trailrunning.de

 
 
 

19.04.15 - Special Event

Eco Trail de Quarzazate: Rock the Kasbah

Autor: Joe Kelbel

Wenn ich „Wüste“ sage, dann ist das eigentlich nicht mehr zutreffend. Der Klimawandel hat die Sahara ergrünen lassen, die Bilder der 70er Jahre sind passé. Es gibt enorm viele Schuppenkriechtiere, so die offizielle Bezeichnung von alldem, was vor mir Reissaus nimmt und keine langen Haare hat. Die mit den langen Haaren nennt man hier liebevoll Gazelles, sie sind vor mir im Läuferfeld.  So auch Aziza Rajii, die kleine 46 kg- Läuferin aus Zagora und schnellste Marokkanerin der Welt. 

Die letzten Kilometer geht es am Fluss Asif Mellah entlang. Hier dringt aus dem kleinsten Überhang Wasser hervor, welches vom Hohen Atlas durch Felsspalten hierher  transportiert wurde. Frösche arbeiten für die Liebe in der kleinsten Pfütze. Algen, Planzen, und Menschen arbeiten auch, die Frauen bearbeiten die Pflanzen, die Männer die zahllosen Bewässerungskanäle, indem sie mit breiten Hacken den Schlamm so auftürmen, dass das Wasser in die gewünschte Richtung fliesst, oft über unseren Trail, dessen Verlauf uns alle 50 Meter von Ordnern angezeigt wird.

Wir sind in einer Höhe von 1300 Metern, es ist erfrischend kühl, für Dattelpalmen zu kühl.  Meine Schuhe sind klatschnass. Sandsäcke hat man ins Wasser geworfen, über sie hüpfe ich  ins Ziel. Es ist der schönste Zieleinlauf, den ich je erlebt habe. Mitten im Fluss auf einer Kieselinsel vor dem Bergdorf Ait Ben Haddou.

Über die Geschichte von Ait Ben Haddou (12-17.Jhrh) ist wenig bekannt. Der Ort liegt an der alten Karavanenstrasse Zagora-Timbuktu. Die Türme haben eigenartige Augen, die eine unheilabwehrende-Funktion haben. Für den Film „Jesus von Nazareth“ wurde die Bergstadt restauriert. Das Besondere ist, dass jedes Haus eine Wohnburg hat (Tighrems). Die vielen Türmchen verleihen dem Ort einen einzigartigen, wehrhaften Charakter. In den alten Städten hat man auf den Bau von Minarett-Türmen verzichtet.

Ansonsten ist hier absolute tote Hose. Die Händler versuchen mir verzweifelt irgendwelche Souveniers anzudrehen. Ich entdecke ein Restaurant, das eiskaltes Bier anbietet. Obwohl Ait Ben Haddou in jedem Reiseführer erwähnt wird, befindet sich der Ort immer noch in einem Extremschlaf. Die meisten Touris schaffen den Sandsack-Übergang über den Fluss nicht, begnügen sich mit Fotos aus der Ferne.

Da ich auf die letzten Läufer warten muss, setzte ich mich zu Hassan. Er spricht deutsch, kein Schuldeutsch, Verkäuferdeutsch.  Es spricht in Phrasen. Berber haben ein sehr gutes Gehör, ein sehr gutes Gedächnis.  Sie lernen nach ihrer Muttersprache zunächst arabisch, dann eventuell französich.

Marokko wird durch den Hohen Atlas in zwei Welten geteilt: Läufer aus Casa, Rabat oder Fez kommen nicht klar mit dem anderen Leben hier, der anderen Sprache. Auch das Arabisch ist hier im Süden ist nicht so dialektfrei, dass man sich fliesssend verständigen könnte.

Mit Bussen werden wir zum Al Baraka zurückgebracht, Mittagessen, Duschen, Swimmingpool, dann Weiterfahrt zur Oase Skoura. Die Gegend ist für sein Rosenwasser berühmt. Mädchen pflücken am Strassenrand die sich gerade öffnenden Büten.

Wir beziehen das Bivouk in der Oase. Ein Bivouk (Biwak) ist eine Zeltstadt, die längere Zeit bestehen bleibt.  Die kleinen Felder unter schattenspendenden Palmen und Olivenbäumen werden durch Erdwälle voneinander getrennt, dadurch ergeben sich kleine, erhöhte Wege, über die man wunderbar spazieren  und sich am üppigen Grün der winzigen Parzellen erfreuen kann.
Rachid feiert seinen MdS-Sieg und gibt Paletten von Keksen aus. Die harten Kekse mit den Mandeln innendrin sind mein Hit. Tanz. Lachen. Freundschaft. Marokko hat wegen der Teesucht den höchsten Verbrauch der Welt an Zucker. Rachid trommelt sehr gut auf den leeren Wasserkanistern. Es ist wie immer Wechselgesänge zwischen Männlein und Weiblein (so sie denn anwesend sind). Ein Lied lautet: „Warum sind meine Augen so verliebt in dich?“

 

2. Etappe 23 km

 

Ich kann  meine Augen nicht öffnen. Klar sind die verliebt, sogar mehrfach, aber ich habe mir ne fette Augenentzündung eingefangen. Typischer Etappenlauf-Fehler: Da stehen die kleinen Kinder am Strassenrand, wollen abgeklatscht werden und anschliessend reibst du dir den Schweiss aus den Augen. Dann ist Escherischia Coli drin, die Augen brennen wie Hölle und der Eiter vernebelt dir die Sicht.

Amridil ist für die nächsten Tage unser Basislager. Die Kasbah ist etwa 500 Meter entfernt, dort gibt es kein Bier, aber  einen traumhaften Innenhof, wo der Chef den Vervainetee, das Eisenkraut zupft. Eisenkraut gehört eigentlich in die Dopingliste. 

Die  Kasbah Amridil ist auf der 50 Driham Note zu sehen ist. Von unserem Biwak sind es 5 Minuten dorthin, wo wir starten werden.  Nie habe ich bei Etappenläufen so eine Disziplinlosigkeit erlebt. Normalerweise ist man hochkonzentriert, hier ist alles „Inshallah“, locker, leicht, unverbindlich. Hauptsache man lacht!

Wie gestern gilt der erste Start den Lorenziehern, dann erst flitzen die marokkanischen Läufer los. Die Genießer folgen dann irgendwann. Ohnehin gibt es nur für die jeweils ersten 5 Läufer eine Zeitmessung per Hand. Die meisten Läufer steigen in das Rennen ein oder aus, wann immer sie wollen. Der 11jährige Guillaume, den wir gerne auch Wilhelm rufen, fasziniert mich mit seinen Laufkünsten. Er läuft die 3 x 10 km und zieht mich jeden Tag bis zum ersten Kontrollpunkt.

 
© trailrunning.de 53 Bilder

Scoura ist eine enorm große Flussoase und sehr reich an Kasbahs. Viele verfallen, einige sind zu Hotels umgebaut. Die Laufstrecke ist schön schattig, dennoch muss ich kurz gehen. Die Augen suppen und mein Darm rebelliert.

Dann kommen wir auf das riesige Kiesbett des Oued (Wadi) El Hajaj, der hier auf den Oued Scoura trifft. Für die Läufermoral ein unglücklicher Umstand, denn die Kieselsteine sind nicht angenehm, die Sonne brennt und der Wind treibt kleinste Sandkörnen in meine triefenden Augen. Doch es sind nur noch wenige Meter bis zum Start/Zielbogen vor der Kasbah Amridil.

Der Teezupfer im kühlen Innenhof zupft immer noch, besorgt mir einen Mopedfahrer, der mich zur Apotheke zwecks Beschaffung von Augentropfen fährt. Auf dem Rückweg befindet sich pötzlich zwischen dem Hintern vom Mofafahrer und meinen Beinen ein Päckchen eiskaltes Bier, was mir unglaublichen Beifall  der zufällig im Dorf vagabundierenden Laufkonkurrenten einbringt.

Am Abend kommen einheimische Musiker, das laute Trommeln wiegt mich in den Schlaf. Unter die Planen des Zeltes kriecht der feine Staub, bildet Beton auf meinen Augenlidern.

 

3. Etappe 30 km

 

Jetzt müssen wir doch mal früh aufstehen, 7 Uhr ist Abfahrt! Inshallah. Also wird es dann doch 8 Uhr.

Eigentlich war als Startort die Oase Fint vorgesehen, aber hier ist Afrika, wir fahren in den Hohen Atlas. Aus einer Stunde Fahrt wird mehr. Die Busfahrer streiken. Ihnen gehören die Busse und sie möchten auf diesem Pfad nicht ihre Vehikel riskieren. Gemeinsam wird der platte Reifen gewechselt, viel diskutiert. Es ist Afrika!

Irgendwann kommen wir auf ein trostloses Plateau zwischen Tagragra und Inmin Wasif. Es wimmelt von Polizei. Wir sind alle sehr nervös, niemand weiss, wo wir uns befinden. Die Organisation drängt zum Start, es wird heute heiss werden. Wir sind alle ziemlich missmutig. Zu lange war die Herfahrt.

 
© trailrunning.de 50 Bilder

Meine Vermutung: Wir sind oberhalb der Dadèschlucht. Als wir mit Höllenspeed  aus einer Höhe von 1800 Metern ins Tal laufen, tränen wieder meine Augen. Aber jetzt wegen absolutem Augenschmaus. Hier gibt es keinen Tourismus, keine Strasse führt hierher, die Lehmburgen sind zerfallen und erinnern an den Sandkasten des Kindergartens um 18 Uhr, nachdem ich durchgetrampelt bin. Die Vegetation des Tales erinnert an einen fetten Salat mit zartem Koriander.  Der 11 jährige „Wilhelm“ versägt mich wieder, hat aber auch, so wie ich, einen Riesen Spaß. Ich muss ihn ziehen lassen.

Auf der Djebel Sarhro- Kette liegt noch fetter Schnee, ein Esel versperrt mit seiner Leine unsere Laufstrecke. Es ist ein traumhafter Lauf in einer der abgelegensten Gegenden der Welt. Es gibt zwar schon Stromleitungen, die sind aber nicht angeschlossen.

Nach 10 km gelangen wir auf das Wüstenplateau, hier führt ein Pfad in kleinen Kurven (warum eigentlich?)  durch eine Steinlandschaft, deren Ende nicht abzusehen ist. Mental schwierig, läuferisch lässt man einfach seine Maschine laufen. Meine Maschine überholt jetzt Läufer für Läufer. Ich bin Langstreckler und kann mich jetzt endlich austoben.

Namenlose Kasbahs über milchig glitzerndem Gebirgswasser. Frauen, die Wäsche waschen, Kinder die gelangweilt im Sand spielen. Eine Wegemarkierung gibt es kaum auf diesem Trail, die menschlichen Wegweiser sind preiswerter als Farbe. Manch einer bietet mir ein gefülltes, fettes Fladenbrot an, Kinder reichen Blumen, Frauen lachen sich kaputt. Viel Zeit verbringe ich mit kurzen Gesprächen. Kaum jemand spricht französisch, aber es macht mir Spass, meine berberischen Phrasen anzubringen: „ Lächerlik“ beispielsweise heisst „Entschuldigung, bitte“. Bisaha und Bismillah ( siehe Song von Fredy Mercury, Bohemian Rhapsody), wahid, juj, tlata, Hauptsache, es wird gelacht. Ich weiß nicht, was man von mir denkt, aber man schlägt mir auf die Schulter, drückt mir immer wieder emotional die Hände, die ich nicht mehr an meine Augen lasse.

Rachid empfängt mich vor dem Startbogen, nimmt mich an die Hand, reicht mir wie jeden Tag ein warmes Zielgetränk. Das tut gut, auch wenn es kalt besser wäre. Ich gehöre zu den Spitzenläufern der Wüste.  Eine traumhafte Urlaubswoche geht zu Ende. Es waren sehr erholsame 6 Tage, ohne Stress, ohne prämarathonale Aufregung.

 
© trailrunning.de 16 Bilder

Die ganz große, emotionale Siegerehrung ist in der Kasbah mit der Kanone in Ourzazate. Den angebotenen Shuttlebus nach Marrakesch am Morgen lasse ich sausen, aale mich noch Stunden im leichten Regen im Swimmingpool des Ibis Hotels, bis mich der CTM Bus am Nachmittag über den Hohen Atlas zurück in die Zivilisation bringt.

6 Tage, Vollpension, Lauf über drei Etappen, alle Übernachtungen, Transfer nach Mara, Tourismusprogramm, gute Laufverpflegung: 500 Euro ab Ouarzazate. Royal Air Maroc fliegt ab Casa (120 € ) nach Ourzazate, ich bevorzuge immer noch die Busfahrt (8,50 Euro) über den Hohen Atlas. Ryan Air nach Mara kostet 29 - 120 Euro. Es ist ein Urlaubslauf, für uns kein Wettkampf. Schön, exotisch, bequem.

Als ich vor Jahren den Hohen Altas das erste Mal überquerte, habe ich mir geschworen: Hier werde ich loslaufen!  Zweimal bin ich hier oben angetreten, zweimal habe ich nicht gefinisht. In vier Wochen versuche ich es erneut. 285 km, 14000 Hm, und das auf einer Laufhöhe von bis zu 3500 Metern. Trans Atlas Marathon. Wie sagte der Veranstalter Mohamad Ahansal:
„ Aber Bitte mehr Training!“

12
 


 
Zurück zur Übersicht
 
 
 
 
 

Kontakt

Trailrunning.de
Klaus Duwe
Buchenweg 49
76532 Baden-Baden

07221 65485

07221 801621

office@trailrunning.de