trailrunning.de

 
 
 

01.08.20 - Special Event

Sturm auf die Zugspitze

Wieder einmal will ich mir einen langgehegten Wunsch erfüllen bzw. erlaufen. Ziel ist der Gipfel der Zugspitze. Mit 2.973 m höchster Berg Deutschlands – Top of Germany. Ich will schon lange einmal auf den Gipfel laufen. 2009 wollte ich den Zugspitz-Extremberglauf (Halbmarathon) von Ehrwald (Österreich) in Angriff nehmen. Doch aufgrund von 65 cm Neuschnee wurde der Lauf kurzerhand auf eine Alm umgeleitet. War auch schön, aber eben nicht der Gipfel.

Durch Frank Albrechts Laufbericht auf trailrunning.de über den Zugspitz-Gipfelsturm 2019 wurde ich auf den Lauf aufmerksam. Da machst Du mit hab ich mir gedacht und mich spontan um eine Teilnahme beworben. Es ist ein sogenannter Guerilla Run, kein offizielles Rennen. Der Lauf wird von Michael Raab, Laufcoaches München,  organisiert. Er ist allerdings kein Veranstalter im herkömmlichen Sinne, sondern Organisator. Der Lauf ist ein individuelles Lauferlebnis in Eigenverantwortung. Auf der Website von Laufcoaches heißt es: „... ein geselliges Zusammenkommen von laufbegeisterten Menschen, unterstützt durch Service-Leistungen von Laufcoaches.com.“

30 Laufbegeisterte dürfen maximal mitlaufen. Ich bin dabei. Allerdings laufe ich nicht den langen Kanten. Der geht über 117 Km mit 3.500 Hm vom Isartor in München auf den Gipfel. Angesichts meines Bergischen Hunderter von Vatertag reicht mir die „Kurzstrecke" über 45 Km mit 2.900 Hm von Ohlstadt zur Zugspitze.
Start ist am Samstag, den 01. August um 6 Uhr an der Bäckerei in Ohlstadt. Ich nehme Quartier in Garmisch-Partenkirchen (GAP). Am Vorabend bereite ich mich im Biergarten am Mohrenplatz mental auf den Lauf vor. Man läuft ja nicht alle Tage auf die Zugspitze. Ein Helles muss sein. Auf Schweinsbraten oder Haxe verzichte ich schweren Herzens.  

Von GAP fahre ich mit der Bahn morgens um 5 Uhr nach Ohlstadt. Vom Bahnhof gehe ich zur Bäckerei. Ich gebe zu, ich bin heute aufgeregt und habe Respekt vor dem Lauf. Weniger vor den 45 Km, auch nicht so sehr vor den 2.900 Hm. Nein, es ist der Schlußanstieg über den Grat hinauf zum Gipfel.


 
© trailrunning.de 4 Bilder


Auf gehts


Aber: Die Freude überwiegt und ich kann den Start kaum erwarten. Mit mir warten rund ein Dutzend Läufer an der Bäckerei. Wir nutzen die Wartezeit zu einem Kennenlernen. Ich erfahre, dass einige bereits von München aus dabei sind. Michael gibt letzte Informationen – und los gehts. Es ist 5.52 Uhr und das Abenteuer beginnt. Wahnsinn!

Beim Start haben wir bereits 17 Grad. Das wird wieder eine Hitzeschlacht. Umso mehr gilt es, Körner zu sparen. Wunderschön ist es so ungezwungen Richtung Zugspitze zu laufen. Ich fühle mich ein wenig wie bei meinem Bergischen Hunderter. Nur laufe ich diesmal nicht alleine. Es ist jedoch kein Rennen mit Stoppuhr, es geht nicht um Ergebnisse. Uns erwartet ein exklusives Lauf- und Bergerlebnis.
Ich denke daran, dass die Tour auf die Zugspitze von GAP bis zum Gipfel in einem Wanderführer als zweitägige Wanderung ausgewiesen wird. Und wir laufen noch von Ohlstadt an! Da ist für mich ruhiges Laufen angesagt.

Aus dem Ort heraus läuft Michael noch mit uns und bringt uns auf den Weg. Bald setzen sich die 117er vorne ab. Ich komme mit einigen Mitläufern ins Gespräch. So erfahre ich, dass Manfred aus Kirchberg zum einen 65 Jahre alt ist, ich bin somit der Zweitälteste, und zum Anderen einen tollen Trail über mehr als 50 Km mit mehr als 5.000 Hm organisiert.

Zuerst führt uns die Strecke über einen breiten Forstweg. Bei den ersten Steigungen gehe ich und hänge bald etwas hinten an. Bei einem Abzweig hinein in den Wald beraten meine Vorläufer über den Streckenverlauf und ich bin wieder dran. Wunderschön ist es im Wald zu laufen. Ein herrlicher schmaler Weg nimmt uns auf. Schade, dass dieser Abschnitt nur kurz ist.


 
© trailrunning.de 12 Bilder

 

Ziel im Blick


Wir kommen an den Rand von Eschenlohe. Hinter einer Brücke geht es links ab und auf einem Damm weiter. Wir laufen ein Stück durch den Ort. Heraus aus dem Ort bietet sich uns ein erster Blick aufs Ziel – die Zugspitze. Noch weit weg.
Vor uns liegt ein See. Eingebettet ist er in sumpfiges Gelände. Es folgen mehrere Seen und Bäche. Wir kommen an den Sieben Quellen vorbei, eine breite Schuttfächer wird durchlaufen.

Nach etwa 11 Km taucht Michael mit dem Tourbus auf. Verpflegung ist angesagt. Alle machen Pause. Ich trinke ein erstes Bleifreies aus der Dose und bewundere die fitten 117er. Michael gibt Tipps für den nächsten Abschnitt und gemeinsam geht es weiter.

Wir kommen an einen Golfplatz und laufen an dessen Rand über gepflegtes Grün. Es ist noch kein Golfspieler auf dem Platz und wir können ohne Lebensgefahr laufen. Ein Greenkeeper ist schon bei der Arbeit und wundert sich über die merkwürdigen Gestalten, die so früh über den Platz eilen. Am Ende des Platzes müssen wir durch einen Zaun aus Stacheldraht.

Der Weg bis nach GAP ist wunderschön zu laufen. Es geht  Auf und Ab, aber alles noch Vorgeplänkel auf das, was noch kommen wird. Dafür dürfen wir einen Blick ins Paradies werfen – so verspricht es eine Hinweistafel an einem Baum.


 
© trailrunning.de 23 Bilder

 

Philosophenweg


Auf der Höhe von Farchant wird es philosophisch. Wir laufen nach gut 17 Km auf dem Philosophenweg bis GAP. Es begegnen uns etliche bekannte Größen der Philosophie. Ich nehme nur einige der auf den grünen Bänken am Weg mit einer Inschrift geehrten Philosophen wahr: Kant, Hegel, Cicero ...  Für die Sprüche habe ich allerdings keinen Sinn heute.

Da erregt ein einsamer Läufer schon mehr meine Aufmerksamkeit. Er läuft mit nacktem Oberkörper direttissima einen Skihang hinauf durchs feuchte Gras. Auch nicht schlecht. Für mich fesselnd ist der Blick auf das Zugspitzmassiv im Licht der aufgehenden Sonne. Ich kann mich kaum losreißen.

Wir nähern uns GAP. Das Schützenhaus wird erreicht. Die Talstation der Wankbahn liegt wenige Meter links der Strecke. Bis Sankt Anton laufen wir oberhalb der Häuser von Partenkirchen. Hier verlassen wir den Höhenweg und es geht in den Ort hinein und geradewegs zum Bahnhof. An einer Kreuzung am Rathaus steht eine blaue Lokomotive der Bayerischen Zugspitzbahn.

Und vor dem Bahnhof steht der Tourbus. Die flotten 117er sitzen bereits und lassen sich die Verpflegung schmecken. Ich genieße die zweite bleifreie Dose. Im Tourbus konnte Gepäck für den nun folgenden Gipfelsturm mitgegeben werden. Es werden fleißig Schuhe gewechselt, Stöcke und anderes aufgenommen. Ich habe alles schon seit Ohlstadt dabei im Rucksack. Der ist auch entsprechend schwer.


 
© trailrunning.de 19 Bilder

 

Halbzeit


Doris kommt zum Pausentreff und ich erhalte mentale Unterstützung. Angesichts der Anforderungen auf der nun folgenden zweiten Hälfte des Laufes kann ich diese gut gebrauchen. Michael hat sich auf die Laufsachen angezogen, schließt den Tourbus ab und nach letzten Infos verlassen wir den Bahnhof.

Entlang der Loisach und über einen Geologielehrpfad laufen wir zum Olympia-Skistadion. Die Schanze ist schon gewaltig. Von da oben werde ich nie und nimmer runter springen, für kein Geld der Welt. Lieber laufe ich weiter Richtung Partnachklamm.

Allerdings ist vor der Kasse ein Stau. Michael läuft mit den anderen über den Eisernen Steg um die Klamm herum und kommt am Ende der Klamm wieder zur Laufstrecke. Ich entscheide mich dafür, durch die Klamm zu laufen. Ich will mir das Lauferlebnis nicht nehmen lassen. Auf höfliche Bitte lassen mich die Einlaßbegehrenden durch, ich zahle Eintritt und schon bin ich im nassen Reich der Partnach.

Absolut überwältigend. Ich war zwar schon mehrfach in der Klamm, bin aber immer wieder aufs Neue begeistert, wie sich die Partnach im Laufe unzähliger Jahre in den Fels eingeschnitten hat. Die Kräfte der Natur und die Gewalt des Wassers so hautnah erleben zu können, ist immer wieder überwältigend. Das Laufen in der Klamm hält sich in Grenzen. Es ist rutschig und es sind viele Menschen unterwegs. Über den teilweise in den Fels gesprengten Weg passiere ich die Klamm unter dem Getöse der wild dahinströmenden Partnach. Was für eine Ruhe!

 

Öder Schotter


Ich mache gerade Fotos, als Michael und die anderen auftauchen. Gemeinsam gehen wir den weiteren Weg an. Die Strecke führt entlang der Partnach. Ein breiter Schotterweg nimmt uns auf. Kein Höhepunkt, bringt uns aber dem Ziel Schritt für Schritt näher. Und das in steter Steigung voll in der Sonne. Und die glüht von oben herab. Ich unterhalte mich mit Michael, das lässt das öde Schotterstück etwas schneller vorbei gehen.   

An einer Kehre des breiten Schotterweges nach rechts hinauf laufen wir weiter geradeaus. Ein schöner Trail durch den Wald folgt, aber am Ende steil ansteigend. Ich lasse die anderen ziehen und stapfe langsam aufwärts. Schön ist es hier. Unter mir fließt die wild dahinströmende Partnach, der Wald spendet hochwillkommenen Schatten und ich  komme voran.

Plötzlich stößt der Trail wieder auf eine breite Schotterpiste. Nach wenigen hundert Metern stehen rechts leere Bierfässer gestapelt am Rand, ein Hinweis darauf, dass wir uns der Bockhütte nähern. Der breite Fahrweg ist zu Ende.

Links ist die tief in die Felsen eingeschnittene Partnach zu sehen. Ganz schön eng. Eine Brücke ist zu überlaufen. Der Weg führt teilweise direkt neben Bergbach entlang. Herrlich, wenn nur die Hitze nicht wäre. Ich sehne die Bockhütte herbei und das damit verbundene kühle Bleifreie. Endlich kommt ein Schild: Noch 5 Minuten zur Bockhütte.


 
© trailrunning.de 25 Bilder

 

Bockhütte


Wir sind mittlerweile über 1.000 m Höhe. Ich überquere die Partnach, vorbei am Abzweig ins Oberreintal und herauf zum Schachen. Eines der Schlösser des Märchenkönigs Ludwig II. Es ist nicht so monumental wie Neuschwanstein, eher ein Schlösschen. Aber das Schachenhaus ist eine Wanderung wert. Sehenswert sind der Türkische Saal und der Alpenblumengarten. Aber ich war ja schon einmal oben.

So bleibe ich heute im Tal und laufe weiter Richtung Talende, nunmehr auf dem E4, dem Europäischen Fernwanderweg 4, der vom Schachen herunterführt. Vor mir liegt auf 1.050 m die Bockhütte. Stärkung ist angesagt. Die anderen sitzen bereits unter einem Sonnenschirm im Schatten. Ich hole mir ein kühles Bleifreies und setze mich dazu.

Angesichts meiner schwindenden Kräfte laufe ich vor den anderen los. Zunächst verläuft der Weg entlang der Partnach. Ich kann einiges auch gut laufen, gehe aber die Steigungen.

Vorbei geht es an den Quellen bei den sieben Sprüngen. Es folgt die ehemalige Blaue Gumpe. Im kristallklaren Wasser spiegelte sich die umgebende Bergwelt, es war wunderschön – bis ein Felssturz das Gewässer überdeckte. Jammerschade, aber so ist eben die Natur.

 

 
© trailrunning.de 13 Bilder

 

Reintalangerhütte


Das Tal verengt sich zunehmend, es geht stetig bergauf. Hinter einer Geländestufe mit einem Wasserfall liegt auf einem flachen Bereich die Reintalangerhütte, 1.369 m. Ich raste und stärke mich. Die anderen kommen direkt hinter mir. Der Bereich um die Reintalangerhütte wird auch als Partnach-Lido (Strand) bezeichnet. Hier könnte ich schön verweilen, zum Ursprung der Partnach in der Nähe wandern, lecker essen und etwas kühles trinken ... Ich widerstehe der Versuchung, wieder laufe ich vor den anderen weiter.

Der nun folgende steile Aufstieg zur Knorrhütte auf über 2.000 m Höhe ist mir von Wanderungen wohlbekannt. Ich lasse es langsam angehen und gehe Schritt für Schritt, Serpentine für Serpentine, den mit Schotter und kleinen Felsen bedeckten Weg hinauf. Will das denn überhaupt kein Ende nehmen?

Endlich ist der Bereich der Latschenkiefern erreicht. Bis zur Knorrhütte ist es aber noch ein Stück. Es ist mittlerweile 14 Uhr. Ich muss der sengenden Sonne Tribut zollen, meine Kräfte neigen sich dem Ende entgegen. Ich setze mich auf einen Stein in den Schatten. Die 117er ziehen an mir vorbei. Ich bin voller Respekt vor dieser Leistung. Sie sind seit Freitag 20 Uhr unterwegs, sind bereits mehr als 100 Km gelaufen und dabei schon mehr als 1.000 Hm bewältigt. Respekt!


 
© trailrunning.de 19 Bilder


Bitterer Entschluß


Auch Michael zieht an mir vorbei. Ich teile ihm meinen bitteren Entschluss mit, nicht über den Südwestgrat zum Gipfel zu steigen. Ich will vielmehr in Sonnalpin die Bahn zum Gipfel nehmen. Ich ziehe den Rucksack wieder an und steige weiter. Allerdings muss ich schon nach wenigen Metern die nächste Pause machen. Noch ein kurzes Stück und eine weitere Pause später steht meine finale Entscheidung fest: Das war‘s. Der Gipfel ist für mich heute unerreichbar. Auch Sonnalpin auf 2.600 m Höhe kann ich nicht mehr rechtzeitig bis zur letzten Bahn erreichen.

Ich tue das einzig Richtige und steige ab. Nach gut 41 Km und mehr als 1.200 Hm ist dies bitter. Aber ich habe keine Chance mehr. Bis zur Knorrhütte müsste ich noch gut 500 hm aufsteigen, dann nochmals über 500 hm bis Sonnalpin. Illusorisch, nicht zu schaffen.

Ich treffe auf dem Schuttanstieg auf weitere 45er. Zwei wollen weiter nach oben. Peter und Karl schließen sich mir an und gemeinsam steigen wir ab zur Reintalangerhütte. Hier rasten wir und lassen uns was Kühles schmecken. Nach ausgiebiger Pause ziehen wir weiter abwärts zur Bockhütte. Ich laufe den größten Teil der 5 Km bis zur Bockhütte.

An der Bockhütte mache ich Pause und trinke noch ein Bleifreies. Peter will so schnell wie möglich nach GAP und läuft durch. Karl will noch etwas trinken. Ich will angesichts der dunklen Wolken am Talende nach Hause, trinke mein Bier aus und laufe allein weiter. Der Weg zieht sich. Da ich nicht durch die Partnachklamm zurücklaufen kann (Einbahnstraße bzw. Einbahnklamm) biege ich ab Richtung Partnachalm. Dabei muss ich noch mehrere Anstiege in Kauf nehmen. Die Anstiege gehe ich, der Rest wird gelaufen.


Finale


Vor dem  Olympia-Skistadion stoße ich auf den Weg der in die Partnachklamm hinein führt. Seit geraumer Zeit fällt aus den dunklen Wolken Regen und es donnert. Allerdings nicht direkt über mir, so laufe ich bis zum Ortszentrum und lasse den Abend bei Pfifferlingen und Semmelknödeln ausklingen.

Den kulinarischen Abschluss meines vergeblichen Gipfelsturmversuchs bieten mir am Sonntag das Eis von Haller in Mittenwald und der weltbeste Krustenbraten in den Steirer Stubn in Krün.

Und auf die Zugspitze laufe ich noch – irgendwann einmal.

 

 
© trailrunning.de 5 Bilder


Fazit


Absolut faszinierender Lauf in hochalpinem Gelände. Eine Genussquälerei für jeden ambitionierten Freund des Berglaufs. Hart, aber machbar – für gut trainierte und erfahrene Bergläufer. Die Idee des Guerilla Runs hat mir sehr gefallen. Ist mein Ding, danke Michael.

In diesem Jahr haben es eine Läuferin und 5 Läufer auf den Gipfel geschafft:
Katrin Grieger, Matthias Grieger, Andreas Brittain, Patrick Conradi, Peter Schweda und Torsten Reichelt sind vom Isartor in München auf Deutschlands höchsten Berg gelaufen. 117 Km, 3.500 Hm, in einem Stück.

Gratulation zu dieser Leistung!

 

Weitere Informationen

 


 
Zurück zur Übersicht
 
 
 
 
 

Kontakt

Trailrunning.de
Klaus Duwe
Buchenweg 49
76532 Baden-Baden

07221 65485

07221 801621

office@trailrunning.de