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28.05.22 - Special Event

Transylvania Ultratrail: Sehnsucht nach Dracula

Den kennen sie doch alle. Fürst, Vampir, ein ewig Untoter, lechzt nach Frischblut…Alles wegen Bram Stokers Geschichte. Ein literarisch-filmischer Dauerbrenner, der an unsere tief sitzenden Ängste rührt. Und hier, in Transsilvanien, in der Burg Bran, soll alles stattgefunden haben. Tja, so langsam verwischen sich Realität und Fiktion. Graf Dracul, Vlad Tepes, tatsächliche historische Berühmtheiten, sie waren hier. Und moderne Filmteams auch, Filmset-Tourismus und Heimatkund und nun auch noch ein Traillauf – mit mir mitten drin.

Schloß Bran ist der Mittelpunkt von allem. Am Fuße des Burghügels, im Park, sind Start und Ziel aufgebaut. Nebenan in einer Halle die Startnummernausgabe, im kleinen Ort alles Übrige. Hier treffen sich Läufer, die die Wildheit lieben, die in einmaliger, wirklich wilder Natur unterwegs sein möchten, die noch eher unerschlossene Gegenden erkunden möchten. Wild ist das hier. Kilometer- und stundenlang hört und sieht man keine Menschen. Dafür können unerwartete Begegnungen mit Braunbären und Wölfen passieren…

Eine umständliche Selbstorganisation erspare ich mir. Nur den Flug suche ich passend aus, alles andere übernimmt Sommerkind, ein Laufreise-Veranstalter mit guter Ortskenntnis. So hat man den Kopf frei fürs Wesentliche. Und gut betreut werden, so richtig gut, meine ich, ist doch auch mal schön, vorher und danach. Transport- Unterkunft- Futter: diese Kleinigkeiten sind manchmal kompliziert und auch nicht immer online zu regeln. Also hab ich‘s mir einfach gemacht und es nicht bereut!

Der Veranstalter hält jeden Teilnehmer zeitnah mit emails auf dem aktuellen Stand. Last-minute-Änderungen, Wetter usw. werden klar gemacht, dass auch jeder wirklich sich adäquat vorbereiten kann. Denn vor Ort kann man seine Ausrüstung nicht ergänzen.

 

 
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Bukarest ist ja gar nicht so weit weg, 2 h Flug. Tolle Stadt. Warm und quirlig mit viel Sehenswertem. Ein kleiner Citylauf am Vormittag durch den alten Stadtkern stimmt uns - das sind 5 Läufer/innen und Guide Holger - auf das Land und auf uns untereinander ein. Lecker und preiswert essen kann man auch. Nach 3 Stunden Autofahrt nach Bran kennen wir uns schon recht gut, letzte Details klären wir beim Essen und Trinken. Untergebracht in einem vorbildlichen Guesthouse bleibt kein Wunsch offen. Wir müssen nur noch laufen…

Dieses Mal findet beim Startnummernabholen keine Ausrüstungskontrolle statt. Es gibt eine Liste wie beim UTMB; Kontrollen unterwegs sollen es richten. Aber bitte: jedes Utensil kann lebensnotwendig werden! Es ist Mai; oben hat es Schnee, frischer kann jederzeit fallen. Das Wetter kann kippen, von heißer Sonne bis zur Weltuntergangs-Sintflut kann alles passieren. Es ist irgendwie besser, wenn man da nicht kalt erwischt wird. Und auch dieses Jahr kam es, wie es eben manchmal so kommt: Streckenabbruch wegen Gewitter!

 

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Impressionen von Sven Baer

 

 
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Es wiegt schwer auf dem Buckel, fühlt sich aber gut an, alles dabei zu haben. Gute Ausrüstungsqualität muss hier sein! Am besten, man kann auch damit umgehen! Für mich das Wichtigste: sehr, sehr gute Trailschuhe (die rumänischen Kollegen hatten alle was von LaSportiva); dann Stöcke – es geht nicht ohne! Und richtiger Regenschutz, vielleicht sogar auch ein Biwaksack. Alles andere haben wir ja sowieso. Ach ja – für den Schnee noch Spikes! Ist lausig steil da oben!

Verschiedene Distanzen: 20-30-50-80-100km gibt es. Die Strecken sind richtig gut markiert. Flatterband rot-gelb. In regelmäßigem Abstand. Manchmal sogar auf Wegen. Das wären dann die einigermaßen bequemen Teile. Alles andere, naja, also ich war mir nicht sicher, ob da Leute oder Viecher den Pfad getreten haben. Ganz besonders bei den Steigungen hatte ich so meine Zweifel. Mit nur zwei Beinen ist das fordernd, mit vieren geht es (Stöcke!) gleich viel besser. Da alle auf der 100er- Strecke laufen, eben mal was mehr oder was weniger, machen die paar Querverbindungen und die Startzeit den Unterschied. Seid gewiss: hier kriegt jeder sein Fett weg! So 1-2 kg sind schon möglich…

 

 
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Ich stehe um 5 im Finstern am Start, gemeldet zum 100er. Damals, vor 2 Jahren zum Zeitpunkt der Anmeldung, hab ich‘s mir zugetraut. Ganz so viel sind wir nicht, so 120 etwa. Graf Dracul gibt das Kommando- ab die Post! Wir entzerren uns schnell. Gleich nach dem Start beginnt eine löchrige Schotterpiste durch das Dorf. Zwischen den letzten Häusern und deren Wachhunden durch ab in den Wald. Internationales Plappern um mich herum. Die Gespräche verstummen, je höher wir kommen und je steiler es wird. Dieser Teil hat gut 1700 hm am Stück und das auf nur 8 km. Das fängt ja gut an.  Schon unten im Dorf knacken meine Stöcke weg. Ab in eine Mülltonne und freihändig weiter – das kann ja was werden und wurde es auch.

Aber noch ist alles drin. Das Wetter ist prachtvoll- kühl und sonnig. Ideal. Regen soll erst später kommen, wer schnell ist, wird weniger nass, heißt es. Die meisten und womöglich die schlimmsten Höhenmeter befinden sich im ersten Drittel. Nur die 20er kommen hier nicht her. Das Bucegi-Gebirge mit dem Omu-Gipfel lockt! Der bleibt den 30ern erspart. Alle anderen müssen darüber, die 50er nur einmal. Klar soweit? Wem unterwegs die Erkenntnis kommt, dass die kürzere Strecke womöglich besser sei, kann an Streckenteilungen abdrehen. Das kann bei Katastrophenwetter oder bei dickem Nebel lebensrettend sein! Es ist wild hier, nix mit Hütte an Hütte und Bier um die Ecke. Vielleicht mal ein Schutzpilz ab und zu. Sonst aber nix. Wer abdreht, kommt aber nicht in die Wertung, die Ehre bleibt erhalten, die ITRA-Punkte auch. Also keine falsche Scham, wenn es brenzlig wird!

Mörderisch steil ist der Trail im Wald. Die weniger steilen Partien sind reine Erholung. Aber man kommt gut hoch und oben bieten sich prächtige Ausblicke in den Sonnenaufgang und nach Siebenbürgen hinein. Wahnsinn. Fast oben, an den schattigen Hängen, sind erste Schneefelder,  weich und pappig, am Grat rutschig und senkrecht abfallend. Prompt rutsche ich weg und verliere eine Schneekette. Das wird ja immer besser!

 

 
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Immerhin geht es nun bergab zum ersten VP. Malaiesti. Kinder mit Vuvuzelas kündigen uns an. Ein Höllenlärm! Und dazu die ersten 50er, die blitzartig auftauchen und gleich wieder verschwinden. Ins Hochtal nach Süden, mächtig hoch auf schließlich 2507 m. Auch da ist Schnee, steil und glatt. Die enge Scharte ist schon von unten eindrucksvoll, die bunte Polonaise auch. Ohne Stock, mit nur einer Schneekette ein grandioses Erlebnis! Natürlich steht oben ein Fotograf, der einen in flagranti überrascht. Best fuck of the world, meint er zu mir. Übrigens ist Englisch hier die Umgangssprache, rumänisch liest man nur auf den Speisekarten…

Noch ein flaches Stück zum Gipfel, da trifft mich der Schlag: Die vordersten 80er und 100er haben eine riesige Schleife fertig und kommen mir entgegen, zum 2. Mal auf den Gipfel! Die haben doppeltes Tempo, trotzdem bin ich gut in der Zeit. Cutoffs gibt’s nämlich auch reichlich. Nach dem Gipfel folgen Grashänge mit weiter Sicht, bequemes Traben ist möglich. Das Hochplateau ist bei Gewitter bevorzugtes Ziel. Nix wie weg, denn erstens zieht es sich zu und zweitens sind solche Gewitter gerade angesagt. Ein kleiner Kontrollpunkt nimmt eine Zwischenzeit, dann weiter 5 km abwärts nach Pestera, dem nächsten VP.

Zunächst sanfte Grashänge, die Strecke lässt sich ja gut an.. Aber dann wilde, zerklüftete Trails, manchmal durch mehr oder weniger tiefe Bäche und sumpfige Abschnitte. Weil zu gefährlich, dürfen wir einen kleinen Fluß ausnahmsweise über eine Hängebrücke überqueren. Noch 1-2 km Schlamm und Matsch, dann kommt der VP.

 

 
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Hier fällt die Entscheidung: Ab auf den 50er! Mit dem Schwund an Ausrüstung, dem Wetter und meinem so ziemlich ausgepowerten Zustand eine gute Entscheidung. Viele tun es mir gleich. Ich kaputt. Ich nix Kraft. Ich so langsam heute… Ich Argumente sind verschieden. Nach der Autostraße rechts ab in den Wald, wieder über einen Fluss und dann zum Strugasattel wieder hoch. Beim Aufstieg erkennt mich Claudia, sie berichtet mir von einigen markanten Erlebnissen von unterwegs und zieht dann auf und davon. Regen setzt ein, von der fast, aber nicht ganz nassen Sorte. Trotzdem: Jacke an. Über den Sattel treibt der Wind  dunkle Wolken. Chillgefahr. Beim Kontrollpunkt spätestens ziehen sich alle warm an.

Ab hier geht es laut Höhenprofil eigentlich nur noch abwärts. Das wissen aber die Berge noch nicht und türmen noch ein paar prächtige Anstiege vor uns auf. Wir sind nun auf unter 1800 m und somit meistens im Wald. Schmale Trails über die offenen Stellen und breitere Wege im Busch. Einmal kommt noch die Sonne raus, Jacken wieder weg. Der letzte VP ist natürlich ganz oben. 100 hm Anstieg, im Höhenprofil nicht der Erwähnung wert. Und dann noch weitere 13 km Strecke…

 

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Netto verlieren wir gut Höhe. Merkt aber keiner. Noch ein Berg, nochmal 100 hm. Und steil. Drüben geht es einigermaßen, aber bergab hat der nun wieder fiese Regen alle Pfade und Wege in Schlammrutschen verwandelt. Mit Stöcken geht’s, aber ohne? Naja. Laut fluchend, also wirklich laut, trabe ich so gut es geht, mit den Schlammplacken im Profil bergab. Wow. Kein Sturz, aber oft kurz davor.

Plötzlich eine echte, breite Forststraßen, und die auch noch bergab… die Richtung führt ins Ziel! Mann, das motiviert! Bis zur Kurve, dann wieder hoch. Was ist das für ein Höhenprofil? Auf langer Rampe aufwärts, dann auf schlammigen Treckerspuren weiter, wellig, aber immer höher. Bis in den Wald, da durch sind es 700 m bis zur Straße. Und dann noch 250 m bis ins Ziel. Trailig, wurzelig und steil verabschiedet sich ein Lauf der besonderen Art. Stufen in den Schlosspark, dann Zieleinlauf, Medaille und relaxen.

 

Fazit

 

Ein sagenhaft schöner Lauf in einem im wahrsten Sinne des Wortes sagenhaften Gelände. Aber derartig wild und anspruchsvoll, wie ich nur wenige Regionen bisher kennengelernt habe. Nur mit erprobter, richtig guter Ausrüstung antreten und die Distanz klug wählen. Teuer wird’s, wenn sie einen rausholen müssen. Deshalb vorsichtig und achtsam laufen!

Wirklich schön wird das Erlebnis in der kleinen Gruppe bei einer Laufreise. Gegenseitige Hilfe, Motivation und der Austausch des Erlebten sind die schönsten Momente, an die man sehr lange zurückdenken wird. Ich jedenfalls bin traurig, dass alles vorbei ist…


 

 


 
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