal in die Liste der DNFler.  Wir sind nie da gewesen, werden nie wiederkommen. Wir haben es verdient, gestorben zu sein.

Eines habe ich mit den Russen gemeinsam: Ich bin genauso stur und versoffen. Gorki-Joe kommt wieder!

 

 

 


 
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