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21.05.16 - Special Event

Cami de Cavalls: 185 km rund um Menorca

Noch eine Weile laufe ich am Ufer entlang, dann geht es ein Stück bergauf nach Es Castell. Die Sporthalle, in der die größte Verpflegungsstelle mit unseren Drop Bags, Dusch- und Schlafgelegenheit ist, liegt etwas abseits der Strecke. Ich ziehe trockene Klamotten an, esse Pasta und trinke genügend. Hier steigen viele Teilnehmer aus dem Rennen aus oder scheitern später am Zeitlimit um 03 Uhr. Ich fühle mich nach wie vor gut und habe mehr als genug Vorsprung zum Cut Off. 100 km sind nun geschafft, die streckenmäßig etwas leichteren 85 km liegen noch vor mir. 

Die Nacht geht mit vielen Wegen entlang der Steinmauern und durch viele Tore weiter, ab und zu auch auf Straßen im Landesinnern oder an der Küste durch Feriensiedlungen. Auch in der Nacht ist die Strecke außerordentlich leicht zu finden, sogar noch einfacher als am Tag, denn die in dichten Abständen angebrachten Reflektoren sieht man im Licht der Stirnlampe schon einige hundert Meter voraus. Außerdem hängen zusätzlich zur Wanderwegmarkierung in dichten Abständen Flatterbänder der Veranstalter sowie an kritischen Abzweigungen gelbe Hinweispfeile. 

Das nächtlich verschlafene Cala de Sant Estere, der wuchtige Wehrturm Torre d´Alcalfar in der Dunkelheit, das im Licht der Straßenlaternen wie ein Märchenschloss wirkende pittoreske Dorf Binibequer Veil, das tagsüber von Touristen überrannt wird, sind einige der schönste Momente, an die ich mich zu diesem Abschnitt erinnere. 

Gegen vier Uhr erkenne ich den ersten Lichtschimmer am Horizont. Ich war in meinem Leben schon oft in der Morgendämmerung unterwegs, aber noch nie hörte ich ein so lautes und vielstimmiges Vogelkonzert wie hier. Bei solch einem Sound kommt kein Gedanke an Müdigkeit auf, stattdessen fluten mich einfach nur große Glücksgefühle, hier und jetzt laufen zu dürfen. Ich könnte mit den Vögeln singen. Man müsste es aufnehmen! 

Nach wie vor bin ich über jeden Straßenkilometer froh. Ich glaube, es liegt nicht nur am Training, dass ich für meine Verhältnisse so gut vorankomme, sondern auch an der mittlerweile angesammelten Erfahrung. Ich weiß, wie ich meine Kräfte einteilen muss. Vor allem die Erkenntnis, jeden einigermaßen laufbaren Meter auch wirklich zu  Laufen und Gehpausen nur auf den ganz anspruchsvollen Trailabschnitten einzulegen,  bringt mich gut voran. Dann geht die Sonne auf und ich packe meine Lampe ein.  

 

 
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Kurz vor dem großen Ferienort Cala en Porter zweigt nach links der Weg zur Calascoves ab, in die unsere Strecke aber leider nicht führt. Diese traumhafte Bucht mit ihren alten Höhlengräbern, einer der schönsten Plätze der Insel, werde ich dann zwei Tage später in aller Ruhe erkunden. 

In Cala en Porter halte ich mich nur kurz an der Verpflegungsstelle auf. An jeder VP steht eine sehr große Tafel, auf der eine Übersichtskarte der Insel mit den Strecken und der erreichten Position zu sehen ist, das Höhenprofil, Angaben über den erreichten Kilometerstand und wie weit es bis zur nächsten VP und bis zum Ziel ist. 

Den Strand sehe ich in diesem Ort nur vom Aussichtspunkt, denn wir biegen kurz vorher in ein Tal ab. Nun durchquere ich eine landwirtschaftlich geprägte Gegend mit Obstbäumen, Felsen an den Berghängen und üppigem  Grün, eine Gegend zum „die Seele baumeln“ zu lassen. Dieser Teil der Insel bietet wieder ganz andere Eindrücke als die bisherige Strecke. Nach wie vor gibt es einige halbwegs flache Wege, dazwischen ein paar steile Auf- und Abstiege. Gelegentlich laufe ich auf sehr sonnigen, bequemen Wegen. Eine tolle Schlucht mit von Felsen umrahmtem Strand weit abseits der Zivilisation, wieder sonnige Höhen, es schon sehr warm. 

Inzwischen bin ich schon länger als 24 Stunden unterwegs, fühle mich aber noch immer gut. Klar, ich laufe nun langsamer als gestern, muss zwischendurch öfter gehen, aber das gestern verletzte Knie fühlt sich schon wieder halbwegs normal an und ich zweifle nicht daran, das Ziel zu erreichen. 

Einige Zeit später folge ich wieder der Steilküste und genieße den Blick auf das Meer. Bald erreiche ich den Touristenort Sant Tomàs. Zwischen Hotels und Meer laufe ich auf einem schönen Weg durch den Ort bis zur Verpflegungsstelle, wo ich Suppe und Pasta bekomme. Die Auswahl an den Verpflegungsstellen ist gut. Insgesamt werden auf die Strecke verteilt wohl alle Wünsche erfüllt, ab und zu gibt es sogar gekochte Kartoffeln, Pasta oder Pizzastücke, wer lieber ein Nutellabrot mag, kommt hier auch zum Zug. 

Auffallend oft werde ich, sobald ich mich auf einen Stuhl setze und den Rucksack ablege, gefragt, ob man mir etwas bringen oder meine Flaschen auffüllen soll. Auch die Fragen, wie es mir geht, wie mir die Strecke und die Insel gefällt, darf ich oft beantworten. „Alles super!“ Nachdem ich eine Weile gesessen bin, dauert es jedes Mal etwas, bis sich meine Beine wieder an die Bewegung gewöhnen. Die ersten hundert oder zweihundert Meter nach den Verpflegungsstellen humple ich jeweils mehr als dass ich marschiere oder laufe. Für die Touristen sieht das sicherlich lustig aus.  

Jetzt liegt „nur“ noch ein Marathon vor mir.  Vor zwanzig Jahren kamen mir schon 10 km sehr weit vor. Irgendwann bin ich dann meinen ersten Marathon gelaufen und war zu Recht sehr stolz darauf. Ich hätte ich mir aber nicht vorstellen können, dass ich einmal nonstop umgerechnet fast 4,5 Marathons auf teils schweren Trails laufen würde. Heute ist es pure Freude am Erlebten, was mich  vorwärts treibt. 

Auf sehr sandigem Weg marschiere ich entlang der Küste weiter, bis es durch einen wunderschönen Märchenwald geht. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich auf dem  CdC Schuh und Strümpfe „entsande“. 

Ich liebe diese schmalen Pfade durch üppige Vegetation und die sonnendurchfluteten Kiefern- und Pinienwälder. Es geht rauf, runter, rauf, runter und immer so weiter. Heutzutage trifft man auf dem Weg der Pferde nur noch selten auf Reiter, aber ab und zu kommen welche an mir vorbei. Auch Mountainbiker sind kaum welche unterwegs, dafür sehr viele Wanderer, manche mit riesengroßen Rucksäcken.  

 

 
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Schon von Start an begeistert mich die Strecke, doch nun folgt der schönste Abschnitt. Die von hohen Felsklippen und herrlichem Wald umrahmte Cala Mitjana mit ihrem feinen Sandstrand lädt zum Verweilen ein. Doch außer einem kurzen Fotostop halte ich mich auch hier nicht auf. Drei Tage später werde ich diese und die folgenden Buchten in aller Ruhe besichtigen.  

In Cala Galdana, einem der größten und schönsten Ferienzentren der Insel, werden wir Läufer auch von vielen Touristen angefeuert.  An der VP lerne ich Kiwi aus Berlin kennen, der fünf Stunden nach mir gestartet ist und das Ziel sehr lange vor mir erreichen wird. Auch er erzählt, dass er die Strecke unterschätzt hat. Zwei andere deutsche Starter stiegen bereits bei km 77 bzw. 100 aus dem Rennen. Ich selbst spüre inzwischen auch die Müdigkeit. Einsteins Relativitätstheorie muss durch eine Formel ergänzt werden, die Kilometerangaben, empfundene Streckenlänge und bereits gelaufene Zeit in Relation bringt. Immer wenn ich das Gefühl habe, bald die Distanz zur nächsten VP geschafft zu haben, zeigt ein Wegweiser, dass ich offensichtlich durch eine Raum-Zeit-Dehnung marschiere.  

Weiter geht es über wunderschöne Wege oberhalb der Küste, sonnige Pinienwälder und Blicke in die blauen Buchten.  Der Cami de Cavalls ist durchgängig sehr gut markiert. Viele Wegweiser mit Kilometerangaben zu den nächsten Zielen, ab und zu Infotafeln mit Gesamtübersicht und Wissenswertem, vor allem aber ein einzigartiges System von Markierungspfosten sorgen für die Sicherheit der Urlauber. Jeder dieser vielen hundert Pfosten trägt eine unterschiedliche Nummer, die man im Falle eines Problems telefonisch oder sogar über eine spezielle App den Rettungskräften übermitteln kann, die dsofort die exakte Position erkennen.  Bald erreiche ich bei der Cala Macarella die nächste Bucht , schön wie in einem Reisekatalog.  

Einige Zeit später wird die Strecke wieder ebener. Nun hoffe ich, wieder schneller laufen zu können. Irrtum! Zwar folgen wir nun ohne große Höhenunterschiede direkt den Klippen, auf einer Strecke, die mir in ausgeruhtem Zustand wieder sehr viel Lauffreude beim „Tanzen mit dem Trail“ bereiten würde. Aber hier ist der Boden erneut oft so scharfkantig, dass für mich nun Wandern statt Tanzen angesagt ist. Egal, ich werde trotzdem wohl sehr viel früher als erhofft zum Ziel kommen. 

Ich ändere meinen Plan, Ciutadella irgendwie bis spätestens 01 Uhr zu erreichen und  will stattdessen mal schauen, ob ich es vielleicht sogar bis Sonnenuntergang schaffen kann.  

Inzwischen überholen mich fast pausenlos die vielen Teilnehmer des 85 km und des 55 km Rennens. So wird es nie einsam um mich herum. Die 55er rasen in hohem Tempo an mir vorbei und bringen Leben auf die Strecke. Dafür nehme ich gerne in Kauf, dass ich auf den unebenen Pfaden oft die „Idealspur“ verlassen muss, manchmal auch stehen bleibe, um die anderen vorbei zu lassen. Ich selbst überhole jetzt nur noch die vielen Urlauber. Manche Läufer fragen mich, ob es mir gut geht, andere gratulieren mir, als sie mich anhand meiner Startnummer als 185er erkennen, der nun schon so weit gekommen ist. Das motiviert. Ich laufe nicht für Ruhm und Ehre, aber jetzt verleiht mit diese Anerkennung Kraft. Im normalen ist man als Ultrarunner eher ein Außenseiter, fast wie jemand, der sich ausschließlich von Essiggurken und Salzstangen ernährt.  

Schon von weitem sehe ich direkt am Sandstrand von Son Aura das Zelt der Verpflegungsstelle, doch bis ich es erreiche, muss ich mal wieder durch tiefen Sand eine Bucht umrunden.  

 

 
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Noch sind es 20 km bis zum Ziel. Wieder überwiegen entlang der Klippen sehr unbequemer Karstboden, aber nichts bremst meine Freude. Vor mir sehe ich in der Ferne den Leuchtturm beim Cap d`Artrux, neben dem sich die letzte Verpflegungsstelle befindet. Das letzte Stück zum Leuchtturm kann ich wieder schnell über Straßen laufen und überhole sogar wieder ein paar Läufer.  

Die Stimmung an der letzten VP ist sehr ausgelassen, denn wer es bis hier her geschafft hat, wird wahrscheinlich auch das Ziel erreichen. Entsprechend viele Leute gratulieren mir schon jetzt. Doch man darf die letzten knapp 13 km keinesfalls unterschätzen, denn sie sind noch einmal recht hart. Etwa 4,5 km davon führen mich noch einmal über ein fußquälend unebenes Karstplateau, auf dem ich nun wirklich nur noch gehe wie ein betrunkener Rentner. Eine flache Steinwüste, faszinierend in ihrer Kargheit, aber Ciutadella liegt scheinbar noch unendlich weit entfernt vor mir.  

Links kann ich die nur 45 km entfernte Nachbarinsel Mallorca im Dunst und Gegenlicht kaum erkennen. Ich weiß nicht, wie lange ich für diese 4,5 km brauche, aber es fühlt sich wie zwei Stunden an. Endlich kann ich auf Straßen durch Feriensiedlungen wieder laufen, zwischendurch hinab in die Cala Blanca und zwei weitere kleine Buchten steigen, dann führen wenig attraktive Straßen hinein nach Ciutadella. Schon lange bevor ich das Ziel erreiche, motivieren mich die deutlich hörbaren Lautsprecherstimmen. Auf den letzten paar hundert Metern ist die Freude, es tatsächlich sogar bei Tageslicht bis hier her geschafft zu haben, unbeschreiblich. 

 

 
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Nie hätte ich erwartet, dass ich fast fünf Stunden vor Zielschluss ankomme, mit 35:17:24 als  69. von 190 angemeldeten Teilnehmern (darunter nur 90 Finisher!)  Eine für mich überraschend gute Platzierung und 6 UTMB-Punkte sind die sportliche Seite. Vor allem aber zählt für mich das Erlebte, die Begeisterung, die ich 35 Stunden lang auf dieser wunderschönen Insel  empfand, die Vielfalt der Landschaft, die Geräusche in der Nacht, die Leute an den Verpflegungsstellen, die für mich ideale Mischung aus harten Trails und schnellen Straßen, ach, all die unendlich wertvollen Erlebnisse und Eindrücke, an die ich mich noch erinnern werde, wenn ich irgendwann im Schaukelstuhl sitze.   

Kommt zu dieser Insel, die es verdient hat, als Reiseziel für Wanderer und Trailrunner bekannter zu werden! Die 185 km sollten sich nur erfahrene Trailer vornehmen, aber man kann sich ja z.B. auch für ein Jahr eine Strecke an der Nord- und das andere Jahr an der Südküste vornehmen.

Die Prämie für den ersten Läufer, der es unter 20 Stunden schafft, verdient sich Antoine Guillon in 19:18:54, schnellste Frau ist Laia Diaz in 27:18:09. 

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